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Nummer 2S3 — 2«. Jahrgang Crlchelnl «mal wöchentlich mit den illustrierte» Gratisbeilagen .Die wett" und .Für unsere kleinen Leute", sowie den Telt- bcilagen .Ti. Benno-Vlatt". .ltnierhaltung und Wissen". .Die Welt der Frau". .Aerzilicher Nalgeber", .Literarische Beilage". .Ftlmrundschan". Monatlicher BezngSPreiS 3.- Mi, einschl. Bestellgeld. Einzelnummer IN 4- Sonntag,»mnner «U 4- Hanptschristleiter- Tr. (S. Tesczhk, Dresden. // Frei lag, den 7. Oktober 1927 Anzeigenpreis«, Die lgespalten« Peliizetie »«» Familien anzeigen und Stellengesuche litt 4. Die Petiiiekiamezeile. 83 Millimeter breit, 1 Osseriengebühr iio 4, bei Ueber- sendnng durch die Post ausierdem Portozuschiag. Im Falle höherer Gewalt erlischt jede Verpflichtung ans Lieferung sowie Erfüllung v, Anzeigen-Aufträgen n. Leistung v Schadenersatz. Geschäsilicher Teil: Artur Lenz, Dresden. «eschiistSftelle. Truchu.Verlag, Germania, A.-G. für «erlag und Druckerei, Filiale Dresden, DreSden.A, l, Pollersirabel?. Fer,ir»s2,0I2. PosilcheckiontoDresden »703, Bankkonto: «tadtbank Dresden Ar, »NIS Für christliche Politik und Kulkur Redaktion der Sächsischen VolkSzettung DreSden-Altstadt 1. Poiterstrahe 17. Fernruf 2MII und »1012. Ludendorsf , und die Tannenbergseier Aus Ostpreußen wird uns geschriebenr Bei der Tannenbergfeier am 18. September ist zahl reichen Besuchern, die auf der Tribüne I den Veranstal tungen beiwohnten, ein Vorgang aufgefallen, der sich livischen General Ludendorff und den übrigen pro minenten Festteilnehmern an bzw. auf der Paradetribüne kurz vor Beginn des Vorbeimarsches avspielte. Bisher hat man wohl im Interesse des letzten Restes des guten Rufes .Ludendorffs selber darüber geschwiegen. Nachdem neuer lich aber die Ludendorff nahestehenden Kreise diesen Vor- zang in sein Gegenteil verkehren und versuchen, daraus für sich und gegen Hin den bürg sowohl wie gegen die Republik und die in Tannenberg anwesenden Minister Kapital zu schlagen, ist es an der Zeit, di« Wahrheit über Ludendorffs Rolle bei jenem Zwischenfall rückhaltlos zu lagen. Die „Deutsche Wochenschau", das Blatt des Luden- dorffschen Tannenbergbundes, schildert jene Vorgänge folgendermaßen: „Dann kam der historische Moment, an dem Hindcn- burg, Mackensen und die anderen Generale die Fcldherren- tribline bestiegen und — den Reichskanzler Marx, den Minister des Innern Grzesinski und den Vertreter des Ministerpräsidenten Braun auf die Feldherreniribilne Mit nahmen, um den Vorbeimarsch abzunehmen. Als der Feld marschall diese Herren hinaufgebeten hatte, verließ Feldherr Ludendorff die Tribüne!" Wie wenig der Berichterstatter des völkischen Blätt chens über die Tatsachen unterrichtet ist, geht schon allein daraus hervor, daß der preußische Innenminister der Tannenbergseier überhaupt nicht beigewohnt hat. Wenn unter dem Vertreter des preußischen Minister präsidenten der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen Siehr gemeint ist, so hat dieser in den Augen der Luden dorffleute allerdings den schweren Fehler, Republikaner und Demokrat zu sein. Seltsamerweise wird weder der im Gefolge des Reichskanzlers den Festlichkeiten beiwoh nende Reichswehrminister Dr. Gehler nach der Neichs- innenminister Dr. von Keudell erwähnt. Beide Minister sind aber in jenen Minuten durchaus solidarisch mit dem Reichskanzler vorgegangen und dementsprechend voil Ludendorff — nach der völkischen Darstellung — „be handelt" worden. Für die deutschnationalen Ludendorff- Freunde ist das sicherlich von Reiz. Nach den Beobachtun gen zahlreicher Augenzeugen, zu denen auch Schreiber dieses gehört, hat aber Ludendorsf gar nicht Ge legenheit gehabt, andere zu „behandeln", sondern er ist selber Objekt jener Vorgänge gewesen. Er hat also nicht dis Tribüne freiwillig als P ro te st gegen Marx verlassen, sondern er ist zum Ver lassen des Podiums veranlaßt worden. Der Vorfall hat sich folgendermaßen abgespielt: Ludendorff, der am 18. September 1927 genau so wie schon bei der Grundsteinlegung des Tanneiibcrgdeukmals im Sommer 1924 von den alten Generalen recht kühl be handelt wurde, hatte sich schon lange vor Beginn des Vor beimarsches der Kriegervereine und Wehrverbände von den anderen Generalen abgesondert und das Parade- podium an der Straße Hohenstein—Osterode geraume Zeit vor dem Eintreffen der übrigen prominenten Festteil nehmer betreten. Dort stand er mindestens zehn Minuten lang in einsamer Pose, hinter sich lediglich einen Offizier Dann kamen ' podium an. Ein dort weilender Ordner in Uniform trat an die Herren heran und wies mehrfach auf die Tribüne, augenscheinlich, um sie zu veranlassen, gleich hinaufzu- aehen. Das taten sie jedoch nicht, sondern blieben am Fuß des Podiums stehen. Nach einer Weile traten die ersten Gruppen der alten Generale, darunter Mackensen, aus dem Denkmal heraus und schritten dem Paradepodium zu. Da ging ein Ordner in Zivil an Ludendorff auf dem Podium heran und sprach auf ihn ein, anscheinend vergeb lich. Der Ordner entfernte sich, um kurz darauf, als Hindenburg sich näherte, nochmals mit Ludendorff zu ver handeln. Während Hiildenburg mit den anderen Gene ralen die Tribüne bestieg, kam der Ordner ein drittes Mal zu Ludendorff, zog sich wieder zurück, wurde jedoch zurück- gerusen. Während dieser letzten Unterredung mit dem Ordner machte Ludendorsf mit der rechten Hand mehrere so stark kennzeichnende Gesten, daß nian seine Wut über das ihm von dem Ordner Angetragene gar nicht ver kennen konnte. Währenddessen betrat Hindenburg die Tribüne, grüßte Ludendorsf kurz durch Senken des Mar- schallstabes und kehrte ihm den Rücken. Das gleiche tat Mackensen. Während dann die übrigen Generale auf di« Tribüne kamen, trat Ludendorff in mehreren Etappen den Rückzug von dem Podium an und nahm schließlich neben der Treppe Aufstellung. Das ganze Verhalten Ludendorffs widerspricht der von seinen Freunden verbreiteten Version, als habe Ludendorsf das Podium freiwillig verlassen. Er hätte sich zweifellos im voraus saaen können, daß Hindenbura den Reichskanzler Auch General Gomez gefangen — Calles* blutiges Gewalkregimenk Neuqork, 6, Oktober. Nach Meldungen aus Mexiko sind die Rebellen unter General Gomez nach blutigem Kampf in der Nähe van Vera- kruz geschlagen worden, General Gomez wurde gesangen genommen, ebenso General Almada, mit dessen Truppen sich mez vereinigen wollte. Auch an einigen anderen Stellen, wo es zu Kämpfen mit den Rebellen kam. blieben die Negie rungstruppen siegreich, so daß der Ausruhr als unterdrückt gelten kann. Die Negierung hasst, mit den restlicljcn 2ÜVV Man» Aufständischen schnell fertig zu werden. Nach der in Mexiko erscheinenden Zeitung ,,El Tontinental" sind die Abgeordneten der mexikanischen Kammer zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengctrelen, um über die A u s- schließung derjenigen Mitglieder Beschluß zu fassen, die die Generäle Serrano und Gomez unterstützt haben, — Bei den Kämpfen inIalisco wurden 19 Rebellen getötet und 20 ver wundet. Von den Aufständischen wurde bei Texcoco ein Eisen bahnzug überfallen und die Passagiere beraubt. Die Regierung gab Befehl, die Güter der Aufständischen überall zu beschlagnahmen und sie zur Bestreitung der durch die Niederwerfung des Aufruhrs entstandenen Kosten zu verkaufen. Es ist schwer, angesichts der scharfen Zensur die Stimmung der Bevölkerung zu ergründen. Nach ein gegangenen Telegrammen soll jedoch die öffentliche Meinung der Regierung günstig sein, General Obrcgon meldete tele phonisch, daß zahlreiche Aufständische nach der Hauptstadt zu- rllckkehren und sich der Regierung bedingungslos ergeben. Die Leichen Serranos und dreizehn seiner Anhänger sind öffent lich ausgestellt worden. Trotz strengster Zensur seitens der mexikanischen Negierung verlautet, daß die Niederwerfung der Rebellen im Vezirl Tampico den Regierungstruppcn nur nach heftigen Kämpfen gelungen sei. Schwere Kämpfe sollen auch bei Tehueco und im südlichen Teil des Staates Sinaola staltgefunden haben. Die Negierung sei entschlossen, ohneEnade vorzugchen, Präsident Lallcs leitet, von militärischen Beratern umgeben, die Operaiionen gegen die Rebellen persönlich. In Mexiko Litt, sollen 23 Angehörige der ersten Gesellschaft festgenommcn worden sein. und seine Begleiter zum Aufenthalt ans der Tribüne anf- forderte. Warum ließ dann Ludendorsf denn seine Person länger als eine Viertelstunde in einsamer Größe dort oben bewundern? Glaubte er stärker zu sei» als der Reichs präsident und der Reichskanzler? Wahrscheinlich hat sich Ludendorsf vorher nichts gedacht und sich einfach dort oben ausgestellt, wohin er zu gehören glaubte. Der nachfolgende Ablauf der Dinge hat ihn dann in die passive Nolle ge drängt, die seine Pressetrabanteii jetzt in eine aktive um- iudeuten versuchen. Aus den beobachteten Vorgängen ist zn schließen, daß die Festleitung von Tannenberg selber eingesehen hat. daß ein Nebeneinander Ludendorffs und der Minister zu Unzu träglichkeiten Hütte führen müssen, und sie hat dement sprechend Ludendorsf geopfert, ihn also ersuchen lassen, die Tribüne zu verlassen. Jeder Mensch, dem die Autorität unserer obersten Neichsgewalr etwas Unantastbares ist, wird zugeben, daß Hindenburg und Marx sich nicht neben dem erklärtesten Gegner der deutschen Republik den vorüei- marschierenden Vereinen und Verbänden zeigen konnten, Ludendorsf hätte selber soviel Takt haben sollen, von der Tribüne fernzubleiben. Aber diese Seite ist nicht stark bei ihm ausgeprägt. Sonst hätte er nicht vor der Feier für sein Erscheinen die Bedingung gestellt, daß ein ganzes Dutzend verdienter alter Generale nicht ein geladen würde, um dann, als seine Bedingung unerfüllt blieb, doch zu kommen. Er hätte auch wissen können, daß seine Anwesenheit in Tannenberg eine ernste Belastung der Feier überhaupt bedeutete, jedenfalls eine Erschwerung, da Ludendorsf sich doch sagen konnte, daß seine ständigen Angriffe gegen zahlreiche der dort an wesenden Einzelpersonen und große Teile des deutschen Volkes, vor allem gegen die Katholiken, Spannungen bei dem Tannenbergfest herbeiführen mußte», die im Interesse der Feier besser vermieden worden wären. In dem Bericht der „Deutschen Wochenschau" wird weiter ausgesührt, Ludendorsf habe sich nach Verlassen der Tribüne in die Anmarschrichtung der Verbände begeben und dort den Vorbeimarsch abgenommen. Im Nu habe „das Volk den einsamen Platz Ludendorffs zum F e l d h e r r e nh ii g e l gemacht". Die Tribüne sei dann eine Stelle zweiten Ranges gewesen, eine Stelle, -^ruk der Ceneralsbelm« der alten Armee und Zylinder, Das vereitelte Komplott in Madrid Paris. 6, Oktober, Wie Havas aus Henüaye meldet, haben Reisende, die aus Spanien kommen, über das jüngst in Madrid entdeckte Komplott folgendes berichtet: Die Madrider Polizei hat in der Nacht zum 1. Oktober eine rege Tätigkeit entfallet. In der Direktion der Sicherheitspolizei blieben die leitenden Personen bis in die Morgenstunden des 1, Oktober auf ihren Posten, Sämtliche Minister ließen sich von Stunde zu Stunde in ihren Amtsräumen über die Ereignisse unterrichten, da es sich um die Entdeckung eines anarchistischen Komplotts gegen das Leben des Königspaares handelte. Die Polizei hatte in der Nacht von den Vorbereitungen zum Komplott Bericht bekommen und sofort Berhosttmgen vorgenommen, Ter Chefredakteur der Zeitung Liberias Lezama wurde als Erster sestgeiiommcn. Außer ihm wurden verhaftet der französische republikanische Abgeordnete Bar istrere, ein Major, ein Leutnant, eine Person namens Godofreso, über die noch nichts weiter bekannt geworden ist, sowie 14 Anarchisten, In der Frühe des nächsten Tages hat die Zahl der Ver hafteten bereits 40 betrage». Bei den verhafteten Anarchisten hat man Bomben vorgefunden. Man hatte den Anschlag am 1, Oktober vormittags in dem Augenblick misfnhren wollen, in dem der König und die Königin ans dem Nordbahnhos wie gewöhnlich im offenen Wagen durch die Stadt in die Residenz fahren. Es ist feslgcstellt worden, dadß die Boniben von einem Artillerieoffizier hergestellt worden waren. Während der ganzen Nacht haben Polizei und Zivilgarden die Umgebung des Nordbahnhoses überwacht und zahlreiche Haussuchungen vorgenommen. Das Kvnigspaar begab sich nicht im asscncn, sondern !m geschlossenen Aula ins Palais, was intter den ahnungslasen Zuschauern Verwunderung erregte, Tie Polizei hat entdeckt, daß es sich um eine weitverzweigte Verschwörung handelte. Auch in Algeciras wurden zahlreiche Verhaftungen vor- gcnommen, Via» vermutet, daß dort zahlreiche Bomdendepois entdeckt wurden. Es scheint, daß man den Anschlag, falls er in Madrid mißlang, in Algeciras wiederholen wollte. Hute der sozialdemokratischen und z e s u i t i > ch e n Führer buntgemischt vereint waren, aber natürlich, wie sich dies am jüdischen Neiisahrsseste gezieme, die Zylinder in erster Reihe". Fremd und verwundert sei der Blick der Vorbcimarschierenden auf diese buntscheckige Tribüne ge irrt. Auch diese Darstellung entspricht nicht den Tattachen, Ludendorsf begab sich nicht in die Anmnrschrichin:g der Verbände, sondern stand lange Zeit weithin sichtbar links von der Tribüne, also in der A b marschrichinng. Daß er dabei so manchen Hochruf, der der „buntscheckigen Tribüne" galt, ans sich bezog, ist bei Ludendorffs Geistesrichiung kaum zu bezweifeln. Und wenn ferner behauptet wird, die völkischen Verbände, darunter der Tannenbergbund, hätten sich geweigert, „an jenen Zylinderträgern vorbeizumar- schieren" und „der Feldherr Ludendorsf habe ihren Vorbei marsch am Schluß gesondert" abgenommen, so ist auch das stilsch, Als die letzten Glieder des Vorbeimarsches an der Tribüne vorbeidefiliert waren, war das Aufstellungsfeld vollkommen leer. Die völkischen Verbände waren ausnahmslos v o r b e i m a r s ch i e r t. Ob dabei sechs Mann des Tannenbergbundes gefehlt haben ist jedenfalls bedeutungslos. Zudem wäre ein irgendwie gearteter Vorbeimarsch nach Abschluß des offiziellen Festes ganz unmöglich gewesen. Hindenburg verließ sofort die Tribüne, um sich zu, seinem Wagen zu begeben. In dem selben Augenblick stürzte von allen Seiten das Publikum aus die Aofahrtsstraße und umringte Hindenburgs Wagen indem es ihm sich immer wiederholende, brausende Ovatio nen darbrachte und zum Schluß das Deutschlandlied saug, das der Reichspräsident im Wagen stehend entblößten Hauptes anhörte. Unmittelbar nach Hindenburgs Anfahrt brachten einige Unentwegte mehrere Heilrnse ans Lnd-n- dorff dar, und zwar wiederum links von der Tribüne, so daß Ludendorsf gar nicht in der Anmarjchrichtung der Ver bände geweilt haben kann. Ueber die übrigen Taktlosigkeiten der Darstellung der „Deutschen Wochensihau" und ihre antilatholischen und antisemitischen Lächerlichkeiten kann man nur bedauernd die Achseln zucken. Aber der ganze Ton des Berichts zeigt, daß die Eitelkeit Ludendorffs und seiner Anhänger auf den Fluren Tannenbergs nicht aus ihre Rechnung ge kommen ist. Und das ist gut so, wenn endlich auch weitere Kreise begreifen, wie wenig Ludendorsf für ein einiges, starkes NeudenUckl^»», >>a» Mionln-reiter lein kann.