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1374 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^7 25, 1. Februar 1910. (vr. Wolfs,on) Also, m. H., sind Sie nun wirklich der Ansicht, daß diese Verwechselung der Vergangenheit mit der Zukunft ein Beweis dafür ist, daß meine juristischen Kenntnisse derartig sind, daß Sie juristische Bemerkungen von mir überhaupt nicht anhören dürfen? Ich glaube nicht, daß Sie je von mir gehört haben, daß ich renommiere und mich mit etwas brüste. Aber, wenn jemand, wie Herr vr. Popert, in der Bürgerschaft sagt, daß ich keine Ahnung von der Strafprozeßordnung habe — verzeihen Sie mir angesichts des außergewöhnlichen Anlasses, der in der Rede des Herrn vr. Popert liegt, und rechnen Sie mir es nicht als Renommisterei an —, so muß ich mich doch darauf berufen, daß ich von der Reichsregierung in die während dreier Jahre tagende Kommission für die Reform der Strafprozeßordnung berufen bin, daß ich in sehr wichtigen Fragen der Straf prozeßordnung das Referat gehabt habe und daß ich mir daher von Herrn vr. Popert nicht sagen lassen kann, daß ich von der Strafprozeßordnung absolut nichts verstehe, daß ich viel weniger davon verstände als ein Referendar! Ich muß erklären, daß ich niemals eine derartige, auch nicht eine ähnliche Äußerung in der Bürgerschaft gehört habe. Abgesehen davon, daß man so etwas überhaupt nicht auf der Tribüne der Bürgerschaft sagt, mußte sich vr. Popert sagen, daß seine Worte auf meine Person keine Anwendung finden können. (Bravo!) Herrn vr. Mönckeberg möchte ich auf eine Bemerkung erwidern: Er und Herr vr. Popert haben gesagt, ich hätte dem Ausschuß den Vorwurf gemacht, daß er die Worte: »in sittlicher Beziehung Ärgernis erregen« angewandt habe. Das ist ein Miß verständnis! Ich weiß, daß die Reichsgewerbeordnung für den Gewerbebetrieb im Umherziehen diese Bestimmung hat. Ich habe nur gefragt, ob das »Sittlich« in dem Ausschußbericht identisch mit dem Wort »züchtig« sein soll. Wenn es identisch ist, so braucht es nicht wiederholt zu werden, da das Verbot schon im Strafgesetzbuch steht; wenn es aber nicht identisch ist, wenn von der Sittlichkeit oder Unsittlichkeit im allgemeinen die Rede ist, dann halte ich den Antrag für ungerechtfertigt, weil ich nicht will, daß die Polizeibehörde darüber entscheidet, ob der Gegenstand der Literatur oder Kunst eine sittliche oder eine unsittliche Ten denz hat. Also irgendeinen Vorwurf habe ich gegen den Ausschuß nicht erhoben. Ich komme nun mit Widerwillen dazu, noch einige Worte auf die Rede des Herrn vr. Popert zu antworten. Ich bemühe mich — ich habe es vielleicht schon außer acht gelassen —, dieser Rede gegenüber die Ruhe zu bewahren, die mit der Würde der Bürgerschaft allein vereinbar ist. Ich bin von Herrn vr. Popert immer und immer wieder getadelt worden, und zwar auf das äußerste, wegen meiner juristischen Ausführungen und Deduktionen. Herr vr. Popert hat gesagt, ich hätte ihn in juristischer Beziehung mit Hohn über gossen! Ich habe aber beinahe kein Wort über juristische Fragen gesagt. Ich habe meine Rede damit angefangen, daß die Sache nicht in die Straßenordnung hineingehöre. Das scheint Herr vr. Popert jetzt eingesehen zu haben; denn er hat den Antrag geändert. Dann habe ich gesagt, ich stände auf dem Standpunkte, daß der Antrag reichsgesetzlich unzulässig ist; ich würde aber die Ausführung dieses Gedankens anderen überlassen, da ich wisse, daß andere sich zum Wort gemeldet haben, die diese Frage besprechen wollen. Und da soll ich ihn in juristischer Beziehung mit Hohn übergossen haben? Ich habe überhaupt nicht gehöhnt. Mir ist die Sache sehr ernst, und sicherlich hat kein Mensch aus meiner Rede den Eindruck gehabt, daß ich gehöhnt habe. (Un ruhe.) Ich habe nur ein einziges Mal einen Scherz gemacht; ich habe mich davon überzeugt durch den stenographischen Bericht, der das Wort »Heiterkeit« enthielt. Ich bin auf das Materielle eingegangen. Ich babe gesagt, wir dürsten derartige Bestim mungen nicht treffen; wenn auch wirklich der Zweck, den wir er reichen wollen, ein guter sei, so dürsten wir doch nicht ein Ge werbe, das der Anregung und Belehrung des Publikums dient, so beschränken, wie die Ausschußanträge es verlangen. Aber, m. H., jetzt will ich noch ein Wort — es soll ganz rasch gehen — über die juristische Unzulässigkeit der Anträge sagen, weil Herr vr. Popert sich einbildet, daß er den Erklärungen der Herren vr. Knauer, vr. Mönckeberg, Dr. Philipps und meinen Erklärungen gegenüber, die Bürger schaft davon überzeugt habe, daß die Anträge rechtlich zu lässig sind; weil er das sogar in einer Weise gesagt hat, als wenn wir vier absolut nichts von der Sache verständen und er der allein Sachverständige, vielleicht in der Bürgerschaft, vielleicht auch im Deutschen Reich wäre. Erst hat Herr l)r. Popert sich darauf berufen, daß die Reichsgewerbeordnung das Recht der Einzelstaaten nicht ausschließe. Es ist sehr leicht, diese Ausführungen zu machen, denn es hat kein einziger Redner Entgegengesetztes behauptet. Herr vr. Philipp!, ich und Herr Oe. Knauer (Ruf: Oe. Knauer doch!), nun, wenigstens Herr Oe. Philippi und ich: wir haben uns berufen auf das Reichs- strasgesetzbuch. Darin stimme ich mit Herrn Oe. Popert überein, daß die Reichsgewerbeordnung nicht im Wege steht. Bei dieser Gelegenheit will ich bemerken, daß die Reichsgewerbeordnung beim Gewerbebetriebe im Umherziehen eine vom Strafgesetz buch abweichende Bestimmung getroffen hat; selbstverständlich kann ein Reichsgesetz das tun, ein Partikulargesetz aber nicht. — Nun hat Herr vr. Popert heute erklärt, es sei die Landes- Gesetzgebung zulässig, weil auf dem Gebiete der Polizeiüber tretungen die Partikulargesetzgebung nicht gehindert sei. Das ist an sich richtig; die Anwendung aus den vorliegenden Fall ist aber wieder total unrichtig. Wenn Herr vr. Philippi gemeint hat, mit diesem Argument schlage er alle Gegner, so hat er sich hierin gänzlich geirrt! (Unruhe.) M. H.! Haben Sie noch ein bißchen Geduld, ich weiß, daß ich Ihre Zeit in Anspruch nehme, aber Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie diese Darlegung — ich bin dann gleich fertig — noch anhören würden. Die Sache liegt so, daß sie wirklich von einem Laien ebensogut, wie von einem Juristen beurteilt werden kann. — Unser Einsührungsgesetz zum Strafgesetzbuch sagt: Einzelne Staaten dürfen keine strafrechtlichen Normen er lassen inbezug auf Materien, die den Gegenstand des Strafgesetz buches bilden. Nun hat das Strafgesetzbuch im 29. Abschnitt unter dem Titel »Übertretungen« Vorschriften über einige gering fügige strafbare Handlungen, die von der Polizei geahndet werden, erlassen. Daraus nun, daß dieser 29. Abschnitt eine Reihe von Polizeivorschristen enthält, welche in das Gebiet eines speziellen Zweiges der Polizeiverwaltung fallen (es werden angesührt in den Kommentaren: Feuer-, Bahn- u. Straßenpolizei!, kann nicht gefolgert werden, daß diese Zweige polizeilicher Tätigkeit »Materien- sind und daß daher alle anderen auf diese Zweige der Polizeiverwaltung bezüglichen Strafverfügungen unzulässig sind. Darum ist es allerdings der Partikulargesetzgebung, wie Herr vr. Popert richtig erklärt hat, gestattet, in Ergänzung des 29. Abschnittes den Kreis solcher geringfügigen strafbaren Hand lungen zu erweitern. Nun will ich dahingestellt sein lassen — ich verneine es, — ob das, was der Ausschuß verbieten will, wirklich eine geringfügige strasbare Handlung ist, die zum Polizei- strasrecht gehört. Aber unter allen Umständen tritt hier wieder der Grundsatz des Einsührungsgesetzes des Strafgesetzbuches in Krast, daß Materien, die im Strafgesetzbuch behandelt sind, nicht Gegenstand der Partikulargesetzgebung sein dürfen. Da nun zwar eine Bestimmung über den Vertrieb von Büchern in dem Ab schnitt über die »Übertretungen« nicht existiert, wohl aber — und zwar im Abschnitt über die Vergehen gegen die Sittlichkeit — Gegenstand des Strafgesetzbuches ist, so darf die Partikulargesetz gebung auf diesem Gebiete keine Bestimmungen treffen. Sonst könnten Sie alles, was Sie unter Polizeigewalt stellen wollen, trotzdem es im Strafgesetzbuch erschöpfend behandelt ist, wieder der Partikulargesetzgebung unterwerfen. — Ich glaube, daß außer Herrn vr. Popert wohl kaum ein Jurist in dieser Versammlung sein wird, der nicht auf diesem von mir dargelegten Standpunkt steht, und daher ist die Belehrung, die Herr vr. Popert Ihnen, entgegen der Ansicht der übrigen Juristen erteilt hat, irreführend rmd verkehrt. Ich will mich nicht weiter mit der Rede des Herrn vr. Popert und den andern Reden beschäftigen. Ich hoffe, Sie erkennen es an und werden es nicht als Schwäche betrachten, daß ich nicht in einen Ton, wie wir ihn, solange ich Mitglied bin, in der Bürger schaft noch nicht gehört haben, verfallen bin. Ich würde es für eine Beleidigung der Bürgerschaft halten, wenn ich so antworten würde, wie mir Herr vr. Popert erwidert hat. Ich verzichte auf die weitere Besprechung der Popertschen Rede. Zum Schluß will ich nur erklären: Wir haben nicht in erster Linie juristische Einwendungen gemacht; wir haben nicht, wie