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Alle Einsendungen an die Schriftleitung unserer Zeitung sind niemals an eine persönliche Adresse zu richten. Wir machen be sonders für die gegenwärtige Zeit darauf aufmerksam. Befindet sich ein Nedaktionsmitglied auf Urlaub, so bleibt ein mit dessen Anschrift versehener Brief, auch wenn er dringende Mitteilungen enthalten sollte, unerledigt bis zur Rückkehr des Adressaten liegen. Die Redaktion Tagesneuigkeiten Sturmschäden bei Magdeburg Magdeburg. 22. August. In der Nacht zum Freitag ist in Gerbstädt ein schweres Unwetter ausgebrochen. Drei bis vier Häuser wurden zerstört. Die Halle—Hettstädter Bahn hat infolge des Unwetters und Dammrutsches ihren Betrieb eingestellt. Der Zug Nr. 8 ist unterwegs liegen geblieben. Die Lokomotive ist entgleist. Menschenleben sind nicht zu beklagen. Der Regie rungspräsident Griitzner ist ins Unwettergebiet gefahren, um sich an Ort und Stelle zu unterrichten. Wolkenbruch im Taunus Berlin, 22. August. Gestern abend ging über Bad Homburg und dem Taunus ein so heftiger Wolkcnbruch nieder, das, die Straßen überschwemmt und viele Keller unter Wasser gesetzt wurden. Der Hagelschlag war so stark, dass die Taunushühen für kurze Zeit das Bild einer W i n i c r l a n d s ch a f t boten. Die geheimnisvolle Mordaffäre Rosen Breslau, 23. August. Die Ermittlungen in der Mordsache Professor Rosen haben noch immer kein einwandfreies Ergeb nis gezeitigt. Die Polizei hält aber daran fest, daß die Adoptiv tochter Dr. Rasens, Frau Stand Ke, bestimmt mit dem Mord plan vertraut gewesen ist. Der Architekt Standtke hat, so viel konnte die Kriminalpolizei von ihm In Erfahrung bringen, mehr fach Professor Rosen gebeten, die Zukunft der Hausdame Neu mann baldmöglichst zu sichern und auch seine Adoptivtochter dabei genügend zu berücksichtigen. Standtke hat auch zugegeben, ge wußt zu haben, daß Professor Rosen die Absicht hatte, ein neues Testament zu machen, das weder die Hausdame Neumann noch seine Adoptivtochter befriedigt haben würde. Ein Testament ist nicht vorgefunden worden. Gesuchte Schwerverbrecher Zahlreiche Morde und Mordversuche wurden, wie aus Zei- rungsmeldungen des öfteren zu ersehen war, von den Brüdern Adolf Polivka, geboren 1889 zu Chemnitz, Stallschweizer von Beruf, Franz Polivka, geboren 1898 zu Most, Bezirk Brüx. Ge legenheitsarbeiter und von dem Arbeiter Rudolf Polivka in Nordwest-Böhmen In den Jahren 1918 bis 1920 verübt. Der letzt genannte Rudolf Polivka ist bereits 1922 wegen Mordes in München hingerichtet worden, er hatte mich dort eine Mordtat begangen. Nach den Brüdern Adolf und Franz Polivka wird noch heute eifrig gefahndet, sie sollen sich unter falschen Namen in Sa 6) sen bzw. Deutschland umhertreiben, wo sie Diebstähle und Einbrüche! aller Art begehen. In zahlreichen Fällen bei Verübung von Diebstählen und auch bet Mordtaten überrascht, setzten sie sich bei beabsichtigten Festnahmen mit Schußivasfen zur Wehr. Letztere bringen sie rücksichtslos zur Anwendung, sie haben bereits mehrfach Beamte niedergestreckt. Seitens der zu ständigen Polizcidirektion In Prag (Gcndarmcrieabteilung und den Polizei- bzw. Kriminalbehörden in Deutschland werden er neut alle Hebel in Bewegung gesetzt, das gemeingefährliche Brü derpaar unschädlich zu machen. Der Masseneinbrecher Zuschläger Hugo Walter Franke. geboren am L5. Juni 189b in Niederfrohna, dessen Verhaftung kürzlich glückte, und der sich gegenwärtig beim Landgericht Eh « mnitz in Untersuchungshaft besindet, hat nach den bisheri gen behördlichen Ermittlungen bereit» gegen hundert Diebstähle und Einbrüche zugestanden. Der Verbrecher kommt für rund Ibv derartige Straftaten in Frage, die sich auf alle Gegenden Sachsens verteilen. Anfänglich war Frank« auch in Verdacht ge raten, in Doberzeit, Ramsdorf bei Leipzig und anderwärts als ertappter Dieb und Einbrecher zugleich auch Mordtaten began- gen zu haben, doch hatte sich in diesen Fällen die Täterschaft an derweitig aufgeklärt. Zwei amerikanische Tourtstenzüge ineinandergefahren Salina (Colorado), 22. August. In der Nähe von Granite (Colorado) stießen zwei Touristenzüge aufeinander, wobei zwei Zugbeamte getötet und etwa 7Ü Passagiere, dar unter 15 lebensgefährlich verletzt wurden. Als der Beamte des Stellwerkes bemerkte, daß der Lokomotiv führer des einen Zuges ' das Haltesignal nicht beachtet hatte und der Zusammenstoß unvermeidlich war, telegraphierte er sofort um Absendung eines Rettungszuges. Der Zusammen stoß ereignete sich erst eine Viertelstunde nach Absendung seines Telegrammes. -s- ES kommt Geld nach Deutschland. Das deutsche Generalkonsulat in Nenyork hat nach einer Blättermeldung im ersten Vierteljahr 1925 4700, im zweiten Viertelfähr 16000 und im Juli allein 4800 Paßvisen für Reisende »ach Deutschland ausgestellt. f Pest im Piräus. Das griechische Gesundheitsamt teilt mit! Im Piräus wurde die Pest festgestellt. Auf Dampfern, die aus Alessandria gekommen sind, wurden drei Pestfälle festgestellt. Alle Sicherheitsmaßnahmen wurden getroffen. Bisher sind drei Todesfälle zu verzeichnen. -s Gartenbauwoche Nordhausen. Die am Südrande des Harzes romantisch gelegene Stadt Nord Hausen veranstaltet in der Zeit vom 12.—20. September dieses Jahres eine Garten bauwoche, verbunden mit einer Gartenbauausstellung. Die Gärtnereioevbände haben Herrn Stadtgartenoberinspektor Noh- scheid mit der Leitung beauftragt. Die Ausstellung, die auf einem überaus schön gelegenen Gelände zur Durchführung kommt, wird an gärtnerischen Schönheiten viel Schönes zeigen; auch ist die einschlägige Industrie reich vertreten. Daneben sind Lehrgänge vorgesehen, so der der Landwirtschaftskammer der Provinz Sachsen in Halle, ferner Vorträge, Radfahrkorso und dergleichen mehr. Folgende Vereine und Verbände haben als Tagungsort Nordhausen für diese Zeit festgelegt. Der Landesver band der Provinz Sachsen Deutscher Gartenbaubetriebe veran staltet einen provinzial-sächsischen Gärtnertag, die Obst- und Gar tenbauvereine der Provinz Sachsen ihre Vertreterversammlung: ferner tagen der Landesverband Thüringen vom Verband der Gartenbaubetriebe Deutschlands, der Verein der Rosenfreunde Deutschlands, der Bund Deutscher Baumschulenbesitzer, die Ver einigung ehemaliger Geiscnheimer, der Behördengartenbau, die Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst, der Haussrauenverein der Provinz Sachsen und andere. Die Geschäftsstelle der Gartenbau woche Nordhausen, Osterstraße 17, steht für Auskünfte jederzeit bereit. X internationaler Kongreß und Pilgerfahrt der katholischen Äugend in . Rom. Die katholische Jugend der Welt rüstet sich zur internationalen Zusammenkunft in Rom vom 16. bis 19. Sept?mber. Der Katholische Jugend verband Düsseldorf wird mit feinen Mitgliedern bereits am 10. September von Düsseldorf aus einen Sonder- z n g zusammenstellen. Der Kongreß wird von überragender Bedeutung sein. Der Heilige Vater wird aus diesem Anlaß der gesamten Jugend eine besondere Audienz gewähren und in der Peterskirche eigens um Mitternacht ein feierliches Meßopfer für die Jugend darbringen. Die Kosten für Fahrt und Verpflegung 3. Kl. betragen 325 Mark. Anmeldungen für die Teilnahme an der Romfahrt können noch im Jugend« Haus, Düsseldorf, Parkstratze 79, erfolgen. Orlschronik Vereine zur Pflege der Heimatkunde werden gegründet, Heimatkalender und Heimatzeitschriften neu herausgegeben, Hei- matvorträge — mit und ohne Lichtbildern — suchen das Inter esse für Geschichte, Natur, Schönheit. Eigenart und Volkstum der Heimat in di« breiten Massen zu bringen. Ueberall ein Regen im Dienste der neuen Heimat-Bewegung. Unser Volk besinnt sich wieder auf die Kenntnis, Wertschätzung und Wür digung der bisher vielfach vernachlässigten Heimat, die ihm doch so nahe hätte liegen sollen. Wenn auch den Schulen — den niederen wie den höheren — hier die Hauptarbeit zugewiesen werden muß, so sollen aber auch weite und weitere Kreise für diese heimatlich-vaterländische Kulturarbeit gewonnen werden. Gewiß, die Quellen, aus denen der Heimatstoff sprudelt, sind mancherorts sehr dürftig, besonders auf dem Lande. Da rächt es sich heute bitter, wenn es das Dörflein unterlassen liat, ein vorzüglich geführtes Heimatbuch zu schreiben, die Ortschro nik, worin heimatliche Geschichte und Sage. Erlebnisse und Vor kommnisse, überhaupt das Werden und Wachsen der Gemeinde Jahr für Jahr von kundiger Hand sich ausgezeichnet vorfindet. Dankbar segnet der Forscher all die braven Männer, zumeist wohl Gemeindevorsteher, Geistliche und Lehrer, die durch ihre steten Auszeichnungen ihm Stofs für neues Leben ausbewahrt. nicht ahnend, welchen schätzenswerten Dienst sie der Nachwelt überhaupt erwiesen haben. Die Städte sind hier glücklicher daran, da diese vielfach die Gepflogenheit übten, church eine ge drängte Darstellung alle im Laufe eines Jahres in ihrem Ge meinwesen vorgekommenen Begebenheiten in gedruckten Jahres berichten au fzub «wahren und zu veröffentlichen. Anders aus dem Lande. Wie traurig ist es dort oft bestell, bei der Führung der Ortschronik, falls eine solche geführt wird! Wer Gelegenheit gehabt IM, häufiger Einblick in mehrere Hei- matbllcher zu tun, der wird die trübe Erfahrung gemacht haben, daß an manchen Stellen viel, sehr viel vernachlässigt worden ist. Man hat ganze Jahre einfach übergangen mit dem bequemen Entschuldigungsvermerk: „Nichts Wesentliches vorgekommen!" Gähnende Leere zeigt die Interesselosigkeit und Gleichgültigkeit Und wie mag es aussehen seit dem Kriegsbeginn 19141 Da hat doch das kleinste Dorf seine Einberufungen zum Heeres- dienst gehabt, Pferde wurden ausgemustert, die Preissteigerung und Lebensmittelnot begann, Vieh- und Getreideablieferungen erfolgten, das Leben aus „Karten" wurde eingeführt, der Hilfs dienst trat in Tätigkeit, Frauen und Kinder arbeiteten im Dienste der Männer, Sammlungen verschiedenster Art wurden cinge- führt, ... die Heimkehr der Krieger, die Verwundeten. Ver mißten, Gefallenen usw., das sind doch Ereignisse der Heimat, die es wert und würdig sind, im Familienbuche der Gemeinde dauernd der Nachwelt ausbewahrt zu werden. Nicht ein ein ziges Dörfchen sollte hier zurückstehen, und wo es noch nicht ge schehen ist, da ist es die allerhöchste Zeit, ldas Versäumte nachzu holen. Unsere Zeit lebt rasch, vergißt rasch, vergißt auch die Kriegs- und Heimatnot. Dringende Pflicht der maßgebenden Behörden ist es, auch ihrerseits auf eine lückenlose Auszeichnung aller wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Ereignisse im Gemeinde-Familienbuche mit allem Nachdruck zu dringen. Zur Amtsehre wird cs sich auch jeder Gemeindevorsteher anrechnen können, wenn er bei Nisderlegung seines Amtes neben geordneten Gemeindeverhält- nissen auch ein gutes Familienbuch der Gemeinde seinem Nach folger übergeben kann, und das ist die Ortschronik Es gibt eine Zeit, und sie wird bestimmt kommen, wo dankbare Herzen die Schicksale seiner Gemeinde in den Blättern der Ortschronik gern nochblättern, in stolzer und auch wehmütiger Erinnerung an eine große, aber auch schwere Zeit seiner Gemeinde und eines Volkes. Also, aus zur Tat, ehe es zu spät itstl Der arme Jakob Ein Lebensbild von August Butsch er. (29. Fortsetzung.) ,Hab ich mir gedacht", sagte er gutmütig, „daß es dir heiß über die Leber kriecht, du hast sie ja auch gern gehabt. Es geht halt oft sonderbar zu in der Welt, so daß sich unsereiner nicht mehr recht auskennt. Es Ist eine sonderbare Geschichte mit diesen zwei Hochzeiten. Ich will kein Langes und Breites machen, die Sache ist so gekommen: Du hast den Blitzstrahl anno dazumal ,a auch gehört, der hat alles mit einem Streiche zerspalten und ich kanns dir wie am Schnürchen hersagen. Der Tannen müller war hoch in der Feuerversicherung, und seine Police, wie sie cs, glaub ich, heißen, mußte am gleichen Tage wieder frisch erneuert werden, das geht alles auf die Stunde. Abends um vier Uhr war die alte Schrift abgelaufen, und um fünf Uhr hat der Blitz in die Tannenmühle geschlagen. Er hat es versäumt, die Schrift zur rechten Zeit wieder cmzureichen. Und so hat ihn die Versäumnis von emer Stunde zuni armen Manne gemacht. Er war arm wie eine Kirchenmaus. Aber das ist noch nicht alles, der Blitz hat die Müllerin erschlagen, sie ist mausetot gewesen. Den Müller hat das Unglück fast umgeworfen und wie wahn sinnig gemacht. Auch leidet er schrecklich an der Gicht. Das muß eitz Jammer gewesen sein! Und die Kathi mutz mehr ansgcstanden haben, als man sagen kann. S'e haben dann miteineinander im Ausdinghäuslein gewohnt, das droben am Wildbach steht und allein übrig geblieben ist. ES ist nicht weit von der alten Waldhütte, wo der fromme Bruder gelebt hat. Die beiden sind aber nicht auf Rosen gelegen, so viel weiß ich." Ich bedeckte mein Gesicht, und er sagte mit einer Art von schauerlichem Behagen: „Gelt, das greift dich auch an? Es ist mir gerade so gegangen. Jetzt das weitere: Die kupferne Pfanne, wie du sie heißt, der der Tannenmitlier die Sache geschrieben hat, war letzt ganz Feuer nnd Flamme von wegen der schon eingefädelten Heirat. Sie hat den jungen Nollenknopf die Sache hinter bracht, denn sie kennt sein gutes Herz und wußte, daß er jetzt erst recht seinen Kopf aufsetzen werde. Und io ist cs auch gewesen, und er hat gleich aufgepackt und wir sind auf- und davongefahren. Inzwischen hat der Tannen müller der Kathi Himmel und Hölle vorgestellt und ge sagt, sie werde ihn doch nicht im Elend alt und krank verlassen, wo sie so leicht helfen könne. Sie hat sich ge wehrt bis aufs Blut. Sie hat immer unter bitteren Trä nen gesagt, sie habe einen anderen so sehr gern und sie könne ihm doch nicht das Herzbrechen. So hat sie auch LU mir gesagt, und ich Hab gleich gemerkt, daß sie mich meint. Das hat mich so gedauert, daß ich ihr selber znge- svrochen habe, denn ich bin ein guter Kerl. Und so hat ne am Ende doch ja gesagt und versprochen, daß sie dem jungen Herrn und dem Vater eine gute Krankenpflegerin sein werde. So ist es gegangen. Es ist eigentlich eine alte Geschichte, die schon tausendmal dagcwesen ist, die einem aber das Herz brechen könnte. Und so hat man denn di« Sache über Hals und Kopf fertig gemacht und auch ich — es hat mich doch ein bitzel verdrossen -- Hab schlank weg meine Stangenkathrin geholt, die den Herrn Furioso verlassen und wieder auf der Welschkornhalde gedient hat. Sie kann von Glück sagen, daß sie mich bekommen hat." Die letzten Worte hörte ich kaum mehr, ich stürzte hinaus in die kalte Herbstnacht. Ich lebte von da an wie ein Automat dahin und all das Getriebe um mich her schien mich nichts mehr anzugehen. Meine Arbeiten verrichtete ich nach wie vor, aber nur mechanisch, und wurde knapp wie irgendeine steife Novelle, so daß mein Chef oft genug das weise Haupt über mich schüttelte. Hatte ich zuweilen lichte Augenblicke, so murmelte ich oft vor mich hin: „Sieh, Jakob, hier kannst du nicht bleiben, du mußt fort!" Und doch ging ich nicht, ich weiß selbst nicht recht, was mich festhielt. War es die Nähe der Mühlenkathi, die jetzt Frau Nollenknopf hieß, oder war es das dem Alter anhängende Anklammern an die Scholle, an eine Heimstatt, an ein sicheres Brot? Aber ;eder, auch der tiefste Schmerz, führt ein kleines Tröpflein Trost mit sich. Als ich wieder klar denken lernte, mußte ich über die naive Täuschung lächeln, der sich der Fadensepp hingab. Der „andere", den Kathi geliebt hatte, war eben doch nur ich, nnd dieses Wissen war gleichsam das Scherflein der Witwe in einem vergessenen Ovferstock. Ich zehrte davon wie d,e Witwe von Sarepta uno der Prophet Elias an dem unversiealichen Oelkrüglein. Ich vergrub mich in meiner Manmrde in die Klassiker und ließ damit die Geister der Vorzeit ins Ohr und ins Herz reden? ich phantasierte auf meinem Klavier stundenlang und cernte mit der Zeit erkennen, daß es nicht immer Menschen fein müssen, die ein stiUeS Weh mit barmherzig kühlender Hand lindern. DaS junge Ehepaar sah ich selten, denn Ich mied seinen Anblick und wollte nicht untersuchen, ob die beiden wuß ten oder ahnten, was sie mir angetan. Als zweites Tröpf lein Trost gesellte sich zu dem ersten die Einsicht, daß Kathi doch einigermaßen zu entschuldigen war und daß sie bet dem dahinsiechenden jungen Gatten und dem grämlichen Vater kein beneidenswertes Los hatte. Der Tannenmitlier nnd Herr VituS verbrachten die folgende Zeit fast stets auf dem Krankenlager. Mer eS währte fast noch zwei Jahre, bis die Totenuhr »um Schlage aushob. Und sie schlug zweimal in einer Woche. Am Dienstag begleiteten wir die zerfallene Seelenhülle des fungen Rollenknopf und am Freitag die des weiland Tannenmüllers und Abgeordneten hinaus in die Toten- stadt, die von der Stadt der Lebendigen ausgiebiger ge speist wird, als diesseits die Armut vom Reichtum. Ich weiß nicht mehr viel von jenen Tagen, denn .H wandelte wieder, wie in halbem Traume. Doch ist mir erinnerlich, daß die verwaiste Witwe überaus bleich, aber tränenlos war, und daß der Fadensevp, der die Leichen führte, einen unendlich langen Flor wie eine Tranerfuhne am Hute trug. DaS mochte Wohl noch nicht oft vorgekommcii fein daß eine blutjunge Witwe, die früher das Vieh zur Tränke getrieben hatte, unser und eines großen Zettungsveriages Chef war. Ohne Chef ging es bei mir nie ab, aber offen gestanden, war mir dieser die liebste, wenn auch ein selt- fames, aber fast von Hoffnung begründetes Bangen mich ihni oder ihr oiegenüber oft genug beschlich. Im Anfänge dieser neuen Epoche trug ich mich mit dem Gedanken, alles im Stiche zu lassen und den Wanderweg noch ein mal unter die Füße zu nehmen, aber ich grübelte so lange darüber, daß die Ausführung unterblieb und ich mir end lich tröstend sagte: „Sieh, Jakob, wenn es hätte sein sollen, hättest du es gleich tun müssen; jetzt wäre es lächerlich." Der alte Jakob war recht seßhaft geworden, gewisser maßen an die Scholle gebannt von den schönen Augen Kathis, die ich jetzt freilich noch viel weniger erringen konnte als früher. Sie gehörte jetzt zu den umworbensten Größen der Hauptstadt. So trug'ich einen neuen Pfeil iw Herzen und fand nicht den Mut, ihn heraiisznreißen, ich fürchtete, mich zu verbluten. Aber ich durfte doch in ihrer Nähe sein und fpraüj sie öfter. Sie war herzlich gegen mich, und ich schüchtern, wie ein Dorfbube im Köntgsschlosse. Gegen den Herrn Knappknapp war sie voll Höflich keit, denn er war dt« rechte Hand, ich nur die Unke und diese ist meistens recht ungelenk. Herr Knappknapp erstarb fast in Verehrung und Aufmerksamkeit, und ans einmal fiel wie ein Stein der Gedanke in mein Herz: er ist ja auch noch Junggeselle, wenn auch ein wenig über reif, er hat ein Vermögen, er ist ein überaus gewandter GeschästSleiter, er itzt in der „kupfernen Pfanne" und die Inhaberin ist seine Gönnerin. Liegt der Gedanke nicht nahe, daß er durch eine Heirat sich eine feste und sichere Stellung zu schaffen sucht? Und wirklich schien io etwas in der Luft zu liegen. Der Herr Knappknapp machte sogar nach und nach aus seinen Absichten gar kein Hehl mehr. Ich mutzte oft an seinen Ausspruch denken: „Sie ist ein« waldfrische, wohlgefeilte Novelle, die ick gern akzeptieren würde!" (Schluß folgt.)