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Beilage z« Nr. 18S -er „Sächsischen Volkszeitung" vom 11. August 1VVS. Aus der Praxis der Tarifdetvegrrnz. Der Gewerbeaufsichlsbeamte für den dritten tvürttem- bergischen Aufsichtsbezirk, dessen Berichte von einem weit gehenden sozialen Blick und einer wissenschaftlichen Vertie fung in die industriellen Verhältnisse zeugt, konstatiert, daß mit dem Erstarken der Arbeiterorganisationen eine steigende Tendenz, die Tarifbewegung auszudehnen, einhergeht. Da bei tveist er auf einige bemerkenswerte Erscheinungen hin, die sich der Tarifbewegung vielfach hindernd entgegenstellen, und die für die volkswirtschaftliche Bewertung der Tarif verträge von hohem Interesse sind. Fast nirgends sind nach den Beamten die Betriebe auf gleicher technischer Höhe, überall zeigt sich eine große Mannigfaltigkeit und Verschie- denheit in ein und demselben Berufszweig. Hier technische Vervollkommnung, dort technische Rückständigkeit, hier vor zügliche Organisation der Arbeit, weitsichtige Betriebssich rer, dort Mängel aller Art, die kurz dadurch zum Ausdruck kommen, daß der Arbeiter seine Leistungsfähigkeit nieder im eigenen noch im Interesse des Geschäfts voll entfalten kann. Entweder fehlen die Einrichtungen zur Erleichterung oder Beschleunigung der Arbeit: Hebezeuge, Werkzeuge, Hilfskräfte, oder es werden infolge der Einführung neuer arbeitssparender Maschinen Aendernngen der ursprünglich vereinbarten Akkordsätze dnrchgeführt. In allen diesen Fällen betrachtet es der Arbeiter als sein gutes Recht, seine Forde rungen ans die Einrichtung der Betriebsverhältnisse auszu dehnen, weil er eben von ihnen abhängig ist, und hier ist gerade der Punkt, wo sich die Arbeitgeber am empfindlichsten zeigen, wo die Mehrzahl derselben sich nicht dreinreden lassen kann noch will! — Aus vorstehendem darf inan mit Recht schließen, daß der Tarifbewegung, neben der Konkurrenz, vor allem auch die Tendenz innewohnt, auf die technische Vervollkommnung der Betriebe hinzndrängen. Daß dadurch manche Betriebsinhaber in unangenehme Situationen kom men können, und sich deswegen als Gegner der Tarifver träge erweisen, ist nicht zu umgehen. Höher als das Wohl des Einzelnen steht aber das Allgemeinwohl, das auf einer volkswirtschaftlich möglichst entwickelten Produktion und im Einklang damit konsumfähigen Bevölkerung basiert. Drän gen so die Tarifverträge zu einer gewissen sozialen Auslese bezüglich der Betriebe, so trifft dies auch bezüglich der Ar beiter zu. Deswegen ist, wie der württembergische Beamte besonders hervorhebt, in den neuere» Tarifverträgen die Forderung eines Minimallohnes für nicht Volstvcrtige oder invalide Arbeiter enthalten. „Die Tarifverträge drängen nach oben, wer nicht vorzügliches leistet, fällt in die Unter schicht, und damit diese nicht die Kosten der Aufbesserung nach oben zu tragen hat, sucht man ihr einen Minimallohn zu sichern." So zeigt die Tarifbewegnng eine Reihe volkswirt schaftlich sehr lehrreicher Seiten. Aus Stadt und Land. ^—* In den Grundstein des neuen Rathauses soll eine Urkunde in Form einer ovalen Bronzetafel ein gelegt werden. Der Gesamtrat hat in seiner letzten Sitzung den Wortlaut der Urkunde festgesetzt. —* Nach den Alpen verkehrt der letzte diesjährige Sonderzug zu ermäßigten Preisen Montag, d. 14. August. Seine Abfahrt erfolgt auf hiesigem Hauptbahnhofe abends 6 Uhr 5 Min.; die Ankunft in München findet am anderen Tage vormittags 8 Uhr statt. Zur Weiterfahrt von Mim- chen stehen ebenfalls Sonderzüge zur Verfügung, und zwar vonnittags 8 Uhr 50 Min. nach Nosenheim—Freilassing— Salzburg, vormittags 9 Uhr nach Rosenheim—Kufstein und nach Kempten—Lindau. —* Personalien. Wie oft kommt es nicht vor, daß man über das Persönliche eines Menschen irgend etwas zu tvissen wünscht, sei cs, daß man den Geburtstag einer Berühmtheit, die Wohnung eines auswärtigen Beamten, die Adresse und den Beruf eines Fremden, die Garnison eines Offiziers, die Firma eines Kaufmanns oder etwas airderes dergleichen in Erfahrung bringen möchte — und daß man ratlos ist, tvie und wo man sich schnell und genau darüber orientieren kann. In Anbetracht dieser Tatsache dürfte es zweckmäßig sein, auf die Dresdner Lesehalle (Waisenhaus- straße 9> hinzuweisen, wo dem Besucher unter anderen zirka 200 Adreßbücher deutscher und ausländischer Städte zur Verfügung stehen, wo man die Rang- und Ouartierlisten des Heeres und der Marine, Kürschners Literaturkalender, die „Minerva" usw. findet, wo die neuesten Auflagen der großen Konversationslexika und andere Nachschlagewerke, so wie eine Anzahl vortrefflicher Biographien und Monogra phien über jede hervorragende Persönlichkeit der Vergangen heit und Gegenwart zuverlässige Auskunft geben. Die ge schmackvoll und praktisch eingerichteten Räume des ausge zeichnet organisierten Instituts bilden überdies den ange nehmsten und behaglichsten Aufenthalt. Die Volkslesehalle im Parterre kann von jedermann ohne Entgelt betreten und benutzt werden. Für den Eintritt in die Räumlichkeiten des ersten Stockwerkes »vird eine ganz geringe Gebühr l erhoben. Pirna. Tie noch erforderlichen Mittel für unser König- Albert-Denkmal werden durch eine Lotterie beschafft, deren Ziehung am 14. d. M. stattfindet. An verlockenden Ge winnen fehlt es nicht, da aus allen Kreisen und von allen Seiten Spenden herbeigekommen sind. Meißen. Ueber die Mordtat in Herzogswalde meldet das Meißner Tageblatt ausführlicher: Der Schweizer Karl Otto Seltmaun, 19 Jahre alt und aus Bräunsdorf gebür tig, war von einem Tanzvergnügen gekommen und hatte die Magd aus der Tännichtmühle in Herzogswalde herausge- rnfen. Der Bäckermeister Neumaier, der sich um diese Zbir mit seiner Tochter in der Nähe befand, hörte Hilferufe, ist diesen nachgegangen und hat mit seiner Laterne dem Selt- mann ins Gesicht geleuchtet. Seltmann schlug dem Nen- maier die Laterne ans der Hand und versetzte ihn mehrere Scksiäge ans den Kopf, so daß Neumaier, nachdem er uoch um Hilfe gerufen, betäubt zu Bodeu stürzte. Auf die Hilfe rufe ist Neumaiers Tochter herbeigeeilt, die vou Seltmanu erfaßt und in die hochgehende Triebisch geworfen wurde. Die Leiche des Mädchens ist noch nicht gefunden. Frciberg. Im nahen Zug schlug der Blitz an drei Stellen in Gebäude, zündete aber nicht. Die Ehefrau des Hüttenzimmermanns Beher wurde an der rechten Seite ge lähmt. — In Naundorf wurde das .Haus des Mühlenbe- sitzers Funke arg besck)ädigt und die elektrische Leitung zer stört. — In Großlxirtinannsdors wurde das.Haus des Teich mühlenbesitzers Köhler demoliert und das Haus- und Wirt schaftsgebäude des Wirtsclxfitsbesitzers Köhler in Brand ge setzt. Sein Sohn wurde betäubt. — In Ullersdorf brannte eine Sckx'une des Gutsbesitzers Glöckner mit vielen Vorräten nieder. — Mit dein Gewitter war ein heftiger, wolkenbruch- artiger Regen verbunden, der die Straßen überschnxmunte und überall Schaden aurichtete. Die Mulde und Bobritzsch sind an verschiedenen Stellen aus ihren Ufern getreten. Ebenso herrscht im Flöhatale Ueberschvemmung. Chemnitz. Tie Arbeiten für die neue Talsperranlage bei Neuzehnhain schreiten trotz der Feuchtigkeit der letzten Tage cngerisch vorwärts. Die Stolleubeamteu sind so weit vorgeschriten, daß bis jetzt 7500 Meter Stollen aufgefahren und nur noch 2100 Meter aufzufahren sind. Es ist zu er- lvarten, daß im Oktober der große Stollen Nesselgrund- Neunzehnlxün in einer Länge vou 2700 Meter durchgeschla gen werden und der Durchschlag des etwa 2800 Meter lan gen Einsiedel-Dittmannsdorfer Stollens im Februar 1906 erfolgen wird. Dann wird die Ansmanerung der betreffen den Strecke erfolgen. Die betreffenden Arbeiten werden voraussichtlich bis zum Herbst 1906 beendet sein. Die Krumhermersdorfer Brücke wird in diesem Jahre, die Brücke über die Zschopau im nächsten Jahre vollendet werden. Im Frühjahre 1907 wird es jedenfalls nwglich sein, Wasser aus dem Lantenbache bei Neunzehnhain nach der Talsperre Einsiedel nbleiten zu können. Bis zum Frühjahre 1907 dürsten die Hauptarbeiten für die neue Wasserversorgung Neunzehnhain-Einsiedel vollendet sein. Ehcmnitz. In der Nacht znm 4. August, und zrvar kurz nach 11 Uhr, ist auf der Kastanieustraße eine dort wohnhafte Fra» ans dem Nachhausewege von einem Unbekannten ver folgt und schließlich überfallen worden. Wie die Frau be hauptet, hat sie der Mann, dessen Okchcht und Kleidung sie infolge der Dunkelheit nicht beschreiben kann, zu Boden ge worfen, ihr das Portemonnaie mit 7 Mark Inbalt ans der Tasche gerissen und dann die Flucht ergriffen. Chemnitz. Der hiesigen höheren Webschule wird nach einer Verordnung des Ministeriums des Innern vom näch sten Jahre ab eine Ztaatsbeihilfe von 12 000 Mk. gewährt. Oederan. In Breitenau verstarb die Ehefrau des Schleckereiarbeiters Reichest an Pilzvergiftung. Zwickau. Bei dem Besuche Sr. Majestät des Königs steht eine Ehrenkompagnie des hiesigen Regiments ans den: Hauptmarkte vor dem Rathanse, eine zweite Ehrenkom pagnie vor dem Absteigequartier des Königs, Hotel zur Tanne, während das Regiment im Kasernenhose Parade- ansstellnng im Kasernenhofe nimmt und vor Sr. Majestät den Parademarsch ansführt. Schwarzenberg. Durch das Hochwasser ist im Schwarz wassertale bei Erla eine Brücke, sowie eine solche weiter oberhalb, bei der .Holzschneidemühle der Firma Kühlers Erben stark beschädigt worden. Die Brücken mußten für den Fährverkehr gesperrt werden. Fnlkriistciii. Im Waldesdickicht oberhalb der Breit schneiderschen Schneidemühle wurde das Knochengerippe — 12 9 andere liebte, erhob anfangs dagegen EiMvcndungeu, doch auf die Frage der Mutter nach seinen Gründen schwieg er verlegen still. „Ist sie nicht königlich schön, besitzt sie nicht ein so großes Vermögen, »nie wenige Mädck»en, einen Ruf, rein wie ein Spiegel, dessen Fläche kein Hauch trübt, ein Wesen wie Elfenbein, worauf kein schwarzer Punkt zu finden ist?" Das alles war so, aber Sandor liebte sie nicht. „Das ist ein einfältiges Gerede," sagte seine Mutter. „Die Liebe vor der Hochzeit vergeht oft nach derselben. Eine ausgezeichnetere, reichere und schönere Frau findest du uicht." Sandor Ezedy hatte sich viel in der Welt betvcgt und nichts weiter als Oberflächlichkeit und Verstellung gesehen und so glaubte er schließlich der Mutter. — Weun ich eine andere liebte, oder hoffen könnte, daß mein Herz in dieser oberflächlichen Welt je entflammt werden könnte, würde ich gegen diese Heirat protestieren. Durch solche Vernunstschlllsse bcstimnite er sich selbst zu der Heirat; nun tvar er nahezu ein Jahr ihr Bräutigam, doch war ihn» Klemenze so fremd wie zuvor. Jrmner mehr aber sah er ein, daß seine Mutter gut fiir ihn gewählt, daß sie ihm eine ausgezeichnetere Frau nicht hätte bestimmen können, und daß lein Mädchen seiner Bekanntschaft sich mit Klemenze messen könnte. So be- liebt und gesucht er in der Gesellschaft war, unter den Augen seiner zukünfti- gen Frau kan» er sich klein vor. Er hielt sie für so vorzüglich und voll- kommen, daß ihm oft der Gedanke aufstieg, es sei unbescheiden, Klemenze an sich zu ketten. In» Schlosse angekommen, begaben sich alle in den Empfangssaal, wo die alte Gräfin die eben angekommenen Zeitungen las und Ezedy gnädig und freundlich begrüßte. Isidora und Martha hatten sich auf dem Korridor von der übrige»» Ge sellschaft getrennt und gingen nun in Martlias Zimmer, wo diese sich ihr Haar ordnete und sich umkleidete. Isidora aber wagte nicht, sie ohne der Mutter Erlaubnis in den Salon mitzunehnum und so setzte»» sie sich ans Fenster und verbrachten die Zeit in leisen» Geplauder. Isidora war das Muster guter Erziehung und Bildung, Martha ein Naturkind. Jene hatte gelernt, auf alle ihre Worte zu achten, ihre Gefühle den Umständen genüiß zu verbergen oder zur Geltung zu bringen, diese war ganz Herz, ganz Auf- richtigkeit und doch fühlten sie sich von» ersten Augenblick an zu eiimnder hrngezogcn, und als das Stubenmädchen Martha den Tee und das Abe»rd- brot brachte und Isidora in den Saal rief, nah»»» diese tränende»» Auges Ab schied, denn Martha tvar durch der Mutter Machtspruch von der Familie ausgeschlossen. Wochen und Monate vergingen. Mitte des Sommers tvar es und er stickend heiße Tage und trockene betäubende Lust. Graf Iwan weilte seiner Gesundheit wegen in» Bade. Martha hatte seit Woche»» eine Erzieherin, wel cher die größte Streitge anbcfohlen war, doch weder was Lernen anlangte, »»och wogen Marthas Betragen brauchte sie dieselbe anzuwenden. Es waren indes trübe Tage für die arme Martha; sie mußte ein so ganz verändertes Leben führen, daß sie fick» grenzenlos »»»»glücklich fühlte. Alles, was sie tat und sagte, tvar ungeschickt. Bei dem kleinsten Verstoß, den sie sich zu schulden kommen ließ, wurde ihr ihre Abstammung vvrgeworsen. „Woher kommen Sie und wer sind Sie?" fragte der Fremde und scbante mit großen» Interesse ans die vor »lim stehende Waldnymphe. „Ich bin das Waldmädchen," sagte scherzend Martha, der schnell ihre Kindermärchen vom „Waldmädchen und dem Königssohn" einficlen. „Ich möchte es glaube»»," entgegnete er lachend, und entzückt betrachtete er ihr gerötetes, strahlendes Antlitz, die großen träumcrischen Augen, den Kranz auf ihre»» wirren, dunklen Locken und die von einen» abgetragenen schwarzen Wolllleid verhüllte, aber des Pinsels eines Malers würdige Gestalt des Mädchens. Martha fühlte sich etwas unbehaglich. Auf solche Art hatte sie uoch niemand angesehen. Unruhe ergriff sie, zögernd und stumm blieb sie uoch einige Augenblicke stehen, dann wandte sie sich, um ihre»» Weg fortzusetzen. „Wohin gehen Sie?" fragte der junge Mann, „dieser Weg führt tief in den Wald hinein. Es dämmert schon und bald wird es ganz finster werden. Sie »vollen doch nicht die Nacht i» der Wildnis znbringen?" Diese Frage brachte Martha wieder zu sich. Ueber ihr leuchtendes Ant litz zog tiefe Blässe und erschrocken wendete sie sich um. „Erst muß ich tvissen, wo Sic wohnen," erwiderte lachend der Fremde, lange nicht bleiben sollen; wann kann ich wohl wieder zu Hause sei»»?" „Es ist wahr, ich muß zurückkchren," sagte sie seufzend, „ich hätte so „dann kann ich antworte»»." „Im Nonovarer Schlosse." „Wie? ich sah Sie doch noch nie, seit »mnn sind Sie dort. Ist es erlaubt zu frage»», wer Sie sind?" Martha sah ihn mißtrauisch an. „Versprechen Sie mir, mich uicht zu verraten und niemandem zu sage», wo Sie mich trafen, dem» sonst würde ich wirklich eingesperrt." Der jnnge Mann betrachtete sie mit immer größere»»» Interesse. Immer ungewöhnlicher und verwniidernngsvoller fand er die Situation, in der er das Mädchen allein, mitten in» Walde und wie ans ihre»» letzte»» Worten hervor ging, strengem Verbot zum Trotz gesunde»» hatte. „Ich verspreche es. Was für einen Grund sollte ich auch haben, Sie zu verraten und der Strafe auszuliefern? In» Gegenteil will ich Sie davor bewahren, »venn es in meiner Macht steht." „Ich danke. Mein Name ist Martha Nonovary, ich bin heute mit meinen» Vater ii» dem große»» Schlosse meiner Großmutter angekommen; mein Vater >»x»r vor siebzehn Jahren das letzte Mal hier und ich uoch niemals, Ihnen als Fremder kann ich gestehen, daß man mich sehr schlecht aufnahm." „Aber aus welchem Grunde?" „Ich weiß nicht; die Großmutter weinte, als sie meinen Vater sab, nm- armte ihn auch, zu mir aber sprach sie kein einziges Wort. Kalt blickte sic auf mich herab und sagte, ich sei nicht würdig, den Namen meines Vaters zu tragen; endlich schickte sie mich auf »nein Zimmer, wo ich Stunden laug allein blieb und zum Fenster hinaus auf den schöne»» Garten und die duftenden Blumen schaute, bis ich es nicht länger aushielt, hinab ging, durch den Garten, de»» Weg entlang lief und hier im herrlichen Walde mich so glücklich fühlte, bis ich Sie traf." „Wirklich?" > . .. . . » .