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1370 Börsenblatt s, d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 25, 1. Februar 1910. (vr. Popert) mus als Regierungsprinzip ist nur möglich bei einem Volke, das in scharfer sittlicher Zucht lebt. Denn nur ein solches Volk ist an Leib und Seele stark genug, sich selbst zu regieren. Ein zügel loses Volk verfällt an Körper und Geist und kann nur mit der Knute regiert werden. Wollen wir Liberalen, daß in unserm Ge danken regiert werde, so müssen wir sorgen, daß vor allen Dingen strenge sittliche Zucht bestehe. Deshalb bitte ich Sie, falle keiner darauf hinein, daß ein Liberaler nicht für ein derartiges Gesetz stimmen dürfe. Denken wir doch an die These, die einer unserer liberalsten Männer, Hinrich Wolgast, auf dem ethischen Kongreß zu London aufgestellt hat! Herr Kollege Krause hat sie uns vor hin zitiert. Drittes Schlagwort: Antor: Herr l>r. Philippi. Wir gehörten an die Seite der ärgsten Eiferer der katholischen Kirche, an die Seite der englischen Puritaner. »Eiferer der katholischen Kirche.« Nun, Vorsitzender und Berichterstatter des Ausschusses gehören dem Evangelischen Bunde an, der Berichterstatter ist auch noch im antiultramontanen Reichsverband. Aber, wie schon der Vor sitzende gesagt bat, sollen wir darum den Katholiken die Sorge für Gesundheit und Zukunst unseres Volkes überlassen? Was aber die englischen Puritaner angeht, so muß ich sagen, daß mir nach seinem Urteil über diese Herrn vr. Philippis geschichtliche Auffassung in recht ähnlichem Licht erscheint wie seine juristische in dieser Sache. (Heiterkeit.) Meiner Meinung nach weiß jeder Kenner der englischen Geschichte, daß die Puritaner es gewesen sind, die den Boden geschaffen haben für Englands Größe. Und ich muß ganz offen sagen, daß ich mich (in diesem Fall) sehr viel lieber in der Gesellschaft von Oliver Cromwell befinde, als in der der Herren vr. Wolffson und vr. Philippi. Starke sittliche Zucht und politische Freiheit: das ist englisches Puritanertum. Und daher, m. H., kann ich nur wünschen, daß in die deutsche und die hamburgische Gesetzgebung recht viel von Puritanergeist hinein kommen möge. Wir Ausschußmitglieder schämen uns der Ge meinschaft mit diesem Geiste ganz gewiß nicht. Also, weg mit allen diesen Schlagworten! Aber, m. H-, bei der Wahl, die wir darüber zu treffen haben, ob alles so schlecht bleiben soll, wie es ist, oder ob wir eingreifen wollen mit einem Strafgesetz, darf man auch nicht das Opfer werden gegenstands loser Befürchtungen. Zu allererst uicht einer Befürchtung, die Herr I)r. Wolffson mit seiner — ich darf das Wort anwenden, fast alle Zeitungen haben es rühmend auf ihn angewendet — meisterhaften Dialektik in die Welt gesetzt hat. In Herrn vr. Wolffsons Rede stehen zwei Sätze, ich darf sie wohl verlesen? Zuerst heißt es: Sie gestatten wohl, daß ich statt der weitläufigen Worte »Verbot der Auslegung von Schriften« einfach »Verbot der Schriften« spreche. Das ist dann gestattet worden, und dann ist nachher folgender Satz herausgekommen, den ich auch verlesen darf: Es gibt unendlich viele Bücher, die für unsere Nation von der größten Bedeutung sind, die aber, wenn sie von einem Kinde gelesen werden, einen sehr ungünstigen Einfluß auf das Kind ausüben können, und diese Bücher sollen verboten werden. Gewiß, m. H , nach der »Gestattung«, um die er gebeten hatte, durfte Herr vr. Wolffson das sagen; aber der Eindruck, den er damit erregt, ist doch ein recht wenig die Sache deckender. M. H.! Nichts soll nach unserm Anträge »verboten« werden, keine Schrift, keine Abbildung und keine Darstellung; nur das soll verhindert werden, daß gewisse Sachen öffentlich ausgelegt werden. — M. H.! Sehen wir die Dinge doch, wie sie sind. Ich muß offen sagen: wenn ich selbst ein Buch geschrieben hätte, das ich für wertvoll hielte, verständige Leute meinten aber, es wirke schädlich aus die Jugend, dann brauchte es doch meinet wegen nicht in den Schaufenstern zu stehen. Daß das Interesse des Autors und des Buchhändlers gerade das unbedingt verlangt, das ist eine Idee, die ich für irrig und irreführend halte. Nun eine zweite Sache, durch die man sich nicht bange machen lassen darf: das ist die »Bedrohung der Freiheit des Buchhandels«. Zunächst leugne ich überhaupt, daß, wenn auch unser Antrag Gesetz werden sollte, der eigentliche Buchhandel dadurch in irgendwie nennenswerter Weise überhaupt berührt würde. Ich glaube nicht, daß irgend einer unserer großen Buch läden je in die Lage käme, gegen dieses Gesetz zu verstoßen. Die Läden, die getroffen werden würden, wären minderwertige Antiquariate und Zigarren- oder Papierläden. l>r. Wolffson und Or. Philippi haben es beide nicht erkannt: unser Antrag ist ein Antrag der Freiheit; wir wollen die Freiheit der anständigen Geschäfte gegen die der unanständigen Geschäfte verteidigen. Die Herren haben vergessen, wie die Sache heute liegt. Durch das Auslegen von Schmutz- und Schundliteratur locken die un anständigen Geschäfte Kunden an, und ihre Kollegen, die nicht so gewissenlos sind, werden dadurch im Kampse ums Dasein beeinträchtigt. Gerade wir wollen erst die Freiheit der anständigen Leute gegenüber den unanständigen Leuten schaffen! Nun ein dritter Punkt der Furcht: Es heißt immer: »Aber! Aber! Ein Polizeigesetz.« Ich habe schon nachgewiesen, daß, wenn Sie den unglaublichen juristischen Irrtum vr. Wolffsons über das Verhältnis von Polizei und Gerichten einmal beseitigt haben, daß unser Gesetz dann gar kein Polizeigesetz ist, sondern ein Gesetz wie andere auch, das, wo es wirklich darauf ankommt, durch den Richter angewendet wird. Ich darf dazu auch noch einmal daraus aufmerksam machen, daß mein heutiger Ab änderungsantrag die Einfügung des Gesetzes in die Straßen ordnung beseitigt hat. Daß insolgedessen die Nichtbefolgung eines auf Grund des Gesetzes etwa erfolgenden Polizeiverbotes nicht mehr strafbar ist, weil ß 80 der Straßenordnung nicht mehr An wendung finden kann. Das war ein Angriffspunkt, den ich für berechtigt halte und bei dem ich daher nachgegeben habe. Dann die vierte Furcht: die Furcht vor Mißgriffen auch der Richter. Herr vr. Wolffson befürchtet, es werde unser Gesetz auch »Emilia Galotti« treffen. Das leugne ich und leugne es um deswillen, weil in unserm Amts-, Land- und Oberlandes gericht verständige Männer und keine Leute sitzen, die Ent scheidungen machen, wie sie Idioten machen würden. Ich brauche den Ausdruck Idioten nur von Richtern, die es eben nicht gibt. So ist die Meinung. (Heiterkeit.) Jedes vernünftige Gericht achtet bei der Auslegung von Gesetzen auf die Motive. Ich kann mich speziell auf den verstorbenen Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts, Herrn Oe. Sieveking, berufen, der mich bei der Unterredung, die ich als Referendar vor dem Assessorexamen mit ihm hatte, darauf hinwies, daß seiner Meinung nach ein Gesetz nur unter Berücksichtigung der »Motive« ausgelegt werden dürfe. Und, m. H., unter den »Motiven« für dieses Gesetz käme mit an allererster Stelle der Ausschußbericht in Betracht. Und welcher Geist weht denn nun in dem? Ja, nachdem jetzt Herr Or. Wolffson und Herr vr. Philippi geredet haben, glaubt ja sicher ein großer Teil der Öffentlichkeit, daß dieser Ausschußbericht ein Werk von Dunkelmännern, von finsteren Fanatikern sei. Und was steht in Wirklichkeit drin? Im Ausschußantrag steht, daß alle Mitglieder sich in diesem Punkte einig waren: »Es kann nicht verkannt werden, daß ein nicht geringer Teil der Schäden, die auf sexuellem Gebiet vorhanden sind, seinen Ursprung in einer zu großen Prüderie hat. Prüderie erzeugt Lüsternheit und diese wieder Ausschweifungen aller Art. Das Heilmittel dagegen ist die natürliche Betrachtung natürlicher Dinge, die als solche niemals schmutzig sind«. Dann ist im Ausschußbericht (von einem Teil der Ausschußmitglieder) für die sexuelle Aufklärung der Jugend eine Lanze gebrochen worden, auch für die Abhärtung der Jugend gegen den Anblick des Nackten; er enthält einen Auf satz von Konrad Agahd mit scharfer Tendenz für die Nacktheit in der Jugenderziehung. Können also wirklich mit gutem Glauben Befürchtungen von der Art der letzterwähnten aufrecht erhalten werden? Ich glaube das ganz gewiß nicht. Und gerade ich persönlich wäre der erste, der solche Befürchtungen äußern würde, wenn ich sie irgend für berechtigt hielte. Stehe ich doch z. B. ganz entschieden auf dem Boden sexueller Aufklärung. Glaubt wirklich ein Mensch, ein Gericht könne, wo dieser Ausschußbericht vorliegt, auf Grund unseres Gesetzes das Auslegen von »Emilia Galotti« verbieten? M. H.! Ich halte dem öffentlichen Kampse, auch diesem Kampfe manches zu gute, aber ich glaube, die Mehr heit dieses Hauses ist mit mir einverstanden: dieser »Emilia Galottio-Angriff ging wirklich zu weit! Endlich kommt noch ein Gegenstand der Angst. Es handelt sich angeblich um die Kunst. Ich möchte da den Punkt aus Herrn vr. Philippis Rede, den Herr vr. Mönckeberg schon behandelt hat,