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Kandwerlierlagungen Von Sonnabend bis Nioniaq fand in Dressen Sex 12. Ver- danöslog des Verbandes selbständiger Böttcher im Freistaat Lochst» statt. Nach einem Begrnßungsabenü am Sonnabend be- ooimen die eigentlichen Beratungen am Sonntagvormittag im Palmengarten. Der 1. Vorsitzende, Obermeister Wünsch »rann, ersiattcle den Geschäftsbericht. Reichstagsabgeordoeler Giaser- oberineister Beier-Dree-den resericrle riber „Die neue soziatpoli- liscbe Gesetzgebung im Reiche". Landtagsabgeordneter Bückerobcr- meisler K u n tz sch-Dresücn gab euren Beschluß des Gesanitvor- sleudr's des sächsischen Handwerks belrannt, Finanzininisler a. D. Weber zu ersuchen, wieder als Mitarbeiter in den gcschästssrihren- c>en Ausschuß des sächsischeir .Handwerks einzutreten. Nach einein Aortrag van Syndikus Berndt-Dresden über die berusssländigc Krankenkasse der Geivcrbekammcrn rurd die Altersrcntensrage ir.irdc» die Wahle» vargcnomnien. Der bisherige 1. Vorsitzende, Oaermeistcr Wünsch mann, der nunmehr zum 1. Vorsitzenden des Reichsbundes ernannt ivoroen ist. wurde einstimmig zum biirenvorsitzcndcn des Verbandes ernannt. Der Reichsvcrband Deutscher Seiler und Reep- scbläger hielt vom Sonnabend bis Montag in Leipzig jei- nrii 35. Verbandstag ab. 'Nachdem am Sonnabend der Gesamt- Vorstand getagt I)otIe. begann am Sonntag die Delegierteniagung. Nach Erössnung durch de» Vorsitzenden E. Lohse-Neukolln be- jnußte Stadtrat Baumeister Schneider den Reichsverbant im Namen des Rats der Stadt Leipzig rurd des Leipziger Innungs ausschusses, Obermeister Wutclre im Namen der Gewerbelram- mcr. Die Wünsche des Landesausschusses des sächsischen Hand werks überbrachte Dr. T i m nr, die der Seilerinnung Leipzig Lbcrmeister Linclre. GeselMls- rurd Kassenbericht wurden ein- iimunig genehmigt. Fachvissenschaftlichc Reserate schlossen sich an. In Fortsetzrmg der Verhandlung wurde beschlossen, durch einen Ausschuß in Gemeinschaft mit dem Vorstand die Vorarbeiten zur Veranstaltung eines Reichswettbewerbes zur qualitativen Hebung der Seilcririarcnerzeugnisse bis zur nächsten Tagung vornehmen zu lassen. Ter Vorstand wurde durch Zuruf wiedcrgewählt. — Mit der Tagung verbunden war eine gut beschickte Fachaus stellung, die einen Ucberblick über die Arbeit im Seilerei- Handwerk bot. Famllienlragö-ien Am zweiten Verl-airdlungstage der 3. diesjährigen Schwur st r ich Isper lode des Schwurgerichts Dresden hatte sich der am b. Februar 1898 in Kötitz bei Riesa geborene Fabrikarbeiter Paul Max P r cußc wegen versuchten Totschlags zu verantwor ten. Der Erüffnungsbeschluß legt dem Angeklagten zur Last, in der Nacht zum 27. September 1929 versucht zu haben, sich, seine Fra» und seine fünf Kinder mit Gas zu vergiften. Der Versuch mißglückte, da die Frau infolge des schweren Atinens des neben ihr schlafenden jüngsten Kindes rechtzeitig erwachte. Der Ange klagte ist im ivesentiiä-cn geständig. Er will die Tat schon in der Nacht zum 25. September wegen der zerrüttete» Familienverhält- niise in angetrunkenem Zustande begangen l>aben. Die Frau des Angeklagte,, hat von. Recht der Zeugenvcrweigerung Gebrauch ssnacht. Die anderen Zeugen können nichts Wesentliches bekun den. Der Sachverständige, Rcgicrungsmeöizinalrat Francke aus Lchiveidnitz, hält den Angeklagten nicht für voll verantwortlich, n !>abe zweifellos unter der Einwirkung des genossenen Alkohols schänden. Nach kurzer Beratung verkündet der Vorsitzende fol gendes Urteil: Der Angeklagte wird wegen versuchten Totschlags z„ vier Monaten Gefängnis verurteilt. — Aus' der Begründung des Urteils geht hervor, daß auf die zulässige Mindeststrase von cstem Monat nicht zugckommen werden konnte, weil der Ange klagte durch sein Verhallen immerhin sechs Menschenleben in Ge- whr gebracht hätte. * Die in Pfarrstcina >vohnl>aste Zimmcrmannschesrau Ernestine Löbncr ist gemeinsam mit ihrem Vater, dem 77 Jahre allen G. A. Günsel in Mügeln, bei dem sie zu Besuch war, and mit ihren beiden Kindern im Alter von 9 und 10 Jahre» . eiwillig durch Einatmen von Gers in den Tod gegangen. Günsel, der schon seit mehreren Jahren nervenleidcnd war und üandiger Pflege bedurfte, da er infolge starken Zitterns der Glie- dar seine Nahrung nicht selbst zu sich nehmen konnte, l>attc schon vor längerer Zeit den Wunsch ausgesprochen, von seinem schweren beiden erlöst zu werden, da er seinen Mitmenschen nicht mehr zur rück falle» wolle. Seine Tochter hat keine glückliche Ehe geführt. d. Weitere Teilstillegung dex Sächsischen Gußstahlwerke. Wie gemeldet wird, haben die Sächsischen Gußstahlwerke Döhlen A.-G. >>! Dresden, die erst kürzlich etwa 800 Mann entlassen haben, er neut eine TeilsliIIcgung beantragt. Dadurch werden weitere 300 Arbeiter brotlos. Die Mutter Von Paul Keller. Ich kannte sie genau,' ich wußte ihren wohlklingenden Namen; ich kannte auch ihren Mann, der Professor war und viele Aemter bekleidete. Aber immer, wenn sich meine «bedanken auf sie richteten, und auch jetzt, wo ich diese wenigen Zeilen über sie schreibe, wußte und weiß ich keinen anderen Namen und Titel für sie als: die Mutter. Tie hatte in ihrer Ehe lange auf das Mutterglück warten müssen. Aber dann ging ihre Sehnsucht in Er füllung. Sie bekam einen Sohn, den nannte sie Joseph. Ich war einmal dort, als sie, wie so oft, sich über die Wiege des Kleinen beugte und immer und immer das eine luchte: seinen Blick, oder ich will sagen, die Seele in seinen Augen. Und gerade als ich dort war. jauchzte sie auf und sagte, nun hätte er sie erkannt, er hätte sie angesehen und ge- lächelt. O, die Mutter war so überselitz. Ich weiß nicht, warum mir dabei bange wurde. Es war wohl ein Vorahnen dessen, was ich eu, paar Tage später von unserem besten Augenärzte hörte: der kleine Joseph war blind auf beiden Augen. Wie sie's anfangs überstanden hat, ist mir nicht be kannt; ich weiß nur. daß sie nicht krank geworden ist und auch nicht geschrien und getobt hat. Sie hat nur Tag und Nacht an der Wiege des kleinen Joseph gesessen und viel für sich hinaegrübelt. Nach ein paar Wochen sah ich sie täglich an meinem Hanse vorübergehen. Sie nahm Unterricht bei dem Di rektor der Blindenanstalt. Sie kaufte auch eine ganze Bibliothek über die Behandlung und Erziehung der Blinden znsammen und saß stunden- und tagelang studie rend am Bette des Joseph. Manches mag sie aus Büchern gelernt haben, das meiste hatte sie sicher aus sich selbst. Seine Seele sollte Licht haben, so viel Licht, wie Religion, Wissenschaft und Kunst es geben können. Diese Lichter zu entzünden, darauf ging von Anfang an all ihr Bestreben. Zenkrumsarbett in Chemnitz Die Generalversammlung Am 5 Mai 1028 hielt die Ortsgruppe Chemnitz der Zen- trumsparlci ihre diesjährige Generalversammlung ab. Der Landcsvvrsitzende, Herr Psarrer Kirsch aus Reichenbach, war als Referent des Abends gewonnen worden. 'Mil einer herz lichen Begrüßung aller Erschienene» eröffnet« der Vorsitzende, Herr Schulleiter i. R. Grohma n n, die Versammlung. Sein Gruß galt ganz besonders Herrn Pfarrer Kirsch, der so schnell und bereitwillig „ach Chemnitz gekommen war. um dein Wunsche der Ortsgruppe nachzukommen. Aus ein Glückwunschschreiben der Oilsgruppe an den Reichskanzler Brüning anläßlich seiner Amtsübernahme war ein Tank eingegangen. Der Vorsitzende erteilte hierauf dein Referenten des Abends das Wort. Landesvorsitzender Psarrer Kirsch sprach über das Thema: Von Müller bis Brüning. Pfarrer Kirsch sührte etwa folgendes aus: Der Drehpunkt der deutschen Politik in den letzte» Mona ten war der Uoiingplan. Wird er angenommen oder nicht, das war die Frage, die alle beherrschte: darf er angenommen werden oder nicht, das war der Kampf der Parteien. Wohl konnte sich keine Partei sür den Plan begeistern, doch finden wir »eben den lchrossen Gegnern trotzdem einige Parteien, die in der Annahme des Uoungplancs das kleinere Nebel sahen. Anch die Z e n t r » m s pa r t e i gehörte diesen letzten an. Und warum? Die schwere Wirtschaftslage mar es zuerst, in der wir uns befinden. Im Reichshaushalt bestand ein Defizit von 1,4 Milliarden. Die Kreditwürdigkeit dem Ausland gegenüber war natürlich sehr gesunken. Die Annahme des Houngplanes bedeutelc nun eine Verminderung der Zahlungsverpflichtungen. Außerdem hing damit zusammen die Kreuzer-Anleihe. 1200 Millionen standen also auf dem Spiel, wenn der Aonngplan nicht angenommen wurde. Dazu kamen noch die Rhein land räum ung und sonstige andere Erleichterungen. Aus diesen Gründen heraus zog das Zentrum eine Annahme der glatten Verneinung vor, stellte aber dabei die eine Bedingung, vor Annahme des Aoungplanes die R e i chs s i na n ze n z u sanieren bezw. die Finanzresorm zugleich mit dem Aoung- plan zu erledigen. Diese eine Bedingung des Zentrums hat nun den ganzen politischen Kurs beeinflußt und indirekt auch zum Sturze des Kabinetts Müller mit beigetragen. Bei den sozialen Aus gaben spielte die entscheidende Rolle, die Arbeitslosen- Versicherung. Das Zentrum, an seiner Spitze Brü ning, muhte nun immer wieder Kompromisse machen. Schließ lich konnte man sich über 50-00 Millionen nicht mehr einigen. Brüning machte nun den Vorschlag, jedes Jahr einen festen Zuschuß des Reicl-cs sür ein Jahr sestzusetzen und wenn es nicht reichte, sollten Rcformmöglichkciten vorgebracht werden. Tie Deutsche Volksixirtei mach!« mit, aber die Sozialdemokrat«« lehnten ab, und haben so ihre eigene Regierung zum Rücktritt gezwungen. Aufgaben der Regierung Brüning sind» nun: Sanierung der Reichssinanzen, Schutz und Hilse der Landwirt schaft sür die augenblickliche Not, Schutz des Ostens durch vorweg« genommene Steuersenkungen und Ankurbelung der Wirtschaft. Zum Schlüsse sührte der Redner aus, daß man die Zusam mensetzung der Oiegierung nichi als reaktionär bezeichnen darf. Bis zuletzt hat sich Brüning um die Sozialdemokraten bemüht, aber diese haben sich selbst aus der Regierung geworfen. Das Zentrum hak nie nach der Oiegierung verlangt, aber die Ver hältnisse bringen es mit sich, aas; das Zentrum immer wieder herangezogen wird. Als das Zentrum nicht in der Regierung war, war Brüning gebeten worden zwischen den Parteien zu verhandeln. Tie Lage unserer Partei ist durch die Persönl'chkeii Brü nings günstig geworden. Wir haben einen wirklichen Füh rer an der Spitze. Es liegt nun an uns. diese Oiegierung zu unterstützen und überall sür Brüning einzutreten. , Anhaltender Beisall lohnte dem Redner für seine io in teressanten Ausführungen. In der Aussprache wurde beson ders hervorgchoben, daß die Kreise um Treviranus sehr sür Brüning eingenommen sind. Beim Zentrum hasst mau. daß. wenn die Arbeit und die Gedankeugäuge der volkskonservaliven Vereinigung und des christlichen Volksdienstes Fuß iaüen und sich weiter ausbreileu, endlich der Zeitpunkt kommen wird, ino man sagen kann, daß cs auswärts geh: und Posnwes getestet wird Anschließend fand die Generalversammlung statt. Ter Jahresbericht des Schriftführers wurde genehmigt wie auch der Kassenbericht. Dem Vorstand wurde allgemeine Entlastung erteilt. Als 1. Vorsitzender wurde Herr Direktor Grohmann einstimmig wiedergewähll. Ter zweite Vor sitzende mußte durch die Absage des Herrn Lehrer Kretschmer neu besetzt werden. Herr Kaplan Biller wurde für diesen Posten vorgeschlagcn und einstimmig gewählt. Der übrige Vor, stand fetz! sich zusammen aus: Herren Enßert. Kassierer, und Zimpet, Schriftführer, Herren Klichowicz, 2. Kassierer, und Zapp, 2. Schriftführer, Herren Kretschmer, Obsarnik, Tr. Rode, v. Kielpinski jun. sowie Frl. Süß und Frau Peiler als 'Bei sitzer bezw. Beisitzerinnen. Folgende Anträge wurden angcuommeu: Regelmäßig Versammlungen abzuhalten und die Arbeit an der In. genö zu fördern. Zu letzterem Punkte erwähnte Herr Kaplan Tenderich noch, daß der Ge se l! e n v e re i n staats pol itil che Abende cingcführl habe, zu denen die gesamt» Jugend herzlich eingeladcn ist. — Mit Worten des Tankes an di« ganze Versammlung schloß dann der Vorsitzende die Ver sammlung. k-eiprig unck Umgebung Kauplversamnrlung -er Landwirjchaslskammer Leipzig, 21. Mai. Die Krcisdircktion der Landwirtschafts kammer in Leipzig hat ihre Hauptversammlung, verbunden mit der Tagung des Kreisverbaudcs Landwirtschaftlicher Haussranen- vercine am Dieuslag i» Grimma abgehalle». Beide Versamm lungen waren über Erwarten stark besucht. Den Vorsitz ln der Hauplvcrsaminlung führte Friedrich-Hirschfcid. 'Namens des säch sischen Wirtschaftsministeriums und der sächsischen Oiegierung grüßte Gras Vitzthum vo» Eckstädt. Der Tätigkeitsbericht wurde durch Direktor Dr. Bonisch erstattet: Viel Sci)aden hat die Trok- kcuheit augerichtet; der Winter 1929/30 hat den Feuchtigkcitsman- gel noch nicht behoben. Die Kapitalarmut drückt; die mangelnde Kaufkraft der Laudwirlschast werde auch in anderen Wirlschasts- Kreisen empfunden. Oekonomierat Keifer-Berlin sprach über das Agrarprograuuu und die Ausgabe der Landwirtschaft. Tie deutsche Lanüivirtschas, sei inbezug auf Anwendung der Technik und andere Fürderungsmögiichkeiten nach lange nicht auf der Hohe; sie müsse den Binnenmarkt gewinnen, das könne sie aber nur, wenn sie Qualitätsware hcrstelle. — Die Lands raucn-Tag ung wurde durch die Kreisverbandsvorsitzcnde Frau Otlo-Leisnig geleitet. Tie Abteilung Frauenarbeit der Landwirtschastskammcr hält am 1. Juni i» Chemnitz im Saale des Christlichen Vereins Junger Männer das dritte L c h r l i n g s ! r s s s c n ab. Hierbei hält Fian Bethmann v. Biiltzingsiöwcn. Niedeehaßlau, eine» Vortrag über das Thema: Was muß ich als Lehrling vom länd lichen Hausgartc» wissen? Tie Versuchsanstalt sür Landarbeilstehre in Pommritz ver anstaltet vom 20 bis 27. Mai bei Stadloutsbesitzcr Loch mann, Oschatz. einen praktischen Lehrgang in arbeitsparenden Verfahren bei der Nübenpslegc. Um -ie Rentabittrttl -er Straßenbahn Die Große Leipziger Straßenbahn hat im Geschästsabsäin ti vom 1. April 1929 bis Zinn 31. Mürz 1930 insgesamt 159,Is8 Millionen (177,100 Milt, im Vorfahre), also 17,918 Mill. Fahr, gälte weniger befördert. Trotzdem sind die Einnahmen aus 30,75 Mill. (28,5 Mül.) um 2,25 Millionen gestiegen. Es wurden drei Millionen Wagenkilomeier weniger als im Vorfahre gefahren. Trotz dieser Zunahme der Einnahmen kann zunächst von eine« Rcntabilität bei der Straßenbahn nicht gesprochen werden. » Die Direktion halte in einem Anschlag bekanntgcgebcn. daß zur Vermeidung der Entlassungen auch Kurzarbeit einlreten könne. Tie hierüber vorgenommcne Urabstimmung ergab 2570 Stimmen sur die Kurzarbeit, während 1991 Stimmen sür die Ent. lassung der gekündigten Arbeiter abgegeben wurden. Bei den Ver. Handlungen, die zwischen den Gewerkschaften und der Direktion wegen der Enilassungsmohnahmen geführt wurden, ist es zu einer Einigung nicht gekommen. Am Donnerstag werden erneut Ver handlungen ausgenommen, nachdem inzwischen der Geiaml- belriebsrat und auch die Städtischen Werke sich mit der Ange legenheit beschäftigt haben. Jeden Sommer verbrachte sie mit dem Knaben auf dem Lande. Sie ließ ihn die Gestalt frommer Pferde be tasten, führte ihn zu den Kühen und Schafen, ließ vor. sichtig seine Hand über Pflug und Egge gleiten und saß mit ihm am Dorfteiche, wo sie ihm jede Bewegung der Gänse- und Entenschar beschrieb, das flinke Schmälbchcn schilderte und ihn ein Stückchen ins Wasser patschen ließ. Sie hat Sperlinge, Fische, Regenwürmer, Frösche, ja sogar Eidechsen gefangen, nur um ihn die Tiere ein paar Momente betasten zu taffen und sie dann wieder frei zu geben. Sie hat ihn Früchte pflücken lassen von niederen Aesten, Kartoffeln scharren lasse» aus der Furche; sie war mit ihm auf dem Heuboden und im Keller, sie ist bis zu den Glocken des Kirchturms mit ihm gestiegen. Vor stellungen wollte sie ihm vermitteln, klare Bilder in seine Seele zeichnen. Und diese Phantasie übte sie. Ich habe diesen Knaben Schilderungen entwerfen hören, wie ich es nie bei einem ehenden Kinde mahriiahin. Dann war die Mutter glück- ich. Cie wußte, daß die Phantasie oas Auge unserer Seele st, vor dem es keinen Nebel und keine Nacht gibt, und ressen Blick von keinem Horizont begrenzt wird. Einmal ragte er sie, wie es wohl im Himmel sei. Da hat sie ihm eine Schilderung entworfen mit der heiligen Herzensglut, deren eine gute Mutter fähig ist. gleichzeitig aber auch mit der Kraft der Phantasie, wie sie kaum die Dichter des Orients haben. Eie hat ihm nie gesagt, daß er unglücklich sei; sie hat sorgsam jede Mitleidsbezeugung von ihm ferngehalten, die den Blinden quält; sie hat nie das Glück geschildert, gesunde Augen zu haben. Sie ist sogar in der heiligen Geschichte über die Heilung des Blindgeborenen hinweggegangen, um nicht eine unstillbare Sehnsucht in ihm wachzurufen. Und doch lebte in diesem Knaben ein beständiges Verlangen nach Licht. Vielleicht, daß er mit gesunden Augen ein Künstler geworden wäre. Seine liebste Be schäftigung war, Dinge aus Ton zu formen und mit bunten Stiften zu bemalen. Und immer dieselbe Bitte, ihm zu sagen, ums denn das sei: die Farbe; was denn das sei: das Lickt. Immer bei diesen Fragen war die Mutter elend und wollte selbst nichts wissen von der bunten Pracht, die sie ihrem Kinde nicht erschließen konnte. Deshalb trug sie auch nur graue oder schwarze Kleider. Inzwischen war der Knabe zwölf Jahre alt geworden. Sein Pater unterrichtete ihn privatim, und die Mutter nahm an all seinen Stunden teil. Sie rechnete mit ihm algebraische Aufgaben und lernte mit ihm lateinische Vokabeln und Regeln. Der blinde Joseph machte glän zende Fortschritte. Wenn ihn jemand fragte, was er werden wolle, dann sagte er: „Arzt". Es täte ihm so leid, wenn jemand krank wäre. Ich unterhielt mich oft mit dem klugen Knaben. Er war nicht wie die anderen: viel weicher, viel empjindlicher. Das machte sein steter Umgang mit der Mutter. Er liebte sie schwärmerisch und sagte zu mir: „Wenn ich eine einzige Sekunde sehen könnte, dann möchte ich meine Mutter sehen." Es ist nicht zu viel, wenn ich sage, daß ich den Knaben liebte. Einmal war ich zwei Wochen lang verreist. Zurück gekehrt, fand ich einen schwarzumränderten Brief auf meinem Tisch. Der blinde Knabe war nach kurzer, heftiger Krankheit gestorben. Cr war noch nicht begraben; ich konnte noch die Leiche sehen. Ich gestehe, daß ich mich ge- fürchtet habe, in das Haus zu gehen. Ich fürchtete, neben dem toten Kinde eine wahnsinnige Mutter zu finden. Es war anders. Sie saß bei ihm, ganz stitl, ganz wortlos, ganz ohne Tränen. Auf dem weißen Kiffen ruht« der schöne Kinderkopf. Die Hände hielten ein kleines Kreuz; über dem Kopfe brannte ein einziges, Helles Licht. Die Äugen des Toten standen ofsen. Erschüttert blieb ich stehen, nicht fähig, mich zu regen. Da wandte sie sich um. Ihr Gesicht war schneeweiß, aber es lag «in Frieden, bei nahe ein Lächeln auf ihren Zügen. Langsam kam sie auf mich zu und faßte mich an der Hand. Sie wies nach dem lächelnden schönen Kindergesicht und' nach den ossenen Augen, die im Tode einen eigen artigen Glanz hatten, und sagte ruhig und glücklich: „Er lieht!"