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185, 12, August 1910. Nichtamtlicher Teil, Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 9153 Zwei andere Verbandsländer, Spanien und Norwegen, scheinen sich mit diesen zehn schon für die neue Konvention gewonnenen Ländern vom gleichen Tage, nämlich vom nächsten 9, September an, in Marsch setzen zu wollen. Drei andere Länder, Dänemark, Großbritannien und Italien haben ihre Vorarbeiten beschleunigt und werden sie wohl im Laufe des nächsten Jahres beendigen. Ist nun der Gedanke utopisch, daß, wenn sich das erste Vierteljahrhundert des Bestehens der Union erfüllt haben wird, am 9. September 1911 — die ursprüngliche Über einkunft wurde in Bern am 9. September 1888 unter zeichnet — alle Verbandsländer gegenüber der re vidierten Berner Konvention Stellung genommen und sich ihr mehr oder weniger vollständig angeschlossen haben werden? Jedenfalls ist dies ein Zukunftsbild, das wir einmal festhalten wollen. Übrigens scheint diese Meinung von einem derjenigen Männer geteilt zu werden, die vermöge ihrer hohen Stellung am besten in der Lage sind, die Dinge zu Überblicken, nämlich von Exzellenz von Körner, dem Direktor im Auswärtigen Amte des Deutschen Reiches, der anläßlich des Austausches der Ratifikationsurkunden am letzten 9. Juni sich vor den versammelten Abgeordneten der Vertragsstaaten folgender maßen geäußert hatl »Gestatten Sie mir, die Hoffnung auszudrücken, daß es den übrigen Regierungen ge lingen möge, das Inkrafttreten der Konvention in ihrem Lande bis zum 9. September des nächsten Jahres zu sichern, damit alsdann die neue Übereinkunft, die die Frucht eines gewissenhaften, eifrigen und heißen Bemühens bildet und einen entscheidenden Wendepunkt aus dem Wege der Ver einfachung und Vereinheitlichung der Urheberrechte darstellt, ihre Anwendung in allen Veibandsstaaten vom fünfund zwanzigsten Jahrestage der Gründung der Union an finden kann.« Nur sieben Länder haben die Übereinkunft in allen Teilen ratifiziert. Drei andere haben Vorbehalte gemacht. Bis zu welchem Grade hat nun das System der Vor behalte die gegenseitig in Berlin eingegangenen Ver pflichtungen beeinträchtigt? Der von Frankreich und Tunis in bezug auf die Werke der angewandten Kunst gemachte Vorbehalt sieht mehr wie eine Demonstration aus, oder er hat, nach dem hübschen, von Herrn Renault in seiner Rede vor der französischen Kammer gebrauchten Ausdruck, wie ein Sicherheitsventil ge wirkt, um allerlei Beschwerden herauszulassen. Da diese Werke in der alten Konvention nicht ausdrücklich erwähnt sind, so ist ihr Schicksal in den Beziehungen mit Frankreich und zu Frankreich ein sehr ungewisses. Empfindlicher ist der erste der beiden von Japan gemachten Vorbehalte, betreffend Beibehaltung des obliga torischen Vermerkes zur Wahrung des öffentlichen Auf führungsrechtes an musikalischen Werken. Immerhin werden sich, wenn Japan keine Nachahmer findet, die Folgen dieser Einschränkung nicht unmittelbar fühlbar machen, und zwar wegen der großen Entfernung, dis unsere Komponisten und Musikalienverleger von jenem Lande trennt. Der schwerwiegendste Vorbehalt betrifft jedoch das aus schließliche Übersetzungsrecht. Die Berner Union hat hier drei Schutzmöglichkeiten vorgesehen. Aus der ersten Stufe, im Jahre 1888, wurde diesem Rechte eine Dauer von 10 Jahren cingeräumt, nach deren Ablauf die Über setzung eines Werkes in irgendeine Sprache vollständig frei- gegeben ist. Auf der zweiten Stufe, im Jahre 1896, wurde dieses Recht dem Vervielfältigungsrecht gleichgestellt, unter der Bedingung jedoch, daß davon innerhalb zehn Jahren Gebrauch gemacht werde, so daß man im elften Jahre ein Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 77. Jahrgang. Werk ohne Genehmigung nur in diejenigen Sprachen über setzen darf, in denen während des ersten Jahrzehnts keine Übersetzung erschienen ist. Auf der dritten Stufe, im Jahre 1908, hat man auch diese letzte Bedingung, d. h. die zehn jährige Gebrauchsfrist, beseitigt. Nun will Japan in diesem Punkte auf der zweiten Stufe stehen bleiben, und auch die Opposilionsgruppen in Italien und Spanien schlagen das nämliche vor. Mehrere Länder, die dereinst der Union beitreten könnten, wollen sogar auf der ersten Stufe verharren und nur nach und nach auf die folgenden Stufen vorrücken. Unter diesen Um ständen darf man den Dingen nicht Gewalt antun, noch die Entwicklung forcieren. So können sich denn in dieser Hinsicht drei engere Unionen bilden: die erste aus denjenigen Ländern bestehend, die den Artikel 5 der ursprünglichen Übereinkunft von 1886 beibehalten; die zweite, diejenigen Staaten umfassend, die den durch die Pariser Zusatzakte von 1896 abgeändertcn Artikel 5 annehmen; die dritte endlich, die neun Länder um schließend, die schon jetzt den neuen Artikel 8 der revidierten Konvention von 1908 angenommen haben, sowie diejenigen, die sich ihnen noch anschließen werden. Jede Gruppe wird in den gegenseitigen Beziehungen der in derselben figu rierenden Staaten durch diejenige Bestimmung gebunden, aus der die engere Union aufgebaut ist. In den Beziehungen zu den anderen Gruppen aber würde stets die weniger vor geschrittene Lösung, die eins der in Betracht kommenden Länder bindet, anwendbar sein, bleiben doch die früheren Vertragsinstrumente in den Beziehungen zn den Staaten, die ein späteres, weitergehendes Vertragsinstrument noch nicht ratifiziert haben, noch immer in Wirksamkeit. Selbstverständlich bleiben auch die zwischen Verbands ländern abgeschloffenen Sonderliterarverträge, sofern sie für die Autoren günstiger sind als die Vorschriften der Überein kunft, in Kraft. Wir denken hier an die französisch spanischen und belgisch-spanischen Verträge von 1880, sowie an die Verträge Deutschlands mit Belgien, Frankreich und Italien vom Jahre 1907, die alle das übersetzungsrecht wie das Vervielfältigungsrecht schützen. Diese Sonderabmachungen können vermehrt werden oder dank der Meistbegünstigungs klausel eine Ausdehnung auf andere Länder erfahren. Ein geistreicher Franzose, der Senator Couyba (I-o Lnäleal, vom 13. Juni 1910), hat die Art und Weise, wie das System der Vorbehalte funktionieren wird, mit einem Fahrstuhl ver glichen, der ein Haus mit mehreren Stockwerken bedient. Diejenigen Länder, deren Gesetzgebung sich noch im Rückstand befindet und die nicht alle Stockwerke in einem Zuge erklimmen oder in einem Laus einholen wollen, werden diesen List mit unverbindlichem Anhalten auf den Zwischenstockwerken und freier Weiterfahrt von einer Konvention zur andern benutzen. In einem ähnlichen Jdeengange könnten wir ausführen, die Staaten, die die neue Konvention vorbehaltlos genehmigt haben, hätten Eilzüge, Schnellzüge oder Luxuszüge auf der ganzen Strecke eingerichtet, deren Wagenmaterial bis zum Endpunkt der Bahn geht, während gewisse Länder den mit dem Übersetzungsrecht befrachteten Wagen auf einer oder zwei Zwischenstationen abkuppeln und ihn dort warten lassen, bis ihn die bewegende Kraft einmal vorwärts treibt, damit er den anderen Wagenpark auch erreiche. Würden die Vorbehalte aus einen einzigen Vorbehalt, betreffend das Übersetzungsrccht, beschränkt werden können — es bedeutet dies immerhin das wesentlichste Zugeständnis, da das Übersetzungsrecht das Hauptrecht im zwischenstaatlichen Verkehr bildet —, so würde der schrittweise, wohlgraduierte Fortschritt, den man durch die verschiedenen Revisionen der 1192