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1877. 90. Dienstag, den 13. November Wochenblatt für Wilsdruff, Tharandt, Rossen, Siebentel)« und die Umgegenden. Amtsblatt fiir die König!. Amtshauptmannschaft zu Meißen, das König!. Gerichtsamt und den Stadtrath zu Wilsdruff. Diese- Blatt erscheint wöchentlich zwei mal, Dienstags ».Freitags und kostet pro Quartal 1 Mark. Jnseratenannahme bis Montag resp. Donnerstag Mittag Uhr. Königin Amalie 1-. Ein schwerer Schlag hat unser hohes Herrscherhaus abermals be- troffen, die Sächsische Königsfamilie steht wiederum vor einem Sarge, der eine theure Dahingegangene birgt. Ihre Majestät die Königin Mutter Amalie Auguste, Witlwe unseres unvergeßlichen Königs Johann, ist am Donnerstag Abend ihrer vor kaum zwei Monaten vorangegangenen Schwester, der hochseligen Königin Marie, in die Ewigkeit nachgefolgt. Reich an Segen ist das lange Leben der nun mehr Heimgegangenen gewesen. Ihr war cs vergönnt, mit ihrem hohen Gemahl, dem sie in innigster Liebe treu verbunden war, das goldene Ehejubiläum zu begehen. Nicht minder reich an Trübsal war ihr Lebcnsgang. Was aber auch Schweres ihr beschicken war, sie legte stets ihr Alles in Gottes Hand, darum hat sie auch Gnade um Gnade empfangen. Dcmüthig im Glück, geduldig im Leid war die hohe Frau stets ein erhabenes Vorbild echt christlicher Tugend und Frömmigkeit. Unser geliebter König und sein erlauchter Bruder ver lieren in der Verblichenen die treue, liebevollste Mutter. Tiefgebeugt trauern wir mit ihnen, trauert ganz Sachsen um die edle Fürstin, die eine Trösterin der Betrübten, eine Wohlthäterin der Armen und Elenden, eine echte Landesmutter war. Aber Eins tröstet uns über den herben Verlust; wir wissen, die Verewigte ist hingegangen, sich vor dem Throne Gottes mit dem heißgeliebten Gatten wieder zu ver einen, was ihr stetes Sehnen undHoffen war. Und von jenen lichten Höhen wird sie segnend ihre Hände breiten über Sachsens Königshaus und Sachsens Volk. In treuen Sachsenherzcn lebt ihr Gcdächlniß unvergänglich fort. Der Herr aber, dem sie ihr ganzes Leben treu gedient Hal, möge ihr in ihrer letzten Stunde mit seinem reichen Tröste nahe gewesen sein. Er wolle ihr die ewige Ruhe schenken, welche verheißen ist den Kindern Gottes. Tagesgeschichte. Die Sitzung der II. Sächsischen Ständekammer vom 7. November war üüeressant. Es kam u. A. eine Vorlage wegen baulicher Veränderung im Landhause zur Berathung. Bei diesem Umbau war in Aussicht genommen, daß den einzelnen Fraktionen bei dieser Ge legenheit geeignete Räume zugcwicsen werden sollten. Der Abg. vr. Schaffrath sprach sich dahin aus, daß er nicht wünsche, das Fractionswescn auf diese Weise osficiell anerkannt zu sehen. Aus denselben Standpunkt stellte sich der Herr Minister des Innern von Nostitz-Wallwitz und erklärte, der Abg. I)r. Schaffrath habe ihm so recht aus der Seele gesprochen. Das ist ohne Zweifel ein idealer Standpunkt, und wir bekennen offen, daß auch uns ein Aushörcn alles Fractionswescns in unserem Landtage nur angenehm wäre. Wir lassen cs glcichsalls dahingestellt sein, ob das Fractionswescn eine Wohlthat sei. Aber darin halte der Abg. Kirbach Recht, wenn er bchauptelc, man sei noch nicht so wUt, die Fraclionen gänzlich auf- hebeu zu können. Derselbe nahm mit dieser sehr richtigen Bchanptung im Gegensatz zu den erstgenannten beiden Herren Rednern einen realen Standpunkt ein. — Das preußische Abgeordnetenhaus hat nicht zwei große Parteien, etwa eine liberale und eine conservativc, sondern 7 resp. 8 Fraclionen d. h. Splitter und Gruppen. I) Die Nationalliberalen mit 171 Köpfen, 2) das Eentrum mit 87, 3) die Fortschrittspartei mit 65, 41 die Frcicouservativcn mit 43, 5) die Ncu- conscrvativen mit 27, 6) die Polen mit 15, 7) die Conservativen mit 9 Köpfen. Nr. 8 sind die Wilden, die keiner Fraktion angchvrcn. Nun frage einmal Einer im Volke nach, ob es eine Ahnung oder gar ein Verstäudniß Hal, wodurch sich die meisten dieser Fraclionen von den andern in Theorie und Praxis unterscheiden z. B. die dreierlei Conservativen! Und im deutschen Reichstag ist die Zersplitterung kaum geringer. Keine Partei oder Fraclion ist stark genug, um bei Abstimmungen allein die Entscheidung zu geben, jede muß >ich mit anderen, das cincmal mit dieser, das anderemal mit jener Fraction und nicht immer der verwandten verbinden, um zu siegen. Alle zu sammen können weder selber eine sichere Rechnung machen, noch die Regierung mit ihnen. Damit hängen viele Mißlichkeiten und Aerger- kichkeiteu zusammen, die neulich ein alter Parlamentarier, vr. Löwe, im Landtag selber gerügt und beklagt hat. Viele und sehr gewichtige Vorlagen z. B. verlieren den einen Geist und Guß, der für Gesetze unbedingt nöthig ist, die einzelnen Paragraphen hängen von zusälligcn Comprommisscn und Abstimmungen ab und stimmen nicht zusammen; die Gesetze mit ihren Dunkelheiten und Widersprüchen werden ein Kreuz für die Richter, eine Fundgrube für Prozesse und müssen alle paar Jahre geflickt und ausgebcsscrt werden. Das ist die deutsche Gründlichkeit, Haarspalterei und Rechthaberei! Zur Lage telcgraphirt man der „Post" aus Paris, 8. Nov.: Nach den mannigfachen Schwankungen der letzten Tage hat jetzt die Politik des Widerstandes definitiv im Elisse gesiegt. Der Marschall Mac Mahon ist fest entschlossen, der Linken -nicht nachzu- gebcn und mit den Konservativen weiter zu regieren. Er glaubt der Unterstützung der Majorität des Senats sicher zu sein, selbst für eine zweite Kammerauflösung. Letztere und eventuell der Belagerungs zustand sind die Drohmittcl, um die Republikaner zu warnen. Das Ministerium Broglie-Fourtou bleibt bis auf Weiteres, — bereit, den Kampf mit der Kammer aufzunchmen. Verweigert letztere das Budget oder invalidirt sie die Deputieren der Neckten in Masse, so soll sie sofort vertagt oder ihre Auflösung im Senat beantragtwerden. Die Negierung würde sich in dem Falle mit anderweitigen finanziellen Nothmitteln helfen. Nach einer Correspondcnz der „Times" aus Bogot, dem jetzigen Hauptquartier der russischen Armee in Bulgarien, glauhte man dort in den letzten Tagen des vorigen Monats, daß sich das Schicksal Osman Paschas und Plewnas binnen 2 Wochen entscheiden werde. Zwar hat ein bei Gornii-Dubnik gefangener Pascha die Erklärung abgegeben, daß Plewna auf vier Monate verprovianlirt sei, aber Niemand will dieser Behauptung Glauben schenken. Man hat die Beobachtung gemacht, daß jedesmal nach Eintreffen eines Transports von Lebensmitteln die Desertion aus dem türkischen Lager, die sich bis zu 100 Mann per Tag steigerte, aufgehört hat, und zwar hat sich dies regelmäßig in Zwischenräumen von 14 Tagen wiederholt, woraus man den Schluß zieht, daß die auf dem Wege von Sofia eintrefsenden Transporte einen 2wöchentlichcn Vorrath für das Heer enthalten. Kurz vor Wegnahme von Gornii-Dubnik ist zum letzten Male ein Transport in Plewna angelangt und wenn dieser erschöpft ist, werde Osman Pascha nichts übrig bleiben, als sich zu ergeben oder einen Durchbruch in südlicher Richtung zu versuchen mit Um gehung der russischen Stellungen auf der directen Straße nach Sofia. Am 28. October haben die Türken wieder einmal ihre Geschütze ab- gcscuert, sonst schwiegen sie beharrlich. 52 Tage haben sie bas russische Feuer ausgcstanden, ohne zu antworten. Von russischer Seile ist jetzt die Bestätigung der Nachricht von der Niederlage Mukhtar Paschas bei Erzerum einge troffen. Hobart Pascha ist mit der türkischen Flotte nach Trapezünt abgegangen. Wenn es zu einer Besetzung oder Einschließung von Erzerum durch die Russen kommt, so ist es leicht möglich, daß russische Kavallerieabtheilungen ihre Unternehmungen bis in die Nähe jener Stadt ausdehnen. Auf der Straße zwischen Trapezünt und Erzerum wird sich mancher sür die türkische Armee bestimmte Transport ab- sangcn lassen. — Eine Depesche des „H. T. B." aus Erzerum, 6., läßt die türkische Armee „vollständig deroutirt" sein. Vom 7. November meldet man dem „H. T. B." aus Erzerum: Mukhtar Pascha und Ismail Pascha werden in der Festung bleiben, um ein bereits neugebildctes türkisches Heer, sowie Hülsstruppen aus Trapezünt abzuwarlcn. In Konstantinopel ist große Ausregung über einen gemachten Versuch, den Schwager des Sultans, Mahmud Damat Pascha, zu vergiften. Aus Philoppopel wird vom 8. d. M. berichtet: Die Türken errichten ein Winterlager bei Kalofcr, südlich vom Balkan, um einen Uebergang der Russen auf Saumpfaden zu verhindern. Hakket Pascha, bisher Slabchefs beim Balkanhccr, wurde mit mehreren Bataillonen von Schipla nach Orchanie gesandt. Nahezu 400 angesehene Bulgaren wurden gefesselt heute in die Verbannung nach Kleinasien geschickt. Constanlinopel, 9. November. Regierungsseitig wird ver breitet, Mukhtar Pascha melde ans Erzerum vom 9. d., die Russen hätten am 9. Morgens um 4 Uhr die Befestigungen von Azizie an gegriffen. Nach einem Kampfe, welcher bis 2 Uhr Nachmittags ge dauert hätte, seien die beiden russischen Angriffscolonncn zurückge wiesen worden, obgleich es einer derselben gelungen gewesen sei, ein Blockhaus zu besetzen. Mukhtar Pascha gebe weiter an, wieder bis Dcwe-Boyun vorgedrungcn zu sein. — Nach hier vorliegenden Meldungen dauert das Bombardement von Rustschuk fort. Suleiman Pascha ist in Rasgrad eiugelrvffen. Russische Abtheilungen marschircn aus Silistria. Die „Pol. Corresp." mcildct aus Constantivopel, daß neulich in Stambul Placate angeschlagen waren, in denen zur Ermordung Mahmud Damal Paschas ausgefordcrt wurde, welcher beschuldigt wird, um den Frieden herbeiznsnhrcn, die Türkei an die Russen ver- rathen zu wollen. Mahmud Tamar Pascha beschuldigte wiederum den Ex-Sultan der Conspiration, weshalb der Sultan seinen Bruder aus dem Palais Tscheragan nach dem allen Serail überführen ließ. Hierbei widersetzten sich 40 Diener Murads, dessen Leben für be droht haltend. Dieselben wurden deshalb erdrosselt, obwohl die türkischen Blätter nur von deren Exilirung sprechen. Seitdem wird Murad als Staatsgefangener in Topcapu überwacht und hält man allgemein dessen Leben für gesährdet. Inzwischen wurden auch viele Anhänger Midhat Paschas verhaftet, außerdem wurde ein Vergiftungs- Versuch gegen Mahmud Damat Pascha durch dessen Arzt vereitelt. Die Ausregung in Constanlinopel ist gewaltig und erhält durch ein im Volke verbreitetes Gerücht Nahrung, der Prophet sei dem Sultan erschienen und habe ihm geboten, Frieden zu schließen. Durch die jüngsten Erfolge der russischen Waffen ist das griechische Volk in gewaltige Aufregung versetzt. Das erbarmungslose Wüthcn der gegen die stammverwandten türkischen Grenzpiovinzen losgelassenen Verbrecherbanden hat die griechische Bevölkerung in höchste Erbitterung versetzt und man demonstrirt energischer denn je in kriegerischem Sinne. Ein kürzlich durch Athen gereister Correspondeut der „Dailh News" will wissen, daß die diplomatischen Beziehungen zwischen dex