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Nummer 171 — 26. Jahrgang Smal wüch. v»»u-«pr«ls für IuN S.00 Mk. «Insc Sesteffgew. Anzeigenpreis«: Die Igesp. Petitzeile 80 Portozuschlag. Einzel-Nr. 1v Z. Donntags-Nr. 20 Z- Geschäftlicher Dell: Artur Lenz ln Dresden- Mittwoch, den 27. Juli 1927 ru> übermitt. Anzelgensibernehmen wir keine Der» antwortung. Unverlangt elngesandte u. m. Rückporto! nicht versehene Manuskripte wert». nicht aufbewahrt. Sprechstunde der Redaktion 2—8 Uhr nachmittags, Hauptschriftleiter: Dr. G. D-sezyk. Dresden. voifsreLümg Geschäftsstelle, Lrmku.Verlag I »ermanla. sür Verlag und Drulkerei, Filiale Dresden. DreSden-A. l. Polierslratze l?. FemnifLiolL. Postscheckkonto Dresden - - ch„,de» Nr. SlVIS »70». Banklonto: Etadtbaak Für christttche Politik und Kulkur Stedaktton der Sächsische« VaUszeitnug DceSden-Altstadt 1. Poltei tratze 17. Fernrns 20711 und rioir. Seipel (Bon besonderer österreichischer Seite.) An diesen Tagen, da Wien von einer blutigen Re volte heimgesucht war, die in ihrem Reflex ganz Oester reich in seinem Grundbestand zu erschüttern drohte, richte ten sich die Blicke der ganzen Welt aus den Priester, der an der Spitze des österreichischen Bundesstaates steht, auf Monsignore Dr. Ignaz Seipel. Es ist nicht das erste Mal, daß sich die Welt mit der Person Seipels beschäftigt, noch nie waren allerdings die Anlässe hierzu derart wie jetzt. Bisher konnte Dr. Seipel selbst den Moment be stimmen, in dem er Oesterreich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Auslandes stellen wollte, er hat dies einmal besonders eindrucksvoll getan, als er in den kri tischsten Tagen des finanziellen Zusammenbruches die österreichische Frage als eine Frage des Weiterbestandes des Mitteleuropa von heute proklamierte. Diesmal haben die Ereignisse Dr. Seipel mit sich gerissen und ihn unfrei willig in den Brennpunkt des Interesses und der Beob achtung gerückt. Tausende Urteile und Meinungen sind über die Person des Bundeskanzlers in diesen Tagen im Auslände geäußert werden, man kann aber nicht sagen, daß in allzuvielen Fällen eine klare Auffassung der Ver hältnisse in Oesterreich, der Stellung Dr. Seipels und nicht zuletzt seiner Person festzustellen gewesen wäre. Da Wien von der übrigen Welt durch den Generalstreik durch drei Tage vollständig abgesperrt war, konnten natürlich Gerüchte aller Art in der Welt verbreitet werden, und es hat tatsächlich nicht an lächerlichen oder böswilligen Dar stellungen über Oesterreich gefehlt. Manche Stellen hiel ten den Moment für günstig, um Oesterreich und beson ders Wien gründlich zu schädigen, seinen moralischen und sachlichen Kredit zu untergraben. Diesmal hatten die Lügen längere Beine, da ihnen die österreichische Tollheit des allgemeinen Streiks zugute kam, und es ist sicherlich im Auslande der österreichischen Sache vielfach Schaden zugefügt worden. Unter den bösartigen und erstaunlichen Dingen, die man aber über das arme Oesterreich vor gefetzt bekam, befanden sich die erstaunlichsten über die Person des Dr. Ignaz Seipel. Es soll hier nicht auf die verschiedenartigen Geschich ten eingegangen werden, die man über Dr. Seipel und leine Haltung in den Tagen der Unruhen verbreitete, da die Ereignisse diese Darstellungen ja am besten widerlegt haben. Doch geben die jüngsten Vorgänge in Wien, die auch für andere Länder eine Warnung sein könnten, An laß, sich mit der Person jenes Mannes zu beschäftigen, der, Priester und Staatsmann zugleich, immer wieder berufen erscheint, Oesterreich vor Zusammenbrüchen zu retten und nicht nur seinem engeren Baterlande, sondern Mitteleuropa und damit der Welt, Dienste zu leisten, deren Bedeutung man vielleicht erst in geschichtlicher Be leuchtung richtig erkennen wird. Das Pariser „Croix" hat einmal Dr. Seipel den Richelieu des neben Oester reich genannt und von einer Sendung dieses Priesters für sein Vaterland gesprochen. Es ist in der Tat Dr. Seipel in zwei schicksalsschweren Momenten gelungen, das neue Oesterreich vor Katastrophen zu bewahren, die unzweifel haft ganz Europa mitgerissen hätten. Wir meinen die Rettung vor dem vollständigen finanziel len Zusammenbruch und der damals drohenden Aufteilung Oesterreichs unter beutelustigen Nachbarn und jetzt die Rettung vor Revolution und Bür gerkrieg, deren Folgen unabsehbares Unglück für die ganze Welt gewesen wären. Die erste Tat war die eines klugen Denkers, der die europäischen Zusammenhänge genau erfaßt und der den richtigen Moment zu wählen wußte, der die bekannte Aktion der Mächte zur finan ziellen Rettung Oesterreichs und damit zur Aufrechterhal tung dieses Staatsgebildes ergab. Ganz anders war die Lage in den kritischen Iulitagen, als eine irregeführte Masse und ein die Gelegenheit benützender Großstadt pöbel Wien zum Schauplatz blutiger Barrikadenkämpfe machte und die Gefahren eines Bürgerkrieges herauf beschworen waren, da sich die Masse der österreichischen Bauernschaft zu bewaffnen begann, um gegen Wien zu marschieren und dem Terror der Straße ein Ende zu machen. In diesen schrecklichen Tagen, in denen manche von den für die Ereignisse Verantwortlichen nicht mehr zu sehen waren, sollte sicy Dr. Ignaz Seipel als Mensch und Staatsmann in unübertrefflicher Art beweisen. Wenn das Ausland jetzt Dr. Seipel nicht nur als den Retter Oesterreichs aus einem Bürgerkrieg feiert, sondern auch den Staatsmann rühmt, der Europa einen Die heutige Nummer enthält die Kinkerbeilaae ,.F ii r unserekleinenLeut e". M AUkiMWW i«l MM Ein Slompromitz über -te Slellurrgnahme -es österreichischen Parlaments zu den Anruhen — Das Parlament wird sich bis September vertagen Wien, 26. Juli. Der Nationalrat ist gestern nachmittag zum ersten Male seit den traurigen Ereignissen der vorigen Woche zu einer Sitzung zu- sammengrtreten. Sie war ausschließlich einer Trauerlund- gebung für die Opfer der Unruhen gewidmet. Die Abgeordne ten hatten sich fast vollzählig eingefunden. Die Minister nahmen auf ihren Abgeordnetensitzen Platz. Die Galerien waren fast leer, man hatte nur wenige Eintrittskarten ausgegeben. Die Diplo matenloge war voll besetzt; auch einige Mitglieder der deutsche» Gesandtschaft hatten sich eingefunden. Der Präsident des Nationalrates, Miklas, hielt die Trau errede, in der er dem Schmerze des Hauses über die blutigen Vor fälle am vorigen Freitag Ausdruck gab. Die Rede wurde von den Abgeordneten stehend angehört. Die Sitzung wurde bereits nach 20 Minuten geschlossen. Mit den Vorgängen des 15. Juli soll sich las Parlament erst in der heutigen Sitzung beschäftigen. Es sollen sowohl die Forde rungen, die von der sozialdemokratischen Parteikonferenz gestellt wurden, als auch die Wünsche der bürgerlichen Parteien zur De batte gestellt werde». Man hofft, daß eS nicht zu Zusammenstößen im Hause kommen wird. Bundeskanzler Dr Scipelhat sich ge stern mit dem Führer der Sozialdemokraten, dem Abgeordneten Dr. Otto Bau'er, besprochen. Es ist geplant, daß daS Parla ment möglichst heute die Debatte über die Unruhe» abschlicße» und dann in die Sommerferien gehen soll. Der Wiederzusamme». tritt dr- Nationalrates wird dann erst Mitte September erfolgen. In seiner Rede bet der Traucrkunogevung, die offenbar zwi schen den Parteien vorher vereinbart worden war, wies Prä sident Miklas darauf hin, daß das hemmungslose Auf- lodcrn von Leidenschaften am 15. Juli in den Straßen der Bun. deshauptstadt zu Ereignissen geführt habe, wie sie diese Stadt frü her noch nie erlebte. Nachdem der Präsiden, das Mitgefühl des Hauses für die Opfer der Straßenkämvfe ausgesprochen hatte, wandte er sich dem politisch wichtigsten und schwierigsten Teil sei ner Rede zu, indem er die Danksagung des Hauses sür alle an der Wiederherstellung der Ordnung und am Rettungsdienst Beteiligten ausdrückte. Der Präsident richtete dann den Appell an die Ver sammlung, In ernster und friedlicher Zusammenarbeit und im Gei ste gegenseitigen Verstehens an die Beratungen zu gehen; nicht nur auf der parlamentarischen Tribüne, sondern auch draußen als Führer und Berater des Volkes. Dann werde auch das Volk zur Erkenntnis gelangen, daß in einer demokratischen Republik ohne gegenseitiges Verstehen und ohne feste staatliche Ordnung daS Gedeihen eines Volkes unmöglich sei. Wenn diese Erkenntnis Platz greife, dann würden die schrecklichen Juliereignisse zwar eine traurige Erinnerung bleiben, aber auch eine zwar teuer bezahlte, so doch heilsame Lehre sür das österrei chische Volk, aus der der Friede tn Staat und Gesellschaft ersprte- hen möge. Marx' AuslriN aus -em Reichsbanner Der Reichskanzler Dr. Marx hat tn folgendem Schreiben an den Bundesvorstand des Reichsbanner» seinen Austritt aus dem Reichsbanner mitgeteilt: Ober-Grainau, SS. Juli 1827. An den Vorstand des Reichsbanners, z. Hd. des Herrn Oberpräsidenten Hörsing, Magdeburg. Mit Rücksicht auf verschiedene Vorkommnisse der letzten Zelt, insbesondere auf die Kundgebung des Vorstandes des Reichs banners an den Republikanischen Schutzbund in Wien. die »me-^ unberechtigte Einmischung in die politischen Verhältnisse de» befreundeten Oesterreichs und eine schwere Herabsetzung und Beleidigung der Bundesregierung enthält, erkläre ich meinen Austritt aus dem Reichsbanner. Hochachtungsvoll gez. Marx. Reichskanzler. Die der Zentrumspartei angehöcenoen führenden Mitglieder des Reichsbanners sind zu einer Besprechung im Laufe dies" Wo che nach Berlin berufen worden. * Vas Rücktrittsgesuch des Obrrpräfidenton Hörsing gi dem preußischen Staatsministerium zugegangen. Das Kabinett in seiner Gesamtheit wird sich in den nächsten Tagen hiermit und auch mit der Frage der Nachfolgeschaft zu be fassen haben. Sollte das Staatsministerium diesem Gesuch stati- geben, so wird sich der preußische Innenminister zunächst mit dem Provinzialausschuß der Provinz Sachsen wegen dieser Angelegenheit in Verbindung setzen, da dieser mitzu- bestimmen hat. Wie wir hören, kommt «in« Kandidatur des früheren preu ßischen Innenministers Karl Severing, der Herste früh in der Presse genannt wurde, uicht in Frage. . unschätzbaren Dienst erwiesen hat, so zollt man Seipel nicht mehr als ihm gebührt. Man muß die Situation nur richtig begreifen, tn der sich Seipel befand, als er seine Entschlüsse zu fassen hatte. In den Straßen Zehntausende, die töteten, plünderten und Feuer anleg ten, .gegen die tobenden Massen die schwache Wiener Polizei und ein wenig Mlitär, das wohl mehr zur Ab sperrung und nicht zum Eingreifen mit der Waffe ver wendet werden sollte, gegen sich die Führer der Arbeiter partei, die seinen Rücktritt verlangte, nicht überall viel leicht bei seinen eigenen Leuten volle Erkenntnis der Lage, allein, auf sich selbst gestellt .nimmt in diesen kriti schen Stunden der Kanzler die Dinge in die eigenen Hände. Er allein ist es, der die letzten großen Entschei dungen trifft, wenn auch sein permanenter Rat der Mini ster versammelt ist, wohl aber mehr, um der Farm zu ge nügen. Als alles auf ihn einstürmt, als rings alles zu sammenzubrechen droht, steht der Priester Seipel ruhig und aufrecht, klaren Kopfes, Kühlen Blickes. In diesen Stunden hat Dr. Ignaz Sei pel sein Vaterland zum zweiten Male ge rettet. Seine Gegner gestehen dies im Herzen zu, wenn auch ihr Mund anders spricht. Daß seine Anhänger Sei pel heute doppelt zujubeln, kann nicht verwunderlich sein. Eine objektive Betrachtung der Tatsachen gibt dem Vor gehen Seipels in allen Stücken recht, für die Einzelheiten kann er natürlich nicht jede Verantwortung tragen. Daß aber die Welt Dr. Seipel Dank schuldet, daß et Mittel europa vor einer Katastrophe bewahrt hat, darüber sind keine Zweifel möglich. Dr. Teivel» Bild ist von der Parteien Haß und Gunst sicherlich verzerrt. Sein Cha rakterbild schwankt aber nicht in der Geschichte. Er ist unter den europäischen Staatsmännern der Nachkriegs zeit einer der wenigen starken Charaktere, die den sitt lichen Ernst des Christentums auch in der Politik zur Geltung zu bringen wissen, vielleicht der Politiker in Europa, der die härtesten Proben mit der größten Feitia- keit und den sichersten Weitblick bestanden hat. Yardlnal Lzernoch f. Budapest, 25. Juli. (TU.j Kardinal Johannes Lzernoch ist heute nach längerem Leiden im 75. Lebensjahre gestorben. Johannes Lzernoch, der am 18. Januar 1852 in Scakolcga in Ungarn geboren wor den war, wurde 181s Kardinal und iväter Fürstbischof von Kran. Vesl ln Kanlon. Paris, 25. Juli. Der „New Pork Herold" bringt eine Meldung aus Schang hai, nach der dort ein japanischer Dampjer von Kanton mit etwa 1000 pe st kranken Soldaten der Südarmee an Bord eingetroffen sei. Eine Anzahl von ihnen, die der Pest er legen waren, waren in den Fluß geworfen worden. Die Behörden haben wegen der Ansteckungsgefahr di« Leichen suchen lassen. Man fand «-doch nur IS und betünchtet, daß noch viel« im Waste- keaen.