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Sonntag, den 15. November 1925. Nr. 264. Seite 12 das einzig Notwendige, die Orientierung des Geistes und Willens an den Grundwahrheiten des Glaubens, zu ver lesen, nicht aus aktionsmüder Beschaulichkeit, sondern um die Grundkräfte zur allein aussichrsvollen Aktion an der We'.t zu schöpfen. Der deutsche Katholizismus würde in d e ein Falle nichts anderes lun, als was jeder Einzelne zuweilen tun muß, wenn sein religiöses und sittliches Leben nicht verkommen soll — in sich gehe», Selbstprü fung halten und d e lebendige Beziehung zu den geisti gen Grundlagen seines Lebens wieder Herstellen. Mir einem Wort: der deutsche Katholizismus würde einmal Ererzitien mache». Das dürste, für den Augenblick wenig stens, notwendiger und er'prießlicher sein, als das A»f- stellcn weitgehender Kulturprogramme und Las frohlockende Genießen der von gesegneteren Geschlechtern aus leben digerem Glaubensgeist heraus geleisteten Kulturarbeit. Wir Prassen alle noch zu gemütlich aus den Schätzen unierer Ahnen. Selbstverständlich darf und muß eine alt adlige Familie, wie es unsere katholische Volksgemein- schci'r in Deutschland ist, ihres kostbaren Besitzes >roh ge nießen. Sie wird mit dankbarem Blick und froh ge nebener Haliung durch ihre angestammten Räume schreiten. Aber wenn ihr alle Schätze und Werte der Väter »och w rli ch lebendig sind, wird sie sich bemühen, sich ,nner- lich zum seelischen Adel jener schöpferischen Zeit empor- zublden. M ' i pocht immer so auf d:e Kultur des Barock. Die F ^.ge, ob und worin der Barock uns heute, mindestens im Ncligiö en. noch lebendig ist, verlangt eine methodische Um kehrung: ist unser Leben noch den Varvckformen entspre chend? Drückt der Barock eine Gleichung für unsere seelische .'Haltung aus? Oder ist er wenigstens noch ein letztes Anregungsmittel für unsere matten, müden, weder zu großem Wollen, noch zu hohem Erkennen fähigen Gei ster? Auch das wäre noch eine Art von lebendigem Barock! Oder ist er nur noch ein verstaubtes, wirk lich barockes, d. h. fremdartiges Gehäuse für unser Evi- goncn.'eben, das uns noch äußerlich umschließt, wie ein schönes, altes Schloß d:e vielleicht geschmacklosen Nach kömmlinge großer Geschlechter oder die festlichen Räume e ner hochsürstlichen Reichsabtei einen kleinen Mönchskon vent. der nichts mehr von den Aufgaben und Z.elen her 'e:r ahnt, die jene herrlichen Stntsräume türmte? Sind '> e c Fragen wirklich schon beantwortet? Wohl kaum: Sie finit auch wohl kaum positiv zu beantworten, wenn wir den Mut zur Ehrlichkeit haben. Wir sind ja alle so k'e.n und gedrückt, so fern von geistiger Weite, von glühen de: Begeisterung, von heroischer Haltung. Wir sind weder Märtyrer »och Bekenner — es sei denn höchstens in Festreden und feierlichen Tagungen. Demonstrative Kraft- lc üuugen haben wir, wie unsere ganze Zeit, die alles ins Große äußerlich organisiert. Aber wir haben nicht d e Spur von großer innerer Haltung, von Stil, was nichts anderes heißt als aus dem Inneren kommende Gestal- !!>IIIi!I!IIII!I!!!II>III!I!IIIIIIIIIIII!IIIItt Vi!I!I!IIIWIlIIIIIIIIIIII!IM tungskraft. Darum ist unser Pochen auf die großen Lei stungen der Vergangenheit so unberechtigt, auch >o völlig unfruchtbar. Es schadet aber wirklich nichts, wenn jetzt die Dilettan ten und Kulturoptiinisten die Ernüchterung und Ermat tung befällt, die vorauszusehen war. Das Zurückebben der katholischen Bewußtseinswelle ist soweit ein Segen, als d.eie Welle „geistige Inflation" war. Und das war sie l, hohem Maße. Möge an ihre Stelle ernste Selbstbe sinnung und schöpserische Vertiefung treten! Dann erst kann es Frühling werden." Der deutsche Luther Von Dr. Waldner. Man mag zu Luthers Persönlichkeit stehen wie man wolle — eins bleibt historische Tatsache: die Reformation hat das kostbare nationale Gut des deutschen Volkes, die Einheit im Glauben, zerstört. Wir wissen heute, was das für ein Volk be deutet. Die besten Kräfte sind aus dieser Wunde verströmt. Wir zerrieben und zerreißen uns noch heute in innerem Hader. Geheimes Mißtrau.'» lähmt den edelsten Willen. Wir Dcuriche kommen nicht mehr ganz zueinander, weder in Zeiten gemein sam erlebten Glückes noch in den bitteren Tagen nationaler Not. Ein Schicksal von erschütternder Tragik. Schiverleidende gewöhnen sich manchmal an ihr- todbrin gende Krankheit. So haben auch wir Deutsche uns an unser Schicksal gewöhnt. Nicht sofort, vielmehr hat es lange Zeit ge dauert und unerhörte Opfer gekostet, bis der Gedanke dec bür gerlichen Toleranz zum regelnden Prinzip sür das Verhältnis der Konfessionen zueinander erhoben wurde. Heute stützt der moderne Staat durch seine Gesetzgebung dieses Prinzip und garantiert den „Frieden der Konfessionen". Ist es ein wirklicher und dauerhafter Frieden? Ist die Glut konfessioneller Leidenschaft ganz ausgelöscht? Jahre, oft Jahrzehnte lang scheint es so, bis die in den Tiefen heimlich schwelende Glut die trügerische Decke jäh durchbricht. Dann lodern, wie im Kulturkampf, die Flammen konfessionellen Hasses hoch auf. Wir leben wie auf einem Vulkan. Wer ein scharfes Ohr hat, kann das unterirdische Grollen hören, bald stärker, bald schwächer. Da ist es eine aggressive Rede, ein Manifest, ein Buch. „An Nom sterben die Völker." „Der Katholizismus ist der Todfeind deutschen Wesens." Und wie diese Wendungen lauten. Man protestiert gegen Oraensniederlassungen, gegen die Errich tung der Nuntiatur in Berlin, gegen die Verücksichligung katho lischer Bewerber in höheren Beamtenfiellen usiv. Auf den Umstand, daß der heutige Protestantismus inner lich verfallen und hilflos sei. kommt cs nickt so sehr an. Heute werden die dem gegenwärtigen Protestantismus mangelnden religiösen Triebkräfte durch Triebkräfte ganz anderer Art ersetzt. In unserem Volk brennen unzählige Fieberbrände: wirtschaft liche Not, soziale Unzufriedenheit, nationale Verbitterung, partei politischer Hader, Groll, .Haß, Leidenschast. All diese gärenden Instinkte suchen ein Ventil. Aus dem „Nieder mit den Kapita listen" und „Schlagt die Juden tot!" kann sehr schnell der Kampfruf „Ecrasez l'infame!" werden. Die Geschichte kennt solche Beispiele. Und so wird es uns deutschen Katholiken niemand ver argen dürfen, wenn wir dieser latenten Gefahr gegenüber wach sam bleiben, wenn wir >eden eklatanten Versuch eines Miß brauchs religiöser Gefühle schärfster Kritik unterziehen. Daß eine solche Kritik aus Notwehr kein Angriff ist, dürfte wohl jeder billig Denkende einsehcn. Es wäre darum ein gänzlich unbegründeter Vorwurf, wollte jemand das neuest: Buch von .Hartmann Grisar „Der deutsche Luther im Weltkrieg und in der Gegenwort" jHaas u. Grabherr Verlag, Augsburg. Preis gcb. 10 Mk.) einen Angriff auf Luther oder den heutigen Protestantismus nennen. Es ist vielmehr eine Abwehr, zu der den Verfasser nicht nur sein histo risches Gewissen, sondern noch mehr seine Liebe zum deutschen Volke gezwungen hat. Als Historiker mußte der greise Gelehrte, der fast sein ganzes Leben reformationsgeschichtlichen Forschungen g.'w'dmet hat, Verwahrung dagegen einlegen, wie man während des Welt krieges mit allerlei unwissenschaftlichen, ja demagogischen Mit teln die Gestalt des historischen Luthers Ins Heroische und Mythische zu steigern versuchte. Zeitlicher Anlaß zu dieser Mtzthisi:rung war das Lutherjubiläum 1917. Die tiefer liegende Ursache aber war der Wunsch. Luther zum Heros des damals noch siegreichen deutschen Volkes zu machen. Mit wissenschaftlicher Objektivität zeigt Grisar an der Hand eines erdrückenden Materials von Aussätzen, Zeitungs artikeln, Reden und Büchern di: einzelnen Stufen des Mythi- sierungsprozesses auf. Der liberale Protestantismus prägt das Schlagwort vom „deutschen Luther" sErich Brandenburg. Mareks, K. Müller. Otto Baumgarten). Durch Luther Hai der „deutsche Genius selbst gesprochen" (H. von Schubert). Luther sei die „Verkörperung des Deutschtums" (P. Schreckenbach). Der Rostocker Theologieprosessor M. Walther gibt eine Schrist heraus mit dem Titel „Deutsches Schwert von Luther geweiht". Gedichte und Dramen feiern Luther als Wegweiser zu deuischsr Größe. Ja. man versucht sogar den Weltkrieg zu einem Reli gionskrieg zu stempeln. Es gab ehrliche Protestanten, die vor diesen, den katho lischen Volksteil kränkenden Auswüchsen in der Lutherver- ehrung warnten (die Professoren K. Breysig, Heinrich Böhmer, Martin Schian, Martin Rade). Aber diele Stimmen verhalten. Man stand einer förmlichen Massensuggestion gegenüber. D:r Lutherenthusiasmus steigert sich in vielen Fällen zu Angriffen gegen die katholische Kirche, „den bösen Feind". Grisar gibt schlimme Proben dieser feindseligen Gesinnung. Die Phraseolo gie der N.'sormationszeitpolemik scheint wieder das Feld zu be herrschen. In einer Schrift „Der neue Idealismus" schrieb der Chemnitzer Professor Dr. Otto Müller „Er — der Pfasse — ist vor nichts zurückgeschreckt, auch vor Verbrechen, Mord und Blutvergießen en gros nicht. Nichts war ihm heilig, weder das Recht des einzelnen noch der Familie, noch der Gesellschasl, noch des Staates . . . Ein protestantische Kaiser an der Spitze einer protestantischen Nation . . . usw. usw." Das Buch wurde später von der Zensur verboten. Der deutsche Protestantismus verkündete 1917 fl), es sei an der Zeit, „wider die dunklen Mächte der Knechtschaft zu streiten". Man erschrickt vor der Geistesverfassung, die mitten im Todeskampf eines Volkes den Bruderhaß predigt. Grisar pole misiert nicht gegen diese Angriffe, sondern weist nur aut die auf opfernde Tätigkeit der katholischen Priester und Ordsnsleute und auf die Friedensbemühungen Benedikts XV. hin. Tann prüft er das idealisierte Lutherbild an den historischen Tatsache. Es ist eine gerade durch ihre Objektivität vernichtende Kritik. Man muß die Einzelheiten im vierten und sechsten Kapitel des Grisarischen Buches selber Nachlesen. Mit einer Schilderung der schweren Krisis, in die der unglückliche Ausgang des Krie ges und die Revolution den deutsck n Protestantismus gebracht hat, schließt das Werk. Es wird jedem ernsten Leser so geben, daß er innerlich erschüttert das Buch aus der Hand legt. Wir erkennen, daß tiefer als die Wunden, di: uns der Weltkrieg ge schlagen hak. seit der Glaubensspaltung die Wunde der inneren Zwietracht im Herzen unseres Volkes brennt. Wenn diese Wunde nicht geschlossen wird, steht zu befürchten, daß Volk daran verblutet. Da nobis pacem, Damme' - "" n - ' — ^ 3m Ml md wir m heule Zu seinem 199. Todestage am 14. November. Von Dr. WiIhlem Schulte. „Fragt ihr, wo er gebaren, wo er gelebt, wo seine Asche ruhe? Vom Himmel ist er gekommen, auf der Erde har er ge wohnt, unser Herz ist sein Grab". Börne übertrieb nicht, wenn er den toten Dichter derart bei seiner Gedächtnisrede im Frink- surier Museum rühmte. Nach unerhört harter Not uns bitteren Mißerfolgen wurde Jean Paul geliebt und vergöttert wie kein zweiter zu seiner Zeit. Seine Reisen waren Triumphzüge', der deutsch: Fürstprimas Dalberg und nach ihm der König von Bayern ehrten ihn -mit einer nennenswerten Lebensrente: das gesamte Weimar verehrte. Sckiller und Goethe fürchteten ihn. „Ich würde jetzt in Deutschland am meisten gelesen, in Leipzig hätten alle Buchhändler Kommissionen auf mich", schrieb der selbst überraschte Dichter an einen Freund. Friedrich Richter halt: sich nicht überschätzt, wenn er als Jean Paul der Jean Iacgues IRousseau) seiner Zeit sein wollte. Heule hat man von ihm „noch nicht mal" in der Schule ge lesen. was einem noch vor Augen stünde. Nur wer sich später umgetan, vermag sich unter diesem Namen mehr vorzustellen, als daß seine Werke in der toten Reihe der Klassiker stehen. Mit solch unglaublichen Titeln wie: „Blumen-, Frucht- und Tornenstücke oder Ehestand. Tod und Hochzeit des Armenadvo katen F. St. Siebenkäs im Neichsma. ktflccken Kuhschnapvel". Welch ungeahnt reiche und vor allem sür uns beute wertvollen Schätze sind aber dahinter verborgen — so ganz anderer Art, als unsere landläufigen Literaturgeschichten zu berichten wissen! Wenn nun dieser 100. Todestag I. Pauls in den Liebhabern deutscher D'cktung wenigstens die Ahnung aufgchen ließe, daß er unermeßlich viel mehr ist als :!n weltflüchtig sentimentaler Schwärmer, als der beschauliche Idnllendichter einer paradiesi schen. doch, ach, so weit entfernten Spitzweg-Wclt! Gewiß, es war van entscheidender Bedeutung sür ihn. daß er in deni Irau- licken Winkel des astsrönkischen Bovreuth zusammen mit „der gelben und grauen Bachstelze, Rotkehlchen, Kranich. Rohram me''. mehreren Scknepse» und Sumpfvögeln anlangte": in einer Landschaft, die, hochgelegen, kärglich, verheerende» Winter- stürmen nusgesetzt, in seinem empfindlichen Herzen die Frilh- lingssehnsuckt allmächtig und sein ganzes Werk zu einer .Apo theose des Frühlings" machte. Und das ihn umhegende Leben in dem späteren Dörfchen Iadiz a. d Saale ließ ihn noch lange nachher bezeichnend wünschen, es „lall: sich doch kein Dichter in einer Hauptstadt gebären und erziehen . . . Im Dorfe liebt man das ganze Dorf und kein Säugling wird da begraben, ohne daß jeder dessen Namen und Krankheit und Trauer weiß. Dieses herrliche Teilnehmen an jedem, der wie ein Mensch aus sieht, . . . brütet eine verdichtete Meiischenliebe aus und die rechte Schlagkraft des Herzens Und dann, wenn der Dichter aus seinem Dorse wandert, bringt er jedem, der ihm begegnet, ein Stückchen Herz mit, und er muß weiter reisen, eh' er endlich damit auf den Straßen und Gassen das ganze Herz ausgegeben hat." Aus solcher Menschenliebe entstand I. Pauls Werk für die „lieben müden Seelen, die entweder einen trüben Tag oder ein überwölktes Jahr oder einen Menschen, der sie gekränkt, oder einen, der sie liebt, oder eine entlonbie Jugend oder ein ganzes schweres Leben zu vergesse» haben". Eine solche Gemcinschnits- gesinnnng steht in der damaligen Zeit des Persönlichkeitsknltes einzig da und eben damit schon ragt I. Zaul über die enge „Liebe zum Häuslichen, zum Stillebcn, znm geistigen Nest machen" hinaus. Eine erst wieder van Dostojewski in der euro päischen Literatur vcrcmtwartnnosbcwukte Liebe sür die Mit menschen beseelt seine Werke. Sie wollen über das Elend in der Welt nicht fluchen oder jammern. Da all dies Elend nur aus der Im'voralität mehrerer entsprungen, ... da jede sich in fremden Wunden endigt, wollen sie emvsänalich machen an den „fremden Wunden" mit z» leiden, für sie sich verantwortlich zu fühlen. Zu einer Zeit, als Kant den kategorischen Impera tiv von jeder Rückwirkung auf die Wirklichkeit akzog und ver flüchtigte, als Goethe die Persönlichkeit ins Absolute hob. ver kündete I. Paul die Gemeinschaft, das Besinnen auf unser» Teil an jeder Schuld auf Erden. Komisch fühlte er sich mit dcn Tieren und Bilanzen der Natur «ungegliedert; er spürt „die ewige Beweguna der Gebirge und das Aussteigcn der Erdschich ten aus der Tiefe, jedes Wort und jede Geste war ihm in Mythos getaucht. Es ist also alles andere als Seniimentalilät, wenn seine Dichtung so kür die Frau einlritt, wohlaemerkt, eine der ivenig männlichen Dichtungen, deren Spannungen nie aus der ge schlechtlichen Eroiik cnlstehen. Di.'sein Dichter ist cs, als hörte er „in euere Häuser hinein, uw ihr Väter und Ebemänncr mit vierschrötigem -Herzen und dickstämmiger Seele, . . . einge- guctscht die Seele, die euch lieben will: . . . daß ich mich nicht freuen kann, wenn ich zuwülen eine zartsüklende, unter einer ewigen Sanne blühende Schwester von euch finde . . .: denn ich muß denken an diejenigen, deren ödes Leben eine in »inor düsteren Obstkammcr durchfrorene Dezembernncht ist." In dies:r und der nicht minder großen Liebe des „Nrmenadvaka- ten" für die vom Dasein Vertriebenen wurzelte eine ganz neue Dichterkras' der Ehraktcrzeicknung. Seit der Renaissance war der Sinn sür den besonderen Mcnscken wakl wach, dach wie gat tungsmäßig sind die Charaktere noch bei Goethe gestaltet. Die Menschen I. Pauls sind ans keine allgemeinere Formel zu bringen, und ganz neue Wesen hat er für die Dichtung gewon nen, so daß seit ihm das Erfassen von Menschen überbaupt keine Grenzen mehr hat. Dies Gemeinschastsempsinden hat I. Paul denn auch als einem der erst:» die Augen für die Tragödien in dcn Kasernen und auf den Schlachtfeldern geöffnet. Und kein Schiller Kat beschwörender die Stimme gege di: Laster und Verbrechen der damaligen deutschen Fürsten erhoben, weil sic „den Geist der deutsch:» Nation verkannt, unterdrückt, verschlommt und ver geudet". Er sah die Zukunft Deutschlands in der Demokratie, die ihm, die vor Dci verkörpernd. Theokratie ist. Nur unter ihr werde das verschüttete deutsche Wesen und Volkstum sich wieder entfalten, dessen Wegbereiter I. Paul der wenigen einer war. Man sieht, warum dieser Dichter Gegner Goethes uns Kants werden mußte Eben darin liegt seine Bedeutung sür uns heut:. Die von ihm bekämpite Welt des Persönlichkeits kultes, der Ueberschätzung der Antike, des Glaubens, das Sein mit der bloßen Wissenschaft des Verstandes meistern zu können, diese Weltansicht, die eben Männer wie I. Paul sobald ver kennen »nd vergessen ließ, sie. ist znsammeng:brochen. Wieder lebendig wird das eigentlich deutsche Lebensgefühl der Hamann und Herder, das eben jetzt Josef Nadler mit der Fania^e, „Goeth: oder Herder?" verkündet hat. Es Ist das Verdienst der neuesten Biographie v. Walther Harich jH. Haessel Verlag. Leip zig), I- Paul in diesem Licht herausgestellt zu haben. Gerade die, die seine sechs gigantischen Romane, sein: beiden ihcore- tischen Werke über Erziehung und Dichtkunst mit dem Bände füllenden Beiwerk nicht mehr lesen können, führt dies Buch tiefer in die Lebensmitte. I. Pauls als etwa d:r Versuch eines Hermann Hesse, die barocke Fülle eines „Titan" zu „verein, fachen". Insbesondere bringt es uns den Propheten nahe, der da vor hundert Jahren schrieb: „Es ist der Geist der Ewigkeit, der s:den Geist der Zelt richtet. Und was sagt er über die fetzige? . . . Etwas müsse in unseren Zeiten nntorgegangen sein, weil sogar das gewaltige Erdbeben der Revolution, vor welchem jahrhundertelang — wie bei physischen Erdb.'ben — unendlich viel Gewürm aus der Erde kroch, nichts Großes hervorbrachte, als am gedachten Ge würm schöne Flügel . . . Aus der Welt wurde uns ein Wcltgebäude, aus dem Aether ein Sarg. Endlich hält nach der Geist der Ewigkeit »ns unsere Schamlosigkeit vor, womit wir die leidenschaitliche Brunst des Zorns-, des Liebe- und des Gierfeu:rs — deren sich alle Religionen und die alten Völker und die großen Menschen enthielten »nd schämten — als ein Ehrenfeuerwerk in unserm Dunkel spielen lassen;' und sagt, daß wir. nur In Haß und Hunger nach lebendig, wie andere zerfallende Leichen, eben nur die Zähne unverweslich behalten, die Werkzeuge beides, der Rache und des Genusses".