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21. Hauptversammlung des Bundes Deutscher Vodenresormer. Dresden, den 6. Juni 1911 Für das Hauptthema der heutigen Sitzung: „Die Be deutung der Bodenreform für kleinere und mittlere Ge meinden" sind zwei Referenten bestellt: Bürgermeister Dr. Frcnah (Bensheim a. B.) und Bürgermeister Metz- macher (Landgemeinde Langenfeld i. NHId.). Das erste Referat wird, da der Referent am Erscheinen verhindert ist, verlesen. Es geht davon aus, daß die kleineren und mittleren Gemeinden nur oder wenistens ln erster Linie durch eine gesunde Wohnungspolitik der immer mehr wachsenden Abwanderung nach den Großstädten entgegen arbeiten können. Zu einer solchen Wohnungspolitik gehört vor allem der Erlaß sozial und hygienisch einwandfreier Bauordnungen. Die räumliche Ausnutzung des Bau geländes muß mit allen Mitteln eingeschränkt werden. So ist vor allem auch die Errichtung von Hintergebäuden nach Möglichkeit einzuschränken, Mietskasernen haben in kleineren und mittleren Gemeinden überhaupt keine Existenzberechtigung. (Beifall und Zustimmung.) Weiter muß die Gemeinde dafür sorgen, daß bebaunngssähiges Bauland in ausreichendem Maße zur Verfügung steht. Zu dem Zwecke soll sie sich bemühen, den Bestand an Baugelände fortgesetzt zu vermehren. Erwünscht wäre allerdings, daß ihr dies durch eine Erweiterung des Enteignilngsrechtes er leichtert würde; namentlich müsse sie das Recht haben, die sogenannten Schikanier-Zwickel, über die sich wohl jeder Bürgermeister schon geärgert habe, zu enteignen. Nötigen falls muß die Gemeinde auch die Errichtung von Klein wohnungen befördern oder selbst in die Hand nehmen. In steuerlicher Beziehung muß unter allen Umständen die Be steuerung nach dem gemeinen Werte angestrebt werden. Der Korreferent Bürgermeister Metzmacher behan delt die Frage vom Standpunkte der ländlichen Gemeinden. Er kommt im wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen wie der Referent: für den Vodenresormer gebe es einen Unter schied zwischen Großstadt und Kleinstadt oder zwischen städtischen oder ländlichen Gemeinden überhaupt nicht. Der Vorsitzende D a m a schke bittet um die Ermächtigung, dem leider am Erscheinen verhinderten Bürgermeister Frenay, tcr als Führer des hessischen Zentrums schon seit vier Fahren bodenreformerische Ideen im hessischen Landtage vertreten habe, den besonderen Dank des Bundestages für sein ausgezeichnetes Referat übermitteln zu dürfen. (Beif) Außerhalb der Tagesordnung erhält hierauf der Dresdner Oberbürgermeister DDr. Beutler das Wort, Er spricht sein Bedauern aus, das; Berufsgeschäfte ihn biü- ber verhindert hätten, an der Tagung teilzunehmen, der er guten Verlauf und besten Erfolg wünsche (Beifall) speziell in der Richtung des baldigen Erlasses eines Neichs- N'ohnnngdgesctzcs. Hierauf referiert noch Stadtrat Sem- britzki (Königsberg) über: „Die Steuer nach dem ge meinen Werte nnd ihre Ausgestaltung." Von der Tatsache ausgehend, daß die Grund- und Gebändesteuer in der Form der Ertragssteuer nicht geeignet ist, den tatsächlichen Wert des Grundstückes, namentlich des unbebauten Grundstückes, zu erfassen, beleuchtet Redner die Vorzüge der Steuer nach dem gemeinen Werte (Grundwertsteuer) und weist die gegen diese Steuerart geltend gemachten Bedenken und Ein wendungen zurück. (Beifall.) In der Diskussion bemerkt Oberbürgermeister W e i ß e n b o r n-Halberstadt, daß auch die Grundwert steuer noch weit hinter dem bodenreformerischen Ideal zu- rückbleibe: das Endziel müsse die Einführung einer direkten Zuwachs-Grundsteuer sein. (Lebhaftes Bravo!) Diese Frage soll auf mehrfach geäußerten Wunsch auf einein der nächsten Bundestage ausführlich behandelt werben. — Da mit sind die eigentlichen Verhandlungen beendet; heute nach mittag findet eine Dampferfahrt statt; für morgen ist ein Besuch der bei Dresden gelegenen Gartenstadt Helleran geplant. Zur Toleranzfrage in Sachsen. Es ist eine traurige Tatsache, daß gerade unser schönes Sachsenland unter allen deutschen Gauen in Bezug ans Toleranz noch sehr viel zu wünschen übrig läßt. Ein Hanpteil der Schuld ist ja auf das Konto der Brandreden und Hetzereien des sattsam bekannten Evangelischen BundeS zu schreiben. Für die fanatischen Anhänger dieses „evange lischen" Bundes sind wir Katholiken nur Staatsbürger „zweiter" Klasse, denen jedwede monarchische und staats- rechtliche Gesiniinng abzusprechen ist. Wir Katholiken sind zwar nicht ungern gesehen, wenn eS an das Zahlen und der gleichen geht, sonst aber sind wir nur die Geduldeten. Wenn wir einen Blick in andere, auch konfessionell gemischte Ge genden Deutschlands werfen, speziell dorthin, wo die Katho- liken in der Mehrheit sind, so finden wir ein viel harmo nischeres Zusammenleben der beiden christlichen Konfessio nen als bei uns. Es liegen sich zwar auch dort nicht die im Glauben getrennten Brüder liebevoll m den Armen, aber der eine achtet doch wenigstens des anderen religiöse Ueberzeugnng und legt deren Ausübung kein Hindernis in den Weg. Allerdings, der Evangelische Bund hat dort, Gott sei Dank, noch keine Wurzeln geschlagen, es gibt auch da keine solche verbissene Zeitung, wie es beispielsweise unsere kolerischeu „Leipziger Neuesten Nachrichten" sind. Ein schönes Beispiel religiöser Toleranz wird uns so eben ans der Saarbrückener Gegend gemeldet. In Bildstock protestierten in einer öffentlichen Versammlung an 600 katholische und evangelische Männer gegen das Verbot des Bürgermeisters nnd des Landrates wegen der Fronleich- namsprozession Beschlossen wurde, an den Minister nnd an den Regierungspräsidenten folgendes Telegramm ab zusenden: „Die Bürger der Gemeinde Bildstock, Katholiken wie Protestanten, protestieren im Namen von 6000 Katholiken nnd 1600 Protestanten aufs entschiedenste gegen den ablehnenden Bescheid in Sachen der Fronleichnamspro- zession, sowie dessen Begründung; insbesondere dagegen, daß der konfessionelle Friede, daß Ordnung und Sicherheit gefährdet werbe." Diese Protestworte sagen sehr viel, sie zeigen uns einer seits, wie dort der konfessionelle Friede hochgehalten wirb und anderseits, daß die irrige Ansicht vieler Protestanten, die Fronleichnamsprozession sei eine Demonstration gegen den Protestantismus, doch allmählich vernünftiger Aufklä rung Platz macht. Wann wird endlich einmal auch in un serem Lande diese Aufklärung einkehren- Wann wird auch da religiöser Friede und wahre bürgerliche Toleranz Ein kehr halten? Nicht eher wohl, als bis man sich wirklich auf richtig bemüht, das Wesen des Katholizismus kennen zu lernen und es nicht mehr durch die Brille konfessioneller Voreingenommenheit betrachtet, wie sie leider vielfach durch den Konfirmandcnn.lterricht »nd durch daS Lesen katholiken- sresserischer Zeitungen, zum Beispiel der ,Leipz. N. N.", aufgesetzt wird Wenn diese Brille einmal zerbrochen wor den ist, dann wird man auch in dom Katholiken nicht mehr den wunderlichen Römling, sondern seinen gleichberechtigten Mitbürger sehen. Tann wird sich auch in Sachsen für beide Konfessionen ein ebenso friedliches Zusammenleben ergeben, wie es znm Beispiel in Bayern, Baden, Hessen nsw. schon längst der Fall ist. Gemeinde- und VereinsnachriMen. 8 Trcsdcn-Johannstadt. (Volksverein für das kath. Deut s ch l a n d.) Sonntag den 11. Juni nachmit tags 4 Uhr Kinderfest in Riepls Brauerei aus der Bors bergstraße. Mehrseitige Unterhaltung, wie von früher her bekannt. Alle Mitglieder des Vereins und der Pfarrei sind herzlich eingeladen. 8 DreSden-Neustadt. (Volksverein l. d. k. Deutsch!.) Sonntag, den 11. Juni 1911, Familien-Ausflug nach dem tzeideschlößchen, Flschhausstraße (Elektrische Bahn Nr. 9 oder 11). Daselbst Kinderbelustiqungen aller Art (Gaben verteilung). sowie bei eintretender Dunkelheit Lampionumzug. Den Erwachsenen steht die Kegelbahn zur Verfügung und ist ferner für ein Tänzchen Sorge getragen. Treffpunkt am Linkeschen Bade, Eingang Radeberger Straße. Abmarsch Punkt 2 Uhr. Zahlreiches Erscheinen ist dringend erwünscht. 8 Chemnitz. Der kath. Arbeiterverein hält Sonn' tag, den 1l. Jnni abends ^8 Uhr im Hotel Goldener Anker. Dresdner Straße, seine Versammlung mit Vortrag des Herrn Grosser ab. Thema: Die Wirkungen des Studiums unserer Religion. — Gäste sind willkommen. — Am 18. Juni Ausflug nach Wcchselburg-Penlg. Abfahrt früh 6 Uhr 66 Min. vom Hauplbahnhofe bis Stein im Ehemnitztale (46 Pf ), dann Fußwanderung bis Wechselburg. 8 Leipzig. (Kath. Gesellenverein.) Sonntag den 1l. Juni nachmittags 2 Uhr findet ein Preiskegeln statt, anschließend Familienabend: 1. Pceisoerteilung, 2. Theater (Er will heiraten). 3. humoristische Vorträge uiw. Alle Herren Ehrenmitglieder sowie Gönner nnd Freunde des Vereins sind herzlich willkommen. Äirche und Unterricht. k Berlin, 6. Juni. Die Ko»s ki ation der von der St.-Hedwigs-Gemeinde neu erbauten St.-Clemens-Kirche, Königgrätzer Straße 106, und die Einweihung deS damit verbundenen Katholischen Gesellen - Hospizes durch den Kardinal-Fürstbischof von Breslau findet Sonntag, den 25. Juni vormittags V28 Uhr statt. Hieran schließt sich um 10'/z Uhr das feierliche Pontifikalamt. Ic Gegen die katholisitien Klosterschulen an der belgisch- holländischen Grenze eröffnet Chefredakteur M. Röder- — 36 — fassen konnte, erkannt er doch, daß jener einen schäbigen schwarzen Anzug »nd einen grünen Angenschirm trug. 9. In klarer Erkenntnis dessen, daß es müßig wäre, den Mann, der ihm oas Verzeichnis entrissen hatte, in dem Gewirr kleiner Gassen zu verfolgen, in dem er verschwunden war, begab sich Leonard in seinen Gasthof zurück, und trat am nächsten Morgen die Reise nach der Windmühle seines Groß- oaters an. Nach dem Aerger der ersten Minuten begann er in dem Diebstahl, den ein mit einem grünen Angenschirm versehenes Individuum an ihm verübt natie, eine Art Wohltat zu erblicken. Daß sich Lesbias Warnung so rasch als gerechtfertigt erwies, bestätigte seinen halb erwachten Verdacht, daß Wynter Grange der Ort war, woher ihm Gefahr drohte, und es war immerhin ein Gewinn, zu wissen, auf welcher Seite man seine Feinde zu suchen hatte. Er jagte sich ferner, daß der Umstand, daß der „Cader Jdris" mit dem alten Wrack m der kleinen Bucht identisch sei, noch immer keinen Vorteil bedeute, wenn man auch nicht wußte, wo das verschwundene Schriftstück verborgen war. Diese Kenntnis besaß vorläufig nur sein Großvater allein, während Leonard in diesen wichtigen Teil des Geheiinmsses noch nicht eingcweiht wor ben war. Auf der Heimreise, die mit der Bahn erfolgte, bekam Leonard Wynter keinerlei grünen Angenschirm, oder auch nur eine bekannte Person zu Gesicht. Er suchte eigentlich auch keine. Die fliehenden Schritte in den schinntzigen Seitengasseic Hnlls konnten nicht von dem klumpfüßigen Roger Danbenh her- rühren und obschon James Neynell den Argwohn des jungen Wynter er regt hatte, hätte er ihn nicht ohne weiteres perdächtigen mögen. Er war eher geneigt, in dem Gaste von Grange nur einen flüchtigen Kameraden des rohen Jninan Danbeny zu erblicken, nicht aber einen Menschen, der zu allerlei schwierigen Späherdiensten verwendet werden könnte. Dabei hatte er aber nicht vergessen, daß Neynell auf dem Bahnhöfe anwesend gewesen, als Leonard zu Beginn seiner Nachforschungen nach London fuhr. In de» ersten Nachniiitagsstunden langte Leonard in der Windmühle an. wo seine Nachrichten den alten Kapitän in große Aufregung versetzten. Nach leiflicheni Ueberlegen während der Fahrt hatte der junge Mann beschlossen, über das geraubte Verzeichnis und den grünen Angenschirm nichts verlauten zu lasseii. Es schien ganz überflüssig, den alteil Kapitän mit Befürchtungen vor einer vielleicht gar nicht existierenden Gefahr zu erschrecken, zumal er dieser selbst die Stirne »leinte bieten zu können, und aus Gründen, die er sich selbst kaum einzugestehen wagte, scheute er davor zurück, Lesbias Namen in der Angelegenheit zu nennen. Leonard rückte mit seinen Mitteilungen erst heraus, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Frau Cobb, die Aufräumen» in der abseits gelegenen Küche beschnstigt war. Darauf ersuchte ihn der alte Herr, draußen Umschau zu halten, ob kein Lauscher in der Nähe sei, und Leonard konnte ihm die beruhigende Meldung erstatten, daß weit nnd breit kein lebendes Wesen zu erblicken sei, außer einigen Kühen aus der Weide und einigen Strandpfeifern, die seewärts flogen. — 33 — Tie Witwe des Schiffseigners faltete majestätisch die Hände nnd blickte angestrengt nachdenkend durch den Spitzenvorhang auf die schmutzige Straße hinab. „.Handelt cs sich um eine ehrliche, rechtschaffene Sache?" fragte sie end lich, und versuchte den Gast durchdringend aiizublicken. Leonard versicherte natürlich hoch und teuer, daß dies der Fall sei, und deutete sogar an, daß es nur von ihrem guten Willen abhänge, ob eine höchst ehrenwerte Familie in den Besitz des ihr reichlich znkommenden Vermögens gelangt oder nicht." „Eine Familie ans Hnll?" kam die scharfe Gegenfrage. „Nein, sondern ans Suffolk," erwiderte Leonard rasch, denn er hatte be reits erkannt, daß die würdige Dame lieber sterben, als dazu beitragen würde, einer der Familien, mit denen sie in ihrer Glanzzeit rivalisiert hatte, zu Reichtümern zu verhelfen. „In diesem Falle bemühen Sie sich gefälligst zu meinem Sohne," sagte Frau Blensinkop; „Als war früher Beamter, bevor sein Vater stnr'o. Ich will vergessen, daß er ein sehr stolzer Junge ist. sonst dürfte ich Ihnen seine Adresse nicht nennen. Sie werden ihn, vorausgesetzt, daß er nüchtern ist, am Ende der Mittelstraße, unweit von de» Fischdocks, aiitreffen, wo er Schweins- süße und ähnliche Leckerbissen verkauft. Ich mache Sie im vorhinein darauf aufmerksam, daß Alf ewig durstig ist; doch ist das nur ein Grund mehr, damit er Ihnen alles mitteilt, was ihm selbst bekannt ist. Und wenn ihm jemand ein Glas Wein bezahlt, so behandelt er dann den Betreffenden äußerst zuvorkommend." Ohne eine Minute zu verlieren, nahm Leonard von der Dame Abschied. Es war ein langer Weg bis in die Mittelstraße, und da er hierbei an seinem Gasthofe vorüber mußte, nahm er zunächst ein frugales Mahl zu sich, so daß acht Uhr vorüber war, als er die Fischdocks erreichte. Trotz der vorgerückten Stunde drängten sich in dein schmalen Gäßcl-e», das sich zwilchen diesen dahin zog, zahlreiche Käufer, die, ausnahmslos den niedrigen Volksschichten an- gehörend, hier gegen wenig Geld ihren Vorrat an Nahrungsmitteln zu decken suchten. Leonard bahnte sich einen Weg durch die bieien Mensche», die »in dis bei flackerndem Gaslicht anSgelegten Lebensmittel feilschten, und gelangte endlich vor den Stand eines Schweineschlächters, den eine Tafel mit der Auf- ichrift „A. Blensinkop" schmückte. Doch in dem kleinen Lade» sah man sehr wenig, fast gar keine Ware und von einem lebenden Wesen überhaupt keine Spur, Ein halbes Dutzend Heringfäßchen und etliche Würste lrxrren alles, was an diesem Orte an seine eigentliche Bestimmung erinnerte. Während Leonard, noch aus der Türschwelle stehend, den Gedanken er wog, was wohl jetzt zunächst zu tun sei, wurde er ziemlich nilsanft von einem breitschulterigen, stiernackigen Manne mit vorgebuiideiicr blauer Schürze bei seite geschoben, der sich hinter seinen Verkanfstisch stellend, sein Messer an dein Stahl zu wetzen begann, der ihm a» einer Kette von der Weste herabhing, und dabei rein mechanisch den bekannten Ruf anstimiiite: „Kaust, kauftl" „Entichnldigen Sie," sagte Leonard, „doch wenn Sie Herr Alfred Blen sinkop find, so Hütte ich etwas mit Ihnen zu besprechen." „Ihre Schuld.