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(vr Popert) in der Öffentlichkeit von vielen Seiten beschimpft und bestoßen werden. (Zuruf: Mit Recht!) Herr vr. Braband, wenn Sie Ihrem Fraktionsgenossen in diesem Augenblick zurufen »Mit Recht«, dann begehen Sie damit eine Unvorsichtigkeit, die Sie bereuen könnten. Sie sollten mich doch soweit kennen, daß ich nicht der Mann bin, der sich so etwas gefallen läßt. Also, m. H., es ist da von Herrn vr. Wolfsson in einer Weise gearbeitet worden, die nicht zulässig ist. Er durfte nicht sagen, auch die »Geschichte der Revolutionen« falle unter das beantragte Gesetz, wenn das ausdrücklich die Bestimmung enthält, daß keine Schrift wegen ihres politischen Charakters unter das Gesetz ge bracht werden dürfe. Weil aber, m. H., solche — objektive — Irreführung der Öffentlichkeit geschehen ist, bin ich im Interesse der Sache verpflichtet, auch hier und in diesem Augenblick festzustellen, was das ist, wogegen unser Gesetz gemacht werden soll. Was die Schmutzliteratur angeht, so habe ich bereits gesagt, daß es sich um Dinge handelt, die in sittlicher Beziehung Ärgernis geben, aber doch von dem § 184 des Strafgesetzbuches nicht er reicht werden, Blätter wie »Satyr«, »Chaiselongue-Geschichten« u. dgl. — Was die Schundliteratur anlangt — und da bitte ich Sie, sich immer Herrn Or. Wolffsons Beispiel von der Emilia Galotti als Gegensatz vorzuhalten — so möchte ich mit Erlaubnis des Herril Präsidenten aus den Anlagen zu unserm Ausschuß- bericht, deren Lektüre ja jeden aufklären muß, der überhaupt sehen will, ein wenig verlesen. Alles, wie gesagt, um vor der Öffentlichkeit die ungeheure Verschiebung sestzustellen, die hier vorgekommen ist. Ich verlese von Seite 18 der letzten Anlage zum Bericht den Inhalt eines einzigen Heftes der Schundliteratur (mitgeteilt vom Nürnberger Jugendschriftenausschuß): 1. Ein Priester wird ermordet. — 2. Eine Brigantin wird getötet; der Verbrecher mauert den Rumpf ein und präpariert den Scbädel, den er auf einem Altar ausstellt. — 3. Zwei Polizeibeamte werden im Eisenbahnkupee mittels Höllenmaschinen getötet. — 4. Der Welt detektiv und der Verbrecherkönig fechten im Eisenbahnwagen ein Duell aus, bei dem der Säbel des Verbrechers mit Elektrizität geladen ist. — S. Eine Räuberbande stürmt einen Eisenbahnzug. — 6. Der führerlose Zug entgleist. — 7. Der Herzogin von Padua werden die Juwelen gestohlen. — 8. Dem deutschen Gesandten in Peking wird die Tochter geraubt. — 9. Ein junger Mann wird durch den Rauch giftiger Substanzen getötet. — 10. Ein Ge fangener bekommt mit einem Bambusstock zwanzig Schläge aus — die Lippen, daß sie aufspringen; war aber nur ein Chinese. — Präsident (unterbrechend). Ist das noch sehr lang? (Heiterkeit.) vr. Popert (fortfahrend). Nein, das ist nicht mehr lang. Meine Herren! Ich kann mit dieser Sache ruhig hier abbrechen. Dafür will ich zur weiteren Aufklärung — mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — noch eine andere Sache, die auch kurz ist, verlesen. (Zuruf.) M. H-! Das Stören nützt nichts, Sie bringen mich doch nicht aus dem Text: ich will die geschehene Irre führung der öffentlichen Meinung klarstellen und ich werde es tun. Also ich verlese von Seite 9 der bereits genannten letzten Anlage zum Bericht. Es handelt sich um den Inhalt des Schund- hesies »Der Mädchenmörder von Boston« Teil der Serie »Aus den Geheimnissen des Weltdetektivs«, mitgeteilt von Heinrich Wolgast: »Elisabeth Remington, die junge Professorsfrau, ist aus rätselhafte Weise verschwunden. Sherlock Holmes wird beauftragt, Nachforschungen anzustellen. Sein Scharfsinn hat aus den leisesten Andeutungen bald geschlossen, daß die Verschwundene perversen Neigungen zu ihrem eigenen Geschlechts frönte.« Präsident (unterbrechend). Es ist wirklich nicht notwendig, daß diese einzelnen wenig erquicklichen Sachen vorgelesen werden. Or. Popert (fortfahrend). Dem Wunsche des Herrn Prä sidenten muß ich mich fügen. Ich bitte dann aber, im Auge be hacken zu wollen, daß es mir nicht gestattet worden ist, das ganze Material vorzulegen, mit dem ich die von Herrn Or. Wolffson erzeugte »Emilia Galotti«-Stimmung vertreiben kann. — Aber schließlich: wer sich überhaupt eine selbständige Meinung bilden will, kann ja die Anlagen zum Ausschußbericht selbst lesen. Börsenblatt sür den Deutschen Buchhandel. 77. Jahrgang. Herr vr. Philipp! hat dann bemängelt, wir hätten im Aus- schußbericht keine Belege dafür gegeben, daß die Schmutz- und Schundliteratur die Jugend in der Weise verdürbe, wie wir im Ausschußbericht behauptet haben. Es gibt eben Menschen, die sagen immer: »Ja, aber«, und Herr vr. Philippi hat sich in dieser Sache entschieden zu ihrer Schar gesellt. Wer den Be richt und seine Anlagen eingehend gelesen hat, der muß wissen, wie groß der üble Erfolg dieser Dinge bereits ist. M. Herren! Um aber den Beweis auch jetzt an dieser Stelle zu liefern, hätte ich Ihnen gern noch Belege aus den Anlagen zum Bericht verlesen. Ich darf aber nicht annehmen, daß mir das jetzt gestattet werden wird. Das bedaure ich, denn ich will in Ihnen eine Überzeugnng erwecken, wenigstens in denen unter Ihnen, die sich jetzt noch eine Meinung bilden wollen. Die Über zeugung nämlich, daß der Gedanke, diese Schäden nur mit »geistigen Waffen« zu bekämpfen, so ziemlich das Stärkste ist, was man an unpraktischen Gedanken ausgeheckt hat. Herr Or. Wolffson und Herr Or. Philippi, die beide das wollen, ver gessen, daß es sich bei der Arbeit speziell gegen die Schundliteratur ganz wesentlich um den Kampf gegen eine ganz riesige organi sierte Kapitalmacht handelt, die die Ausbreitung der Schund literatur zu ihrer Verzinsung dringend braucht, und der — wie unser in den Anlagen zum Bericht vorgelegtes Material zeigt — allein das deutsche Volk jährlich 60 Millionen steuert. Eine der artige Kapitalmacht könnte man mit geistigen Waffen, die doch hauptsächlich in guter Lektüre bestehen sollen, zunächst nur dann bekämpfen, wenn man zu deren Beschaffung und Anwendung ein mindestens ebenso großes Gegenkapital zur Verfügung hätte Aber selbst dann würde der Kampf nicht siegreich sein können, denn es würde so allein nicht möglich sein, die Quelle des Übels zu verstopfen. Die kann eben nur verstopft werden durch energisch angewandte Strafbestimmungen. Es ist auch' absolut nicht einzusehen, warum gerade gegen ein derartiges Gift die staatliche Macht nicht ihre natürliche Waffe verwenden soll, und diese natürliche Waffe ist eben das Straf gesetz. Mit den Argumenten, die hier sür die ausschließliche An wendung der geistigen Waffen gebraucht werden, läßt sich genau so gut dahin argumentieren, daß man auch jedes andere Delikt, den Diebstahl, den Mord usw., nur mit den geistigen Waffen be kämpfen solle. Es ist in beiden Fällen dieselbe Frage, die Sache liegt hier genau so wie dort. Wir haben demnach die Wahl, ob alles so bleiben soll, wie es ist, oder ob mit dem Strafgesetz eingegriffen werden soll. Bei dieser Wahl muß man sich freimachen von Schlagworten. Vor allen Dingen von dem Schlagwort, das Herr vr. Wolffson am Schluffe seiner Rede angewendet hat, dem Schlagwort von den »Modernen Anschauungen«. Er will uns, den Ausschußmitgliedern und denen, die eines Sinnes mit uns sind, damit sagen: »Ihr seid völlig rückständig«. Nu», ich behaupte, daß gerade Herrn Or. Wolffsons Anschauungen in diesem Punkt so unmodern wie möglich sind, daß Herr 1)r. Wolffson — in dieser Frage — gar nicht berührt ist von dem Strom, der durch die Besten unsrer Zeit geht, von dem Gedanken der Rassen hygiene, von dem starken Willen, die Schädlinge zu vertilgen, die an unserm Volksmark nagen. Zweites Schlagwort: Freiheitsbeschränkung. Vor dem möchte ich alle Herren hier im Saale warnen, ganz besonders aber meine Fraktionsgenossen. Lassen wir uns um Gottes willen nicht fangen durch Worte wie: »Ein Liberaler darf nicht für eine derartige Maß regel stimmen!« M. H., im Ausschußbericht steht das Wort: Die Frage gehört einem Gebiet an, das hoch über allen politischen Ver schiedenheiten liegt. Und dieses Wort ist in den Bericht hinein gesetzt worden unter ausdrücklicher Zustimmung aller Mitglieder des Ausschusses, die allen Fraktionen des Hauses angehörten. Und, m. H-, das Wort hat recht. Wir stehen hier in Wachheit auf einem Gebiet, das aller Parteipolitik weltenweit entrückt ist, auf dem Boden rein praktischer Arbeit für unser Volk. Es handelt sich um eine der Fragen, für die einer der besten deutschen Männer, Paul de Lagarde, das Wort geprägt hat: »Liberal oder konservativ? Als Führer einer Lokomotive ist man keins von beidem, sondern sachverständig oder unfähig « — Weiter: Gerade wir Liberalen haben alle Veranlassung, hier scharf einzu greifen. Denn darüber müssen wir uns klar sein: der Liberalis- 178