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35, 12 Februar 1912. Fertige Bücher. BSrs-ndlatt f. d. Dtschn. 1867 Agnes Lenningsen und die Kritik: Julius Hart (Der Tag): Über den Büchern von Agnes Lenningsen — ich glaube, von allen Erzählerinnen der Weltliteratur ist sie zurzeit die verliebteste — liegt der ganze Lauch von .Ich weiß nicht was", was man nur zu gut weiß- von animalischen Wärmen, sinnlichen Ekstasen, körperlichen Versprechungen und üppigen Verlockungen. Die Kopenhagen» Künstler- und Schriftstellerwelt, welche sie in ihrem Roman „Die vielgeliebte Eva" darstellt, ist ein Paradies der freien Liebe und der Emanzipation des Fleisches . . . 0r. Otto Stössl (National-Zeitung): Zwei Romane dieser dänischen Schriftstellerin haben auch in Deutschland mit Recht Aufsehen gemacht. Die Kühnheit ihrer erotischen Probleme ist mit ungemeiner Durchdringung und Vertiefung der Charaktere, die Fülle der Figuren mit klarster Ordnung der Komposition verbunden. Lier, an Agnes Lenningsens Romanen, möchte sich jeder feinere Geist als an reifen saftigen Früchten erfrischen. Diese Dichterin rückt sich selbst und ihre heiklen Sujets mit der selbstverständlichen Sicherheit des Könners und der unantastbaren Persönlichkeit aus dem Dienst einer üblenNachbarschaft.der abgetanen „Bekenntnis-Literatur" eines modernen .Weibtums". Sie saßt das Fragwürdigste kräftig, ohne Ziererei an, aber sie stellt es heraus, ohne ihm anhcimzu- fallen, und lebt in einer Sphäre von geistiger Ordnung, kühler Betrachtung und heiterer Erkenntnis, die voll Frische und Klarheit aus den von Vitalität schäumenden Situationen haucht, wie der Atem einer gesunden Natur selbst. Latten die „vier Liebsten" die Komödie eines polygamen Liebhabers und seiner in allen Enttäuschungen ratlos getreuen Opfer gegeben, so zeigt der neueste Roman „Die viel- geliebte Eva", das Gegenspiel, die Tragödie einer polygamen Liebhaberin, die von einem Manne zum andern eilend in der Leidenschaft sich selbst sucht, im Geliebten niemals die Liebe findet. Die rührende, fragwürdige, in ihrer triebhaften Anruhe unsäglich reizende Gestalt der .Vielgeliebten" ist eine er greifende Figur der modernen erzählenden Dichtung. Ein Typus unserer Zeit, zugleich ein ewiger Frauentypus selbst erscheint mit äußerster Differenzierung und höchster poetischer Verdichtung lebendig gemacht. Kurt Münzer im Literarischen Echo: Der wunderbare Reichtum des Nordens geht einem auf, wenn man neben Jonas Lies stiller, gütiger Menschlichkeit die schwärmerische Sinnlichkeit, die sehnsüchtige Erotik einer Agnes Lenningsen betrachtet.... Sie hat nur ein Thema: die Liebe . . . Aber nirgends ein Zuviel, nirgends ein Anlaß zum Wider stand, zum Widerwillen. Denn diese Dichterin schreibt mit ruhiger Land, mit überlegenem Wissen, Hs ganz Meisterin ihrer Stoffe ... Das erste Buch, mit dem sie in Deutschland erschien, war „Polens —^ Töchter", ein Roman aus der polnischen Boheme. Schon dies Buch ist ein Ozean von Liebe, Liebe, die große und kleine Wellen schlägt, die Sturm und Stille ist, die erhebt und begräbt. Ein Buch ohne Ende. Linker seinem letzten Wort rauscht die Liebe weiter, unsterblich, in immer gleichen und doch in nuancenneuen Formen, nie befriedigt, sehnsuchtsvoll schon wieder in der Erfüllung. . . . Das zweite Buch „Die vier Liebsten" ist der Roman eines Don Juan. Soviel Liebesweisheit und Lebens klugheit soviel liebevolle Beobachtung steckt in ihm, daß man ihn ebenso genießt wie gedankenvoll über denken muß. Er ist ein entzückendes Schul-Lehrbuch für Erwachsene; man sitzt auf den Bänken des freien Lebens und bekommt an Lank hinreißender Beispiele Liebe doziert. Klüger geworden, sehr reich an Erkenntnissen der Frau und des Mannes steht man auf. Das letzte Buch „Die vielgeliebte Eva" schildert eine Art Gegenstück zum Gutsbesitzer Brandt, den weiblichen Don Juan, die, ohne selbst ganz hingebend lieben zu können, doch die Liebe nicht entbehren kann, die nicht den einzelnen Mann, sondern die überhaupt zu lieben liebt. Agnes Lenningsens Bücher erschrecken, weil man sich selbst in ihnen entdeckt, entblößt, erraten findet. Auch dies neue Buch ist ein Meer von Liebe mit Schrecken und Schönheit des Meeres. So viele Menschen in dem Buch, so viele Formen der Liebe, begehrende, erfüllende Liebe. And dennoch ist dieses Buch Seele, alles Körperliche verklärendes Gemüt; sonst Anerträgliches und Abstoßendes wird zur Dichtung, weil eine Dichterin es aufgreift. . . . And auch hier wieder die Güte eines unendlichen Verstehens des Menschlichen und der Reichtum einer weiten Menschenkenntnis. . . . Anheimlich wirkliches, plastisches, dampfendes Leben steigt aus dem Buche, es verwirrt, berauscht, reißt fort ... In Kommission können wir nur ausnahmsweise, und nur bei gleichzeitiger Barbestellung liefern, und bitten wir, von der Sonderofferte Gebrauch zu machen. S-6"