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Aus -em Znhatt. Dr. Früh n er: Hansel. Wals gang Feder« u: Juirge Mutter. Hellmuth Quast-Pcregrin: Versuchung der Nachbar. Ern st Edgar NeimSrdes: Historisches vom Pslug. Mat - Ty - Sen: Entflogener Kakadu. Ernst Noeldchen: Abendltchter. Am Mondschein am Lago Maggiore. WWM Hansel- Von Dr. Zeichner. ' Die kurze. Helle, laue Vorsommernacht brütete gleich einem große». schwarzen Vogel noch über Feld und Wald, Wiesen und Wasser. Aber obgleich das Auge nichts wahrnrhmen konnte, '/> hatte doch auch die Dunkelheit ihr eigenes Leben; den» ge rade während der Nacht sind die freieste» Kinder der Natur: das Wild und auch einzelne Vögel, am beweglichsten und ver trautesten. Da war zunächst ein Nachtschwalbenpaar, das mich mit lautem „Tack-Tack" und klatschenden Flügelschlägen be gleitete. da lieg ein Wachtelkönig sein garstig schnarrendes Raspellied hören, und von einer feuchten Moorwiese herüber er tönte das gellende „Kiuwitt" eines Kiebitzes, als sicheres Zeichen, das, dort schon etwas los sein mutzt«, was durch das flach klin gende „Bäh! Vüh! eines Rehes bestätigt wurde. Lautlos pürjchte ich zwischen dem hochaufgeschohten Roggen vorwärts. Da vernahm ich von irgendwo einen haarfeinen Fiepton, von dem ich bald wutzte, das; er nur von einem ganz jungen Rehkitz herrühren konnte. Vorsichtig ging ich den Tönen nach, die, je näher ich kam. desto schriller klangen. Endlich war ich in unmittelbarer Nähe der Fieptöne angelangt. Hier war tet« ich, bis die Nacht ihren Schleier etwas von den Gegen stände» streifte. Als dieser Zeitpunkt gekommen, drang ich be hutsam in den Roggenschlag ein, aus dessen Tiefe die Laute kamen. taste» des Rehes belehrt« mich aber darüber, datz die Todesstarre bereits eingetreten war. Um dem Kitz das Leben zu geben, hatte die Ricke das ihre lassen müssen. Was nun tun? Wenn hier nicht hilfreich eingegrifsen wurde, war in weni gen Stunde» das Kitz verhungert oder die Beute irgendeines Räubers geworden. Dies wollte ich. sowohl von dem rein menschlichen als auch vom jägerischen Standpunkte aus zu ver hindern suchen. Ich nahm deshalb das zierliche, gelbgetupste Wesen auf den Arm und trat den Heimweg an. Da ich schon vierzehn Jahre in diesem Revier jagdberechtigt war. fiel es mir nicht schwer, für meinen Findling einen geeigneten Pfleger zu gewinnen. Zunächst wurde dem Kitz, es war ei» Bäckchen, eine Flasche lauwarmer und etwas verdünnter Kuhmilch gereicht, di« es gierig »ahm. Nach beendeter Mahlzeit brachte es den Lecker heraus und fuhr sich wohlig über das kleine Geäs, um den Milchbart zu beseitigen. Ein besonders günstiger Zufall wollt« es, datz der Landwirt im Besitz einer jungen Ziege war, di« vor kurzer Zeit ihre Lämmer verloren hatte. Diese wurde als Pflegemutter aus- erschen. Freilich wollte sie anfänglich von der Kindesunter schiebung nichts wissen und senkte stets, sobald sich das Kitz leise fiepend ihr näherte, in feindlicher Absicht den mit Säbelhörnern bewaffneten Kopf. Und mehr als einmal machte das liebliche Tierchen, von roher Kraft geschleudert, eine kleine Luftreise, die Junge Mulker. Zuweilen träumt sie: „Das Leben ist fern voll Schicksal ist es und Abenteuer, ist bunt und glühend. So Hab ich es gern, ein ewiges Flackern und Brennen und Feuer. Ich möchte einmal aus meiner Enge, aus meinen karg umzirkelten Kreisen, aus Alltag. Gewohnheit, ins wilde Gedränge; ich möchte erleben — und schauen — und reisen! Wohin? Ich weih nicht! Nur weit — weit weit von hier in die wilde Unendlichkeit." Im allgemeinen vermeidet man es, sich de» Kinderstuben des Mildes zu nähern, weil hierdurch die Jungen unnötig ge- ängstigt und di« Mütter durch di« menschlich« Witterung unter Umständen veranlaßt werden können, sie allzulange zu meiden, oder ganz und gar zu verlassen. Dann sind die hilflosen Ge schöpfe dem Hungertod« prcisgegeben. Ich sucht« auch nur des halb der Sache auf den Grund zu gehen, weil das Fiepen in seiner Intensität das gewöhnliche Matz überschritt: es war ein förmliches Hilferufen. Geleitet durch die schrillen Töne, stand ich bald vor einer großen Siele im Getreide, auf der ein starker Tierkörper lang ausgestreckt lag, und daneben stand ein win ziges Geschöpf als Urheber der Fieplaute. Es war eine Ricke mit ihrem frischgesetzten Kitze. Anfangs glaubte ich, das Altreh sei nur erschöpft und würde sich bald wieder erholen. Ein Be- Da weckt sie, sanfter als Hauch des Windes. ein leises Lallen «nd Dahlen de» Kinde«. und kleine winzige Händchen greifen nach Mutters Bänder», nach Muttera Schleifen. Zwei blaue Augen an ihren hangen, und über rotgeschlafene Wangen huscht schelmisches Lächeln . . . Da kützt sie zärtlich di« kleinen Hände des süßen Wesens, Tränen im Blick, und jäh erkennt sie: Diese vier Wände bergen mein Lebe» und — bergen mein Glück! Vkoltgang kscksraa. ihm leicht hätte Schaden bringen können. Der dicke Strohbetag des Stalles schaltete aber jede Fallbeschüdigung aus, und die Hörner der bösen Stiefmutter waren so stark »ach hinten un» abwärts gebogen, datz ihre Spitzen das Tierchen nicht fassen konnte». Die Ziege mutzte also zunächst gezwungen werde», dem zier lichen Pflegekind ihre Milch zu spenden. Später konnte aber jeglicher Zwang unterbleiben. Ja, wenn das Bäckchen mal auf eine Stunde die Enge des Stalles mit der Weite des Hofes ver tauschen durste, und die Ziege im Stall Zurückbleiben muhte, dann wurde sie ganz wild, zerrte energisch an ihrer Kette und meckerte in den jämmerlichsten Tönen nach ihrem gelbgeiupfieir Pseudokind. Die Auszucht des Kitzes verursachte keinerlei Mühe mehr. Prächtig gedieh Hansel — so wurde das Bäckchen genannt — und machte allen Hausbewohnern viel Freude. Seine klein« Welt war der Stall, seine grotz« der eingeziiunt« Hof. Einmal hatte er aber eine Lücke im Zaun gefunden, war hindurchgeschlüpft und nach dem kaum dreißig Schritt entfernten Wald getrollt, de; hier eine Ecke macht. Ganz verwundert äugt« er um sich. Alst war die Welt doch grötzer, als er bisher gewutzt, und im Untev Instinkt regte sich etwas: ein geheimes Sehnen nach Waldlufd nach ungebundener Freiheit wurde in ihm lebendig. Was sollt« er tun? Wie Herkules am Scheideweg, so stand Hansel an de, Waldkante und wntzte nicht ein, nicht aus. Glücklicherweise war die Zeit aber schon so weit vorgeschritten, datz der Winter, dem Kalender zum Trotz, den Goldherbst mit grauweißen Graupeln bewarf und mit messerscharsen Stürmen in feindlichster Absicht ansauchte. Eben fuhr er gerade im Zwanzig-Sekundenmeter- Tempo um die Ecke, zerrte den armen Hansel an den langen Lauschern, wühlte in seinem dichten stlbergranen Haar und warf ihm einen ganzen Sack voll Schneegestöber in die braunen Lichter, datz ihm für Augenblicke Hören und Sehen verging. Pfui, wie garstig und unfreundlich ist es draußen in der Welt, und wie mollig erscheint dagegen der enge Stall. Hansel hatte gewählt. Kurz entschlossen macht er kehrt, trollt zurück, schiebt sich durch die Zaunlücke und verzichtet von nun ab endgültig auf die goldene Freiheit. Nur ein einziges Mal hat er den Verzicht bereut, und dies war an jenem Morgen, als ihn starke Arme ergriffen und in eine enge Kiste sperrten, dis ihm fast jede Bewegungsmäg- lichkeit nahm. Was dann weiter mit ihm geschah, entzog sich seiner Kenntnis; denn die Guck- und Luftlöcher des Gefängnisses waren so klein, daß «r seine Umgebung nicht beäugen rannte. Um so mehr vernahmen aber seine Lauscher: das war ciu Pol tern, Fauchen und Nattern, datz ihm ganz wirr im Kopse wurde: er befand sich mitten im Gebraus der großen Welt: der Herz schlag des Verkehrs schlug an seine Gehöre. Diana sei Dank, dauerte diese furchtbare, zermürbende Gefangenschaft nicht allzu lange; denn genau sechs Stunden nach der Einkerkerung wurde er wieder befreit. Als er um sich äugte, befand er sich in dem Ge hege eines zoologischen Gartens, der nun seine eigentliche Heimat geworden ist. Hier wird er mit großer Liebe und Fürsorge gehegt und gepslegt, um klein und grotz durch seinen Anblick und seine munteren Sprünge zu erfreuen. Versuchung. Von Hellmuth Quast-Peregrin. Der junge Ehef richtete sich schwer atmend von den Büchern auf: „Donnerwetter, jetzt habe ich aber bald genug." Er sah nach seiner Armbanduhr. „Was, schon wieder sechs? Darum auch — ich mutz mal schnell einen Happen essen gehen. Herr Dittmann," wandte er sich an den ihm gegenüberfitzenden Buchhalter, „bleiben Sie noch hier? Wollen Sie mir noch ein, zwei Stunden helfen? Ja? Danke schön, es ist dann gut. Ich gehe schnell ein Häpp chen zu mir nehmen, wenn meine Frau anklingelt, sagen Sie ihr, sie möge mit dem Essen nicht warten, ich habe noch eine geschäftliche Verabredung." Dabei war er schon vom Schreibtisch fort und nahm sei nen Hut. „Also, ich bin gleich wieder hier", rief er noch von der Tür Her, und ohne eine Antwort abzuwarten verschwand er. Eile schien er zu haben, aus der stickigen Atmosphäre des Vürgs fort- Kukommen. Der Buchhalter Dittmann hatte devot im Sitzen gedienert, als der Ehef ging, jetzt trat in sein Gesicht ein böser, gehässi ger Zug. Häh — der schlitterte schon wieder los, verspachtelte ein warmes Abendbrot, kluckte eine Stunde bet seiner Flasche Medoc und kam dann angekratzt zurück, um, von der Ultimoarbeit ange ekelt, sofort wieder auszukneifen. Die geschäftliche Verabredung heut« abend — Dittmann lachte häßlich auf. — In Dittmann kochte der Zorn. Was hatte er schon vom Leben gehabt? Saß er hier nicht über zwanzig Jahre bei einem mäßigen Gehalt, hatte schon unter dem Vater seines jetzigen Lhefs gearbeitet und war zu nichts gekommen? Au nichts gekommen! Nichts verdient in den vielen Jahren. Nicht mehr, um von der Hand in den Mund zu leben. - Und Arbeit über Arbeit. Jetzt wieder der Ultimorummel, jeden Abend bis ly, 1t Uhr und keinen Pfennig mehr. Nicht einmal Aoendbrotgeld und — der Kerl war jetzt um 6 Uhr schon essen gegangen . . . Mit einem wütenden Schimpfwort ließ er die Faust auf die Tischplatte niedersausen. Erschrocken über seinen eigenen Zornausbruch sah er sich um. Er war ja allein im Büro, die anderen waren alle längst zu Hause. Und der Chef saß in der Weinkneipe. Da — weiteten sich die Augen des einsamen Mannes — er starrte auf den Eeldschrank — ja — was war denn das? Der Tresor stand offen — der Ehef war fortgelaufen und hatte den Schrank nicht verschlossen .... Wie «in Schlag ging es durch des Mannes Körper — Heute lagen zweiundfllnfzlgtausend Mark in bar im Tre sor .. . Zweiundfünfzsgtausend! Dittmann zitterte bei dem Gedanken. Was könnte man da für alles haben? Die Freiheit — die Unabhängigkeit . . . Wie mußte das Gefühl wohl sein — frei — frei von jedem Zwange . . . Und befreit von jeder Sorge, nicht mehr dieses Rechnen gegen den Ultimo. Leben können — genießen — mal eine anstän dige Importe rauchen, nicht bloß die billigen, scharfbeizenden Stumpen . . . Donnerwetter — zwetundfllnfzigtausend . . . zitternd form ten seine Lippen das Wort, immer wieder und wieder, mecha nisch, wie eine seelenlose, sinnlose Formel — zweiundfllnfzlg tausend . . . ! Reisen dafür, die Welt sehen, fremde Länder, fremde Men schen . . . Konnte man das Geld stehlen, flüchten damit? Wieweit kam man? War es möglich, mit einer solchen Summe zu verschwinden, ohne gefaßt zu werden? Er zitterte am ganzen Körper, die ErreguiH schüttelt« ihn förmlich, selbst sein« Füße flogen, trow< Uten unbewußt gegen die unter dem Schreibtisch liegende Fußmatte. Seine Blicke hingen an dem offenen Tresorfach, saugten sich fest, konnten nicht kor Langsam, ganz langsam erhob er sich — schlich mit uw- hdrbaren Schritten zum Schrank. Nur einmal sehen — das viele Geld, das er haben könnte, wenn er nicht. . . Nein, er will es ja gar nicht nehmen, nur ansehen . . . Und jetzt steht er davor, jetzt greist er in das Stahlfach, betastet die gebllirdelten Scheine, nimmt sie heraus, starrt sie an. ... Wenn er jetzt die Bündel in seine Rocktaschen steckte, sort- schlich, zum Bahnhof, einen Zug benutzte. Irgendwohin — nur fort aus Berlin. Also, wenn er nun fort war — sie würden ihn suchen, Steckbrief, sein Bild an allen Ecken und Säulen. Wenn schon. Er würde sich einen Bart stehen lasten, einen Vollbart, bei seinem Bartwuchs ging es schnell. . . . Er lachte, sollten sie ihn finden, wenn sie konnten. . . . Er würde sich irgendwo über die Grenze schleichen. . . , Große Hotels . . . mondänes Leben . . . schöne Frauen . .. Spielklubv ... ein Hcxensabbath von wirren Vorstellungen toste in ihm, peinigte ihn. . . . Da — rasselte das Telephon... wie verrrückt. wollte gar nicht mehr aushören. Der Schreck hätte ihn bald umgeworfen — der plötzliche Lärm in dem totenstillen Raume. . . . Er stürzte förmlich zum Apparat. Meldete sich. Die Frau des Chefs fragte nach ihrem Gatten. Er gab Auskunft, aber seine Stimme war heiser, undeut lich, zitterte. Cr mutzte sich mit der Rechten auf die Tischplatte stützen, so schwach fühlte er sich auf den Beinen, Das Ge spräch war beendet. Er legte den Hörer auf die Gabel und schleppte sich zu seinem Stuhl, wie um Jahre gealtert, wie ein - hinfälliger Greis kam er sich vor. Und satz an seinem Platze und stiert« auf die Zahlenreihen der Kladde und war nicht im Stande, einen klaren Gedanken zu fasten. Jetzt hätte er fort sein können, mit dem Gelde, weit fort und vielleicht frei — frei für immer. Oder... ? Der Eb«f kam herein. Dittmann zuckte zusammen. Aber