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Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (tt gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 35 H (excl. Porto). Extra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ./t! 60.—, mit Postbesörderung 70.—, Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei dru Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 88. Jahrgang. Sonnabend den 11. Januar 1902. Der Krieg in Südafrika. Die Lage im Caplande. Aus Capstadt schreibt man uns Anfang December: Die Zustände im Caplande machen es fast zur Unmöglich keit, einen Bericht von hier nach Deutschland gelangen zu lasten. Gegenüber der Kriegführung müssen alle anderen Interessen in den Hintergrund treten. Da dieselbe keine für England günstige ist, so muß sich Europa mit den Lllgenberichten begnügen, die durchgelassen werden. Mr wollen indessen heute versuchen, ob es möglich sein wird, auf einem Umwege wieder Einiges über die wahre Lage mitzutheilen. Seit Kurzem ist also auch in Capstadt und den anderen Küstenplätzen Llartäal lav verhängt. Das giebt der Militär behörde das Recht, noch den kleinen Rest guter Pferde zu „com- mandiren", denn, wie in früheren Berichten schon betont, handelt es sich bei den streitenden Parteien wesentlich mit darum, wessen Pferde am längsten aushalten. Immer mehr Coloniale schließen sich den Boeren an — man schätzt ihre Zahl jetzt auf 12000 (?). Und diese wissen, daß, wenn sie gefangen werden, sie keinen Pardon zu erwarten haben. Ab und zu fällt auch ein kleines Commando in die Hände der Engländer, die gar nicht zögern, die Führer aufzuhängen, was nur die Folge hat, daß dir Zahl der Aufständischen sich täglich mehrt. Das Auftreten der verschiedenen Boeren-Commandos in der Colonie läßt sich mit einem Wetterleuchten, das jetzt hier, dann dort am Horizont sich zeigt, vergleichen, aus dem bald von dieser, dann wieder von jener Seite Blitz und Donner das Herannahen verschiedener Gewitter ankündigt. Man fragt also nicht so sehr: Wo sind die Boeren? als vielmehr: Wo sind sie nicht? Das muß den Eng ländern die Kriegführung recht erschweren. Ab und zu gelingt es wohl, ein kleines Commando zu vertreiben, oder gar zu überrumpeln, oder ein todtkranker Commandoführer, der nicht weiter kann, steht sich genöthigt, für seine Person sich dem ihn verfolgenden Feind zu ergeben, nachdem er die Führung des Commandos einem Anderen übertragen (wie z. B. Schecpers) — was in der Jngozeitung dann als ein großer Sieg dargestellt wird. — ScheeperS, der von Süden her von Swellendam über Caledon auf Capstadt loSzog, war die Ursache, daß man den Sir Lowry-Paß, der von Somerset W. nach Caledon führt, in aller Eile mit einigen Tausend Mann und der nöthiqen Artillerie besetzte, um sein Vordringen zu verhindern. Man ging also trotz ansehnlicher Uebermacht nicht angriffsweise vor, sondern beschränkte sich darauf, in einer defensiven Stellung den Feind abzuwarten. Den guten Einwohnern des am Fuße des Passes liegenden Städtchens hatte man versprochen, auf der Bergeshöhe ein großes Rauchfeuer anzuzünden, wenn die Boeren herannahten, damit sie sich auch in Vertheidigungs- zustand sehen könnten. So geschah es denn an einem schönen Sonntagmorgen, daß eine ausgesandte Patrouille eiligst zum Lager zurückkehrte mit der Meldung, daß sie eine aus sieben Köpfen bestehenden Patrouille der Boeren gewahr geworden wäre, der Feind also herannahe. Ein großes Rauchfeuer gab denn auch bald dem Städtchen am Fuße des Passes das ver abredete Warnungszeichen. Gab das aber einen Schrecken! Die Kirche wurde geschlossen, Jeder dachte daran, seine werth vollsten Habseligkeiten zu verbergen und das Städtchen in Ver- thridigungszustand zu sehen. Aber der Tag ging schon auf dir Neige, und der Feind ließ sich noch nicht herbei, die Position auf dem Passe anzugreifen, — da endlich erschienen die Sieben, nämlich sieben Kühe, die auf dem Berge gegrast hatten und in der Angst für eine Boerenpatrouille angesehen worden waren. Die Angst war nun vorläufig vorbei. Aber was aus. solchen Krähwinklern, die die Town- und Districtsguards viel-1 fach bilden, geworden wäre, wenn wirklich ein Feind sich heran- j genaht hätte, läßt sich denken. Mit solchem „vorzüglichen Material" wird England sicher die Boeren nicht vertreiben. Nun, wie erwähnt, der schon damals recht kranke Scheepers dachte gar nicht daran, mit seinem kleinen Commando direct auf Capstadt loszustürmen, vielmehr die Seinen von Swellen dam aus in nördlicher Richtung zum Anschluß an ein anderes Commando zu führen. Von viel größerer Bedeutung ist das etwa 900 Mann starke Boerencommando in dem sandigen District zwischen Olifant- und Berg-River. Es wird nicht leicht sein, die Boeren aus diesem Gebiete zu vertreiben. Die Pferde in diesem „Sandvelt" haben sehr breite Hufe und verdienen den Namen „Sandtraber". Eine Verfolgung durch Pferde aus einer gebirgigen Gegend, Fortschaffung von Kanonen, wo selbst Ochsenwagen stecken bleiben, ist äußerst schwierig; hinter den vielen Sandhügeln aber findet der Boer treffliche Deckung gegen einen ihn verfolgenden Feind. Die Gegend von Saldanha Bay ist reich an Rindvieh. Am Berg river wohnen berühmte Pferdezüchter, und das englische Militär hat dort verschiedene Pferdedepots errichtet, schon deshalb, weil man von dieser Seite am allerwenigsten einen Feind zu er warten hatte. Kleinere Abtheilungen der Boeren dringen immer weiter vor und beunruhigen die kleineren Städtchen in der Nähe Capstadts und längs der Bahnlinie. Es fehlt denn auch nicht an kleineren Gefechten, von denen das Publicum officiell nichts oder nur durch mangelhafte Berichte erfährt. So kam es unter Anderem vor einigen Wochen zu einem Ge fecht bei 24 Rivers (Nebenfluß des Bergrivers und unweit des Einganges zu Tulbaghkloof). Der englische Führer, sowie einige von den Townguards von Worcester und Wellington fielen in dem Gefecht. Das war so ziemlich Alles, was der officielle Report zugab. Aus anderen Quellen wissen wir aber, daß englische Lanciers, die in der Nähe stationirt waren und zur Hilfe herbeieilten, schwere Verluste erlitten. Aus einem Zuge mit Verwundeten, der einige Tage später in Capstadt an kam, sah man 24 schwer verwundete Lanciers heraustragen. Daß die Boeren ihrem Feinde bei der Gelegenheit 30 Pferde abnahmen, wurde auch bald bekannt. Andere berichten, daß die Townguards ohne Gewehre zu Fuß die Bahnlinie wieder erreicht und von einem borbeifahrenden Güterzug ausgenommen wurden. Mit anderen Worten: sic waren kriegsgefangen ge wesen und hatten ihre Gewehre, zwei kleine Kanonen und Proviantwagen dem Feinde überlassen müssen. Auch mehr westlich bei Morreesburg, in der Nähe von Malmesbury, gab es ein Gefecht, nicht zum Vortheil der Engländer. Diese Scharmützel werden also so lange fortgesetzt, bis eine ansehnliche englische Macht da ist, den Feind zu ver folgen, der sich dann fechtend und die Truppen hinter sich her lockend in das „Sandfeld" zurllckzieht. Aber Schrecken hat das Gefecht bei 24 Rivers in Wellington und Paar! bereitet. Wellington ist denn auch ganz mit Stachel draht eingehegt, und Fortificatoinen sind mitten im Städtchen errichtet worden. * Wolvehoek, 9. Januar. („Reuter's Bureau/') Dewet, der über eine starke Streitmacht verfügt, wurde gestern früh von Dell-le in «in Gefecht verwickelt. Delisle richtete rin heftige« Grichützfeuer auf den Feind. > * Johannesburg, 9. Januar. In feiner Rede bei dem Fest- I mahle Im Nachhause führte Milner ferner aus, England wünsche I nicht, die Boeren zu verschlingen, die stels ein wichtiges, obwohl nicht länger vorherrschendes Element bilden müßten. Zweifellos würde Johannesburg eine der größten Städte der Welt werden; ein großes Johannesburg bedeute ein englisches Transvaal, das die Waagschale zu Gunsten des englischen Südafrika lenken würde. Politische Tagesschau. * Leipzig, 11. Januar. Der Abg. Liebermann von Sonnenberg bat gestern im Reichstage — zweifellos wider Willen — dem Reichs kanzler einen unschätzbaren Dieust geleistet. Statt auch seiner seits die Beschimpfungen des Herrn Chamberlain in einer des deutschen Reichstages würdigen Weise zurückzuweisen, nahm er fick den britischen Lästerer zum Muster und beschimpfte ibn, das englische Heer und die englische Nation; statt das Berbalten der galizischen Polen zu kennzeichnen und durch diese Kennzeichnung der österreichischen Regierung den Weg ihrer Pflicht gegen das verbündete Deutschland zu zeigen, griff er diese Regierung in schroffer Weise an. Kurz, gerade das selbe, was er sich vom Auslande gegen Deutschland ver bittet, tbat er gegen das Ausland, und zwar in einer Form, die ihm einen Ordnungsruf des Präsidenten eintrug. Graf Bülow würde an Stelle deS Grafen Ballestrem dasselbe gethan haben; als Reichskanzler hatte er die Pflicht, dem Abg. v. Liebermann begreiflich zu machen, daß er sich genau derselben Vergehen schuldig gemacht, die seinen Zorn erweckt. Im Stillen aber mag Graf Bülow erfreut gewesen sein darüber, daß ihm durch einen so gröblichen und un parlamentarischen Vorstoß Gelegenheit gegeben wurde, nach allen den Seiten hin, die durch seine eigene Rede vom Mittwoch unangenehm berührt waren, zu zeigen, daß ihm selbst bei seiner berechtigten Abwehr beschimpfender An griffe nichts ferner gelegen, als Beleidigung, Antastung fremder Ehre und Unabhängigkeit. Wenn er alle ossiciösen Federn, die ihm zn Gebote stehen, in Bewegung gesetzt hätte, um die von englischer Seite wegen seiner Mittwochsrede gegen ibn gerichteten Angriffe abzuwehren und in Wien jede Ver stimmung wegen seiner Kennzeichnung des Vorgebens der galizischen Polen zu verscheuchen, es würde nicht den Erfolg gehabt haben, den seine gestrige Kritik der Liebermann'schen Rede voraussichtlich haben wird. Selbst Herr Chamberlain wird nun nicht mehr umhin können, die Ritterlichkeit des deutschen Reichskanzlers anzuerkennen, die zum Vertheidiger des Gegners gegen ungerechtfertigte oder ungeziemende Angriffe wird. Hätte Herr v. Liebermann sich vergegenwärtigt, daß er dem Reichskanzler zwangsweise einen solchen Gefallen thun würde, so hätte er sicherlich seine Worte anders gewählt. Er gab zwar am Schluffe der Sitzung in einer persönlichen Be merkung der Hoffnung Ausdruck, die officiöse Presse werde nun so auf ihn schimpfen, daß ein Ausschnitt seiner Rede doch an eine „gewisse Stells" kommen werde. Aber er muß diese „gewisse Stelle" sehr schleckt kennen, wenn er annimmt, sie werde seine Ausfälle mit mehr Wohlgefallen zur Kenntniß nehmen, als die Mittwochsrede deS Kanzlers und dessen gestrige Ab wehr dieser Ausfälle. — Zum Etat selbst sprach gestern eigentlich nur ein Redner, der nationalliberale Abg. Bassermann; seine Ausführungen, die eine ein gebende Kritik des Staatshaushaltes bildete, ohne sich in Kleinlichkeiten zu verlieren, ersetzten aber auch eine ganze Reihe anderer. Wie er auSeinandersetzte, dringt die nationalliberale Partei auf eine organische Finanzreform: in der clausula Franckenstein kann auch die nationalliberale Partei nicht den Ausdruck des födera listischen Gedankens erblicken. Gegen die vom Reichsschatz sekretär von Tbielmann angedeutete Bier- oder Tabaksteuer wandte sick Abgeordneter Bassermann mit der ernsten Mab- nung, nicht derartige Projekte auftauchen zu lassen, wenn man nicht den festen und unerschütterlichen Willen hege, solche Steuerpläne auch wirklich durchzuführen; mit bloßen Andeutungen würden viele Produktionszweige nur beunruhigt. Auch andere sehr ernste Mahnungen richtete der Redner an die Regierung, so in der Diätenfrage, gegen deren Gewährung sich der BundeSratb noch immer sträubt; die Ansicht, Diäten nur als Compensation gegen gewisse ver fassungsmäßige Rechte zu bewilligen, dürfe die Regierung ja nicht bei sich festwurzeln lassen. Betreffs der neuen Reichs- Militärgerichts-Verfassung legte der Redner der Negierung ans Herz, mehr und mehr den wahren Geist des neuen Gesetzes, das unter großen Schwierigkeiten errungen sei, lebendig zu machen. In den Fragen der auswärtigen Politik konnte der Redner im Namen seiner Partei im Großen und Ganzen sich mit der Politik des Reichskanzlers einver standen erklären, vor Allem auch mit einer zielbewußten Colo nialpolitik. Die Hauptbedeutung der Bassermann'schen Rede liegt aber in seinen Ausführungen über den Zolltarif- Entwurf, in denen er die Regierung eindringlichst auf forderte, sich endlich, und zwar sobald als möglich, zu einer ent schiedenen Erklärung darüber aufzuraffen, daß die im Zoll tarif festgelegten Zölle die äußerste Grenze seien, die Mittel linie, die von den extremen Agrariern nicht überschritten werden dürfe. Erfolge eine solche Erklärung nickt bald, so weiche der Boden für jene Parteien unter den Füßen, die sich zur Sammlung für die Zollpolitik entschlossen haben, dann würden sich wahrscheinlich die Neuwahlen im nächsten Jahre, 1903, unter der Wahlparole deS Zolltarifs vollziehen und der Erfolg einer solchen Wahlparole könne nicht zweifel haft sein. Wenn die Gegner des Zolltarifs die gefährlichen Waffen der Obstruktion benützen wollten, so möchten sie bedenken, daß die Obstruktion den Tod des Parlamentarismus bedeuten könne. Gerade diese SchlußauSfübrungen Basser- mann's machten auf das gesammte Haus tiefen Eindruck. — Heute wird die erste EtatSberathung fortgesetzt und'hoffentlich zu Ende geführt. Die ReichStagScommissickn für die Dorberathung der Zollgcsrtzc nimmt künftigen Montag ihre materielle Tbätigkeit auf. Nachdem die Dinge so weit gediehen, tritt die Freisinnige Vereinigung in der Commission und tritt der Handelsvertragsverein in einer Eingabe an den Reichstag mit der Forderung hervor, zur Feststellung der Lage der Landwirthschaft eine parlamen tarische Enquete im öffentlichen kontradiktorischen Ver fahren zu veranstalten. Diese Form der Verschleppung ist elwaS spät ersonnen. „Begründet" wird sie zunächst damit, daß innerhalb der Landwirthschaft „der schärfste Widerstand" gegen „die" agrarischen Zollforderungen sich geltend gemacht habe. Dieser Widerstand ist jedoch ein vereinzelter geblieben und er richtet sich nur im engstbegrenzten Maße gegen „die Zollerhödungen", gegen Erhöhungen im Allgemeinen, wesentlich gilt er der Erhöhung der Zölle für bestmimte Erzeugnisse. Und er zeigt durchaus keine Uebereinstim- > mung in dieser kleinen landwirtbschastlichen Minder- I beit an, er bestätigt nur wieder einmal das Sprichwort: I wat den Eenen sin Uhl iS, iS den Annern sin Nachtigall! SSW Feuilleton. Gesühnt. 8j Roman von E. Esch richt. Nachdruck verbotm. Der Capitän war völlig beruhigt und zurllckgekehrt zu seinen Studien über Handel, Politik, Kirche und Erfindungen; wenn er in seinem positiven Kopfe Träume aufkommen ließ, galten sie ausschließlich dem Luftballon. DaS Conversationslexikon, die Fremdwörterbücher, die Grammatiken der verschiedensten Sprachen, die eckten und die neuen Philosoph«! wurden beständig aus der Bücherei, einem großen Zimmer hinter dem Eßzimmer, herbeigehofl und nachgeschlagen, gerade «wie sonst. In seinen ge sunden Tagen hatt« Heinz» den ganzen Vormittag mit Emilie in diesem ArbeitSraume zugebracht, wo große See- und Land karten, Sextant und Oktant, Compaß und Barometer, Sand uhren und Glocken, Himmelskarten und Vergrößerungsgläser anyehäuft und auf großen Tischen ausgobreitet waren. Seit ihm daS Umhergehen so schwer wurde, zog er es vor, am Fenster im Borderzimmer zu sitzen, wp er das Wasser und di« Ein- und Ausfahrt der Schisse vor sich hatte; Emilie kam daher selten mehr zu ihren Kunstarbeiten; sie hatte Bewegung und Beschäftigung vollauf mit dem Hin und Her der Bücher und Karten. Dafür versank sie Nachmittags ganz in ihre Grübeleien, und während dir kunstfertigen Finger sich regten^ saß sie wortlos dem Later gegenüber. Emilie Torgany genas langsam inmitten ihrer Blumen, einer Völkerwanderung von Besuchen, von Handwerkern und Mo distinnen. Es war vollkommen System in diesem Menschen andrang. Die Gewerbetreibenden dursten nur in den Morgen stunden confernen, betraten da« Zimmer durch die Hinterthüren und standen auf unterbveiteten Decken. Don elf bis zwölf war Paus«; da erholte sich Emilie, indes Sauters sür den Herrschaft licken Empfang bie AverSfette der Wohnung h«rrichtete. Für di« Meldungen und das Kartenprcisentiren war der Groom in Gala: und in malerischer Toilette, halb Neglige, ganz Vornehm heit, saß Emilie, von Kiffen gestützt, auf dem Divan, der kranke Fuß mit eurem schönen Brokat überworfen, der nach Art einer Manteauschlepp« vom Rüssen hirunterftel; auch das Haar, ein prachtvoller, schwarzes, lange«, an sich ziemlich grobes Haar, daS sick vortrefflich arrangiren kieß, war halb gelöst, halb gebunden. All« brwuNdrrten diese außerordentlich« Braut, die selbst L«id«n «um Triumph ihm Schönheit zu g«stalt«n verstand. E» fehlte freilich auch nicht an boshaften Bemerkungen, aber wo Tyeuerdank's „Molly" solche auch nur ahnte, thatcn sie ihrem Herzen und Sinn Genüge. Gerade für diese, für diese Ge ärgerten, Neidischen, machte sie alle ihre Anstrengungen — für di« Guthmüthigen — bei Gott! hätte sie sich nicht die Hände ge waschen. Auf dem großen runden Tische, der auf messingenen Löwen klauen seine massive, altväterische Pracht ruhen ließ, waren die neuesten Journale ausgelegt, auch die Zeitungen mit den Hof nachrichten. Die Namen berühmter Autoren und Dichter waren viel genannt, ebenso die Titel ihrer Werke, und mit: „Hochinter essant, meine Liebe", „das müssen Sie aber lesen!" waren sie ab- gethan. Oder cs hieß: „Wann waren Sie zuletzt in der Bilder ausstellung in Berlin? Sahen Sie nicht das berühmte Bild? Bitte — nehmen Sie dort aus dem Kasten mit Photographien sich wenigstens die Schattenbilder solcher Kunstwerke heraas!" Eingehender sprach man über die Mod«, am eingehendsten immer über den Hof. Wo Hoftafel stattgefunden, welche neuen Gerichte man gespeist, welche Vorstellungen stattgefunden, welche Kleider die fürstlichen Damen trugen, ob die höchste Dame den Schmuck mit Smaragden oder den mit Perlen und Brillanten angelegt hatte. Mit steigendem Interesse wurden diese Dinge beleuchtet, und zum Chic und Sport gehört« es, darüber Neues vorbringen zu können; man hätte meinen können, alle diese Menschen stünden in den engsten Beziehungen zu dem Hofe. In diesen kleinen, patricffch bürgerlichen, von einigem Gerichts- und Militäradel durchschossenen Nest tanzte die Gesellschaft den Baalstonz um den entfernten Tempel, als stünde er mitten zwischen ihnen; dies nennt man patriotisch! Die Schwester eines Obersten führt« seit Jahren Buch über das Wild, daS ein hoher Jäger erlegte, und die unglaublichen Zahlen wurden immer wieder zum Er- rathen aufgegeben. Einmal sagt« «in alter Herr auf diese un geheure Ziffer hin: Bor zwei Jahren habe ich hier «ine Seiten geschichte zu dieser Massenbeute erlebt. Wir hatten damals noch di« Freud«, den alten Capitän Hrinzer gesund unter uns in der Loge zu sehen; er war kein Freund der Jagd, aber wir über redeten ihn doch eines Tages, mit uns auf den Anstand zu kommen. Er rrhielt seinen Platz unter einer schönen Buche am Waldesrand, an einer sich zum See herabsenkenden Halde. Ich stand rtwaS tiefer zwischen Buschwerk. Ich sah den Capitän Plötzlich ein,» Satz machen und mit beiden Armen inS Dickicht winken, dann schrie «r: „Mensch. Mensch, mach' doch, daß Du fortkommst, sie wolltn Dich ja schießen!" Es rauschte in den Zweigen, aber ich sah nichts. ES kam kein Edelwild zu Schuß — mit «in paar F«Idhühnern zozin wir heim. „Was hatten Sie denn da mit einem Menschen, Capitän", fragt« ich ihn, „dem Sie mit Schießen drohten?" „O, mein lieber Amtsrath", war seine Antwort, „das war ja kein Mensch, sondern ein so schöner Rehbock — dem hab' ich das Leben gerettet/ Einige lachten, Emilie fand die Geschichte reizend: „für mich besonders — mich interessirt in hohem Grade Alles, was ch von dicjcr Familie höre! Mein Verlobter ist dort im Hause seit Jahren ein täglicher Gast, und ich kann nicht dankbar gcnug für die Freundschaft sein, di« man dem alleinstehenden Manne so herzlich angedeihen läßt!" Es erfolgte kein« eingehende Antwort, nur der Amtsrath, dec ahnungslos den bereits gesellschaftlich perhorrescirten Namen nukgesprochen hatte, sagte noch: „Ja, das sind auch seltene Menschen, ebenso gut wie klug —der Vater kennt ja die ganze Welt und sah nichts oberflächlich; die Tochter ist ein« Pallas Athene an Schönheit und Klugheit." „Ja, ja", bestätigte triumphirend Molly, „so sehr bedeutend« Mcnschen sind sie — um so schmeichelhafter für mich, daß ich diese Nebenbuhlerin besiegt habe!" Da sie selbst lachte, lachte Alles mit, und es entwickelte sich auf einem anderen Gebiete eine neue geistvolle Unterhaltung. Aber schon die ersten Damen, die sich entfernten, steckten auf der Treppe die Köpfe zusammen: „Jeden Abend soll er auch jetzt noch dort im Hause sein — Emilie scheint es zu wissen; sie ist doch sehr klug! Man sagt, er habe dies merkwürdige Schiffer kind vergeblich umworben — nun wer es glaubt, ich nicht! Die würde doch mit allen zehn Finstern zugelangt haben; aber daß sie ihn noch immer in ihren Fesseln hält, das ist doch schon mehr frech! Mein Gott — was kann mau von solchen Personen An deres erwarten! Den Kopf voll gelehrten Krimskrams, zur Hausfrau verdorben — nun! das amüsirt sich so gut cs eben kann!" Theuerdank war zwei Mal täglich ein flüchtiger Gast im Hause der Braut — Vormittags verscheuchten ihn di« Visiten, Nachmittags schickte ihn Molly fort, wenn ihre herausfordernde Zärtlichkeit endlich auch ihn entflammte. Im Ganzen hatte er sich selbst wiedrrgefunden, sammt seiner derben, frischen Laune, der er am meisten Zügel fchießen ließ, wenn Muleschotten an der einsamen Mittagstafel ihm gegenüber saß. Sie war nun vollauf beschäftigt, für die nahe bevorstehende Hochzeit das HauS zu schmücken, «S jedenfalls erst kunstgerecht überall einig« Zoll unter Wasser zu setzen. Nur an drei Zimmern ging sic schonend voril- über: dem Wohn-, Eß- und Schlafzimmer Thruerdank'S. „Ach, Herr Konsul — ick möchte bitten —" „ES nutzt nichts, Muleschotten, daß Sie mir verliebte Augen machen — ich bin nun «inmal verlobt, und nxnn Sie wirklich nicht heirathen! verlangen Sie ein Geschenk? gern! Sie sind mir eine so werthe und gänzlich unentbehrliche Person, — haben Sie vielleicht den Blumen wieder kein Wasser gegeben? Nein, heirathen kann ich Sie dennoch nicht, müssen vernünftig sein und selbst ein Einsehen haben! Aber gern schenkt' ich Ihnen etwas — wollen Sie meine große eiserne Waagschale — sie hängt auf dem Boden bereit für Sie — und in meiner Schreib tischschublade liegen noch zwei neu« Tabaksbeutel, die mein Großvater nie gebraucht hat — wollen Sie die haben, Mule schotten?" „Herr Theuerdank belieben in angenehmster Weise zu scher zen, ^reue mich sehr, daß die bedrohlichen Falten nun ganz von der Stirn fort sind! Haben immer noch eine recht schöne Stirn — ach Gott ja, di« haben Sie — kann mancher junge Mann Herrn Theuerdank um beneiden! Muß wohl sein, daß die Liebe verjüngt — ja, ja, ach Gott — Sie sehen doch wirklich jetzt ganz jung aus!" „Menschenskind", schrie er, „Sie haben das — na ja Sie haben — halten Sie doch ihr Mäuleken, Muleschotten — das sag« ich ja immer; fromme, gute, alte Dame! Man immer rein mit Ihrer Stopfnadel in meine Achillesferse, sehen Sie mich dabei auch noch verliebt an, ich will es partout nicht!" Sie hob beschwörend die Arme mit den zusammengcfalteten Händen nach rückwärts, wo hinter ihr an der Wand im Neben zimmer das Bild der Seligen hing, und sie sagte: „Ack, Herr Theuerdank, wenn kein Mensch auf der Welt wüßte, wie gut ich es meine — eine im Himmel —" „Herr Jesus, teuerstes Fräulein, Muleschotten! Beschwören Sie hier Niemand, wo wir gerade ahnungslos beim Gänsebraten sitzen — ich bitt' ja nur — wenn Sie etwas haben wollen — gern — aber sehen Sie mich nicht fo verliebt an, ich bin doch auch blos ein Mensch!" „Gardinen, Herr Theuerdank, Gardinen für das Musik zimmer und für den Saal." „Ne, Gott Lob und Dank! Das aus Ihnen herauszuziehen — hat mich ordentlich auf's Neue hungrig gemacht. Schade, schade — Frauenzimmer, daß Sie nicht reden können!" „Ach, ach! Kann ich denn höflich bittend« Worte, wie ich sie mir nach Form und Inhalt —" „Still, still — nun verreden Sie mir wieder den Appetit!" „Nehmen doch, Herr Consul, noch ein wenig." „Nein, danke!" „Bitte noch «in klein wenig, etwas Füllsel — es ist so wunderschön knupperigeS Brod heute —" „Sie alter Leckerzahn — wa« frag ich nach solchem Krim«, kram« — ob'« h«ute b«ss«r ist al« gistrrn, ist mir ganz gleich.