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3436 Börsenblatt f. b. Dlschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 63, 16. März 1912. Erhard G. m. b. H. sich bei der Buchhandlung, welche diese Werke liesert, das Recht ausbedungen hat, nicht nur die vor stehend genannten 7tI0 Exemplare, sondern nach Bcdars auch bedeutend mehr Exemplare dieser Prachtwerke in genau gleicher Ausstattung zu beziehen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich doch einmal daraus Hinweisen, daß die Propagandaorganisation in diesem Ge schäftszweig geradezu vorbildlich ist. Nicht nur über die Warensendungen, sondern über jeden einzelnen Prospekt wird genaue Kontrolle geführt. So hatte ich mir, um den Nerven verbrauch in meiner Verlegertätigkeit etwas zu paralysieren, seinerzeit eine Schachtel Pillen von einem solchen Institut schicken lassen. Die nächste Nachnahme tras genau an dem Tage ein, wo bei normalem Verbrauch die erste Sendung er schöpft sein mußte. Nachdem ich die Nachnahme zurückwies, erhielt ich in bestimmten Zwischenräumen briefliche Mit teilungen, die mir meinen demnächstigen geistigen und körper lichen Verfall in sehr geschickter Steigerung für einen immer kürzeren Zeitpunkt prophezeiten. Wenn ich auch dieser speziellen Art der Propaganda für den Buchhandel nicht das Wort reden möchte, so glaube ich doch, daß wir nach der technischen und psychologischen Seite hin gerade von solchen Instituten noch sehr viel lernen können. Rudolf Mosses Zeitungsverzeichnis und Jnsertions- katalog. der für 1912 vorliegt, ist für Zeitungsreklame ein unentbehrliches Hilfsmittel. Über Berlin dürften einige Zahlen, die ich mir ansgezogen habe, interessieren. Es erscheinen an Tageszeitungen 1 (Lokalanzeiger) 19 mal wöchentlich; 12 Zeitungen 12—13mal; ca. 25 Zeitungen 6—7mal. Die Vororte sind hier nicht eingerechnet. Sie sind, obwohl doch Groß-Berlin ein Wirtschaftsgebiet bildet, einzeln als Städte der Provinz Brandenburg aufgeführt. (Wenn im Laufe des Jahres die Bezeichnung Berlin-Friedenau rc. offiziell werden wird, dürfte dieser Fehler wohl auch im Katalog verschwinden ) Ich zählte hier noch ca. 20 Zeitungen, die teils täglich, teils 3 mal wöchentlich erscheinen. Man darf diese Lokalblätter weder unter-, noch über schätzen. Gewiß wird es keine Familie geben, die neben dem Lokalblatt nicht noch irgend eine Berliner Zeitung liest. Aber andrerseits haben solche Blätter in den betr. Orten ein gewisses Stammpublikum (alteingesessene Familien, Kommunal beamte, Grundbesitzer, Lokalpolitiker rc.), das man sonst schwer lich mit einer einzelnen Zeitung erreichen würde. DieNeue Photographische Gesellschaft in Steglitz, die auch mit dem Buchhandel in reger Verbindung steht, ist im Handelsteil der Berliner Zeitungen in den letzten Monaten ein häufiger Gast gewesen. Schlechte Ergebnisse des eigenen Betriebes fielen mit verlustreichen Beteiligungen auswärts zusammen, so daß sich die Gesellschaft, zumal da ihre Bankverbindung mit Einschränkung des Kredits drohte, mit radikalen Sanierungsvorschlägen an ihre Aktionäre wenden mußte, die in der Generalversammlung nach längeren Debatten und vergeblichen Versuchen, die Bank zu günstigeren Präpositionen zu bewegen, in der von den Tages- blättern bereits gemeldeten Form angenommen wurden. Ob die geforderte Summe gezeichnet wird, ist im Augenblick noch nicht bekannt. In jedem Fall ist die Situation für die Aktionäre, Zuzahlung durch Übernahme neuer Aktien zu leisten oder hinter den Vorzugsaktien rangierend auf eine Dividende in absehbarer Zeit nicht rechnen zu können, wenig erfreulich. In Sachen der Schillerstiftnng nimmt, nachdem der Vorschlag eines Schiedsgerichts von seiten der Stiftung ab gelehnt ist, der Angreifer Hans Kyser zu einem Schlußwort in der »Neuen Rundschau» das Wort. Er faßt seine An griffe noch einmal in einer Anzahl prägnanter Fragen zu sammen. An gleicher Stelle gibt er Proben aus Dichtungen, deren Verfasser Ehrengaben erhalten haben. Verse, die aller dings mehr dem Freunde des Humors, als der Stiftung Freude machen werden. Im Berliner Tageblatt brachte als Vertreter der be sonders scharf angegriffenen Zweigstiftungen der Schrift führer der Berliner Zweigstistung Waldeck - Manasse eine Entgegnung. Endresultat: Offiziell gibt die Schillerstiftung keine Miß griffe zu, ob sie aber nicht aus der ganzen Polemik im stillen doch etwas gelernt hat, wird die Zukunft lehren. Die schönen Zeiten des kinematographischen Theaters (in Berlin ganz allgemein -Kientopp» genannt) scheinen sich ihrem Ende zu nähern. Schöneberg, wo die Plakate dieser Veranstaltungen eine besonders marktschreierische und un sympathische Form haben, hat eine scharfe Steuer in Vor bereitung, die durch eine Zufallsmehrheit abgelehnt, doch zweifellos in nächster Zeit zur Annahme kommt.') Andrerseits wird mitgeteilt, daß die Kinematographentheater als bald dem Z 33» der Reichsgewerbeordnung unterstellt werden dürsten, der die Konzessionspslicht, wie sür Varieto- theater, Schaustellungen usw-, umschreibt. Die Behörde würde dann in der Lage sein, die Inbetriebnahme neuer Kino theater von der Bedürfnissrage abhängig zu machen, und sie damit sehr erschweren. In dem gleichen Sinne beabsichtigt der Deutsche Bühnenverein vorzugehen, wobei er den zahlen mäßigen Nachweis erbringen will, daß die Einnahmen der Theater ganz beträchtlich zurückgegangen sind, seitdem die Kinos wie Pilze aus der Erde schießen. Und mit Recht weist man darauf hin, daß der Schauspielunternehmer zum Betriebe seines Gewerbes der Erlaubnis (aus Z 32 der Gewerbeordnung) bedürfe, weshalb also nicht auch der Kino unternehmer? Andererseits wird in Regierungskreisen auch die Schaffung einer Zentralstelle sür die Prüfung aller in Deutschland aufzuführenden Films erwogen. Durch eine solche Reichszensur st elle würden der Geschäftsgang sehr vereinfacht und große Ersparnisse erzielt werden, da dann die zahlreichen Polizeikinos der Lokalbehörden sich erübrigen würden. Freilich bedeutete die Neuerung auch eine Er leichterung für die Kinobesitzer. Andererseits wird vielfach der Versuch gemacht, den »Kientopp» zu verfeinern, in seiner äußeren Aufmachung wie in seinem Programm dem Niveau der Theater anzupassen. So ist am Potsdamer Platz kürzlich ein richtiges kinemato- graphisches Theater eröffnet worden, und auch ein bisheriges Theater, das Restdenztheater, der langjährig« Tummelplatz französischer Ehebruchsschwänke, soll künftig diesem Zwecke dienen. Der Direktor Richard Alexander hat es an den Schriftsteller Herrn Hermann Lckisch verpachtet, der in der Blumenstraße den »Kinematographenschwank» - -Die Flimmer kiste» spielen will. Erläuternd bemerkt der Pächter der Bühne, der zugleich der Autor der »Flimmerkiste» ist, daß im Rahmen der Vorstellung ein vollständiges Kinoprogramm geboten wird, wodurch »das Problem der Beseitigung einer Kon kurrenz zwischen Theater und Kino auf die einfachste Weise gelöst sei». Um in der Wahl der Stücke vom Zensor unabhängig zu sein, sind von dem Schriftsteller Heinrich Lautensack Privatvorstellungen unter dem Titel »Das heimliche Theater» geplant. Ob das Unternehmen Erfolg haben wird, erscheint mir doch recht zweifelhaft. Kommt es wirklich zu einem festen Zusammenschluß einer kleinen Anzahl von Mil ch Die Steuer wurde inzwischen eingesührt.