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vvrik 1. Beilage zu Nr. 294.^12. Jahrn. Die jede» Wochentag Abend erscheinende Reil»,ig Sächsischer Landes-Anzeiger lShrmnltzer General-Anzeiger) tostet monatlich SS Pfg. in Chemnitz frei HanS. Mit dem Czlra>Beiblatl Lustiges Bilderbuch monatlich 85 Psg. j» Chemnitz frei Hans. Außerhalb CheinnitzZnirag. monatl.IüPf. Bei den Postanstallen ist der Anzeiger mir mit dein Eztra-Beiblati Lustiges Bilderbuch zu beziehen für 85 Psg. „lonallich. (Nr. 5580» 10. Nachtrag zur Postüsle.) Sonntag, 18. Dezember 1892. Anzeigenpreis: «gespaltene «orpiiszeile lca. S Silben fassend) oder deren Nanu» 15 Pfg. — Bevorzugte Stelle («gespaltene Pentzeile ca. II Silbe» fassend) oder derer» Rau», 80 Pfg. Bei wiederholter Aiis»ah»ie entsvrechcnd billiger. — Anzeigen können nur bis Vormittag aiigcnoinmc» werden» da Drink und Verbreitung der große» Auslage längere Zeit erfordern. ai>er.Wi«»2 SerlagS.Anstalt vo» Atrzanl Biichdr»ikkrei, Lheuinih, Theaterstrahe Dev Bazillist. Der Verfolgungswahn ist ein Leide», das so alt ist, wie die Welt steht. Wenigstens glaube ich, daß der nirgends Rnhe findende Kain ebenso unter derartigen Wahnvorstellungen litt, wie der von Furien gepeitschte Orest, und wenn ich cs genau nehme, so gehören auch Encliv und Harpago» dazu, welche in der beständigen Angst vor Dieben Nachts ihr Geld zählten, wie Franz Moor, der sich gegen seine Verfolger verschanzt, und Lady Macbeth, die ihre Hände von den Blutstropfen nicht rein waschen kann. Zu dieser bedauerns- werthcn Familie ist jetzt eine neue Spezies getreten. Dem Jahr hundert der Mikroskopie und der Hygiene b.ieb es Vorbehalten/sie zu schassen, die Gattung der Bazillisten. Ludwig Kerner war früher ein vernünftiger und umgänglicher Mensch. Er sollte Geistlicher werden, gab aber seine Skltdicn infolge des unerwarteten Todes seines Onkels auf und übernahm dessen Fleischerei und Tochter. Erstcre prospcrirtc, letztere nicht, sie lies; ihm ein schwächliches Knäbchcu zurück. Nach einigen Jahren hcirathctc er eine gesunde Gutsbcsitzcrswittwc, welche Alles fest angriff und ihm ein kräftiges Mädchen mitbrachte. Seine Kundschaft hing treu an ihm, er führte das beste Fleisch in Berlin und die Frau, welche mit leuchtenden Augen und strammen Armen im Laden hantirtc, warb ihm Vertrauen. Das Glück waltete im Hause, und kein Wölkchen schien ihren Himmel zn trüben. Bis an das Ende der sechziger Jahre ist das Unglück zurückzu- führcn. Damals nämlich wurde die Trichine entdeckt. Genau ge nommen, war sie schon immer auf der Welt, aber jetzt erst wurde sie populär. Kerner intcrcssirtc die Sache ungemein. Die Abbildung der ersten Trichine, welche sich wie eine große Schlange um sich selber wickelte, regte ihn auf. Er ruhte nicht, bis er sich ein Präparat verschafft hatte, und stellte cs in seinem Laden als abschreckendes Bei spiel auf. Ihm genügte nicht die öffentliche Untersuchung. Er ver kaufte fortan kein Schweinefleisch mehr und führte diese Enthaltsam keit auch für seine Familie durch. Mit seiner Frau, welche gern rohen Schinken aß, hatte er einen gewaltigen Krach. Sic verschaffte sich die verbotene Frucht durch eine Freundin, und das gab die erste Verheimlichung in der Ehe. Bei dem kleinsten Unwohlsein redete er sich ein, trotz seiner Vorsicht Trichinen gegessen zu haben und nahm seine Zuflucht zum Cognac. Ja, wenn cs mit den Trichinen ab gemacht gewesen wäre. Bald genug aber hörte mau von Finnen und von Wnrstgift. Die ganze Beranivortung lastete auf seinem Herzen und er verkaufte trotz des Einspruchs seiner Frau, welche sich hinter ihrem Ladentische in der weißen Schürze sehr behaglich fühlte, sein blühendes Geschäft. Er seinerseits war in das Lager der Vegetarier übcrgcgangcn. Aber nicht seine Frau. Nachdem er seine Redekunst vergeblich angewandt hatte, sie zu seiner Ansicht zu bekehren, einigte man sich dahin, daß er und sein Sohn fortan Pflanzenkost nehmen, sic mit ihrer Tochter dagegen bei der Flcischuahrung beharren würde. Das war nun eine Trennung, wenn auch nicht von Tisch und Bett, so wenigstens vom Tisch: das hieß für Frau Kerner eine doppelte Wirthschaft, worüber sie sich nicht be ruhigen konnte. Er ertrug ihren fortgesetzten Hohn und Acrgcr mit Glcichmnth, denn er wußte, eines Tages würde sie ihn vom Kranken bett aus um Verzeihung bitte». Das Krankenbett kam, aber fü. ihn und seinen Sohn. Die ungewöhnliche Kost, auf welche ihr Organis mus nicht zugeschnitten war, hatte sie Beide geschwächt; mit einer sogenannten Mastkur, Milch, Cognac und Massage kamen sie alliiiälig wieder zu Kräften. Aber auch die Milch kam auf den Index. Die Perlsncht, der Milzbrand-Bazillus — wer weiß, ob er sich ihn nicht während seiner Kur zngcfügt hatte und sein Söhnchen, das von seiner Milch immer mitgctrnnken hatte! Zwar bezog sich die Gefahr blos auf die rohe, aber wer weiß, ob die Abkochung die Bestie völlig zerstört hatte. Sicherer ist sicherer. Die Milch durfte nicht mehr ins Hans. Frau Kerner milchte und zuckerte ihren und ihrer Tochter Kaffee lachend allein. Eines Tages sitzt der hagere Mann in Gedanken versunken vor seinem Pult und zählt mit Handschuhen einen Stoß Banknote» „Was machst Du da?" fragt ihn verwundert die Frau. „Weißt Du nicht, baß sich das Papiergeld sehr gut zur Uebertragung der Mikroben eignet? Von jeher haftet sich ein Fluch an das Geld. Wer weiß, ob man diese Gefahr nicht schon in ihm gewittert hat, als cs noch gar keine Mikroskope gab. Sichst Dn," und er hielt eine Lupe ans einen kleinen Schmutzflecken, „wie das hier krabbelt?" — „Wenn Du Dich fürchtest, gieb mir den Schein", antwortete die Frau lachend und steckte das Geld zu sich. „Ich werde dafür sorgen, daß er so bald als möglich aus dem Hause kommt." Der dupirte Mann konnte seiner Frau nicht widersprechen, er schrieb an seine Miether und Hypothekenschuldner, er bitte sie, alle fälligen Gelder an seinen Bankier zu bezahlen, da er aus der Stadt zöge. Das war keine Phrase, längst schon hatte er den Beschluß gefaßt, ohne seiner rebell ischen Frau davon zu sagen. Er hatte nämlich gelegentlich ein unangenehmes Kitzeln im Gaumen verspürt und au dem Dynamometer eine Abnahme seiner Kräfte gefunden. Er schrieb beides seiner ungesunden Wohnung zu und zwar einem Coccus, von dem er gelesen hatte, daß er sich zwischen Diele und Decke im Schutte aufhalte. Das Haus hatte sein Schwiegervater auf dem Grund eines alten Gebäudes errichtet, in dem vor Jahrhunderten einmal die Pest grassirt haben soll. Die unsterblichen Bakterien über leben ja Menschen-Generationen, um nach langem Schlafe an dem Urenkel einmal ihr Müthchen zu kühlen. Es war eine Pest in milderer Form, die an ihm zehrte. Hier konnte nur rasche Flucht retten. Darum verkaufte er in der Stille das gut gelegene Haus in der belebten Straße und ließ sich ein Haus in der Vorstadt bauen, unter seiner persönlichen Aufsicht und bei dem Kleinsten ein hygie nisches Lehrbuch kvnsultircnd. Licht, Luft und Wasser, Alles nach Vorschrift, das Material besonders ausgesucht, trockenes Holz, die Wände doppelt mit Lustzwischcnraum, auf hohem Rost stehend, ein Gärtchen daneben, mit besonderem Brunnen, dessen Wasser er durch verschiedene Chemiker hatte prüfen lassen. Bäume ließ er nicht Pflanzen, den Rasen nicht sprengen, wegen der ge fährlichen Feuchtigkeit. Und so sah dies Haus mit seinem rohen Be wurf — einen Firnißanstrich wollte er erst nach einigen Jahren der Fatzade geben, damit die Feuchtigkeit aus den Mauern verdunsten könne— und der Garten mit seinem verbrannten Nasen und welken Laube ziem lich trostlos aus. Aber die Schlafzimmer lagen gegen Osten und die Küche im dritten Stock, damit ihre Künste nicht in das Wohnzimmer gelangten. Seine Frau hockte sich kopfschüttelnd in die neue Ordnung der Dinge gefügt. Sie billigte zw^r die Gründe ihres Mannes nicht, aber die Verwandlung aus einer im Laden stehenden Fleischersfrau in eine Villcnbesihcrin ließ sie sich gern gefallen. Schlimmer war cs schon, daß sich ihr Mann auch in ihre und ihrer Tochter Toilette mischen wollte. Er predigte ihnen die Schädlichkeit des Korsetts, na türlich vergebens; er suchte ihnen klar zu machen, daß die falsche» Haarzöpse aus dem Süden Rußlands herrühren könnten, wo man einen lungengefährlichcn Bazillus, die Gregarinen, häufig beobachtet: vergebens. Er erhob endlich energischen Protest gegen die Schleppen, welche bei gemeinsamen Spaziergängen den Staub und die Bazillen von Boden aufkchrten und in die Lungen wehten: Frau und Tochter lachten ihm ins Gesicht. Sie strotzten vor Gesundheit, mit ihren Schleppen sahen sie um einen Kopf höher und stattlicher aus. Jeder blickte dem Paare nach, wenn sie mit ihre» einen Meter hinter ihnen herziehenden Kleidern einherparadirten. Manches Männerherz hatte sich schon in diesen Netzen gefangen, und das war doch die Haupt sache für eine hcirathsfähige Tochter. Ob sich ein paar Bakterien damit verfingen, war gleichgiltig. Wenn der Vater mit seinem schmächtigen Sohne nicht hinter ihnen hcrgchcn wolle, so solle er vorangchen oder zu Hanse bleiben. Kerner zog das letztere vor, die Kluft zwischen den Eheleuten wurde dadurch immer weiter. Er aß mit seinem Sohne an einem anderen, rein vegetarischen Tisch, er schlief mit ihn, in einem anderen Zimmer. Jetzt gingen sie nicht einmal mehr zusammen spazieren; er hätte einen Respirator vor dem Munde tragen müssen, und das wollte er nicht. Da kam das Jahr Koch mit dem Tnberkclpilz und der Impfung. Er schaffte sich ein Mikroskop an und suchte sich, wo immer er kannte, zn belehre». Denn wenn er selber auch mit dem Leben ab geschlossen hatte, und auf dem letzten Lungenviertcl pfiff, so sollte doch sein Sohn gerettet werden. Der blasse, zittrige Max, der einen Schreck bekam, wenn ihm ein Pcrkutirhammer zwischen den Nippen pochte, mußte geimpft werden. Da half kein Widerstreben; er versagte ihm alle Baarnnttel und drohte ihm mit Enterbung, wenn er ihm in diesem Punkte nicht zu Willen wäre, So mußte denn der junge Mensch, der sich gerade augenblicklich sehr gesund fühlte, in die Klinik. Es kam weder bei der ersten, noch bei der zweiten Impfung etwas heraus, als aber bei der dritten Injektion Fieber eintrat, jubelte der Väter, denn der Beweis war nun für ihn erbracht, daß Max ohne Impfung vorzeitig hätte sterben müssen. Sah der arme Max schon vor der Impfung nicht zum Besten ans, so glich er danach einem Schatten. Der Vater führte ihn jedoch überall im Triumphe umher, als Beweis für die Fortschritte der Wissenschaft, und wollte eben die Impfung auch an sich vornehmen lassen, als die Stimmung umschlug. Während er noch unter der beständigen Furcht litt, den Tuberkelbazillus durch die Berührung eines Menschen oder eines Gegen standes in sich cmfznnehmcn, löste der Kommabazillus den Tnberkel- bazillns ab. Das Komma hatte ihm schon in seiner Jugend schwere Stunden verursacht. Er befand sich mit der Interpunktion stets auf gespanntem Fuße und fügte einst unter einem deutschen Aufsatz dreißig Kommas hintereinander, mit der höflichen Bitte, der Lehrer möchte sie gehörig in dem Text vertheilen. Aber was war die Furcht des Knabe» vor dem Nachsitzcn gegen die des Mannes vor der Cholera! Bei der Nachricht, daß sich in Nischnei-Nowgorod zwei Fälle der asiatischen Seuche gezeigt hätten, empfand er Bauchgrimmen. Als sich die Seuche in Hamburg einstcllte, dachte er mit seiner Familie eine Weltreise anzntreteu, als aber auch in Berlin von Er krankungen gemurmelt wurde, packte er eiligst eine Handtasche mit seinen wichtigsten Habseligkeitcn und fuhr mit dem nächsten Zuge nach Potsdam. Max, der gerade auf einem Morgenansflug war, fand einen Brief vor, in dem ihn der Vater beschwor, ihm mit dem nächsten Zuge zu folgen. Bei seiner Frau und Stieftochter war sein Appell vergeblich gewesen. Als er das beunruhigende Gerücht ganz früh beim Kaffcctriukcn gelesen hatte, klopfte er an die Thüre des Schlafzimmers seiner Frau und forderte sie auf, sofort mit ihm die verseuchte Stadt zu verlassen. Sie aber erklärte, daß sie zunächst noch ein Stündchen schlafen wolle. Er hatte ihr zugcrufcn: „Ver blendete, wer sich muthwillig in Gefahr begicbt, kommt darin um!" und das Haus verlassen. Er ging zur Bahn, denn in jeder Droschke konnte ein Cholerakranker gesessen haben. Er fand zu seinem Glück ein leeres Eiscnbahncoupö zweiter Klasse, denn sein Haar sträubte sich, wenn er an die Gefahr dachte, welcher er in einem gefüllten ausgcsctzt wäre. Aber ach! wer garantirte ihm, daß sich nicht eine Stunde vorher ein Hamburger auf diesem Polster gestreckt habe? Bei dieser Vorstellung wäre er bald aus dem Fenster gesprungen. In Potsdam ging er auf die Wohnungssuche, und zwar war cs nicht Lage und Aussicht, sondern die Anlage gewisser Einrichtungen: Tiefe des Brunnens, Entfernung vom nächste» Arzt, welche für die Ent scheidung bei ihm den Ausschlag gaben. Endlich fand er, was er suchte, und installirte sich sofort. Ein Mädchen beschloß er nicht zu nehmen, die Dienstboten sind in ihrem Ver halten gegen die Epidemie zu wenig zuverlässig. Er kochte sich seine Speisen selbst, nachdem er von dem Bäcker und dem Kaufmann das Material für seinen Tisch peinlichst und persönlich zusammengekauft hatte. Wer konnte wissen, ob nicht unterwegs durch die Hand des Bote» die Speisen infizirt wurden? Das Wasser holte er sich persönlich eine halbe Meile weit ans einem Brunnen und kochte dasselbe, nachdem er cs dnrchfiltrirt hatte, noch ab. Den Kaffee trank er ohne Milch, das Butterbrot aß er ohne Butter und die Speisen bereitete er ohne Schmalz. Obst war, in welchem Zustande immer, verpönt. Er be trachtete cs als ein großes Wagniß, als er einmal ein Gericht ge schmorte Birnen zurecht machte, welche er vorher mit etwas Karbol säure übcrgossen hatte. Er ging nicht aus, um nicht mit verdächtigen Personen zusammenzukommen. Die Zeitungen von Berlin ließ er erst auf einem Tisch im Freien ausdunstcn; aber sie waren seine einzige Lektüre, und zwar lernte er die Artikel, welche über die Cholera handelten, fast auswendig. Vor sich hatte er stets einen Vogen, der mit allerlei Buchstaben und Ziffern beschriebe» war, das waren die Tabellen und graphischen Darstellungen, welche das Auf- und Abschwanken der Erkrankte» und Genesenden in allen von der Seuche befallenen Städten anschaulich machen sollte». Der reichliche Obstscgen in dem gemiethetcn Garten verfaulte, die himmlische Luft hatte er sich durch überreichliche Desinfektion verdorben und auf dem herrlichen See gondelte er nicht, weil das Wasser nicht abgckocht war. Seine Frau und Stieftochter hatte er aus seinem Herzen gestrichen. Des Menschen Wille ist sei» Himmelreich und er hatte cs satt, den Un gläubigen umsonst zn predigen. Aber daß sein Sohn trotz mehr- mchcr Briefe nicht Nachkommen wollte, machte ihn unruhig. Max hatte sich überhaupt in letzter Zeit etwas widerwillig gezeigt und eine entschiedene Neigung zu den Prinzipien der Damen des Hauses durchblicken lasse». Die Postkarte — Briefe, die ihm den Krantheits- crrcger in ihren Falten zntragen konnten, hatte er sich streng ver beten —- wollte nicht erscheinen. Endlich kam gegen sein Verbot ein Doppelbrief. Es war das Papier und die Handschrift seiner Frau. Er unterwarf ihn einer gründlichen Desinfektion, hielt ihn mehrere Stunden in die Räucherkammer und als er mit behandschuhten Fingern das Couvert öffnete, konnte er wohl unterscheiden, daß sich die ganze Familie an demselben bcthciligt hatte, aus den zusammen- gclaufencn Buchstabe» aber nichts mehr herauslcsen. Nachdem er ihnen das mitgethcilt hatte, erschienen sie zu seinem Schrecken eines Tages selbst. Mit Taschentüchern vor den Nasen, in der mit Chlor und Karbol säure zum Ersticken angefüllten Atmosphäre, erschienen die drei Be wohner der verseuchten Stadt Berlin, um dem Vater ein Gcständniß zu machen, von dem sie ihn vorher nicht unterrichtet hatte», weil er ausdrücklich gebeten hatte, ihn mit allen Familienangelegenheiten zu verschonen. Innere Unruhe und Acrgcr solle, wie er gelesen, den Körper zur Am »ah me des Cholera-Bazillus geneigter machen. Die beiden jungen Leute hatten sich im Stillen verlobt und wollten nun zum Standesamt, zu welchem Zwecke ihnen die Einwilligung des Vaters unerläßlich war. Der Vater, welcher mit gemischten Gefühlen bemerkte, daß der verlorene Sohn wohler aussah als früher, gab eilig seine Einstimmung, um die Seinigen, die.ihn zu umarmen und zu küssen Anstalt machten, wieder los zu werden. Als sie gegangen waren, athmcte er erleichtert auf, richtete ) sofort ein heißes Reinigungsbad an und wartete argwöhnisch auf den Moment, wo sich die Krankheit cinstellcn sollte. Zwar blieben alle Momente ans und er wurde etwas zuversicht licher, indessen ein neuer Seelenkanipf bereitete sich vor: die Hochzcitsfeier stand ihm bevor. Seine innerste Natur sträubte sich gegen diese Zumuthung, jetzt in die Stadt zurückzukehren, wo noch im Moabiter Krankcnhause scchsnudzwanzig cholera- verdächtige Individuen in der Beobachtung lagen. Daß keiner mehr daheim an der Cholera starb, genügte ihm eigentlich gar nicht; er wollte am liebsten ausharrcn, bis einer an der Cholera geboren wurde. Aber die Bitten seiner Frau, das Flehen seiner Kinder: er gab nach. Er stellte allerdings seine Bedingungen: man sollte nur die nächste» Freunde cinladen und vorher das Hochzeitshaus von einer Autorität auf dem Gebiete der Bakteriologie untersuchen lassen; man müsse ihm erlauben, bei der Tafel nichts zu genießen, außer einigen Gläsern Rothwein, und sich frühzeitig zu entfernen. Mau gab Alles zu und er erschien, in einen Pelz gehM, in der Kirche. Die Predigt wurde einige Male unterbrochen, da bald der Prediger, bald der eine oder der andere der Trauzeugen über die Ursache des bis an die Wölbung empordriugenden Chlorgeruches in's Klare zu kommen suchte. Als aber Herr Kerner in den Saal trat, wo ihn eine lustige, lebensfrohe und rothbäckigc Jugend umschwärmte, als ihm seine Kinder glückstrahlend entgegcnciltcn, beschlich ihn gegen seine bessere Ueberzengung trotz alledem der Zweifel an die Unfehlbarkeit seines Gesundhcitssystcms. Was nutzt cs dir, sagte eine Stimme in seiner Brust, wenn du beständig an Krankheit und Tod denkst und dich überall von Bazillen umschwärint glaubst. Ist die ununterbrochene Augst nicht selber eine Krantheit, ist dies Leben mit der ewigen Furcht vor dem Tode nicht selbst ein tausendfacher Tod? Und seines Vorsatzes vergessend, sprach er den niannichfachcn Gerichten des Hochzeitsmahlcs eifrig zu. Ja, als ihn einige ehemalige Kollegen mit ihren Damen zum gemüthlichcu Plausch nach einem Scitenzimmcr zogen und er an der Seite seiner Frau behaglich vor einer Batterie alter Weine saß, da fiel cs ihm wie Schuppen von den Augen. Rene erfaßte ihn über sein so lange verkümmertes Lebe» und ihn durchrieselte eine Wonne, daß er gewissermaßen in dieser Stßndc wieder geboren war, und daß ihm noch viele frohe Jahre bcvorstünden, wenn er seine Furcht vor dem unsichtbaren Feinde überwände und mit den sichtbaren Freunden in Frieden und Einigkeit lebe. Der Bazillist hatte sich in so behaglicher Stimmung festgckncipt, daß er den letzten Zug nach Potsdam versäumte und in der Stadt bleiben mußte. Er schlief so vortrefflich, daß er gar nicht mehr daran denkt, die Stadt zu verlassen. Er wird leben, wie die anderen Rentiers in Berlin, Schiedsmann werden, in verschiedenen Vereinen Ehrenämter verwalten und jeden Monat ein Kilo znnchmen. Unter den Kommabazillus ist er entschlossen, für immer einen Punkt zn setzen. Oskar Jnstinns. („BrcSMner MorgenzcHnng".) Kirchliches. Die stnatörcttende Thätigkeit der Jesuiten. Im Widerspruch mit der bestehenden Gesetzgebung waren auf dem Gladbacher „sozialpolitischen Kursus" auch die Jesuiten Heinrich Pesch (der Bruder des bekannten Gottlieb), Kathrciu und Alexander Baumgartner. Was von der staatSrettcnden Thätigkeit der Jesuiten zu halten ist, zeigt ein Artikel des Jesuiten Kathrciu in den „Stimmen aus Maria Laach" über „die Aufgabe» der Staatsgewalt und ihre Grenzen", worin folgendes gesagt wird: „Unsere Ausführungen haben nicht bloß einen ganz katholischen Staat vor Augen, sondern jeden Staat, in welchem die katholische Kirche öffentlich in ihrem Bestände und i» ihren göttlichen Rechten garantirt ist oder in welchem wenigstens ein bedeutender Thcil der Bevölkerung der Weltkirche angchürt. sAlso auch das deutsche Reich!) Christus hat seine Kirche zu einer wahren, voll kommenen, völlig freien und selbständigen, mithin von anderen unabhängigen Gesellschaft erhoben. Sie ist ein souveränes König reich auf Erden, welches alle Zeiten und Länder und Völker umspannt und deshalb nicht dem Staate unterworfen sein kann . . . Aus diesen hier nur flüchtig angcdcutetc» Grundwahrheiten, welche ebenso viele Glaubenslehren enthalten, an denen ein Katholik gar nicht zweifeln darf, ergeben sich sehr viele wichtige Schlußfolgerungen über das Vcrhältniß von Kirche und Staat . . . Die Kirche ist im Gebrauch ihrer göttlichen Rechte uud Pflichten vo» Niemand abhängig. Esstcht dem Staate nicht zu, zu bestimmen, welches die Rechte der Kirche seien, und innerhalb welcher Grenzen sie dieselben gebrauchen ,',A