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Freitag, den S. Oktober 192S. Nr. 234, Seite Z Kardinal Schulte in London Tagesneuigkeiten Explosion eines französischen Muniiionsschifses Paris, 8. Oktober. Aus Bordeaux wird gemeldet, datz ein mit Fliegerbomben beladenes Munitionsschiff auf dem Wege nach Marokko auf der Höhe von Bordeaux in die Luft geflogen ist. Aah-lrekche Schwer- und Leichtverletzte sind zu beklagen. Nähere Einzelheiten fehlen noch. Hamburg, 8. Oktober. Der chilenische Fünfmaster Flora, die frühere Hamburger Potosi, auf dem, wie berichtet, Feuer ausgebrochen war, ist nach einer Meldung des „Hamburger Fremdenblattes" südlich von Rivadavia (Argentinien) auf Grund gesetzt worden. Das Feuer yat sich derart ausgcbreitet, datz die Mannschaft das Schiff ver lassen mußte, nachdem zwei Explosionen im Schiffsraum erfolgt waren. Der wegen seiner Rekordreisen weltbe rühmte Segler wird als verloren betrachtet. Raubmord bei Greifswal- Berlln, 8. Oktober. Der Schlossergeselle Brinkmann, der sich auf seinem Fahrrad von Greifswald nach Gutzkow zum Besuche dort lebender Verwandter begeben wollte, ist dort nicht eingetroffen. Bei Nachforschungen nach feinem Berbleib fand man ihn tot Im Straßengraben im Grubenhagener Wald. Da das Fahrrad fehlte, vermutet man Raubmord. Der Sladiverordnele als Kasfendieb Stettin, 8. Oktober. In einer Stettiner Gastwirtschaft konnte der Gastwirt seit längerer Zeit beobachten, daß täglich unberufene Hände einen Teil der Ladenkasse ausraubten und zwar fehlten täglich aus einem an der Kasse stehenden Tresor, in den das Geld gelegt worden war, mehrere Mark. Der Wirt legte sich auf die Lauer und es gelang ihm auch, einen Stamm gast, der täglich seinen Platz in der Nähe des Schanktisches hatte, auf frischer Tat zu ertappen. Der Dieb war der Stettiner kommunistische Stadtverordnete Fritz Penk. Berlin. 8. Oktober. Bei einer unvermuteten Revision einer staatlichen Kasse in Hersseld, fehlten nach Blättermeldungen 40 000 Mark. Gegen den leitenden Kassenbeamten, der seines Amtes sofort enthoben wurde, ist die Untersuchung eingeleitet worden. Einheitliche Regelung des Slratzenverkehrs Berlin, 8. Oktober. Bon dem beteiligten Reichsministerium und obersten Landesbehörden wirb allgemein anerkannt, daß bei der gegenwärtigen Entwickelung des Verkehrs ein Bedürfnis für eine einheitliche Regelung des gesamten Straßenverkehrs oorliege. Zu einer Beratung hierüber hat das Neichsverkehrs- ministerium die beteiligten Behörden eingsladen. Die Bespre chung beginnt auf Vorschlag Bayerns heute in München und dauert voraussichtlich bis zum Sonnabend. s Eisenbahuunfall. Auf der Strecke Lippstadt-Nord- Hauptbahnhof entgleisten gestern nachmittag kurz nach 1 Uhr 20 Min. zwei Wagen eines von Bochum kommenden Zuges. Da die Wagen sich auf die Seite legten, entstand unter den Reisenden eine große Panik. Es wurden insgesaint fünf Personen verletzt, davon eine so schwer, daß sie ins Kranken haus gebracht werden mußte. s Ende der Frankfurter Hcrbstinesse. Nach viertägiger Dauer hat am Mittwoch die Frankfurter Herbstmesse ihr Ende erreicht. Die nächste Messe wird im Frühjahr 1926 stattfinden. -f Mühlenbrand. Die in Westercelle bei Celle (Pro vinz Hannover) gelegene neuerbaute Finkenwärder Mühle ist Mittwochnacht durch Feuer zerstört worden. Die Maschinen wurden vollständig unbrauchbar. Die alte Mühle, die an der gleichen Stelle gestanden hatte, war im vergangenen Jahre eben- falls einem Brande zum Opfer gefallen. Di« Entstehungsursache des Feuers ist noch nicht bekannt. s Ersatz für die verunglückte Shenadoah. Der Cl)ef des amerikanischen Luftfahrtswesens im Marineamt, Konteradmiral Moffett, erklärte, die verunglückte Shenadoah würde durch ein Luftschiff nach dem starren System ersetzt werden, das in den Bereinigten Staaten gebaut würde. Das neue Luftschiff soll ein Fassungsvermögen von 6 Millionen Kubikfuß haben, während die Shenandoah ein Fassungsvermögen von nur 2 Millionen Ku- dikfuß hatte. f Brennstoffoerkausspreise. Das Arbeits- und Wohlsahrts- mtnisterium veröffentlicht in der „Sächs. Staatsztg." auszugs weise einen Abdruck aus der Bekanntmachung des „Reichs anzeigers" vom 29. v. M. betr. Brennstoffverkaufspreise. Die Bekanntmachung betrifft die mit Wirkung vom 1. Oktober 1925 geltenden Verkaufspreise einschließlich der ab 1. d. M. geltenden Umsatzsteuer und Handelsaufschlages für den Bereich des säch sischen Steinkohlensynüikats, und zwar die Zwickauer Werke, die Oelsnitzer und Lugauer Werke und die Dresdner Werke Zauckerode und Burgk, ferner des mitteldeutschen Braunkohlcn- syndikats und des ostelbischen Braunkohlensyndikats. y 12. Internationale Rote-Kreuz-Konferen;. Am Dienstag wurde in der Aula der Universität Genf die 12. Internationale Note-Kreuz-Konferenz erösfnet. Diese Kon- Weihe her HMen AnWiMche Kardinal Schulte, Erzbischof von Köln, hat vergan genen Sonntag in London die während des Krieges beschädigte und nunmehr wiederhergestellte Bonifatius Kirche der deutschen Katholiken eingeweiht. Wir glauben, das Vorkommnis nicht besser würdigen zu können, als daß wir das wiedergeben, was das bekannte große katholische Blatt „The Unioerse" darüber schreibt. Din deutscher Kardinal, der viele, viele Freunde unter den britischen Soldaten besitzt, weilt Ende dieser Woche als Gast des Kardinals und Erzbischofs von Westminster in London. Es ist Karl Joseph, Kardinal Schulte, Erzbischof von Köln, dessen großherziges Werk zugunsten der Gefangenen der Verbündeten während des Krieges allgemein belobt wurde. Der Hauptzweck seines Besuches ist die Einweihung der deutschen St. Bonifatius- kirche kn Ostende Londons. Merkwürdigerweise war diese Kirche während des am Hellen Tage erfolgten Luftübersalls am 13. Juni 1917 durch emporgeschleuderte Pflastersteine, die das Dach durchschlugen, stark beschädigt. Tausende von Kriegsgefangenen, Franzosen und Briten, haben Grund, den Namen des Kardinals von Köln zu segnen, der damals noch Bischof von Paderborn war. Er schuf und führte eine Organisation durch, deren besonderer Zweck die Bes serung des Loses -er Gefangenen war. Selbst das antiklerikale und grimmig deutschfeindliche Frankreich sandte dem Kardinal eine formelle dankbare Anerkennung für alles, was er für die französischen Gefangenen getan l)atte. Der Heilige Vater ver lieh ihm eine besondere goldene Medaille mit der Inschrift: „Einem barmherzigen und wohltätigen Manne". Nach dem Kriege brachte ihn seine Stellung in Köln mit vielen Soldaten unserer Besatzungsarmee in Berührung, unter denen er sich viele Freunde erwarb. Dies ist nicht das erstemal, daß Kardinal Bourne und Kar dinal Schulte seit dem Kriege sich treffen. Vielmals schon durch ihre Tätigkeit sind sie jenen entgegengeireten, die die Kriegs- zcitseindschast verewigen möchten. In einer Unterredung mit einer holländischen Zeitung in Amsterdam rvährend des großen fcrenz wird sich u. a. befassen mit der Prüfung des Jahres berichts des Internationalen Note-Kreuz-Komitees, mit dem Studium der Beziehungen zwischen den Militärsanitäts diensten und den nationalen Notc-Krenz-Gcsellschasten, dem chemischen Krieg, der Immunisierung der Sanitätsflugzeuge, der Tätigkeit Freiwilliger, der Hilfeleistung der Rote- Kreuz-Organisationen bei Katastrophen. f Schwere Unwetter in Lettland. In Riga tresfen aus ganz Lettland Meldungen von großen Unwettersrata-, strophen ein. f Große Goldfunde in Südafrika. Eine neue autzer- ordenlich aussichtsreiche Goldader soll in Südafrika gesunden worden sein. Es handelt sich hierbei um die Forhetzung der berühmten Goldader von Randfontain, die plötzlich ber der sogenannten Witpoortje-fanlt abbrach. Wegen der großen Ergiebigkeit der Randfontain-Goldader hat man 20 Jahre lang versucht, ihre Fortsetzung zu finden, wobei Hunderttausende von Pfund verausgabt wurden. Jetzt ist cs gelungen, durch Anlegung neuer Schächte die Jort- jeynng der Randfontain-Goldader, die von der größten Bedeutung für Südafrika sein soll, ausfindig zu machen. Abschluß -er Dresbner Frauenkagung Dresden, den 8. Oktober. Ein Empfang im Dresdner Rathause bildete gestern abend den Abschluß der Tagung des Bundes Deutscher Frauenvereine. Oberbürgermeister Blüh er begrüßte die Teilnehmerinnen der Tagung als die Vertreterinnen der deutschen Frauen. Mit großer Freude stellte er fest, datz die diesjährige Tagung vielleicht die bestbesuchte der bisherigen Jahresversamm lungen gewesen ist. Der Zusammenschluß fast aller deutschen Frauenvereine in einem Reichsbunde zeige einen Willen zur Einigung und zur Zusammenarbeit, der für alle vorbildlich srin könne. Der Oberbürgermeister schloß mit dem Wunsche, daß die Dresdner Tagung weithin wirkenden Erfolg haben möge zum Ruhme der deutschen Frau, zum Segen der deutschen Familie und zum Heil und Wohl des deutschen Volkes. — Die Vor sitzende des Reichsbundes, Frau Emma Ender, dankte den Behörden und Bürgern der Stadt Dresden für das Verständnis und das Entgegenkommen, das sie dem Bunde bei seiner dies jährigen Tagung erwiesen haben. Frauen feien ja empfäng licher als Männer für den Rahmen, in dem etwas stattfinüet. So habe die Eigenart der Stadt Dresden sicherlich dazu bei getragen, die Tagung besonders angeregt und fruchtbar zu ge- Eucharistischen Kmrgresses im vorigen Jahre gebrauchte Kardinal Bourne di« sagenden Worte: „Wir waren im Kriege, jetzt aber haben wir Frieden geschlossen. Und Friede bedeuiet Friede. Gott sei Dank, wir Engländer besitzen die Tugend, nicht ewig Haß zu nähren, und ich persönlich wollte allen Ernstes bezeige», 'daß es uns ernst ist mit dem Gebote Christo: Liebe deinen Näch sten! Als der Erzbischof von Köln im Jahre 1921 in das Hei lige Kollegium erhoben wurde, begab ich mich, ihn zu bewilb kommnen, noch Nom und jetzt habe ich diesen edlen deutsche» Prälaten eingcladen, mein Gast zu sein. Wir in England haben während der Hungersnot Hilfe nach dem Rheinland gesandt und wir taten es, um zu zeigen, daß wir ernstlich Frieden gemacht haben." Jedes weitere Wort würde die Wirkung des Artikels be einträchtigen. v. Lama. Der Ablprimas öer DeribdMlttier Rom, 8. Oktober. Zum Ablprimas des Beneüiktinerordenz ist Frhr. v. Stotzingen wieoergewählt worden. X Deutsche Pilger beim Heiligen Vater. Die Pilger aus Freiburg, Trier, Breslau und anderen Städten, die zur'eit in Rom weilen, wurden vom Heiligen Vater in Audienz empfangen, bei welcher Gelegenheit er dieselben durch eine deutsche An sprache auszeichnete. Pius XI. hieß die Pilger herzlich willkom men und erinnerte an den Zweck ihrer Pilgerfahrt und des Hei ligen Jahres. Zum Schluß erleilte er aibn Anwesenden den apostolischen Segen. X Der neue Ordensgencral der Augustiner. Das General kapitel der Augustiner wählte als neuen Ördcnsgcnera! den Sau nier Eustasia Estebau, welcher um die Ncubeleiuug dieies historischen Ordens große Verdienste hat und lange Zeit Bi bliothekar der K. Bibliothek des Eekorials ivar Der Orden hat so die Verdienste seines spanischen Zweiges ehren wollen, wo der Orden von jeher eine wichtige Rolle spielte Der letzte Ge neral war ein Italiener. Ein Generalassistent, P. Ambro sius, ist Deutscher. Der Orden mar früher auch in Deutscli- land sehr verbreitet und die zahlreichen Augustiner- und Vae- füßerkirchen erinnern an ihn. Bekanntlich gehörte auch Luther diesem Orden an und verdankte ihm seine Nomreise. Der Orden ist noch in Oesterreich stärker vertreten, am stärksten in Süd amerika, wo er zahlreiche Niederlassungen und Missionen besitzt. statten. Alle Teilnehmerinnen würden an den durchaus har monischen Verlauf der Verhandlungen gern zurückdenken. Die Ansprachen, die im Feslsnal des Rathauses gehalten wurden, umrahmte eine kleines Konzert, das von Ange hörigen der Konservatoriumsklasse unter Lciiung von Proscs-or Arthur Stenz und von dem Sprechchor der Volkshochschule dar geboten wurde. Besonders hörenswert war die Hymne iur zwölf Violoncelli von Julius Klüngel, der Soreckchor trug die Dichtung „Sonnenwende" von Lulu von Strauß und Tornay ror, ferner den Chor aus der Sophokleischen Antigone „Vieles Ge waltige lebt" und zwei Dichtungen von Karl Brögcr. — Ten Abschluß des Empsangsabends bildete ein geselliges Beisammen sein. * Der letzte Tag der Frauentagung war als Frau en de rufstag ausgestaltet worden. Dis Leitung der Verhand lungen lag in den Händen von Fräulein Colshorn, der Vor sitzenden des Verbandes Deutscher Post- und Telegraphsn- beamtinnen. Frau Dr. Hilde Adler referierte über das Thema „D i c Gesunderhaltung der Frau im Beruf". Sie betonte, daß jetzt zirka 3 Millionen Industrieardeiterinnen in Deutsch land vorhanden seien. Die Gesundheit dieser Arbeiterinnen sei durch die Art der Arbeit, durch die Bcschasscnheit der Arbeits stätte und durch das Zusammenwirken von Arbeitsbelastung und Anspannung im Haushalt stark gefährdet. Für die berufs tätigen Frauen im mittleren und höheren Beruf komme neben den gesetzlichen Maßnahmen der Se'bsthiise große Bedeutung zu: Durch systematische Gymnastik, durch Sport und Wandern in der Freizeit müsse ein Ausgleich geschaffen werden. — Fräulein Tr. Rehm gab einen Ueberblick darüber, was heute auf dem Ge biete des A r b e i t e r i n n e n sch u tz e s geschieht. Ter Schutz der Angestellten bliebe beträchtlich hinter dem Schutz der Arbei terinnen zurück. Das Hausarbeitsgesctz biete geeignete Hand haben zum gesundheitlichen Schutz der 'Heimarbeiterinnen, Zu den gesetzlichen Maßnahmen müßten im weiten Umfang Erleich terungen der verschiedensten Art für die beruistätmen Frauen treten, so ausreichender Urlaub, Erholnngssnrsorge. Gesnndheits- turnen, zugunsten der erwerbstätigen Frauen. Schaffung von Kindergrippcn und Gärten, sowie Förderung der Hanspslege. — Das letzte Referat -hielt Fräulein Dr. med. Marie Snell über die schulärztliche Versorgung der Berufsschulen. Zum Schluß fanden eine Reihe von Entschließungen Annahme, die die wesentlichen Forderungen der drei großen Bor- träge des Frauenberufstages zusammensaßten. Meine ersten Kosen Aus dem Tagebuch eines Dorfbuben Don Johannes Wunsch, Freilburg i. Br. Das war ein Freudenfest, kaum zu sagen! Di« ganze Fa milie war in großer Aufregung, selbst die alte Miezi miaute lustig dazwischen und rannte wie toll in der Stube herum, als ob ein Dutzend fette Mäuse darinnen spazieren gingen. Kein Wunder! Ich selbst war diesmal die Hauptperson, gleichsam der Mittel punkt der ganzen FomMenbewegung an diesem denkwürdigen Tage. Dort lagen sie also auf dem Tisch im Hsrrgotteseck. Der Schncidersepp hatte sie soeben gebracht: Der Stolz des jungen angehenden Mannes von vier Jahren, der Stolz und d-ie Freude von Vater und Mutter, der Neid des Bruders! Ja, dort lagen sie, funkelnagelneu: die ersten Hosen! „Jetzt aber raus aus dem Mädchenrock!" rief der Vater. Und zitternd vor Aufregung knöpfte ich dos geblümelte Kattun- röckchen aus; es durfte mir niemand Hessen dabei, denn „selbst ist der Mann!" heißt es ja. Und jetzt hinein in die Hosen. Müt terchen konnte sich's nicht versagen, doch Hand anzulegen und mitzuhelsen, bis die Strampler waren, wo sie sein sollten. End- lisch schnaufte sie erleichtert auf und sagte: „Wie angegossen!" Da- bei glänzten ihre Augen ganz gerührt. Ich warf nun den „Mädchenrock" mit großem Schwung in eine Ecke hinter den großen Kachelofen und marschierte mit langen Schritten — denn es war mir doch etwas ungewohnt — in der Stube herum. Vater, Mutter und Bruder schauten be wundernd zu. . ^ „ „Jetzt ist der Mann fertig!" sagte der Vater. Mem Brü derlein ober höhnte: „Hochmut kommt vor dem Fall!" Das hatte er in der Schule ausgeschnappt. Es war aber der reine Neid über meine ersten wunderbaren HösenI Ich zeigte mich natürlich sogleich in der ganzen Nachbar schaft; besonder« die Mädchen bewunderten mich arg rnid da» blonde Finele sagte: „Jetzt bist du aber ein großer Bub!" Das machte mich ungemein glücklich, denn Finele hatte es mir ange tan und ich brauchte mich jetzt nicht mehr zu schämen, weil ich keine Höschen trug wie die anderen Buben. Mutter hatte mich nämlich aus Sparsamkeitsrücksichten absichtlich so lange in dem Mädchenröckchen herumlausen lassen. Klein-Mariechen aber meinte: „Jetzt mutzt du aber als mit mir in die Kirche gehen und nachher ins Wirtshaus!" Sie war .nämlich schon eifersüchtig auss Finchen und ihre Gedanken gingen in echt werblicher Schlarcheit schon viel weiter. Zu Ehren des Tages gab es etwas besonders Gutes zum Mittagessen: Dampfnudeln mit gekochten Zwetschgen und Bir nen. Ich weih es noch ganz genau, denn der Tag bleibt mir un vergeßlich, selbst wenn ich tausend Jahre älter werde als Adam. Nachmittags ging ich sofort wieder aus dem Haus, um meine ersten Hosen gründlich spazieren zu führen und allen gehörig zu zeigen. Es war allerdings etwas naßkalt, ja es fing sogar zu regnen an, und das mag allerdings auch viel mit schuld daran geivesen sein, was nun passierte! Es gibt eben Augenblicke im Menschenleben, wo man große Not hat und -dabei doch gern allein ist . . . Mt dem Röckchen, das ich vorher hatte, da ging's, da wußte ich genügend Bescheid, ja, aber die Hosen, die Hosen! Kurz und gut: Ich rannte, was ich rennen konnte, dem Hause zu, erreichte aber die Wohnung nicht mehr, wo man mir sicher geholfen hätte . . . Betrübt schlich ich langsam in die Stube. Zum Glück mar gerade niemand darinnen. Ich zog nun recht umständlich meine netten Höschen aus und holte das verschmähte Röckchen hinterm Ösen hervor und schlüpfte hinein. Dann kletterte ich aus die Ofenbank und hing die Hosen an eine der Stangen, die rings herum angebracht waren, auf. Dann fetzte ich mich selbst fest hinter den großen Eßtisch ms Herrgottseck, wo ich sodann ange legentlichst im alten Kalender blättert» und kaum auszublicken wagte, al» die Stubentür ausging Bruder Lorenz war's. Der erblickte zuerst die Hosen am Ofengeiänder, schnüffelte mit der Nase in der Luft herum, schaute mich dann höhnisch an und tanzte sodann frohlockend wie ein Indianer in der Stube umher. Ja, ja! Er hatte ja recht am Bormittag: Hochmut kommt vor dem Fall. „Gell, du fagst's dem Finele net?" ivar mein erster Stoß seufzer hinterm Tisch hervor. „Was zahlscht?" enlaegnetc er. Ich leerte mein« Sparbüchse, eine alte, leere Zündholrschachlel, und gab ihm den ganzen Inhalt: acht kupferne Pfennige, echte Goldpsenn-ige. So teuer mußte ich sein Schweigen bezahlen! Aber mehr noch galt mir die Liebe! Endlich Hamen Bater und Mutter. Diese nahmen den Fall weniger tragisch als ich. „Macht nix. isch mir au passiert, wo i klein war", sagte der Vater. Das tröstete mich ungemein: ich ge lobte mir aber, in Zukunft vorsichtiger zu sein und nicht zu weit von menschlichen Behausungen zu gehen. So Konnte ich dann mit Stolz meine ersten Hosen tragen, nachdem sie frisch gewaschen und gebügelt -waren. Von dem letzten Röckchen aber, das ich trug, bewährte Mütterchen immer ein Stückchen Stoff aus und von Zeit zu Zeit, selbst als schon ein wirklicher Mann war. zeigte sie mir dasselbe. Es war ein schöner Stoff mit blauen Vergißmein- nichtblümelein darinnen. Ja, treu sott der Mensch sein und das Alte nicht vergessen! Leuchtet nicht die Kindheit wie ein herrlicher ALenühimmel mit seinen goldenen Sonnenstrahlen in unser Alter hinein und sck>enkt uns das reinste Glück noch in der Erinnerung? Glücklich und zufrieden ist der Mensch, der in trüben Stunden des Lebens es versteht, in die Kindheit zurüclrzuslüchtcn. um dort am rein sten Brunnquell der Freude neue Kraft in sich auszunehmeu. Die sonnigen Kindertage liegen ja vor uns wie ein großes farben prächtiges Londschastsgemälde. auf dem jedes Blümchen, jeder Grashalm, jedes Bäumchen wieder ein Kunstwerk für sich bildet. Und mit Liebe und Andacht versenken wir uns in die Betrach tung dieser wunderbaren Bilder, die uns die Sorgen des Daseins auch -in den schwersten Stunden unseres Lebens vergessen machen. Und das ist eine große Wohltat!