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Aus Stadt und Land. —* Eine moderne Rotte Korah." Unter diesem Titel bespricht die Lutherische Rundschau in ihrem Oktoberkieft die Verhandlungen des Protestantentages. Das orthodoxe Organ zeigt sich über die Hauptredner sehr auf geregt und bemerkt unter anderen: „Gegen diese Läste rer im Talar und auf der Kanzel waren der alteKohra und seine Rotte unschuldige Waisen knaben. Nach der Schrift sind D i e b st a h l und Tot- schlag kleine Sünden gegen diese Verwerfung und Lästerung seines heiligen Gottes und seines eingeborenen Sohnes. Darüber kann sich Tr. Fischer be ruhigen, die Offenbarungswelt wird in Ewigkeit nicht Per sinken, aber wohin er einmal versinken wird, darüber nach- zndenken, dürfte für ihn an der Zeit sein. Wir wünschen nicht, daß diese Korahiten von der Strafe jener Rotte ereilt werden, sondern daß Gott ihnen Raum gebe zur Buße und Erkenntnis ihrer greulichen Sünde. Aber eins wün schen und fordern wir immer dnngender, daß die Kirchen- bebörden solche Geistliche und Lehrer vom Lehramte entfernen. Wie will der^Prenßische Kul tusminister es verantworten, wenn er leidet, daß der Pro fessor Dorner in Königsberg solche heidnischen, re ligiös völlig wertlosen, der Bibel und den Bc- kenntnisschriften Hohn sprechenden Gedank e n vor theologischen Studenten vorträgt? Womit will der preußische Obcrkirchenrat sich vor Gott und Menschen recht fertigen, wenn er leidet, daß solche Geistliche, wie Tr. Fischer, eine christliche Kanzel besteigen und die Sakramente verwalten, wozu dem Manne jegliche innere Festigkeit fehlt? Wenn diesen Leuten in ihrer Feindschaft gegen das C h r i st e n t n in das Geiübl für das Unrecht, das sie gegen ihr Ordinationsgelübde, gegen die Gemeinde und gegen alle Ehrlichkeit begehen, abhanden gekommen ist, so haben die Kirchenbehörden schon nm der ganzen äußerlichen Forderung des Anstandes und der Ehrlichkeit willen die Pflicht, sie nicht ans einem Platz zu dulden, wohin sie nach den ganz gewöhnlichen Grundsätzen der bürgerlichen Moral nicht gehören." - Diese Worte klingen ganz anders als jene, welche wir in Nr. 241 über die Reden des Dr. Fischer und Professor Dorner brachten. Hätten w i r so geschrieben, so würde sich das Wort „Hetzer" an unsere Fersen gehängt haben. Wir betrachten die Sache immer viel ruhiger, als der gläubige Prot e st a n t s e l b st es tut. Leider, sind das lauter vergebliche Klage- und Scheltworte. Tie Protestantenvercinlichen Geistlichen werden unangefoch ten weiter lehren und predigen, wie bisher, denn in der pro testantischen Kirche herrscht trotz aller Einwürfe der Ortho doxen Gleichberechtigung der Meinungen und „freie For schung. Dr. Fischer darf ruhig gegen die Anbetung Christi polemisieren und den Heiland als einfachen Menschen, der sogar der historischen Größe entbehre, bezeichnen — schließ lich werden seine Gesinnungsgenossen und die der „Luthe rischen Rundschau" doch Arni in Arm nach Böhmen pilgern, um den armen gottverlassenen „Römischen" das „lautere Evangelium" zu bringen. ^V. ' In der letzten Stadtverordneten sitzung lag zunächst ein Schreiben des Allgemeinen Handwerkerver eins vor. in welchem dieser um Abschaffung der Jahrmärkte in Dresden ansucht. Das Schreiben wird an den Rat ab gegeben. — Herr Stadtverordneten - Vizcvorsteher Rektor Dr. Schladebach bittet mit Rücksicht auf seine er folgte Wahl zum Rektor der Dreikönigschule nm Entlassung aus dem Amte eines Stadtverordneten. Das Gesuch wird bewilligt. — Das Kollegium be willigt für die Ausführung des Rathausneubaues die erste Teilzahlung in der Höhe von Ol) 000 Mark. — In einer De batte über die Zulassung sozialdemokratischer Wahlgelnlsen wird betont, daß man die Sozialdemokratie nicht auf Kosten alter erprobter Leute zulasscn könne. — Zur Herstellung einer Ueberpumpanlage mit Wasserhochbehälter in Räcknitz werden 111 840 Mark bewilligt. - Auch die Mitteilung des Rates, daß er beschlossen habe, von der Ausführung der Er weiterung des städtischen Ausschiffungsplatzes bei Antons abzusehen, rief eine lebhafte Debatte hervor. Die Entschei des Finanzministeriums und des Elbstromamtes sind hier bei ausschlaggebend genasen. Das Kellegium nimmt Stel lung gegen diese beiden Erklärungen und Herr Oberbürger meister Beutler verspricht die Angelegenheit weiter zu ver folgen, und sie eventuell dem Landtage vorzulegen. * Die „ V e r e i n i g t e n Elbschissahrt s g e sell schäften" schreiben uns: Nachdem die im Verlause der vorigen Woche bestandene» Stockungen des Elbschiff- sahrtsbetriebes teils ans der böhmischen Elbstrecke bei Tich- j lowitz. teils aus preußischem Gebiete bei Wesnig nach mehr tägiger Tauer überwunden wurden, hat sich Anfang dieser ^ Woche auf anhaltischer Stromstrecke zwischen Coswig und ! Vockerode ein neues Hindernis gebildet, wodurch der Ver- i kehr einen abermaligen, heute noch nicht abzusehenden ! Aufenthalt erleidet. Das mit der neuerlichen Verschlechte- ^ rung des Elbwasserstandes im Zusammenhang stellende Hin- ' dernis zeigt, unter welchen erschwerenden Umständen der i gegenwärtig beschränkte Betrieb aufrecht erhalten werden i kann und ist gleichzeitig der beste Beweis dafür, das; die ! Ausnahme des regelmäßigen Betriebes vor Eintritt günsti ! gercr Zustände außerhalb des Bereiches der Möglich- ! teit liegt. * Die wegen Beleidigung des Baut; n e r I Ossi z i e r t o r p s zu längeren Freiheitsstrafen, vernr- > teilten Redakteure der „Dresdner Rundschau" und des „Be- ^ obachters an der Elbe", Karl Mütter und Stein, sind von dem Amnestieerlaß des Königs nicht betroffen worden. —* Hier treibt sich ein Schwindler herum, vor dem gewarnt wird. Er nennt sich Bantbuchhalter Mar Boder aus Sora» und bittet um Unterstützung zur Heiin- i reise, wobei er Empfehlungen hiesiger Personen tBeamter, ! Geistlicher, Kommerzienräte) ans Briefbogen und Visiten karten vorlegt. Man lasse sich nicht täuschen, die Karten I sind gefälscht oder sonst auf unredliche Weise erlangt. Es i wäre sehr erwünscht, wenn der Schwindler festgenommen ! und die Polizei, die nach ihm fahndet, benachrichtigt würde. ' Ein hiesiger Postschaffner lxit an seiner Frau, mit ! welcher er in fortgesetztem Hader lebt, einen Bergsf- tungsv ersuch gemacht. Er schüttete Arsenik in ihr Mittagessen. Das Gist verursachte jedoch nur ein vorüber gehendes Unwohlsein. Ter Mann wiederholte den Versuch mit dem Nachmittagskaffee. Diesmal war die Frau vor sichtig und ließ den Kaffee chemisch untersuchen, wobei fest- gestellt wurde, daß man mit einer derartigen Portion Gift einige Menschen hätte vergiften können. Ter Täter wurde verhaftet. Er behauptet, daß er das Gift von einem umherziehenden Kammerjäger gekauft habe. * Ein Straßenbahnwagen hat aus der Ei'eubahnstraße in Neustadt einen 17 jährigen Lehrling nie- dergestoßen, wobei dieser einen schweren Schädelbruch er litt. Ter Wagenführer ist schuldlos. * Rosa L u r r m durg begnadig l. Vau der sächsischen Amnestie winde auch die Genossin Rosa Lnr.m- E bürg betroffen. Gleit» nach Beendigung der- intern ü.enaleu Kongresses mußte Genossin L iremd.irg die :hr wegen Majestätvbelridig! ng zmikain te Sne.se von Monaten Kesiingnis in Zwickau > nlrelcn. „Ce wer i'. r incht ver gönnt. den Kelch bis zur Neige anszickcstcn; am Tien-ktag vormittag winde sie gleich anderen Vertrecteiu vor die Tür gesetzt." ichreiht der ..Voiwäns" hierzu', une wundert nur, daß die ,.g a ck e r n d e H e n n e" - wie sie V o ! I - m c> r nannte -- die Begnadigung übe,tzanpr ang. nominell bat und nicht wieder Einlaß ins Gesängu'S begehrte. Vielleicht schreib: dir ..rote Rosa" nun Memoiren üller ibren Getängnisansciihalt. D.e Rivssoiisten werden recht böse ans die sgchsi'che Ainnest e sein: sie hotten dort eine Zeitlang Ruhe vor der ul:rarad>ta!ci> g.st nvd go.lle- peiei'deu Dome. i?s," Tharandt. Am 1. November vormittags '-12 Uhr findet der Nektorwcchsel an der Forstatademie in öffentlicher Feier statt. Leipzig. Dem Van des Völterschlachtdentmals wird fortgesetzt ein überaus großes Interesse entgegengehracllt. Tie verschiedenen Zngangsstraßen boten an, vergangenen Sonntag das Vild einer Wallfahrt, denn zirka 30 000 Per sonen besuchten die Baustelle. Lripzig-Plagwitz. Bei Ausführung einer Reparatur an der Dampfleitung stürzte gestern vormittag in einem hiesigen Fabritetahlissement der 30 Jahre alte Schlosser Ebristian Rudolph von einer Leiter herab. Ter Unglück liche erlitt so schwere innere Verletzungen, das; er kurz nach der Einlieferiing ins Stadttrantenhans starb. Chemnitz. Ter Neubau unserer Produktenbörse soll ain 4. Januar 1007» eingeweibt werden. Zwickau. Das hiesige Bürgermeisteramt soll neu be setzt werden. Bewerbungen sind an den Stadtverordneten vorsteher Herrn Baumeister Wolf zu richten. Crimmitschau. Das 13 jährige elternlose Mädchen Pohlers von hier bat in einem Hanse ii» benachbarten Nen- schweinsbnrg, wo sie in Pflege war, an einem Tage zwei Brandlegungen versucht, die glücklicherweise ii» Entstellen entdeckt wurden. Planen i. V. Der Sekretär Fried des hiesigen Stadt theaters ist seit vorigen Donnerstag spurlos verschwunden. Reichenau. Wir entnehmen der „Zitt. Morgenztg." — 02 — trachtete ihn als eine Eingebung Gottes, sich dahin zu begeben, wo ilnn das göttliche Licht des Gedächtnisses ciufgehen sollte. Herr Schermann bemerkte wohl die zunehmende Unruhe seines Freun des, doch er sprach nicht darüber, sondern sab stillschweigend einer Mitteilung des gefaßten Entschlusses entgegen. Dieselbe lies; nicht lange ans sich warten, denn eines Tages trat Holdsworth vor ihn hin und sagte: „Herr Schermann, ich fühle mich Ihnen gegenüber des schwärzesten Un dankes schuldig, weil ich den Wunsch hege. Sie zu verlassen: aber wich verzehrt die Sehnsucht, nach England znrückznkehren und ich kann ihr nicht länger widerstehen. Gott weiß, ob ich nicht einen törichten Schritt tue, indem ich freiwillig einen so gütigen, lieben Freund verlasse, indessen was bedeutet diese Unruhe, die mich beherrscht? Täte ich recht, meine Augen gegen sie zu ver schließen? Ist sie nicht zu irgend einem Zweck in mich hineingelcgt, der nur erreicht werden kann, wenn ich ihr gehorche? Ich weiß nicht, was mich treibt, Sic zu verlassen, aber das fühle ich bestimmt, daß ich nur in England das wiederfinden kann, was meine Vergangenheit Wertvolles für mich enthält." „Wenn Sie fest davon überzeugt sind," antwortete Herr Scherinann, „so tun Sie recht, Ihrem inneren Triebe zu folgen. Auch ich glaube, das; hier, in einem fremden Lande, wo Sie nur von Menschen und Gegenständen um geben sind, die zu Ihrer Vergangenheit unmöglich Beziehung haben tonnen, sich Ihnen wenig Aussicht zu völliger Genesung bietet. Es tut mir leid — sehr leid — Sie zu verlieren, Herr Hampdeu. aber auch ich erblicke in der plötzlich über Sie gekommenen Sehnsucht die Hand der Vorsehung und so will ich Gott bitten, Sic auf Ihrem Wege zu segnen und Ihnen Ihr Eriiiueruiigs- vermögen wiederzugeben." Nachdem dieser Entschluß gefaßt war, wurde er auch bald ausgesübrt. Herrn Schermauns Ermutigung batte Holdsworths Wünschen neue Kraft ge geben und er fand beinahe keine Ruhe mehr. Zehn Tage nach dem eben er wähnten Gespräch segelte ein Schiff, der „Wellington", nach London. Es hatte viele Passagiere, aber eine Salonkabine war noch frei und diese belegte Herr Schermann für seinen Freund. Doch blieb seine Güte hierbei nicht stehen. Ein paar Tage, ehe das Schiff Sydney verließ, fragte er Holdsworth, ob er sich etwas Geld gespart hätte, und als dieser hierauf 400 Pfund Ster ling angab, fuhr er fort: „Schön, das wird Ihnen eine Zeitlang durchhelfen. Dr. Marlow, ein Freund von mir, begleitet eine Dame nach England. Ich habe ilnn Ihren Fall auscinandcrgesetzt und Sie seiner Sorge und Aufmerksamkeit empfohlen. Er ist geschickt und in der langen Zeit engen Beisammenseins wird er Ihnen vielleicht nützlich sein können. Und nun erweisen Sie mir noch die Gunst, dies kleine Päckchen als Andenken anzunchmen — öffnen Sie es. bitte, jetzt nicht. Es ist ein kleines Geschenk von meiner Schwester und mir. Sie werden meine Adresse darin finden, welche Sie erinnern soll, uns von Zeit zu Zeit zu schreiben, denn niemand auf der Welt kann mehr Teilnahme und Interesse für Sie empfinden als wir. Vor allem aber vergessen Sie nie. daß, wenn Sie jemals einen Freund brauchen. Ihnen zwei warme Herzen in Sydney schlagen, die sich glücklich schätzen würden, wenn sie Sie einst wieder willkom men heißen dürften." Das Päckchen enthielt Banknoten im Werte von 300 Pfund Sterling. 80 — Ter Ziinmermann schwang de» Hammer und mit ohrzerreißeudem Ge räusch tauchte das mächtige Eisen ins Wasser hinab und riß das gewaltige Kabel rasselnd hinter sich durch die Kliffen. Das Schiff drehte sich langsam herum und lag dann fest. Tie Matrosen gingen an das Einrollen der Segel und ans dem Hinterdeck drängten und stießen sich die aufgeregten Passagiere welche streitend und lärmend ihre Sachen ziisanimensiichten. Eine Menge Boote, große und kleine, schossen heran: eines suchte dem anderen zuvor zu tominen: wie Stricke traten den den Leuten die Adern aus Gesicht und Armen hervor. Kannibalen, die in leichten Känocs ans ver steckten Buchten einer unerforschten Insel hervorschießen, können nicht wilder, schneller und raubgieriger ans die verhaßten Eindringlinge losstürzen, als hier die Gravesender Fährleute ans dieses, soeben von Australien kom mende Schiss. Bald waren viele Bootffihrer ans dem Ouarterdeck, ganz unverschämte Preise sür die ttebersahrt fordernd. Trotzdem wnrde man aber bald einig. Kisten und Kasten verschwanden in de» Booten, »nd einzelne, sehr er regte Zwischendeckspassagiere bahnten sich init so energischen Ellbogenstößen den Weg nach der Fallreepstreppe, als wenn es gelte, ihr Leben zu retten. Kinder schrieen, Franc» zankte», Männer gestikulierten heftig und bedrohten einander. Endlich löste sich der Wirrwarr und die mit Menschen und Gepäck stücken überladenen Boote stießen eines »ach dein anderen ab. Immer von neuem aber kehrten sie wieder, nin ihren Beutezug zu vollenden. Zn den zuletzt das Schiss Verlassenden gehörte Holdsworth. Er schüttelte einei» sonnverbrannten Mann in blauem Tnchrock und vergoldeten Knöpfen mit Wärme die Hand. „Leben Sie wohl. Kapitän!" „Ja, lebe» Sie wohl, Herr Hampdeu," tönte eS in treuherzigem Tone zurück, „herzlich wohl: Gott lasse Sie ans Englands Boden bald das wieder finden, was Sie bisher vergeblich gesucht haben. Ich bleibe drei Monate hier »nd würde mich aufrichtig freuen, wollten Sie mich in der Zeit einmal be suchen: im Easü Jerusalem bin ich jederzeit zu erfragen. Also ans Wieder sehen und hoffentlich unter Ihrem nxibren Namen, was gleichbedeutend sein wird mit Ibrer Genesung." Tie beiden Maats und einige Lebrlinge drängten sich lüeraus heran, ihm zum Abschied die Hand zu reichen, dann stieg Holdsworth in das Boot und fuhr nach Gravcscnd. Von dort reiste er. nach einem eilig eingenominenen Mittagessen, sogleich mit der Post weiter nach Sontbwart. Wir verlassen ihn hier, nm einen Blick ans die von ihm in Australien verlebte Zeit ziiriickznwersen. Nach der Ankunft der „Iessie Marwcll" in Sidney nahm Herr Scher inann Holdsworth mit sich in sein Hans und bat ilm, sein Gast zu bleiben, so lange cs ilnn gefiele. Er stellte ihn in seinem Kontor als Bnchlnilter mit einem Iahrcsgchalte von 7,000 Mart an, was zu jener Zeit in Australien durckxins keine übermäßige Bezahlung für den Posten, sür Holdsworth aber sehr günstig war, da er neben dieser Bareinnabine noch freie Wolmnng und Kost hatte. Herr Schermann war Witwer und ohne Kinder. Eine unverheiratete Schwester, die ilmi sowohl im Aeiißcrcn, wie im Charakter io ähnelte, wie ein Ei dein anderen, führte seinen Hausstand.