Volltext Seite (XML)
Der Auslösungsantrag im Landtag Dresden, 14. Juni. Ja der heut« mittag beginnenden Landlagssitzung fleht an erster Stelle derAusliisungsantrag der Kam- mu nisten gegen die Regierung auf der Tagesardnung. Die Begründung des Antrages, so,ui« die Stellungnahme der Sozi«, lislen wird «rwartungsgemäh geraume Zelt in Anspruch nehmen, so daß die Abstimmung erst in de« späteren Nachmittagsstunden zu erwarten ist. Den bisherigen Erfahrungen gemätz werden sich wohl auch diesmal die Koalitionsparteien aus die Abgabe einer kurzen gemeinsamen Erklärung beschränken. Die These, bah die Vorgänge in der ASP. schon heute aus die Haltung der vier Altsozialisten zu dem Auflösungsantrag von Einfluß sein könnten, hat keinerlei Wahrscheinlichkeit für sich. Alle Gerüchte, die von einer erfolgten oder bevorstehenden Rückkehr maßgeblicher Politiker der ASP. in die sozialdemo- kratische Partei mit dem Ziele der Bildung einer großen Koali tion missen wollen, entbehren jeder Grundlage. Kreishaupt mann Buck ermächtigte ein Nedaktionsmitglied des Telunion- Sochsend'icnstes zu der Erklärung, daß er persönlich noch nie Saran gedacht habe und auch heute noch nicht daran denke, te'-en Parteifreunden untreu zu werden oder gar zu einer Po-tei zurückzukehren, die rhn in schwerster Weise persönlich verdächtigt und beschimvft habe. Dasselbe gelte seiner Ueber- zeugung und seines Wissens nach auch vom Ministerpräsidenten Hel dt Die Auseinandersetzung mit Viehisch habe sich in !r ui'dsckasslichster Form vollzogen. Niekisch sei darauf auf. merksam mmackt worden, daß ein großer Teil der altsozialisti- k ' Parmim'itglieder mit Niekischs außenpolitischer Einstellung und seinem Konspirieren mit den Wehrverbänden nicht einver standen sein könne Niekisch habe aus dieser Erklärung seine Konsenuenzen gezogen De Altsozialisten, so versicherte Kreis- Haupt mann Buck, stehen nach wie vor auf dem bei der Grün dung der Partei vertretenen Standpunkte, daß ihnen unser eioenes Volk und Vaterland näher stehen müsse als das Aus- !ond und daß das bittere Unrecht des Versailler Diktats, das »ms deutscke Volk und besonders den deutschen Arbeiter auf das ick""-,sie bedrücke, unbedingt bald aus der Welt geschasst worden misste Lftemnllr, Tvlcksu, PIsurn Ein aufsehenerregen-er Ankrag im Landkage Dresden, 14. Juni. Im Oktober 1911 beschäftigte sich Vas Schwurgericht Chemnitz mit einer Anklage wegen Giftmordes und Versicherungsbetruges. Eine Witwe Voigt war beschuldigt worden, ibr eigenes Kind ver giftet zu babc». um die Versicherungssumme in die Hände zu be kommen. Tie Geschworenen sprachen die Witwe schuldig, sie ivurdc Saraiishin zum Tode verurteilt- Im Januar 1912 beschäftigte sich der Strasscnat des Reichsgerichts mit der Revision. Das eingelegte Rechtsmittel wurde verworfen. Das Gcsamtmiuisterium hat die Ver urteilte später begnadigt. Nach Verbüßung einer Reihe Jahre ZuchtbauS ivurdc Frau Voigt entlassen. In der Umgebung Dres dens fristete iie ihr Leben als Vermieterin. Durch Rechtsanwalt Tr Garcis-Chemnitz hat sie seit Jahren die Wiederaufnahme des Verfahrens betrieben. Wird dem stattgegeben, dann steht einer der .lös ten und auch interessantesten Giftmordprozcsse bevor. In dieser Angelegenheit bat soeben der Prüfungsausschiiß des Sächsischen Landtages beschlossen, „der Landtag wolle beschließen, daß die Staatsanwaltschaft angewiesen wird, im Fasse der Wiederaufnahme des Verfahrens kein Rechtsmittel zuungunsten -der Beschuldigten ciuzutegen'. tz Neue Verhandlungen in der Textilindustrie. Die am Denc-'ng zwischen Vertretern des Arbeitgeberverbandes für die inchsiiche Textilindustrie und der Gewerkschaften geführten Ver- ti-wdluiwen über ein neues Arbeitszeitabkommen sind ohne Er gebnis abgebrochen worden. Ls soll nunmehr, wie die Blätter melden, eil' Schiedsspruch herbeigesührt werden. tz. Di- Geschlechtskrankheiten und ihre Bekämpfung. Das Deutsch- Hnoicne-Museum in Dresden und der Rat der Stadt Chemnitz, Fugend- und Wohlfahrtsamt, veranstalten in E, ineinichast mit der Ortsgruppe Chemnitz der Deutschen Ge- '"iischaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in der Zeit vom 21 Juni bis 15. Juli im hiesigen städtischen Museum eine Ausstellung „Die Geschlechtskrankheiten und ihre Be- käi-pknig" Dresden, den 13. Juni. Die „Sächsische S ta a t s z e i t u n g" veröffent licht heute einen Aufsatz, der sich mit dem Thema „Reli gionsunterricht und Landeslehrplan" be faßt. Der Aufsatz bringt offensichtlich die Auffassung der amtlichen Regierungsstelle zum Ausdruck. Wir geben ihn daher nachstehend im Wortlaut wieder: „Nach 8 18 Abs. 2 Satz 6 des Gesetzes vom 22. Juli 1919 be steht eine kirchliche Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes nicht mehr. Die mit Gesetzeskraft ausgcstattete Verordnung vom 2. De zember 1918 hat den Religionsunterricht auf allen Klassenstufen auf zwei Wochenstunden beschränkt. In diesen Stunden kann nur noch Biblische Geschichte bzw. Bibelerklärung. Kirchengeschichte. Peri- kopenerklärung getrieben werden. Der Koteckstsmusunlerricht ist weg- gefallen Die dadurch freigewordencn Stunden sind seitdem auf andern Unterricht zu verwenden gewesen. An diesem Zustande kann augenblicklich nichts geändert wer den. weil Artikel 174 der Reichsverfassung dem entgegenfteht. Weil die in diesem Artikel erwähnten Reichsbcstimmungen über den Religionsunterricht, seine Lehre, seinen Plan, seine Lernmittel, seine Aussicht, das ganze Verhältnis des Staates zur Kirche in die ser Frag« leider immer noch fehlen, dürste, wie es vordem schon in Auseinandersetzungen des Landes mit dem Reiche ausgesübrt wurde, das Ministerium für Volksbildung in dem eben veröffentlichten Landeslehrplan den geltenden Bestimmungen gemäß an der Stnn- denkürzung des Religionsunterrichts nichts ändern und weder für den evangelisch-lutherischen noch für den katholischen Religionsunter richt einen neuen Lehrplan aufftellen. Lediglich den Inhalt der den noch der Verordnung vom 2. De zember 1918 zulässigen zwei Ncligionsstunden entsprechenden Sach gebiete hat cs aus den Rctigionslehrplänen von 1876 unter Berück sichtigung der Kürzung um eine Stuude wöchentlich im drittm und vierten Schuljahre in den neuen Londcslehrplan übernommen. Die sen zur Zeit noch geltenden Lebrplonabichnittcn, denen weder vor 1918 von Kirche und Eltern, noch bei Gelegenheit der Aussprache zum Entwürfe eines Landeslehrplans von den Interessierten wider sprochen wurde, soll unzweideutig ssteltung verschafft und eine sichere Grundlage für ettvaige kirchlich-katcchctische Unterweisung gegeben werden Diese Maßnahme trägt deutlich das Kennzeichen einer Ueber - gangsvorschrist und ist von dem ehrlichen Streben diktiert, Bestimmtheit und Sicherheit auch für das Lehr- und Uebungsgebiet tz. Zugunsall. Heute vormittag ist am Bahnhof Mosel >m Auffahrtsgleis ein ankommender Güterzng einem Arbeits zug in die Flanke gefahren. Durch den Unfall sind leider zwei Arbeiter getötet und zwei verletzt worden. Der Zugverkehr wird über Meerane—Gösnitz aufrecht erhalten. Lememöe- uini Verrinsveren tz Zu der Feier der Prozession in Kipsdorf ist rege Beteiligung auch von Dresden aus erwünscht. Man benütze den Zug ob Dresden Hbf. 6.19, an Hainsbcrg 6.36. Treffpunkt zur Weiterfahrt spätestens 7.15 Bahnhof Hainsbcrg. Gelöst wird Sonntagsfahrkarte Kips dorf. Ta die Zeit in Kipsdorf vor Beginn des Gottesdienstes etwas knapp ist, ist es ratsam, schon anderwärts zu beichten. Hoch amt 9.30 Uhr, Predigt, Prozession. Gemeinsamer Kaffee und Mittag essen in der Tellkoppe nach Anmeldung bis 16. Juni mittags beim Pfarramt Freital (Tel. 329 Frcital). Abends 8 Uhr Lichterprozes ston. Rückfahrt gegen 9 Uhr. „Mögen alle, die zur Gottesmutter nach Kipsdorf pilgern, die Liebe der Gottesmutter in reichem Maße erfahren und durch Maria zu Jcsum gelangen", schreibt der hoch würdigste Herr Bischof. Also, auf nach St. Maria im Gebirge! tz Archivresbylerat Dresden. Priesterlonfrrcuz Dienstag, den Id. Jnni, nachm. 3 Uhr Schloßstratzr 32. Leutersdorf. Für die Wahl zum Elternrot ist nur eine Liste eingereicht worden, deren Bewerber somit gewählt sind. Es sind dies: Kaufmann Bruno Winkler, der auch dem Schulausschuß «ngehört, Landwirt Johann Klinger. Maschincnsührer Bruno Gold berg, Schuhfabrikarbeiter Stefan Reinisch, .Hausfrau Pauliue Neu mann. der Religion zu schassen und den Frieden möglichst innerhalb der Schule zu wahren, solange der Kampf um die religiöse Unterweisung außerhalb der Schulmauern leider noch währen wird. Bekannt tvar dem Ministerium für Volksbildung gar wohl der Widerspruch, der sich insbesondere auf Stundenkürzung und Streichung gewisser Gebiete des Religionsunterrichts bezieht. Ein mal fehlt aber die Grundlage, aus der mit den Vertretern der Kir chen hätte verhandelt werden können oder müssen, und zum anderen kann die oberste Schulbehörde von sich allein und ohne Jnanipruch- naluu« der für die Landcsgesehgcbung zuständigen Stellen und ohne Verletzung des Artikels 174 der Reichsvcrsassung diesen Zustand nicht beseitigen. Wenn die Herbeiführung desselben als eine Rechts verletzung dargestellt und empfunden wird, so kann doch am aller wenigsten von kirchlichen Kreisen verlangt werden, dem eine ossen« Verletzung der Bestimmungen der Reicksversassung entgegenzusehen. Bei dieser Sachlage muß angenommen werde», daß die durch die Presse gehende Notiz über ein Rundschreiben des Ordina riats des Bistums Meißen an die Pfarr- und Scclsokge- ämtcr über den Lehrplan für den katholischen Unterricht in den Volksschulen sich lediglich auf etwaige katrchetische Unterweisungen de» Kirche an VolkSschüler außerhalb des verbindlichen Dolksschulnntrrrichts, also nicht auf die nach den gelten den Bestimmungen zu erteilende« zwei Religionöstnnden des WochciiftundenplanS bezieht. Um zu verhüten, daß das Rundschreiben anch auf den plan mäßigen Religionsunterricht der Volksschulen bezogen wird, wird das Ministerium für Volksbildung die einzelnen Lehrer, einschließ lich etwa eingesteMer Ersakkrnstc, Lchrerversammlungc», Schullei tungen, Bezirksschulräte und Bezirkslchrerräte anwcise», bei der Aufstellung von örtlichen und Bezirkslehrpläne,, für den Religions unterricht, bei ihrer (ttenehmignug, bei der Erteilung dieses zwei stündige» Religionsunterrichts sich lediglich an die Bestimmungen des von der obersten Schulbehörde veröffentlichte» LaiideSlehrptans zu halten. Wir geben heule diese Auslastungen der Staats zeitung wieder, ohne nochmals im einzelnen dazu Stel lung zu nehmen. Betonen möchten wir nur das eine, daß die Vorschützung des Sperrartikels 174 der Reichs verfassung in vielen Punkten sehr stark daneben trifft und daß man mit diesem Artikel 174 durchaus nickt alle Eigenarten und Unzulänglichkeiten der sächsischen Schnl- gesetzgebung verteidigen kann. Katholische Kundgebung in England Am letzten Maisonntag nahmen an der in Preston von den katholischen Gilden angeführten großen Prozession über 16 600 Personen teil. Am gleichen Tage zogen in Glasgow anläßlich der traditionellen Jahresparnde der St. Binzenzgilde über 16 600 katholische Knaben durch die Straßen der Stadt. Die glänzende katholische Kundgebung, von der die großen eng lischen Blätter ausführlich berichtet haben, war am vergangenen Sonntag in Manchester. Ueber LS 060 Personen aus 22 Pfarreien Manchesters und Salfords zogen in Prozession durch die für jeden Verkehr gesperrten Hauptstraßen der Stadt. Auf dem weiten Platz vor dem Rathaus fand ein eindrucksvoller Gottes dienst statt. Infolge der drückenden Hitze wurden 436 Personen aus der ungeheuren Menschenmenge, die sich zu beiden Seiten der Straßen ausgestellt hatten, ohnmächtig. In Swansea (Wales) kamen die Vertreter der kath. Jungmännergesellschast zu ihrer Jahresversammlung zusammen, ll. a. wurde ein Vor trag über die Presse gehalten. Man müsse, so wurde ausgeführt von den Zeitungen verlangen, daß sie in ihrem Tone christlich seien, ohne deshalb das Mittel zu werden, durch welches die christliche Lehre gelehrt oder das Dogma erklärt werde. Daß die gut ausgebaute katholische Presse nicht vorankomme und nicht die ihr gebührende Verbreitung besitze, sei allein der Teil nahmslosigkeit zuzuschreiben. Daher macht cs sich der mächtige Verband zur besonderen Ausgabe, die katholische Presse zu ver breiten und durch sie die seichten großen englischen Sonntags blätter zu verdrönaen -VeÜrrberichr -er Dresdner Wetterwarte Witterungsaussichten. Wechselnd bewölkt, zeitweise zur Unbeständigkeit neigend. Temperatur etwa? vermindert, schwache bis mäßige Winde aus südlichen bis westlichen Rich tungen. Frömmigkeils-Skatiskik? Dr. Friedrich Fuchs, der diese Frage im Juni- Heft des Hochland (Kösel, Kempten) stellt, äußert darüber folgende beachtlichen Gedanken: „Frömmigkeit in Ziffern? Sie liegt heute nicht mehr so ferne, diese Wortverbindung. In periodischen Schriften blät ternd — wohlverstanden nicht amerikanischen —, begegne ich ihr nicht selten Da sind nationale Ausrechnungen über den Peterspscnnig: gewiß, hier ist Statistik eine mögliche Methode, immerhin, Geld läßt sich zählen, wenn auch das Scherflein der Witwe aus der Gesamtjtumme sich nicht auszichen läßt. Auch karttalive Aufwendungen lassen sich registrieren (und doch — sic sollten sich nicht, öfentltch registrieren lassen). Auch die Ver breitung religiöser Traktate kann ohne Zweifel ziffernmäßig lestgestellt werden, doch ihre Wirkung? Ich lese da: „In Lour. des wurden seit Ostern nach Angaben des Stationsvorstandes über 800066 Fahrkarten gelost." Fahrkarten lassen sich zählen, das ist ein einivandsreics Verfahren; sicher kommt auf jede Fahrkarte eine Person, in der ökonomischen Ordnung (und für sie stimmt die Statistik) ein Hotelgast, aber wer schüttelt die gleichmütigen Herzen und die erschütterten auseinander, beide von der Gesamtzahl des Villettumsatzes in gleicher Weife, „reprä sentiert". d. h. nicht, nie und nimmer repräsentiert? Ich finde da vergleichende Statistiken über den Kirchcn- brsuch verschiedener Religionsgemeinschaften. Warum nicht? Sie können, soweit man sich auf einen Stichtag verlassen kann, ziemlich exakt sein. Aber iver nennt mir das statistische Prinzip, das diese Gesamtziffern von Tempelbesuchern in ihre beiden Komponenten: Zöllner unb Pharisäer, zerlegt? Oft kehren Statistiken über Konfessionswechsel wieder, aber selbst wenn sie doppelseitig sind, was sie selten sind, so bergen ihre Endsum men Newmans (wenn es heute welche gäbe) so gut wie Leute, die in eine Religionsgemeinschaft hineingeheiratet haben. Ich lese von einer eucharisttschen Prozession in Bologna, charakteri. siert durch folgende Ziffern: 5 Kardinale, etwa 5V Bischöfe, mehrere tausend Geistliche, 100 060 Personen, darunter 25 000 Kinder. Da aber die Angabe „mehrere lausend Geistliche" wohl zu ungenau schien, faßt sich der Bericht noch exakter: 1 Kilo meter Welt- und Ordensklerus. Aber das sin- ja alles nur Menschen, und schließlich lassen sich auch Menschen wie Geld zählen. Doch wenn nun die Statistiken holländischer Hostien bäckereien veröffentlicht werden, wenn Kominunionstatistiken, wie anläßlich des mit gigantischen Zahlen prunkenden eucharistk scheu Kongresses von Chicago, gleich Rekordleistungen in die Welt gefunkt werden, wenn das heilige Meßopfer, eines Wesens mit dem blutigen Opfer auf Kalvaria, folgendermaßen gezählt und spezifiziert wird: „Aus dem amerikanischen Dampfer „Majestie", welcher seit Mai 1922 im atlantischen Dienst steht, wurden bisher nahezu 2000 hl. Messen gefeiert, darunter von 5 Erzbischöfen, 18 Bischösen, 20 Prälaten und 349 Priestern" — dann, ja dann fragt man sich mit einem leichten Schauer: Fröm migkeit, wirklich Frömmigkeit in Ziffern? Nicht kommt das Reich Gottes mit Augenfälligkeit, auch nicht mit der Augenfälligkeit der Zahl... In der religiösen Sphäre hat nur das Zahlensystem der Geheimen Offenbarung Platz: Die 144 000, die dem Lamme folgen, wohin es geht, stellen keine empirische Zahl dar, sie sind auch nicht dos Ergebnis einer Statistik. Wenn sich die Nationen die aus ihrem Schoße hervorgeganacnen Heiligen in statistischer Ausmachung gegen seitig vorrcchnen, so wird das immer ein grundsätzliches Mißver ständnis sein. Die Zahlen erfassen wohl exakt die gewiß zähl baren Kanonisationen. aber nie das nicht zählbare Phänomen der Heiligkeit. Fern liegt es uns. der pfarramtlichen Statistik und der darauf sich gründenden wissenschaftlichen deskriptiven Statistik, z. B. eines so verdienten und vorsichtigen Gelehrten wie Hermann Krose ihre Berechtigung obznstreiten. Nur sollte sie eine esoterische Wissenschaft bleiben. Die den Gegenstand solcher Statistiken aus eigener Erfah rung kennen, wissen auch ihr« Ehiffern zu lesen: da sie, wenn auch nicht die Individuen, so doch die Typen kennen, die sich in größter Differenziertheit hinter den Zahlen bergen, so um kleidet sich deren Gebein für sie mit Fleisch. Wogegen wir uns wenden, ist jene popularisierte Statistik, mit deren Hilfe die Anbeter der großen Zahl ihren Kult propagieren . . . Gewiß. Zahlen sind suggestiv. Wer für die Nuance eines Gedankens blind ist: die fettgedruckte Ziffer sieht auch er noch. Zahlen, auch oielstellige, lassen sich leichter überblickcn als ein gedanken- besrachieier Satz. Zahlen „überzeugen": sie sind das wirksamste Werbemittel. Für «ine Ware ist ihre Absatzziffrr die beste Empfehlung, die Auflasteziffer für «in Buch (soweit es Ware sein will) oder für «in« Zeitung, für «ln« Zeitschrift (aber doch nur für ihren Anzeigenteil). Aber man lasse doch Zahlen sprechen. wo sie etwas aussagen: in den Grenzen des Oekonomischcn. Wenn wir die aus.die Zahl aufgebautcn materialistischen Mächte bekämpfen, wollen wir doch nicht dem Numcn Numeri aus gerechnet im eigenen Heiligtum eine» Altar setzen. Zahlen soll ten unser Selbstvertrauen — wenn es sich nur um Selbstver trauen handelte! —, das Vertrauen in unseren Christenglauben stärken? Es ist Zeit, daran zu erinnern, daß quantitatives Denken in der religiösen Sphäre keinen Platz Hot." Alfons Goldschmidt. Deutschland heute, Ernst Ro wohlt-Verlag. Berlin, 1V28 (Preis geh. 3 Mk.j. — GotSschmidt, der weitgereiste Kenner des Volks- und Wirtsckiastslebens, Kri tiker kapitalistischer Arbeitsmethoden aus naher Kenntnis, Freund Sowjetrußlands, schilderte das Deutschland von heute, wie er es mit seinen Augen bei der Rückkehr nach langjähriger Abwesenheit wicdcrsah. Es ist kein freundliches Bild, das sich uns da entwickelt: „Deutschland hat keine Farbe", Berlin und die Provinz, die Sprache und dos Gesicht, die Produktion und das Proletariat weisen mehr negative als positive Züge ank. So nieint Goldsckmidt, und er begründet seine Meinung in immer fesselnder Weise, in sprühender, oft allzu eigenwilliger Sprache. Wer Goldschmidts Tinndeinstellung kennt, wird diese übergroße Schätze der Kritik selbstverständlich finden und nach dem vernünftigen Maß berechtigten Tadels suchen, das liier in sachkundiger Fülle »nd sehr reizvoller Form geboten wird. Ein Buch, das Zustimmung und Widerspruch in gleicher Weise reizen und jedem Erkenntnis vermitteln wird. Georges Duhamel, Briefe »ach Patagonien, Roiaickel- Vcrlag, Zürich. Preis geh. 3 Mark. — Diese Briese könnten eben sogut nach dem Nordpol oder sonstwohin gerichtet sein. Duhamel nimmt die gute Tradition der sranzösischcn Literatur auf. !» Briefen nach einem entfernten Lande Kritik an der Heimat zu üben Seine Bemerkungen über DolkSredner und ihre Zuhörer, über das Tbcatcr, die Gelehrtcnarbcit, die Büchcrliebhabcrei »nd die Krankheiten der Menschen sind lebenswahr, anmutig und entzückend humorvoll. Wer cS lernen will, über Unvollkommenheiten dieser Welt in versölinftckur Weise zu lächeln, lese diese geistvollen Essays, die Magda Kahn sehr ' vollkommen ins Deutsch« übertragen hat.