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Beilage zum „Elvevlatt und Anzeiger". 1S7. TageSgeschichle. Marokko ist seit langer Zeit der Schauplatz von Aufständen, der Sultan ist nur dem Namen nach der Beherrscher de- Lande-, in Wahrheit schwebt er fort während in der Gefahr, daß ihm die Zügel der Re gierung entgleiten werden. Die Soldaten deS Sultan waren schon lange im Rachtheile gegen die Aufrührer, erst vor Kurzem ist der Sohn des Sultan- in einer blutigen Schlacht geschlagen worden und hat mit Noch und Mühe da- Leben gerettet. Jetzt wird von einem neuen Siege der Aufständischen berichtet, nach welchem über 100 Gefangene getödet und der Sohn des Gou verneur- gefoltert und enthauptet wurde. Das ge schieht zu einer Zeit, in welcher große Massen von Kabylen die spanische Festung Melilla mit Erstürmung und Vernichtung bedrohen. Spanien hat die Kreuzer- corvette „Colon" abgesandt, um den spanischen Ge sandte» von Tanger nach Rabat zu führen, damit er persönlich mit dem Sultan verhandle und ihn zum Eingreifen veranlasse. Damit wird es aber gute Wege haben, denn der Sultan ist in großer Bedrängniß und weiß sich selbst kaum zu helfen. Es wird also der spanischen Regierung nichts übrig bleiben, als die Sache selbst in die Hand zu. nehmen und den Kabylen spanische Truppen entgegenzuschicken. Die Nachrichten über Marokko schließen mit der Meldung, daß auch die französische Regierung ihre Militärposten an der algerisch marokkanischen Grenze verstärkte, um die Kabylenstämme in Schach zu halten. Nun liegen zwar die Dinge in Marokko nicht so, daß die siegreichen Aufständischen demnächst vor der Hauptstadt des Landes erscheinen werden, um den Sultan zu entthronen, sie beschränken sich vielmehr auf Streifzüge, durch welche sie das Land fortgesetzt beunruhigen, aber jeder Erfolg, den sie da- vontrazen, schädigt das Ansehen des Sultans und be deutet für ihn einen Machtverlust; er ist genöthigt, alle Kräfte anzuspannen, um sein schwer erschüttertes Ansehen wieder herzustellen und seine Stellung zu befestigen. Gelingt es ihm, die Aufständischen an irgend einem Punkte zu schlagen, dann ist der frühere Zustand, der ja niemals mustergiltig war, wieder erreicht und es kann wieder eine Zeit lang in der alten Weise fortgewirthschastet werden. So hat sich aber auch die Entwickelung in Tunis voll zogen, bis es eines Tages den Franzosen gutdünkte, die Verlegenheiten des Blys von Tunis zum eigenen Borthcil zu verwerthen und das Land unter franzö sischen Schutz zu stellen. Es ist bekannt, welche Be wegung dieses Vorgehen Frankreichs in Italien ent fesselt hat und wie wenig daran fehlte, daß sich da raus ernste internationale Verwickelungen ergaben. Der Sturm hat sich allmählich wieder beruhigt, aber das Mißtrauen besteht fort, daß Frankreich dasselbe, was eS in Tunis gethlm hat, in Marokko wiederhvlenwerde.Die Ge- legenheitdazuscheintgegenwärtiggünstigeralsjezuvor. Die Auflegung, welche unter den Kabylen herrscht, läßt das Schlimmste befürchten. Die mohamedanischen Stämme sind fanatifirt. Die Bewegung, welche ihre Glaubens genossen in Südafrika erfaßt hat, wirkt bis auf die Bewohner der Nordküste Afrikas fort, und cs haben sich erst vor Kurzem Anzeichen gezeigt, welch- beweise«, daß auch Algier von dieser Bewegung nicht frei ge blieben ist. Der Mahdi hat sogleich bei seinem ersten Auftreten verkündet, daß er die Fremden vertreiben und die Weltherrschaft der Mohamedaner aufrichten wolle. Seine Abgesandten haben den Macht bereich das Mahdi über Berber und Dongola ausge breitet und vor einiger Zeit ist auch ein Mahdisten- Teneral in Oberägypten erschienen. Omar Saleh hat zwar im Kampfe mit den von Engländern geführten Aegyptern sein Ende gefunden, aber die Vernichtung seines Heeres ist nicht gleichbedeutend mit der Beseitig ung des Gedankens der Weltherrschaft de- Mahdi, die Mohammedaner in Afrika halten an diesem Gedanken mit großer Zähigkeit fest und werden noch öfter ver suchen, ihn zur Ausführung zu bringen. Die Kabylen in Marokko werden in ihrem Vorgehen gegen die marrokkanische Regierung jedenfalls auch noch durch andere Gründe bestimmt, und die Raub- und Mord lust gehört sicher in erster Linie dazu, aber wenn diese Leidenschaften besser in Schranken gehalten würden, dann wäre« sie nicht stets bereit hervorzubrechen; ein kräftiger Sultan würde die rebellischen Stämme züchtigen, daß ihnen die Lust zu weiteren Aufstüüden vergehen würde. Da es an einem solchen Sultan fehlt, so hat die Bewegung einen gefährlichen Charakter angenommen, welcher nicht nur dem Sultan das Lebe/n schwer macht, j. ..der« ihn auch vor die Möglichkeitfremder Ein mischung stellt, wie sie schon früher wiederholt stattge- Dienstag, den 19. August 1890. funden hat. Spanien hat eine ernste Beranlafsung, gegen die Aufständischen energisch vorzugehen und wiro gewiß nicht lange zögern, um dem Sultan den ganzen Ernst der Lage zum Bewußtsein zu bringen. Der Streit zwischen Spanien und den vor Melilla liegenden Kabylen ist eine Privatangelegenheit, die mit der Feindschaft dieser Stämme gegen die Regierung des Sultans nichts zu thun hat, aber der Sultan würde nur der Lage entsprechend handeln, wenn er die Sache Spaniens in diesem Falle zu der seinigen machte. Er würde dadurch Frankreich jeden Vorwand zur Ein mischung entziehen, welches bei der Unthätigkeit d-S Sultans leicht zu der Auffassung gelangen könnte, daß es die nöthigen Schritte zum Schutze seiner Interessen in dem an Algier grenzenden Theile Marokkos unab hängig von dem thun müsse, was etwa der Sultan für gut befinden sollte. ES wäre nicht das erste Mal, daß dies geschähe. Aber Frankreich ist nicht so voll kommen Herr seiner Entschließungen, daß es nicht auf die öffentliche Meinung in Europa Rücksicht zu nehmen hätte. Und diese Meinung ist der Besitz ergreifung Marokkos durch Frankreich entschieden abgeneigt. Es hat sich im Laufe der Zeit die An schauung herausgebildet, daß Marokko zur spanischen und Tripolis zur italienischen Interessensphäre ge hört. In Bezug auf Marokko wird diese Anschauung gegenwärtig dadurch praktisch, daß Spanien genöthigt wird, die Melilla bedrohenden Kabylen zu züchtigen. Außerdem würde es den allerschlechtesten Eindruck machen, wenn Frankreich nach dem soeben in Westafrita mit leichter Mühe errungenen Erfolge jetzt auch noch seine begehrlichen Hände nach Marokko ausstrecken wollte. Spanien hat sich, abgesehen von seiner geographischen Lage, begründete Ansprüche auf Marokko durch seine siegreichen Kämpfe in diesem Lande erworben, während Frankreich durch seine Eingriffe in die Verhältnisse dieses Landes immer nur die Vorstellung erweckt hat, daß es anderen, besser berechtigten Bewerbern um den maßgebenden Einfluß in Marokko den Rang ablaufen wollte. Es war vor einigen Jahren davon die Rede, daß Frankreich sich mit Spanien in den Besitz Marokkos in der Weise theilen wollte, daß der westliche Theil Frankreich, der östliche Spanien zufiele, aber die öffent liche Meinung Europas wollte von einer solchen Theilung nichts wissen. Marokko scheint bestimmt, die öffentliche Aufmerksamkeit in der nächsten Zukunst sehr l.bhaft zu beschäftigen, und daran trägt die Schulv lediglich der Zwischenfall von Melilla. Die inneren Kämpfe, welche der Sultan gegen aufständische Stämme zu führen hat, sind nicht so wichtig, daß sie das allgemeine Jnterefse zu erregen vermöchten, ste müßten denn eine solche Bedeutung gewinnen, daß die Herrschaft des Sultans dadurch gefährdet würde. Das ist trotz der augenblick lich für diesen ungünstigen Lage auch jetzt kaum der Fall, sonst würde die spanische Regierung es nicht der Mühe werth halten, sich mit dem Sultan wegen Melillas ins Einvernehmen zu setzen. Der Grund der allge meinen Aufmerksamkeit ist lediglich die Spannung, mit welcher die Haltung Frankreichs beobachtet wird. Italien hat seit dem Bekanntwerden des deutsch-englischen Ab kommens wegen Afrikas die Befürchtung gehegt, daß Frankreich die Schutzherrschaft über Tunis in die Annexion des Landes verwandeln könne. Frankreichs Handlungs weise hat diese Befürchtung bisher nicht gerechtfertigt, aber vielleicht hätte Italien mehr Grund, der Ent wickelung der marokkanischen Verhältnisse seine Auf merksamkeit zuzuwenden. Angesichts vollzogener That- sachen haben Befürchtungen keine Berechtigung mehr. Deutsches Reich. Kaiser Wilhelm ist Sonn tag Mittag unter dem Salut des russischen Geschwaders in Reval eingetroffen. Der Hafen, der Bahnhof und die Gebäude sind, wie man von dort meldet, prächtig geschmückt. Die massenhafte Bevölkerung jauchzte dem Kaiser jubelnd zu. Um 2^ Uhr erfolgte die Weiter reise nach Narwa mittelst kaiserlichen ScparatzugeS. Die Meldung, Fürst Bismarck habe in Schön hausen dem ungarischen Abgeordneten Emil Abranyi eine längere Unterredung gewährt, wird von den „Hamb. Nachr." für falsch erklärt. „Fürst Bi-marck hat", so schreibt das genannte Blatt, „den Besuch jenes unga rischen Abgeordneten nicht empfangen, und alle Ver öffentlichungen über eine Unterredung mit demselben beruhen mithin auf willkürlicher Erfindung." Man darf nun gespannt darauf sein, waS der „Pester Lloyd" Über die Quelle äußern wird, aus welcher er seinen Bericht über die angebliche Unterredung erhalten hat. Amtlicher Nachweisung zufolge sind im Deutschen Reiche für >ie Ze.- von, 1. Ao.il bis zum Schl. '' des Monats Juli lbllO an Wechselstcmpelsteuer Jahrg. k 25S7543 Mark oder 1S5000 Mk. mehr al« im gleichen Zeitraum deS Vorjahres vereinnahmt worden. Ueber die Vorlagen für die nächste preuß. Land- tagSsesflon bringt der „ReichSanzeiger" im nichtamt lichen Theile folgende Ankündigung: „Nach den bisher getroffenen Vorbereitungen wird beabsichtigt, dem Landtage umittelbar bei seinem Zusammentritt außer den Entwürfen eines VolksschulgeseyeS und einer Landgemeinde-Ordnung für die siebe» östlichen Provinzen der Monarchie die Vorlagen wegen der Reform der direkten Steuern zur Berathurrg vorzulegen. Man wird hoffen dürfen, daß eS auf diese Weise gelingen wird, die erwähnten bedeutungsvollen Reformgesetze in der nächsten Session deS Landtages zur Verab schiedung zu bringen." Diese organisch zusammenge hörenden Reformen sind bekanntlich auch von größter Bedeutung für die schließliche Regelung deS ReichS- finauzwesens. Ueber die Bedeutung deS Mannesmannschen Röhren- walzversahren« für die Kriegstechnik bringt daS August heft der Jahrbücher für daS deutsche Heer und die Marine aus militär-technischer Feder einige bemerkens- werthe Anhaltspunkte. Besondere Aufmerksamkeit wird der eventuellen Neugestaltung der GewehrbewaffnungS- fcage geschenkt, insofern als die Gewehrläufe, Laufmäatel rc. eine bedeutend leichtere Construction erhalten können. Die Herstellung kleinkalibriger Gevehrläufe erscheint durch das Mannesmannsche Verfahren in hohem Grade erleichtert, geradezu aber Bedürfniß zu werden, sobald, wie vorauszusehen, über kurz oder lang eine weitere Verringerung der Gewehrkaliber erfolgen sollte. Zu Geschossen der Artillerie, heißt es in oben erwähnter Abhandlung, ist das Fabrikat gleichfalls geeignet, und wird damit vielleicht bald dem Gußeisen gänzlich der Lebensfaden abzeschnitten «erden. Vor einiger Zeit wurden auch in der deutschen Reiterei die Stahlrohr lanzen eingeführt, und ist es mittels des Mannesmann schen Verfahrens gelungen, sowohl die hohlen Spitzen der Lanzen, als auch die Schäfte zu erzeugen. Ganz besonderen Nutzen dürften auch die Eisenbahntruppen und der Schiffsbau dec Kriegsmarine aus der Er findung ziehen. Die englische Admiralität ist auck bereits auf dem Wege, einzelne Vortheile bei gewissen Einrichtungen anzubringen. Es werden jetzt Rohre von 600 mm Außendurchmesser hergestellt und man glaubt, aufs Doppelte dieses Maßes zu kommen. Ma die Länge anbetrifst, so hat man Rohre von 45 Fuß erzeugt und denkt, selbst 90 Fuß leicht erreichen zu können! Das ist eine ganz ungeheuere Leistung. Ja den vier großen Röhrenwalzwerken, die bereits nach dem Mannesmannschen Verfahren arbeiten (in Deutsch land, Oesterreich und England), sind über 3500 Ar beiter angestellt und man ist mit großartigen Fabrik ausdehnungen beschäftigt. Es mag noch erwähnenS- werth sein, daß die ersten Versuche zu dem neuen Walzverfahren bereits vor dreißig Jahren unternommen worden sind. Düse Versuche wurden unablässig fort gesetzt, bis die glücklichen Erfinder es vor etwa zwei Jahren zu der heutigen Vollkommenheit brachten. Ja Betreff der verwaltunzsrechtlichen Stellung Helgolands theilt die „Weserzeitung", entgegen anderen Meldungen, mit, daß die Insel einen möglichst enge« Anschluß an Wilhelmshaven erhalten solle. Wilhelms haven liegt nicht weiter entfernt als die schleswigsche Küste. Der friesische Stamm, der auch in Helgoland zu Hause ist, wohnt in Wilhelmshaven so gut wie in Eiderstedt. Beziehungen sind beiderwärts nicht vor handen. In Bezug auf Militär und Marine wird Helgoland aber sicherlich mit Wilhelmshaven verbunden werden. Wenn die Civilverwaltung dem Kreise Eider stedt übergeben würde, wären Militär- und Civilver waltung unnvthig weit von einander getrennt, jede Verständigung litte an der großen Entfernung und an den schlechten Verbindungen. Frankreich. Der russische KiiegSminister Wannowskr «urde vom Präsidenten Carnot in Fontainebleau empfangen. Ein französischer Hauptmann hat ei« n«es Mittel gefunden, die „europäische Kultur" in Tonkin eiozuführen; er läßt Bluthunde zur Jagd auf die Piraten abrichten. Er ließ eine Anzahl Hunde täglich von Anamiten schlagen, dagegen von französischen Soldaten füttern. Nachdem die Hunde vierzehn Tage lang in dieser Weise behandelt worden waren, ließ man sie frei, sie witterten einen Anamiten auf weite Entfernung und stürzten sich, wenn er herankam mit wüthendem Gebell auf ihn. England. Im Unterhaus« erklärte der Unter- staatösekrFerg-ffo«, das engl'.sch-pr-^gieM- Ab komme» sei noch Gegenstand der Erwäg»ng ' r 43.