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Minwoch, den 83. Juni 192S Nr. 137. Seit« 8 Höchststand -es Elbehochwassers Doch mil des Geschickes Mächten . . . Wie o;l haben wir alle schon mit dem unverwüstlichen Wil - he.m Busch bekennen müssen: „Doch manchmal kommt es anders und zweitens als man denkt." Und wenn man dann im Pech sitzt über beide Ohren, dann spricht man von einem schlech ten Zufall und tröstet sich damit. Wenn man tief in der Arbeit sitzt, und pule Freunde kommen, die einen hindern, dann ist das eben: ein schlechter Zufall Ein guter Zusall wär's, wenn sie kämen, wenn man vor Langeweile an den Wänden hochklettern möchte. Wie mancher hatte beschlossen, in diesem Jahre seinen Urlaub früher zu nehmen: aber ein schlechter Zusall brachte ge rade in diesem Jahre bisher ein solches Zammerwetter, dass man auswachsen könnte. Zufällig ist mal ein schöner Sonnlagsmor gen, Man geht los mit dem neuen Strohhut. Marke „Butter blume". zieht den neuen Hechtgrauen Sommeranzug an und fühlt sich als König der Welt. Mit Mühe und Not erwischt man noch einen Stehplatz im gerammelt vollen Eisenbahnwagen. Heute, ja heute, da haben wir Glück!" Doch mit des Geschickes Mäch ten , , , Eine Stunde nach Abfahrt bewölkt sich der Himmel, eine halbe Stunde später tröppell es. und am Ziel d?r Neise gießt es, als gälte es, eine Feuersbrunst zu löschen, Ade, du neue But terblume, du Hechtgrauer, Aus der Partie wird nichts. Am anderen Morgen hatte der Strohhut ein Türmchen, und der Hechtgraue nur zusammengeschrumpft, dass man ihn als Bade anzug benutzen kann T ü ck e d e s Z u sa l l s! Und so ließe sich eine ganze Musterkollektion solcher Zu fälle aufreihen: Wohnungsnot und Theaterkarten, reici-e Erb schaften, die man nicht bekommt und schlechtes Diner statt des er hofften guten, eine gute Partie, die sich als das Gegenteil ent puppt. Gehaltsaufbesserung, die nicht eintritt, Monate mit 31 Tagen, wenn schon am 15, dos Vormonats tiefste Ebbe ist »sw Neulich ivar ich zu einer Abendgcscllsäiost zu einem „Löstet Suppe" eingeladen. Es waren nette junge Mädels da und auch recht hohe Semester, Wenn mir auch die jüngeren lieber sind als die älteren, so tröste ich mich auch mit den letzteren, wenn die Speisekarte gut ist. Mich fragte ein paar Tage vorher die Haus frau, was mir am liebsten sei. Ich denke, sie meint das Essen und sage arglos: Backfische, Kalbfleisch, junge Erbsen und Gänse brust, Sie maß mich mit wütendem Blick und rauschte davon. Ich bekam meinen Platz zwischen 50 und 00, Gesamtgewicht 360 Pfund: das Essen war mise, und ich muhte beide Damen noch zum Tanze führen. Ein miserabler Zusall! Ich weiß, das ist alles nichts Neues, Aber manchmal ärgert man sich doch über den schlechten Zufall, Und wer das Folgende liest, wird sich gerade so ärgern, wie ich, als ich es las. Der sranzösische Gelehrte .B e r g e t, ein großer Chemiker, hat jetzt entdeckt, daß das Meerivosser ziemlich reich an Gold ist. Ja, an Gold! Es ist das kein Aprilscherz! Dieses Gold ist an das Meerwasser chemisch gebunden. Auf jede Tonne Ozean wasser rechnet Herr Berget 50 Milligramm pures Gold Man rechne sich das einmal aus! Es kommen dann rund 70 Milliar den Kilogramm Gold heraus. Wenn wir alle die lieben mensch lichen Geschöpfe der weiten Welt, eingeschossen Kaisern, Boto- kuden, Südseeinsulaner usw, mit diesem Goldschätze gleichmäßig Bedenken, so kämen auf den Kopf rund 45 Millionen in Gold. Da liegt die Rettung der Welt, das Ende des Elends und aller Sorgen, kurz, unsere Zukunft nicht aus dem Wasser, wie man früher sagte, nicht in der Luft, wie man jetzt meint, sondern im Wasser in des Wortes vollster Bedeutung. Und wir wissen nicht, wie wir zu unserem Golde kommen! Ist das nickt der äraerlichtc aller ärgerlichen Zufälle aller Zeiten' Cuculus. Dresden Zur Förderung -es Arbeiksfchulgarkens Dresden, 22. Juni Der Besucher der Iubiläumsgartenbau-Ausstellung kennt ihn sicherlich aus eigener Anschauung, den Arbeilsschulgarten. Er hat sich vielleicht schon davon überzeugt,, in welcher Weise dort pädagogisch praktisch gearbeitet wird. Die Arbeitsschulgar- tenbeivegung steckt aber immerhin erst in den Anfängen. Jetzt hat die Arbeitsgemeinschaft Sächsischer Lehrerverbände zusammen mit dem Zentralinstilut für Erziehung und Unterricht in Dres den eine pädagogische Tagung veranstaltet, um den Gedanken °>es Arbeitsschulgartens zu fördern. Die Schulbehörden nahmen an der Tagung lebhaften An eil, Dr, Teuscher vom Pädagogischen Institut der Techni- chen Hochschule sprach in der ersten großen Versammlung über >ie „Prohleme der Sch ulgarte nbewegung". Er wies darauf hin, daß der Schulgarten an sich durchaus keine Sache van gestern und heute sei. Daß vielmehr schon im 18. Jahrhundert Erziehungsheimen Schulgärten ungegliedert waren, Dienten sie aber früher in erster Linie praktisch landwirtschaft lichen bzw. gärtnerischen Zwecken, so sei heute die Zielsetzung eine ganz andere geworden. Heute gilt es, den Schulgarten unter- DreSden, 22. Juni. Da» Hochwasser der Elbe hat hente nach» » Uhr de« Pegelstand von 898 Zentimeter er» reich». Seitdem ist ei« Stillstand eingetrete«. Man erwartet nunmehr ei« allmähliche» Abflauen de» Hochwasser». » Liebenwerda, 22. Juni. Das Hochwasser scheint Im Kreise von Liebenwerda seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Im Laufe des Sonntags ist ein geringer Fall des Wassers eingetreten. Der Dammbruch der Röder bei Würdenhai hat nicht verstopft werden können. Dresdner Reichswehr hat von Freitag abend bis Sonnabend mittag unermüdlich gearbeitet, es erwies sich jedoch als unmöglich, das große Leck in dem Damme, durch das dauernd riesige Wassermassen einströmten, völlig zu schließen, so daß die Ueberslutung fruchtbaren und wertvollen Bodens andauert. Hier wie auch am Lause der Elster und der Pulsnitz, wo die Dämme zwar haltbar waren, aber doch sehr viele undichte Stellen auf wiesen, sind die entstandenen Schäden sehr groß. Sie treffen fast durchweg kleine Landwirte, denen die ganze Ernte zu verfaulen droht. Zur Hilfeleistung stehen, nachdem die Reichswehr und die Schupo wieder abgerückt sind, Teile der Technischen Nothilfe aus Wittenberg, Torgau und anderen Orten und die gesamte alar mierte Einwohnerschaft des Kreises zur Verfügung. Seit Men schengedenken hat man hier in der fortgeschrittenen Jahreszeit ein derartiges Hochwasser nicht erlebt. richtlich auszuwerten. Der Schulgarten sei zur Fibel des Schü lers geworden, die das große Lehrbuch der Natur ersetzen solle. In Oesterreich sei diese Bewegung schon weiter gediehen. Der Gedanke der Arbeitsschule hat die Idee des Schulgartens weiter wesentlich gefördert. Der Schulgarten müsse eine Stätte sozialer Hingabe und eine Stätte der Heimat werden. Diesem grundlegenden Vortrage schlossen sich weitere Refe rate über Einzelfragen an. Am Sonntag besichtigten die Teil nehmer. historisch bemerkenswerte Gärten der Dresdner Um gebung. Am Montag sprach Hildegard v. Gierk« (Berlin) über „Das vorschulpflichtige Kind und der Schulgarten". Sie be tonte insbesondere, daß zu jedem Kindergarten ein seindurchdach ter Arbcitsgarten gehört. Weiter wurde in einem Referat von Lehrer Gerdes (D'ktorbu, Ostfrieslands die Bedeutung des Schulgartens für die Landschule gewürdigt, während Garten schulleiter Hühne (Berlins über den städtischen Arbeitsschulgarten sprach. Eine Führung durch die wissenschaftliche Abteilung der Gartenbau-Ausstellung schloß sich an. Die Tagung wird heute fortgesetzt. Umjangreiche K«m1ionsschtvinde!e!en Dresden, 22. Juni. Umfangreiche Kautionsbctrügereien und Schwindeleien mit Gcschäftseinlagen bildeten den Gegenstand eines größeren Strafprozesses, der am Montag vor dem Gemeinsamen Schöffen gericht Dresden zur Verhandlung kam. Die Anklage richtete sich gegen die angeblichen Kaufleute Rudolf Artur Wende, ge boren 1885 zu Sebnitz, und Max Otto Barthel, geboren 1893 zu Ebersdorf bei Lübau. Beide sind wiederholt vorbestraft. Unter der Bezeichnung Wende u. Co, in Dresden, Lebensmittel-, Spirituosen- und Tabakwarcnhandlung hatten Wende und Bar thel seit 1924 durch Zeitungsinserate Leute in Vertrauensstel lung oder auch als Teilhaber gesucht, dies aber davon abhän gig gemacht, daß entweder Kautionen oder Geschäfts- bezw. In- Icresseneinlagen gewährt wurden. Auf diese verlockend abgefaß ten Inserate meldeten sich viele erwerbslose Personen jeden Stan des und Berufes, die vielleicht noch einige Ersparnisse besaßen oder die geforderten Sicherheiten erst anderweit sich beschaffen mußten um dann darum betrogen zu werden. Es waren zwanzig solcher durchweg ganz niederträch tiger Einzelbetrugsfälle zur Aburteilung angesetzt und die Ge- schidigten, die als Vertreter, Außcnbcamter, kaufmännischer oder Düroieiter, Kontorist, Markthclfcr, Lagerarbeiter, Kellermei ster usw. vertraglich angestellt, und die außer in Dresden und Umgegend auch in Chemnitz, Zwickau, Freiberg, Görlitz, Nade- berg, Charlottenburg und anderwärts wohnhaft ivarcn, als Zeu gen vorgcladcn, In den zwanzig Einzelsällen sind die jeweiligen Bewerber um Verträge von 100 bis 5000 Mark, insgesamt um fast 20 000 Mark geschädigt worden. Die Beweisaufnahme ergab ein recht übles Bild. Beide Angeklagte sind erst vor wenigen Monaten wegen schmut ziger Betrügereien zu je fünf Monaten Gefängnis verurteilt worden, sie haben bereits im November 1024 den Offenbarungs- Der „Damrnbrnch" bei Muldenberg Ueber den Dammbruch vor der Muldenberger Talsperre wird uns von der Wasserbaudirektion Dresden folgendes mit» geteilt: Es handelt sich nicht um die Talsperre selbst, son» dern um einen kleine Teich, der 500 Meter unterhalb der Sperre liegt. Die in dem Teich aufgespeicherten Wassermengen sind all mählich abgeflossen und haben keineswegs besondere Schäden ver ursacht, Gebäude, Gärten usw. sind überhaupt nicht in Mitleiden schaft gezogen worden. Die Staumauer selbst hat den an sie ge- stellten Anforderungen in jeder Beziehung voll und ganz genügt, sie hat während des ganzen Hochwassers sich vorzüglich bewährt, indem sie die schädlichen Hochwassermengen zurückgehalten und die unterhalb liegenden Siedlungen vor großen, unheilvollen Ueberschwcmmungen bewahrt hat. Das Kochwasser -er Donau Budapest, 22. Juni. Da» Hochwasser am hiesige» Pegel zeigte heute einen Stand von 583 Zentimeter. Der unter« Donankai ist überflutet. Schaden wurde nicht angcrichtet. Der örtliche Schiffsverkehr ist eingestellt worden. Die Donau hat de« Komorn bereit» ihren Höchstand mit K2tt Zen- ti meter erreicht. In Budapest wird der höchste Stau» für morgen mit gleichfalls über 6 Meter erwartet. eid geleistet, und wie Amtsgerichtsdirektor Wohlrab besonders be tonte, ohne ekivas richtiges zu verstehen, überall herumgcfin- gert und das Ansehen des gesamten Kaufmannsstandes schiver geschädigt. Wie sich bereits aus der Ableistung des Offenbo- rungseides beider Angeklagter ohne weiteres ergibt, sind sie viel fach fortgesetzt erfolglos gepfändet worden. Bei einer Prüfung bestand das ganze Lager nur aus wenigen leeren Wein flaschen, wozu kein Lagervevwalter nötig ivar. Bücherprü fer Götze bekundete als Sachverständiger, daß die Buchführung direkt liederlich gewesen ist, soweit überhaupt von einer solchen gesprochen werden kann. Aus der Vernehmung der mehr als zwanzig Zeugen ergab sich, daß die jeweiligen Opfer schändlichst getäuscht worden sind. Es wurden ihnen hohe Gehälter bei nur geringer täglicher Ar beitsleistung zugesichert, nur um die geforderten Sicherheiten in die Hände zu bekommen. Staatsanwalt Dr. Ney mann führte in der Anklagerede u. a. aus, es liege hier eine ganz gemeine, schamlose, di« Oeffent- lichkeit gcsährdente Handlungsweise vor, die eine empfindlich« Ahndung erforderlich mache. Das Gericht verurteilte Barthel zu zwei Jahren, Wende, der sich auch des unbefugten Waf fenbesitzes schuldig gemacht, zu einem Jahr einer Woch« Gefängnis, deioe auch zum Verlust der bürgerlichen Ehren rechte in der Dauer von ore: Jahren, Der Vorsitzende des Ge richts betonte in der Urteilsbegründung, die Angeklagten Hütten von diesen vielen Betrügereien ihr Leben gefristet, ihre Hand lungsweise sei nach jeder Richtung hin als gemeingefährlich und raffiniert zu bezeichnen, weiter seien inzwischen noch ver schiedene neue Strafverfahren anhängig geworden». Prämien für Anlervermieiung an Ehepaare Dresden, 22. Juni Das städtische Wohnungsamt teilt mit: Trotz steigendem Angebots an Untermietszimmern gelingt es Ehepaaren vielfach nicht, mit der wünschenswerten Be schleunigung leere Untermieträume zu finden. Um die Ver- mietung an Ehezxrare, denen das Wohnungsamt zur Zeit noch keine Wohnung zuweisen kann, zu fördern, hat der Rat beschlos. sen, künftig für die Vermietung leerer Untermieterzimmer an Ehepaare Prämien von je20 Mark, bei Ehepaaren mit Kindern 30 Mark zu zahlen, ohne daß jedoch hieraus ein Rechtsanspruch bestellt. Vorausgesetzt ist, daß vor der Ver mietung die Untermietzimmer rechtzeitig beim Wohnungsamt oder einer Stadtbezirksinspektion als frei gemeldet und nach der Vermietung wieder abgemelbet worden sind. Wer die als ver mietbar gemeldeten Untermietzimmer leer an ein Ehepaar ver mietet hat, kann beim Wohnungsamt, Ferdinondstraße 17, Vor- derhaus, Erdgeschoß, die Zahlung der oben angeführten Prämie beantragen: dabei ist die Vermietung durch Einwohnermelde schein dos Untermieters nachzuweisen, Don wiederholter Zah lung für die gleichen Räume wird in der Regel abgesehen werden, wenn die Vermietung, für die bereits eine Vergütung gezahlt ist, sich nach verhältnismäßig kurzer Zeit erledigt. Der schöne Frauentag von Slnppach s2. Fortsetzung.) Im Pfarrhaus schlägt eine Kuckucksuhr; i» de» gar nicht nüchtern gotischen Fensterstcinen des Chörchen» außen picken und zwitschern Vogel, Finken oder Spatzen und er innern mich an die schwatzhaften Propheten an dem Tabernakel der Verkündigung zu Jsenheim. Sie freuen sich diese Vögel, daß sie am Chor der Kirche nisten können, und ich beneide sie! . . . Ans dem Bild ist nichts mehr zu sehen als ein un scheinbares Blnttgcrank an einer Banklehne oder einem Zaun und oben in den Lüften Gottvater mit vielen, Eulen, wie man das bei Grünewald sonsther schon kennt. Der Pfarrer kniet hinten und blättert in seinen Brie fen; vielleicht hat ihm sei» Bischof ein Hirtenichreiben ge schickt, vielleicht hat die Direktion der Stuttgarter Gemälde sammlung ein streng wissenschaftliches Gutachten über das Bild abgegeben, daß es nun doch unumgänglich sei, das Kleinod aus dem Geschwel der Kerzen zu entfernen und es, wde die Italiener neuerdings auch verführen, der staatlichen Sammlung zu überlassen . . . Ich setze mich ins Chorgcslühl der Herren Kirchen vorstände, wende meinen Blick wieder hinauf ans Bild und sehe, daß der Regenbogen, der aus einem kleinen Baum im Hintergrund aufsteigt, sich wie ein Urwelts- Heiligenschein, der Schöpfungsringen gleicht, über Maria runder und in seiner Perlängernng den Platz der Lieb- frauenkirche treffen muß, wo gerade die Hostie des Taber nakels thront. Einen Regenbogen möchte ich über jede Mutter malen, die mit ihrem Kinde spielt, über das Ewig- Müttcrliche, über die immerwährende heilige Jungfrau, der sich der Himmel öffnen muß wie hier. Und nun zurück, bis der Pfarrer fertig ist mit dem Gebet, zur Seele dieser Madonna, zu ihrer eigentlichen Schönheit, von innen bestrahlt, von außen mit ihrem Wahrheitsgehalt übergosjen. Was der göttlich erregte Matthias schön nennt, das Ost nicht der Schönheitsbegriff meiner Franken, das ist erst recht nicht, was der armscliae Kodex unserer armseligen Konvention schön nennt. Schön im Sinne des Matthias Grünewald ist der lebendigste, heftigste Ansdruck des seeli schen Zustandes, der seelischen Erregung, der Seele schlecht hin, Die rigoros letzte Darstellung, die restlos aufgeht in ihrer Form wie der Brillant im Feuer, die in der Seele des Nachempfindenden keine Schlacke zurückläßt. Nichts verschweigen, nichts hinznschen, so wahr mir Gott helfe! Wir müssen aufränmen in unseren überwucherten Seelen, wir haben den hochtrabenden Werturteilen beengter Stuben hocker und Schnutenhobler zu viel Raum in uns gegeben, dem dünkelhaft fragenden Verstand, der keine Ehrfurcht vor dem Geheiligten hat, der falsche Gottähnlichkeit verspricht und den Heilgen Geist in uns übertölpelt und schließlich tötet, und der sündig macht! Man muß sich zuvörderst von der Wissenschaft lossagcn, wenn man für die zer schossene Seele etwas einheimsen will. Wahrlich, das Schöne, das wir mit uns herumtragcn können, das ist das Gut«, das Göttliche in uns, das Kindlichsein des des Herzens, Und der Zusammenbruch unserer Tage, so dünk. es mich, das ist die Tragödie des Verstandes, die Tragödie des Protestes, die Tragödie ans der Kritik der reinen Vernunft! Die Zeit, in der Grünewald dieses Bild malte, ähnelt der jetzigen sehr. Sie hat gleich der nnsrigen mit allen ihren Errungenschaften die Freiheit des Menschen ver nichtet, hat am lieben Gott herumgedoktcrt, den sie schon verloren hatte, und hat versucht, das Neberzeitliche aus dem Zeitlichen zu destillieren mit Hilfe des Herzens. Kommen diese Gedanken aus dem Schiff der Kirche her, wo der Pfarrer kniet? Was ergehen sie sich in meiner Seele? In einer Seele, die vor wenigen Minuten noch in dulci snbilo vor ihrer großen Mutter stand? In einer Seele, die rein sein möchte und voll von ihres Gottes Fröhlichkeit und Minne? Meine Augen haften immer wieder an dem unschein baren Blattgerank einer Banklehne oder eines Zaunes. Ist diese Lehne, die doch viel zu klein ist, als daß Maria sich anlehnen könnte, ist dieses Zäunlein vielleicht etwas anderes? Vielleicht gar ein Kreuz? Der Pfarrer klappt sein Brevier zu und kommt ins Chörchen zu mir. Er weiß, wer ich bin, und wir sprechen gleich vertraut über sein Bild. Ich sage ihm seltsamerweise meine düstere Meinung über di« verhaltene Traurigkeit der Maria, daß sie vielleicht vom Reformator der Krrcke verwiesen worden sei und nunmehr wieder den Weg In ein Aeghpten antreten müsse, wovon der Knabe noch keine Ahnung habe? „Der Gedanke trifft besser als der meine", antworte/ der Pfarrer. „Und der Ihre ist?" frage ich. „Ich denke mir so: der greise Simeon habe joeven feine Prophezeiung ausgesagt, daß dies Büblein gesetzt sei zum „Gesetzt zum Falle", wiederhole ich, deute mit dem Stock gegen das kleine Kreuz und nicke. Der Pfarrer freut sich und sagt: „Eben dies Kreuz, eben das brachte mich auf meine Ansicht! Es schlägt den Ton des Leidens an, und wenn -wir in Jsenheim sehen, was ans unserem lustigen Kinde geworden ist unter der Hand des Meisters, so offenbart sicb uns die Tragik unseres Heilandes!" „Ganz recht, Herr Pfarrer! Einer von Ihre» allen Schwaben malte sogar über die Tür des Stalles zu Beth lehem ein Kreuz mit einem wirklichen Leib Christi. Und wahrlich; man kann, wenn man will, in dem kleinen versteckten Kreuz ein Symbol des Menschenlebens über haupt entdecken!" „Freilich!" erwidert mir der Pfarrer, und sein christ theologisches Lächeln tut mir außerordentlich gut. Dann fährt er gewichtig fort: „Matthias Grünewnld war sicher erfüllt von dem, was er da malte!" „Aber vielleicht nicht einmal", entgegne ich, „Viel leich., hat er, der versonnene Frank, es für seine iwr- sonnencn Franken, ohne lang nachzndenlen, an? dem Her zen heraus so hingemalt, unbewußt, wie die Wissenschaft sagt, denn das Unterbewusstsein ist ja die primitivere Seele! Ich kenne meine Franken, sie sind sehr lebenslustig und sehr nachdenklich! Wenn Sie, Herr Pfarrer, im Franken lande wallfahren gehen, nach Dieburg, nach Maria-Buchen oder zur Schwarzen Maria von Dettelbach, so finden Sie, daß alle Gnadenbilder schmerzhafte Marien sind. D:e Franken haben überhaupt das Kreuz nach Deutschland gebracht! . . . Und was ich noch hinzusetzeu will: diese Betrübtheit der Mutter Gottes angesichts eines verhalte nen Schmerzes» das scheint mtr eigentliche Schönheit zu sein!" «Fortsetzung folgt.)