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Amtsblatt des Rates und des Nolizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Prei» iür Inserat« au« Newzig und Umgebung di, «gespalten, Petitzeile L Ps., ftnanzielle Anzeigen 80 Ps., NeNamen l M; oon autwärt« 30 Ps., Neklamen l 20 M.; vomLu«landSOP>., stnanz. Anzeigen7SPs.. Neklamen l^v M. Inlerate v. Behörden in amtlichen De>l«b Ps. Bellagegebüdr S M. p. lausena exN. Post- gebühr. <i>«ichäst«anzcigen an devorzuglcr Stelle ,m Preise erhähl. «abaki nach larit. geslerleilt« Austiäge können nicht zurück- gezogen werden. Für da« iiricheinen an brstiinmten Dagen und Plagen wird keine Baranti« übernommen. Anzeigen-Annahme: Augustu-platz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen de« In- und Aurlande«. Hauvt-Alltal« Uerliu: iarl Duncker, Herzog!. Bahr. Hojbüch- handlung, Lützowstraße lO. (Delephon VI, Nr. 4603). Nr. 3. Freitag 3. Januar 1908. M. ZabMiig. Das wichtigste vorn T<rge. * Das Preußische Staatsmini st erium beriet gestern und heute die Zivilprozeßnovelle, die dem Reichstag Ende Januar zugehen soll. * Der Harden-Prozeß konnte heute vormittag in Anwesenheit des Angeklagten fortgesetzt werden. sS. Ber.) * Eine heute vormittag in Leipzig abgehaltene, vom Verein der Großdestillateure Sachsens einbcrufene Versammlung nahm nach einem Referat des Generalsekretärs Köpke- Berlin eine Reso lution an, in der gegen Einführung des Brannt weinmonopols protestiert wurde. sS. Ber.) * In Petersburg wurden 19 Terroristen unter der An klage verhaftet, einen Anschlag auf die Kaiserin-Mutter . geplant zu haben. * Die Union trifft außerordentliche Verteidigungsvor kehrungen an der kalifornischen Küste. sS. Ausl.) Tagesschau. Die Tragödie von Allenstein. Erschütternd wirkte am Tage nach Weihnachten die düstere Kunde oon dem rätselhaften Tode des Majors v. Schönebeck. Noch mehr er schütternd am letzten Tage des alten Jahres die Nachricht, daß der Major von der Hand eines Kameraden gefallen ist, und daß die entsetz- licke Tat nur das letzte grausige Kapitel einer verfehlten, längst inner lich zerstörten Ehe war. Der unglückselige Hauptmann v. Goeben hat am Silvesterabend em umfassendes Geständnis abgelegt: um dieselbe '-Zeit ist auch die verdächtige und schwer kompromittierte Frau des Ge töteten in die Untersuchungshaft abgeführt worden. Trotzdem sieht man noch nickt recht klar; vermag die Motive und die psychologischen Zu- sammenyänge noch nicht zu überblicken; kann nicht einmal entscheiden, ob es sich um einen Mord handelt oder, wie wir annehmen möchten, um die jache Tat eines Ueberraschten, seiner Sinne nicht mehr Mächtigen. Mit Recht weist aber die „Natlib. Korresp." darauf hin, so viel stehe schon heute fest, daß das grauenvolle Begebnis mit keinerlei politischen Fragen etwas zu tun habe. Es gehe nicht einmal an, die Schuld an dem Attenfteiner Verbreche»: einem bestimmte!, gesellschaftlichen Milieu zu zuschieben. Dabei wird eine Erinnerung ausgcfrischt. Vor sieben oder acht Jahren verhandelte man — gleichfalls im Nordosten der Monarchie — einen Prozeß mit ähnlichem Hintergrund. Ein Gutsbesitzer war er- mordet worden, und man zieh die Frau und deren zweiten Mann und irüheren Liebhaber der Schuld. Damals begegnete man in einem großen Teil der Presse dem Versuch, das ostclbische Junkertum für die Mordtat verantwortlich zu machen. Auch jetzt wieder wird voraussichtlich den einen oder anderen Stilist die Lust anwandcln, das Lffiziersmilieu einer kleinen Garnison als den eigentlichen Urheber des Verbrechens abzu malen. Gegen derlei Versuche kann, wie die Parteikorrefpondenz treffend ausführt, nicht frühzeitig und nicht nachdrücklich genug pro- testiert werden. Leidenschaften sind an keine Kaste, keine gesellschaftliche Schickt gebunden. Sie sind auf den Höhen der Gesellschaft leider ebenso heimisch wie in ihren Niederungen, und hüben wie drüben gibt es Menschen, die sich nicht zu bändigen lernten; denen Selbstdisziplin und sittlicher Wille zerbrachen, wenn die Wogen einer heißen Leidenschaft über ihnen zusammenschlaaen. Vielleicht ist das Menschenlos, und dann bliebe dem Chronisten nichts anderes als mit melancholischem Bedauern ausmerken: so ist das Leben. Vielleicht aber gäbe es doch eine Mög lichkeit, dergleichen Tragödien einzuschränkcn, wenn wir uns endlich ge- wohnen wollten, den Räuber am häuslichen Herd zu dissonieren und gesellschaftlich zu ächten. Heute umstrahlt ihn vielfach die Gloriole des torschen Kerls, und dieses Irrlicht hat schon manchen in den Sumpf ge führt. Manchen, der von Haus aus eine liebenswürdige und ritterliche Natur war. Und der nur schuldig wurde, weil die andern es „ja auch tun", und weil er der schleichenden Feigheit solchen Tuns sich überhaupt nicht bewußt wurde. (lieber die Mordtat selbst s. Weiteres unter Neues a. a. W.) Ein islamitisches Gcneralkonzil. In der islamitischen Welt macht sich zurzeit in immer weiteren Kreisen das Bedürfnis bemerkbar, den muselmännischen Völkern eine wirtschaftliche und politische Evolution, nach dem Beispiele der west europäischen Nationen, zu ermöglichen. Um dieses Ziel erreichen zu können, ist es vor allem erforderlich, den in überlieferten religiösen Vor- schriften erstarrten Islam zu neuem Leben zu erwecken. Letzthin hat ein muselmännischer Publizist, der im Kaukasus und in der Krim einen bedeutenden Einfluß besitzt, den Gedanken angeregt, einen islamitischen Generalkongrcß zu veranstalten, welcher nach der Art der römischen Generalkonzile, die Auslegung der Anordnungen der heiligen Gesetze einer Revision unterziehen soll, damit diese sich den gegebenen Anfor derungen des modernen Fortschritts anpassen. Jene Anregung entfloß der Erwägung, daß sämtliche muselmännische Völker gegenwärtig im Verfall begriffen, daß sie fast ohne Ausnahme einer fremden Herrschaft unterjocht sind, während schließlich die zurzeit noch selbständigen isla mitischen Staaten in ihren Beziehungen zu den christlichen Staaten eine untergeordnete und prekäre Stellung einnehmcn. Der Publizist kommt am Ende zu der Schlußfolgerung, daß der Islam in seiner Existenz be droht erscheint, weil es ihm in den obwaltenden Zeitverbältnissen an Anpassungsfähigkeit mangele. Eine politische und wirtschaftliche Er neuerung der islamitischen Welt vorzubereiten, wäre die von dem an geführten Kongresse zu lösende Ausgabe, der sich die hervorragendsten Geister aller muselmännischen Länder widmen sollen, damit eine die modernen Forderungen befriedigende, großzügige und gesündere Auf fassung der religiösen Gesetze, wie sie ans dem Koran, len mündlich überlieferten Vorschriften s.Hadiß) und sonstigen geweihten Sammlungen hervorgehen, ermöglicht werde. Diese Anregungen haben bereits in maßgebenden Kreisen einen Widerhall gefunden, und unter anderem ist die aufgeworfene Idee von dem ehemaligen Kabinettschef des Sultans Abdul Hamid, Achmed Djelaleddin Pascha, in einem Kairenser Preßorgan mit Beifall begrüßt worden. Nachdem er der Notwendigkeit einer fortschrittlichen Reform im Islam in seinen bezüglichen Ausführungen beigestimmt bat. gibt Achmed Djelaleddin trotzdem die Meinung kund, daß ein derartiges Konzil nur dann seine volle Wirkung erzielen könnte, wenn die Initiative vom Khalifen in Konstantinopel ergriffen wird, dieser die Leitung des Konzils übernimmt, zumal er der Hüter der heiligen Städte Mekka und Medina sei, und er in der Lage Ware, in Uebereinstimmung mit den geweihten Entscheidungen und im Einvernehmen mit der höchsten geistlichen Obrigkeit, dem S ch e ch - u l-Js l a m , die Konzil- Verhandlungen zum guten Ziel z sichrem Allem Anschein nach werben diese Erörterungen in entfernter und auch bereits in nächster Zukunft Nachwirkungen zeitigen, die die größte Aufmerksamkeit der leitenden politischen Kreise in Westeuropa verdienen. Denn sollten die hier ge- schilderten Reformbestrebungen sich verwirklichen, so dürfte dadurch in der muselmännischen Welt eine geistige Naugestaltung, die einer förm lichen Umwälzung aleichsteht, zu gewärtigen sein, deren Rückwirkungen sich in Indien, in Ostasien und in Nordafrika für die in Fraae kommen- den europäischen Mächte, die über mohammedanische Untertanen herrschen, in verhängnisvoller Weise fühlbar machen würden. Deutscher Reich. Leipzig, 3. Januar. * Ter neue Arsanpte in Teheran. Ueber den neuen Gesandten in Teheran, den bisherigen Generalkonsul in Kalkutta, Legationsrat Graf von Ouadt-Wykradt-ISny, ist zu bemerken: Albert Graf Öuadt-Wykradt- Jsnh ist 186t in Hannover geboren. Er besuchte die Universitäten Wien, Würzburg, Leipzig und München, trat 1895 inS Auswärtige Amt ein, war Attache« in Lonoon und Tokio, kann Botlchajtssekretär in Konstantinopel, LegationStekretär denn Generalkonsulat in Kairo, dann bei der Kopenhagener Botschaft, Botschaftsrat und I. Sekretär in Washington und dann nach einem längeren Urlaub seit 1903 CKneral- lonsul in Kalkutta. Seit 1895 ist er mit Amedea de Martino veiheiratet. * Tas Poftschcckgesctz. Wie die „Information" von authentischer Seite erfährt, ist in dem neuen Postscheckges tzentwurfe die Einrichtung besonderer Scheckämter vorgesehen. Ebenso beabsichtigt man, für vie Leistungen der Behörde Gebühren zu erheben, die aber Voraussicht ch nur sehr gering bemessen sein werden. Wenn gemeldet wurde, daß der Entwurf bereits in nächster Zeit dem Bundesrat zugeben würde, so ist das nicht zutreffend, doch hofft man, raS Gesetz noch im Lause des EtatsjabreS einzubringen. Für lie Verzinsung der im Scheckoer^hr ein gezahlten Geloer, die bei dem im Jahre 1900 ausgestellten Entwürfe vorgesehen war, unv für die von einigen Seiten eingelreten wird, war der Reichsta, damals nickt zu haben, da er die Konlurrenz der Genossen schalten und Sparkassen zürchtete. * „Lbcr-Musitmeiftcr". Aus militärischen Kreisen erfährt die „Information", daß im Militärmusikcrwcscn einige Neuerungen, die schon seit langer Zeit erwartet werden, eintreten werden. Der Titel „Stabs- boboisten" ioil von nun an aushören und in een Titel „Musilmeister" umgewandelt Werren. Die nächst höhere Charge iü dann der Titel „Ober-Musikmeiüer". Während der erste sofort bei Ernennung ver liehen wird, kann der Titel „Ober-Musikmeister" nur vom Kaiser zu- erkannt w rcen. Man hofft auch dadurch die gesellschaftliche Stellung der Militärmusiker günstig zu beeinflussen. Zugleich sollen sie von nun an keinen Sold mehr erhalten, sondern Gehalt, der für alle Chargen aufgebessert werden soll. * Prof. Laband über das BcreinSgcsetz Der Staatsrechislehrer Prof. Laband beschäftigt sich in der neuesten Nummer der „Deutschen Juristenzeilung" mit dem Reichsvereinsgesetz. Seme Darlegungen faßt er in dem günstigen Urteil zusammen, „daß der Entwurf zwar in einzelnen Beziehungen verbessert werden kann; daß aber, wenn er Ge setz wird, das bisherige Vereins- und Versammlungsrecht nicht nur vereinfacht unv einheitlich gestaltet, sondern auch im sreiheirlichen Sinne fortgebildet und von bureaukratisch-polizeilichcn Verunstaliungen gesäubert weiden wird". -ss- Aus »rm Herzogtum Vraunschweiz. Vor Monaten ist von welsiichen Blättern, zuerst von einer in Hannover erscheinenden Zeitung, die Meldung verbreitet worden, die Harmonie zwischen dem Regenten Hcriog Johann Albrecht von Mecklenburg und dem ersten Minister res Landes Dr. v. Otio sei gestört und die Tage des Staatsministers seien gezählt. Ter Herzog-Regent, so war zwischen den Zeilen zu lesen, habe in dem Staatominiüer seinen Gegner erkannt und er wolle es ihn jetzt entgelten lasseu, daß der Minister f. Z. die Kandidatur eines preußflchen Prinzen für den Thron in Braunichweig propagiert habe. LKr die Verhältnisse kennt, konnte so etwas nicht schreiben, und so ist denn diese welsi'che Tendcnzmeldung sofort als Versuchsballon charakterisiert worden. Im Laufe ter Zeit hat sich nun auch gezeigt, daß ras Verhältnis rer Herzogs-Regenten zum StaalSminister v. Otto so herz lich ist, wie man es im Interesse des inneren Friedens im Lande, dessen das Land dringend bedürftig ist, nur wünschen kann. Dieses Verhältnis dokumentierte sich wieder am Neujahrstage. Der Herzog-Regent fuhr lurz nach dem Gottesdienst an der Privalwohnung des Ministers vor, um diesem perfönlich die Glückwünsche zu übermitteln. Mit rem von gewisfer Seite gewünschten Mmisterwecksel aus politischen Gründen wird es dem Anlcheine nach vorläufig noch nichts, wohl aber wird in nicht zu ferner Zeit der Juslizmimster Trieps sein Abschiedsgesuch ein reichen, und zwar aus Gesundheitsrücksichten. Der Minister ist von einem hcutnäckigen Augenübel heimgesucht, daS ihm größte Vorsicht auf erlegt. Es ist fraglich, ob der Minister im demnächst einzuberufenren Landtage sein Ressort wird vertreten können. * Ter Zentralem stanv der nattonalltb»ralen Partei wird am Sonntag, den 19. Januar 1908, vormittags 11 zu einer Sitzung im Reichstage, Zimmer Nr. 25, zusammentreten. Auf der Tagesordnung stehen: 1) Zuwahlen. 2) Festsetzung des Ortes und Zeitpunktes für den nächsten Preußtschen bezw. Allgemeinen Vertretertaz der Partei. 3) Jahresbericht. Aussprache. 4) Anträge. Es liegt u. a. der Antrag Feuilleton. In der Liebe ist alles wahr und alles falsch. Sie ist das einzige Ding, über das man nichts Absurdes sagen kann.. Nikolas Chamfort. O Siena. Von Bruno Andersen (Dcznzig). Eigenartig ist doch die Laune des Geschicks, welche Völker und Städte zu höchster Blüte steigen ließ, um sie dann wieder in das Nichts zurückzustoßen. In ganz besonderem Maße sind von diesem harten) Schlage die Städte Mittelitaliens getroffen worden. Im Mittelalter stark und mächtig, hier für die Gibellineu, dort für die Guelfen streitend, entflammt von Liebe zur Kunst, sahen sie in ihren festen Mauern Palaste und Kirchen entstehen und sich schmücken mit köstlichem Aut der Erde. Als die kriegerischen Zwiste beendet waren, bildeten sie den vielen Tausenden, welche nach Rom fuhren, willkommene Aufent- halte und boten ihnen würdig« Vorbereitung auf den Genuß der ewigen Stadt. In unserem Zeitalter hat sich zwar der Verkehr in un geahnter Weise vervielfacht, aber durch die Heranziehung weiterer schichten ist das Niveau des Reisepubkikums zum Teil ein niedrigeres geworden: nur die Hauptstädte werden meist besucht und diese noch dazu möglichst schnell al^etan. Reisende, welche das Land genießen wollen, und mehr als einen flüchtigen Anblick der bekanntesten und am leichtesten zugänglichen Werke suchen, Menschen von wahrhaft ästheti schem Empfinden, die den ganz eigenartigen Reiz gerade der kleineren Orte zu kosten wissen, gibt es leider nur sehr wenige. So kommt es, daß viele Orte, die einst an der großen Heerstraße lagen, durch den Aufschwung der Eisenbahnen an Fremdenverkehr bedeutend verloren haben. Zu diesen Orten gebärt anck Siena, einst die mächtige Rivalin von Florenz. Florenz war guelfisch gesinnt; Siena war eine der festesten Stützen der Gibellinen. Doch nickt allzu lange dauerte diese Nebenbuhlerschaft, 'in l"nqen "nd blutigen Kriegen hielt es zwar der Rivalin stand. Aber die Pest raffte einen großen Teil der damals 100 000 Einwohner hin; endlich nahm Cosimo I. von Florenz mi Hilfe spanischer Söldner die Feste im Jahre 1555 ein. Von da an war Siena nicht mehr Vorort eines kunstbegeisterten Staates, sondern eine stille Provinzialstodt. Neues wurde seit dieser Zeit wenig geschaffen. So finden wir denn in Siena neben der Gotik vornehmlich Werke der Frührenaissance, und zwar in einer Einheitlichkeit der Anlage und des Stils, wie in keiner anderen Stadt. Auf dieser Einheitlichkeit des Charakters des Stadtbildes beruht nicht zum wenigsten die Wirkung, welche Siena auf den Beschauer ausübt. Wie billig beginnen wir unseren Rundgang durch die Stadt mit der aus Dante sPurgat. 11) den meisten woyl schon bekannten Piazza del Campo und ihrem Palazzo Pubblico. Ernst und streng schauen seine Zinnen auf uns herab und mahnen uns der Kämpfe der einzelnen Ge schlechter untereinander. Ueberaus kühn strebt der schlanke Turm auf- wärts, den ganzen Platz beherrschend. Das große Wollen und das große Können der Sienesen zeigt er uns an; seine Hallen sind geschmückt mit Bildern aus der sienesischen Geschickte. Stolz war Siena auf seine großen Männer und stolz durfte es auch mit gutem Grunde sein: einer der Säle dieses Palastes zeigt uns die Bildnisse oon acht Päpsten und von 38 Kardinälen, deren Wiege in Siena stand. Eines ihrer größten Geschlechter waren die Piccolomini, welche verwandt waren mit den Piccolomini in Pienza, aus denen Pius II., Aeneas Sylvius, der Gelehrte unter den Päpsten, stammte. Ihre Burg — io möchte man fast sagen bei dem Anblick dieses überaus trutzigen Palastes der Piazza del Campo — rivalisiert an Mächtigkeit des Ein drucks mit dem Pal. Pubblico. Der jetzige Bau ist einer der letzten großartigen Bauten, die in Siena unternommen wurden; erst 1500 wurde er fertiggestellt. Nicht übermäßig groß sind seine wirklichen Di mensionen; aber die geschickte Verwendung der Rustika in verschiedenen Abstufungen, die Vermeidung der Betonung der einzelnen Baugliedcr hebt das Ganze so sehr in seiner Wirkung, daß man immer wieder er staunen muß über das Genie des Baumeisters, der ein solches Werk zu schaffen verstand; keine Urkunde nennt ihn uns; nur die „Werkmeister", die ausführenden Beamten des Architekten, sind uns bekannt. Einst klirrten in seinen Sälen die Rüstungen, wenn man^zu wilden Fehden zog; sie schallten wieder von frohen Festen — jetzusidient der Palast friedlichen Zwecken: das Archiv der Stadt, eins der wichtigsten in ganz Italien, ist in ihm untergebracht. Dem Aktenstaube und dem Gelehrten hat dos stolze Geschlecht weichen müssen. In allen Punkten rivalisierte Siena mit Florenz. Wie Florenz an der Piazza dei Signori seine Loggia dei Lanzi baute, so baute Siena snach ihrem Vorbildes an seiner Piazza del Campo auch seine Loggia, das Casino de' Nobili; das an Wirkung der Loggia dei Lanzi kaum nach steht. Ein Kleinod aber hat Siena noch auf diesem Platze, ein Kleinod, welches dem ganzen Platze dennoch einen anderen Charakter aufdrückt, welches neben der streitbaren Wucht der Paläste uns auch die Liebe der Sienesen zur friedlichen Kunst offenbart: die Fontana di Gaja. Jacopo della Queccia schuf diesen Brunnen, und die hohen Marmorschranken, die ihn umgeben, schmückte er mit Reliefs. Dem Geschmack der Zeit entsprechend, stellen diese Reliefs die Erschaffung AdamS und die Ver treibung aus dem Paradiese, sowie die christlichen Tugenden char. Heitere Zeit, die alles schmücken ließ, was zum öffentlichen Gebrauch ti'nte! Brunnen zu bauen, war übr-aens eine Eigenart Sienas. Heute lallen uns die vielen Brunnen nicht so sebr auf, wenn wir die Wasser mengen sehen, die in Rom jetzt für di-e öffentlichen Anlagen verwendet werden. Halten wir uns aber vor Augen, daß in Rom der Bau der „Fontane" erst so recht zur Zeit Sixtus V., also in der Barockzeit, be- aann so müssen wir wohl eingestehen, daß es im Quattrocento wohl keine Stadt gab, die soviel Wasser zur Zierde der Stadt auswendete, wie Siena. Fonte Branda und Fonte Nuova sind neben der Fönte Gaja die bemerkenswertesten Brunnen, deren Lage und Anordnung besonders malerisch sind. Gehen wir zu diesen Brunnen hin durch die gewundenen Straßen der Stadt, so sehen wir überall neben den modernen Häusern die träi- tigen Formen des Trecento und des Quattrocento uns anjchauen. Einer der mächtigsten ist der düster und ernst vor uns aufsteigende Pal. Toio- mei, dessen Stockwerksböhen nur mit dem Ausdruck „ungeheuer" bezeich net werden können. Ganz Siena ist voll von Palästen, welche zwar mit den genannten nicht ganz auf eine Linie gestellt werden können, aber von denen jeder, für sich allein betrachtet, doH höchst bedeutend ist Neben dem Pal. Pubblico verdient der Pal. Lanscboni genannt zu werden, dann die Paläste Saracini und Buonsignori; später noch, zur Renaissancezcit, wurden Pal. Nerucci und Pal. del Magnifico erbaut. So wären wir denn auf einem kleinen Umwege zum Domplay ge langt. Der Tom von Siena ist einer der wenigen gotischen kirchlichen Bauten Italiens und eines der Meisterwerke der Welt. Gleich dem Dom von Orvieto und der Certosa von Pavia empfängt den Beschauer eine dreiteilige Fassade. Und welch' eine Fassade ist es! In schwarzem, rotem und weißem Marmor ausgeführt, hat sie reichsten Schmuck in Reliefs. Wie die (übrigens recht ähnliche) Fassade des Tomes von Orvieto hauptsächlich durch die Farbe wirkt, so beruht hier die Wirkung vornehmlich auf der bildhauerischen Ausgestaltung des Werkes. Dan auch kurz nach der Erbauung dieser Fassade sie von den Zeitgenossen als ein Meisterwerk betrachtet wurde, gebt wohl am deutlichsten daraus her- vor, daß man zum Bau des Domes in Orvieto Sieneier Meister be rief. Schön und gefällig spricht sich im Dom von Siena der italienische Bausinn aus. Der farbige Marmor ist sparsam angewendet und über tönt daher nicht — was bei einem mehrfarbigen Bau gar leicht einlritl — die zarteren Gliederungen. Gegenüber der konsequenten nordischen Gotik, welche nur auswärtsstrcbende Glieder kennt, aber das Raum verhältnis ganz vernachlässigt, fällt hier angenehm auf, daß ein schönes MassenvcrbältniS zwischen den Fenstern und den »Mauern besteht. Mauern als solche gibt es ja in der nordischen Gotik eigentlich überhaupt nicht; was in Italien Gotik genannt wird, ist keine richtige Gotik in unserem Sinne. Diese Namensgleichheit für zwei verschiedene Bauweisen hat in unklaren Köpfen viel Verwirrung ange- richtet und so hört man denn auch häufig saus Unkenntnis entspringende) abfällige Urteile über diese italienische Stilart. Besser wäre für diese Bauten und für das Urteil der Allgemeinheit über sic, wenn man dieser Stilart einen anderen Namen beilegen würde. Denn die aus dem Norden mitgcbrachte Gotik wurde in Italien völlig umaestaltct: Löste man in Deutschland die Kirche »n ein Gerüst auiwärtSstrebendcr Kräfte auf, so diente im Süden der Spisibogcn hauptsächlich dazu, weite Räume zu Überspannen. Die im Norden übliche Vereinigung von Kirche und Glockentnrm führte ferner da,u, daß der Bau der aanzen Kirche im Turme seinen Schwerpunkt sand, daß die Architektur der ganzen Kirche