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Zweites Blatt Sächsische BolkSzeitunn vom 4. Mai 1911 Nr. 101 Deutscher Reichstag. Sitzung vom 2. Mai, 2 Uhr 20 Minuten. Der Präsident gedenkt des Ablebens des Fürsten von SchaumLurg-Lippe, onch die Sozialdemokraten erheben sich. Ans der Tagesordnung steht die erste Lesung des E i n f ü h r u n g s g e f e tz e s zur R e i ch s Versiche rungsordnung. Staatssekretär Delbrück: Der Entwurf ist die Kon sequenz der Reichsversichernngsordnung: er soll die Schwie rigkeiten einfach und leicht beseitigen, die ans den, neuen Zustande entstehen, dazu dienen fast alle Bestimmungen. Viele Vorbereitungen sind notwendig, um das Gesetz ein leben zu lassen. Am meisten Aufsehen haben die Bestim mungen über die Angestellten erregt. Eine Reihe von Kassen (Gemeindekrankenkassen) sind zu schließen; die Be amten derselben sind nnterzubringen. Ich hoffe, das; das Gesetz bald zustande kommt. Abg. Trimborn (Ztr.: Es handelt sich um ein sehr wichtiges Gesetz, das gerade in der Uebergangszeit hohe Bedeutung hat, aber die einzelnen Bestimmungen sind sehr unklar, so daß sie in der Kommission näher besprochen wer den müssen. Wir legen den größten Wert darauf, daß die Hinterbliebenenversicherung spätestens am l. Januar 1012 in Kraft tritt. Bei den bisherigen Kassenbeamten- und An gestellten ist zu prüfen, inwieweit die schon vorhandenen zu verwenden sind, die Dienstordnung trifft hierüber Bestim mungen. Privatrechtliche Verträge eristieren zwischen Kassen und Angestellten; wie sind diese zu behandeln? Paßt die neue Dienstordnung nicht, so kann der Beamte kündigen. Tie Kommission muß die Einzelheiten naher prüfen. Eine Beeinträchtigung wohlerworbener Rechts wünschen wir nicht, aber wir erklären bestimmt, daß wir Verträge, die gegen die guten Titten verstoßen, nicht an erkennen können. Ter Entwurf schließt die Nückdatiernng der Hinterbliebenenversichernng ans; das geht uns zu weit; wir fordern mit allem Nachdrucke, daß das Gesetz bis zum l. Januar 1010 zurückdatiert wird, so daß die wiederholten Hinausschiebungen den Witwen keinen Schaden znfügen. Wir hoffen, daß das Gesetz sich glatt einleben wird. (Beifall.) Abg. Schickert (Kons.) behandelt besonders die An gestelltenfrage, die jetzt gründlich gelöst werden muß. Abg. Hoch (Soz.): Tie Parteien haben gar kein Mate rial über den Mißbrauch der Selbstverwaltung in der Krankenkasse: sie drücken sich immer um die Sache herum. Heraus mit dem Material! Aber Sie haben nichts. Ge- heiinrat Hoffmann hat 1000 begonnen mit dem Kampfe gegen die Krankenkassen; er ist zuerst abgeschüttelt worden, aber heute hat er gesiegt. Gegen die Absichten Hoffmanns haben sich die Kassenbeamten zu schützen gesucht. Nun sollen alle diese Verträge der Beamten zerrissen werden, unbeküm mert um alle Rechte, und obwohl viele Beamte schon seit Jahren hier tätig waren. Eine brutale Vergewaltigung will man vornehmen gegen solche oft recht alte Beamte. Die Beamten müssen sich schützen und sie übten nur Notwehr ans, selbst wenn sie über das Ziel hinausgingcn; aber sie wollten sich schützen, indem sie 1006 den bekannten Ver trag schlossen. Staatssekretär Delbrück: Die gesamten Vorschläge über die Angestellten sind nur Konsequenzen der Beschlüsse zur Neichsversicherungsordnung, nichts anderes. Wir haben »ns bei diesen Vorschlägen gestützt auf die Gutachten her vorragender Nechtslehrer. Wir wollen nur jene Verträge ans der Welt sclxiffe», die ungültig sind; es müssen jene Verträge beseitigt werden, die gegen die guten Sitten ver stoßen. Abg. Horn (Ntl.l: Mit der Materie der ReichSver- sichernngsordnnng hat dieses Gesetz nur äußerlichen Zusam menhang. Grundsätzliche Bedenken gegen die Vorlage haben wir nicht, über Einzelheiten wird in der Kommission zu beraten sein. Abg. Behrens (Vp.): Hoffentlich wird die Kommis- sionsberatnng Mittel und Wege zeige», berechtigten Wün schen der Kassenbeamten nachznkomnie». Wer nichts zu be fürchten hat, kann ruhig sein. Abg. Dove (Vp.): Wir müssen dafür sorgen, daß wesentliche Rechtsgrnndsähe auch künftig beobachtet werden und daß diese unverrückbar aufrecht erhalten bleiben. Nach kurzen Bemerkungen der Abg. Schulze (Rp.) und Schmidt (Soz.) schließt die erste Lesiwa des Ein führungsgesetzes zur Reichsversichernngsordnung. Tie Vor lage geht an die Neichsversicherungsordnnngr-koinmission. Es folgt die erste Lesung deS Gesetzes betreffend Auf hebung deS H i l f s k a s s e n g e s e tz e 8. Staatssekretär Tr. Delbrück: Tie Verbündeten Re gierungen sind der Meinung, daß den vorhandenen Miß- ständen in den HÜfskaisen nur durch Aushebung des Hilfs- kasscngesetzes begegnet werden kann. Abg. Trimborn (Ztr.): Im großen und ganzen billigen wir die heutige Vorlage. Doch halten wir eine Kommissiensberatung für notwendig. Tnranf wird die Weiterberatung ans Mittwoch l Uhr vertagt. — Schluß 6 Uhr. Gemeinde- und VereinsnaHr Auen. 8 Eheinnib. Morgen, Freitag den 6. Mai, abends 6 Uhr findet sin Thaliahause, Sonnenstr. 42, ein Theater abend mit Ball zum Besten der llnterstütznngskasse des Arbeitervereins und des Vereins erwerbstätiger Frauen und Mädchen statt. Zur Aufführung gelangt „Hasemanns Töchter", Volksstück in vier Akten. Eintritt 40 Pf. Alle Plätze sind numeriert. Tie werten Gemeindemitglieder bitten, wir um regen Besuch. 8 Ehciiniitz. Am Sonntag den 00. April sprach Herr Lehrer Schröter ans Dresden in einer gut besuchten Versammlung der hiesigen Ortsgruppe des Volksver- e in s für daS kat h. Deuts ch land über das Thema: „Vierzig Jahre Zentrum und unsere Aufgaben." Ter ge schätzte Redner fesselte durch seine volkstümliche, auch dem politisch Ungeschickten verständliche und humorgewürzte Vortragsweise fast zwei Stunden die Aufmerksamkeit der Zuhörerschaft bis zur letzten Minute. Im ersten Teile seines Vortrages schilderte Herr Schröter die Lage der deutschen Katholiken um die Mitte des vorigen Jahrhun derts und führte alle jene Einigungsversnchc vor Augen, die schließlich doch von Erfolg gekrönt waren und zur Grün dung einer festgefügten parlamentarischen Vertretung führ ten. Mit besonderer Wärme wußte der Vortragende ein Bild der hervorragendsten Führer der Zentrumspartei zu entwerfen und die jetzige Generation auf jene unerschrocke nen Kämpfer hinzuweisen. Im zweiten Teile verbreitete sich der Redner über die Aufgaben der katholischen Bevölke rung, die, fern von jeder kleinlichen Nörgelsucht, das Auge auf das Wohl des Ganzen richten und für die gute Sache auch Opstr zu bringen bereit sein müsse. Insbesondere seien ein Leben »ach den Grundsätzen und Lehren der heil, Kirche, Anschluß an das katholische Vereinsleben, sowie daS Halten einer Zeitung, die unsere berechtigten Interessen jederzeit vertritt, die besten Mittel, um uns auch in Er füllung unserer staatsbürgerlichen Pflichten den rechten! Weg zu weise». Anhaltender Beifall lohnte den Redner für seine trefflichen Ausführungen. Nach Erledigung eini ger geschästlicl)er Angelegenheiten schloß der Geschäftsführer mit Tankcsivorten an den Redner und die Anwesenden di« anregend verlaufene Versammlung. 8 Meißen. Tiotz des schonen Welteis eisreute sich die tetztsoimläickge Velsammliwg dis Volksvereins für das kathol. Deutschland einer außerordenckich guten Be teiligung. Herr Neichsgenchtsrat Burlage, der erste Redner des Abends, schöpste aus dem Vollen und teilte mit warm-m Herzen mit. Ei hat alle Anwesendcu von neuem begeistert, als kathol. Männer und Frauen den ihnen zu- kommenden Standpunkt im Strecke der Z it einzunehmen» nii» ausznharreu gegenüber den gewaltigen Angriffen des Unglaubens. Gründlich wurden die Angriffe der Gegner ans den lctzten Zeiten abgetan. W e dem verehrten Herrn Reichsgerichtsrat so wurde auch dem zweiten Referenten» deni Herrn Schuldsten or Schönselöer, reichlicher und be geisterter Beifall für seine klaren, zahlcnmäßig belegten Ausführungen ans dem Leben der Schulgememde zuteil. Als der schönste Lohn mag es den beiden liebenswürdigen Henn Redneni erschienen sein, daß der Geschäftsführer »nd die Vertrauensmänner am selbigen Abend zwölf neue Mckgliedci in ihre Licken eintragen konnten. Mehrere Abonnenten wurden auch der „Sächsischen Volkszeitung" zugesührt. Die Sck.rifNn de« Nolksvereins, die von den eckrigen V-utcanenrmänner» angiboien wurden, fanden guten Abiah Sport. Sport ans der Internationale» Hhgikncansstkllung. Tie Gruppe A n g eln und Fi s ch erei der Sport-Aus stellung ist als erste fertig gestellt worden. Ein Hecht von! .86 Pfund Gewicht und eine achtpfündige Forelle werden be sondere Ansmerlsanikeit erregen. Um die Ausstellung haben sich der Deutsche Anglerbnnd und der Dresdner Anglerklub Verdienste erworben. Dresden. 220 Rodlerinnen und Radler hatten sich, am Sonntage zur ersten Gcinwanderfahrt eingefunden« Pom Start am Großen Garten ging die Fahrt in einzelnen Gruppen nach Pirna, wo im Schützenhause Frühstück und Treffen mit den Pirnaer Vezirkskameraden nngefetzt war. Tie Weiterfahrt nahm ganz programmäßigen Verlauf« Einige recht hübsche Stunde» wurden in Bad Schweizer- mühle verlebt. Von dort ging es durch das prachtvolle Bielatal nach Königstein. Wenn auch die Straßen durch inzwischen eingetretenen Regen etwas gelitten hatten, so trennten sich doch die Wanderfahrer in Pirna im frohen — lO — Bevor er antworten kann, befällt sie ein Hnstenanfall, der ihre Brust erschüttert. Zärtlich-besorgt klopft er ibren Rücken: „Ter Tenkzettel von Nijmegen quält dich, Fräuke." Sw lächelt, aber es ist ein Lächeln, wie wenn die Sonne über eine Winterlandschaft geht: traurig, wehmnterweckend. ..Solang' ich huste, Henn, bin ich noch dabei." Er kann den Ton nicht vertragen und will durch Scherzen darüber weg. „Morgen ist Schützenfest. Mutter. Ta gibst mir einen Walzer draußen im Schützenhaus. Tic Leute sollen sehen, daß der alte Schipper und seine Frau noch tanzen können. Abgemacht?" Diesmal lacht sie herzlich: „Tu alter Geck wärst fähig dazu, aber daraus wird nichts. Was sollte die Lena sagen, zu solchen Streichen ihrer Mutter!" Henn Hemskerk ist zufrieden, daß sie gelacht hat. Schützenfest in Wesel! Ein Bürgerfest, dessen sich die Stadt rühmt vor ihren Schwestern am ganzen Rhein. Stolz zeigt der Weseler seinem Gast- freund die Stadt im großartigen Festschmnck. zeigt ihm das in gärtnerischen Anlagen reizend liegende SchützenhauS vor der Stadt, zeigt ihm das schmuck,' Schützenbataillon in Wehr und Waffen unter den Klängen zweier RegimentS- kapellen, zeigt ihm des Festes Ehrengäste, unter denen der Minister Freiherr v. Rheinbaben und der Oberpräsident der Rheinprovinz selten fehlen; und wenn das alles noch keinen Eindruck gemacht hat, dann läßt er ibn das Fest c inmal regelrecht mitmachen — und er ist seines Triumphes sicher. Schützenfest in Wesel! Wenn Ende Juli jeden Jahres Sonnabend abend der Zapfenstreich durch die Straßen geht, legt der Schmied lein Schurz fell für eine kleine Woche beiseite, der Bäcker bockt nicht, der Metzger schlachtec nicht, die Läden sind leer, alle Arbeit ruht. Ein fleißiges Völkchen wohnt in der niederrheinischen Grenzgarnison, das rechtschaffen und nüchtern das ganze Jahr im Schweiße des Angesichtes wirkt; in den Schützentaaen aber wirft es den ganzen Lebensernst in die Ecke und stürmt in einen fünftägigen Feiertag. Bumtara, bumtara . . . schwingt ferner Trommelton. Manes Olischlager, Kolonialwaren, steht hemdärmelig vor der Türe feines Lodens auf dem Entenmarkt, steckt die Nase bald rechts, bald links in die Höhe und zieht die Luft ein: er riecht Wetter. Manes' Riechorgan — es bat eine anständige Größe — ist nach seiner Ueberzeugnng zuverlässiger als der Laubfrosch im Glas, der Schäfer auf dem Felde und das Barometer beim Uhrmacher; seine Nase entscheidet ebenso sicher das Wetter, wie sie Kaffee und Käse klassifiziert, und sie entscheidet mit absoluter Bestimmtheit der sich die Seinigen beugen wie einem Evangelium: wenn Manes auf Grund feiner Nasen-Meteorologie Regen prophezeit, ziehen Grittje. seine krinolinenrunde Gattin, und Minna, seine ebenso rundmollige Tochter, den Regenmantel an. mag auch die Sonne am blauen Himmel stehen. Regnet'S dann doch nicht — was von hundert Fällen in fünfzig eintrifft — dann erleidet seine Wetter- cutorität keinen Stoß; dann hat in den höheren Regionen etwas nicht ge- stimmt und es war ein kritisck^r Tag erster Ordnung, der sich normaler Beobachtung natürlich entzog. In dem Augenblicke öffnet sich die Tür und zwei Männer in den dreißiger st.cknen treten mit kurzem Gruße ein. Ter eine, vom Wirt als Gert van Moolen begrüßt, ist nnzweifelha-t Schisser von Beruf, die wetterbranne Wange wie Nock und breitrandiger Hut weisen darauf bin. Ten Holländer verraten Gang und Benelnnen. Breit st'»: w nimmt er an eine,» der Tische Platz. Tas Gesicht ist nicht häßlich. Und dock- nimmt der Mann ans den ersten Blick gegen sich ein, wenn auch nicht die enti eilende, große Narbe auf der Stirn wäre. Die unruhig flackernden Augen und der unangenehme Zug »m die Mundwinkel lassen zur Genüge erkennen, daß er der beste Bruder nicht ist. Ter zweite Gast ist der Nachbar Maurermeister Friese, ein lebhaftes Männchen, das ständig aufgeregt mit der Hand hernmfnchtelt, wie ein Wind- wühlenflügel. Auch jetzt fährt er in der Lust herum und räwnniert über d.rT Wetter. „Bring den Knobelbecher, Henn! Was kann man bei dem Wetter anders machen!" Gert txiii Moolen ist zum Spielchen bereit, und die Würfel klappern ans dein weißgefchenerten Tische. Lena bringt den verlangten „Genever". Als sie das Glas dem Hollän der hinietzt, lacht der sie zudringlich an. Ohne Notiz davon zu nehmen, kehrt sie hinter den Ansschank zurück. Gerts Blick folgt der schlanken Gestalt des Mädchens, das den Kopf stolz irlwbcn hat. Mächtige Wellen Brannhagr nmflnten dessen Haupt, die große Sti n ist reinweiß, unter den langen Wimpern schauen zwei braune Augen tim und klar wie ein Bergsee, und der feingefchnittene Mund läßt beim Spre chen durch zwei korallenrote Lippen die weißen Zähne blitzen. Tas Mädchen ist schön. Aber was mehr wert ist. Reinheit deS Herzens und Adel der Gesinnung sprechen ans ihm und weben nm die Gestalt einen liebreizenden Zauber. Das Mädchen ist schön, sagt auch der Blick Gert van Moalens, der ihm (olgt. Er ist nur halb beim Spiele. Immer wieder schielt er zur Seite nach dem Ausschank, wo Lena über ihre Arbeit gebeugt sitzt. Das gleichförmige Klappern der Würfel wechselt init dem Pfeifen des Windes draußen, dessen Kraft sich verstärkt hat. Trotz seiner Gleichgültigkeit ist der Holländer i»i Glück. Das Geld häuf! sich bei ihm, und sein Gegenüber muß wieder und wieder in die Tasche greifen. — Ein Glas Genever folgt dem anderen. „Ums Ganze!" fordert Friese. Gert nickt. Die Würfel rollen. ,6. 6, 5>!" ruft der Maurer ansatmend. Gert kippt den Becher um: . 6, 6, 61 — Gewonnen I" Mit einem Fluche springt sein Spielgegner auf. Kc.ltlächelnd streicht der Gewinner das Geld ein. „Hast Pech, Friese!" tröstet der Wirt, „hör für heute auf!" x 5 Ueber Wasser. 1