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«V 1v3, 4. Mai 1912. Nichtamtliche! Teil. Vorbilder bei der »T i e m a n n - M e d i ä v a l« der Gebr. Klinspor. Schon bei den ungezählten schönen Buchtiteln, die Walter Tiemann die Jahre vorher für unsere Verleger gezeichnet hatte, waren die englischen Vorbilder unverkenn bar. Diese Arbeiten, die in ganz hervorragender Weise zur Läuterung des Geschmacks in diesen Dingen beigetragen haben, führten ihn Wohl dazu, die Type zu entwerfen, die zuerst für die Drucke der von Tiemann und Poeschel begründeten Janus-Presse Verwendung fand, Werken, die sich in ihrer künstlerischen Tendenz durch nichts als die Schrift von den Muslerdrucken der Doves-Press unterscheiden. Selbst die Schrift lehnt sich stark an die traditionellen Antiquatypen an, die die Engländer bevorzugen und die altvenezianischen Vorbildern entnommen sind. Der Künstler hatte dabei eine glückliche Hand. Die eleganten und liebenswürdigen Formen seiner Type, ihre nicht zu zarte und nicht zu kräftige Struktur machen sie zu einer allgemein beliebten und häufig ange wandten vornehmen Werkschrift. Die vierte, zu gleicher Zeit erschienene Lateinschrift ist die »K l e u k e n s - A n t i q u a« der Bauerschen Gießerei. Sie ermangelt der modernen Note und weist vielmehr Formen auf, die an die Zeit des Jugendstils erinnern und eine Entartung des Antiquacharakters, ähnlich wie bei der Grasset, zur Folge haben. Ihre immerhin persönliche Note und ihre Ausge glichenheit sind Vorzüge, die den genannten Mängeln ent gegenzuhalten sind. Vom selben Künstler erschien zu gleicher Zeit die auf den Namen »Jngeborg-Antiqua« hörende Schrift der Gießerei D. Stempel. Die Type, die nach der Behrens-Antiqua entstand, hat unleugbar ihre Formgebung deren Einfluß zu danken, und so sind ihre Vorzüge doch stark imitativer Natur. Einige neue Drucke der Emst Ludwig-Presse, die gegen den bunten Bilderbuch- und Plakatstil der ersten Arbeiten mehr typographische Vertiefung aufweisen, bringen sie am besten zur Geltung. Die Antiquaschrift in ihrer primitivsten Form als Block schrift mit Balken von gleicher Strichstärke fand auch ihre Be arbeiter. Hierbei muß der Einfluß des österreichischen Schrift meisters Rudolf von Larisch erwähnt werden, der von einer anderen Seite als Johnston die Reform des Schreibens an gebahnt hatte. Seine Methode geht weniger auf Einzelheiten als auf die gute Ausgeglichenheit eines Satzbildes im ganzen, weniger auf historische Überlieferung als auf Weckung des lebendigen Schriftempfindens. Diese Schule mußte natürlich aus die einfachste Formgebung hinarbeiten und für sie von reinigender und wohltuender Wirkung sein. Unter den Blockschriften, die unter diesem Einfluß heraus gebracht wurden, ist die der Schriftgießerei Berthold zu er wähnen, deren Urheberschaft anonym ist, die aber in ihrer Er scheinung an Schriftformen erinnert, die der Berliner Plakat künstler Lucia n Bernhard bei seinen Zeichnungen an wandte. Von diesem Künstler liegt im Augenblick noch eine neue Antiquatype vor, die vorzüglich für den Gebrauch als Plakat- und Jnseratschrift zugeschnitten ist. »Bernhard- Antiqua« heißt diese von der Schriftgießerei Flinsch her- gestellte Type, die in amerikanischen, aus der Zeit des hollän dischen Kolonialstils abgeleiteten Schriften ihre Vorbilder hat. Auch in England wurde diese Schriftform für Reklamezwecke kultiviert und ist bei uns hauptsächlich durch die Bilderbücher Nicholsons bekannt geworden, eines Mitglieds der unter dem Namen Beggarstaff Brothers schaffenden Künstlergemeinde, der viele auch in bezug aus Schrift vorbildliche Plakate zu danken sind. In der »Kolonial« der Gießerei W. Woellmer und in einer Hausschrift der Druckerei Jmberg L Lefson, der sogenannten »H a a r l em t y p e«, besitzen wir schon längere Börsenblatt s!ir den Deutschen BuchtMbel. 79. Jahrgang. Zeit solche nach amerikanischen Originalen geschnittene Schrif ten, aber die neue Antiqua von Bernhard hat vor ihnen den Vorzug größerer Eigenheit. Eine meiner Schriften, die »E h m ck c - K u r s i v« der Schriftgießerei Flinsch, darf vielleicht anschließend hieran noch genannt werden. Sie ist als lateinische Kursiv gedacht, und wenn sich Frakturvorstellungen hineingemischt haben, so ge schah es nur in Einzelsällen, wie bei dem großen H oder K, weil die Antiquaformen nicht schmiegsam genug, die lateini schen Schreibsormen zu flüssig waren, und in der Erwägung, daß bei allem mehr Handschriftlichen am ehesten mit der Strenge von Regeln gebrochen werden könnte. Die Schrift ist als Buchschrist für Werke der Ichform, für Memoiren, Brief ausgaben und Kundgebungen persönlicher Färbung gedacht, wird aber von den Verlegern nicht gebraucht. Daß sie brauch bar ist, hoffe ich durch ihre Anwendung bei meinem Buche »Ziele des Schriftunterrichts« und der Festschrift der Firma Jos. Feinhals, Cöln, bewiesen zu haben. Auch bei der Kursiv scheint mir, wie bei meiner Antiqua, stark durchschossener Satz am angebrachtesten. Die große Aufmerksamkeit, die mehrere Jahre hindurch der Antiqua zugewandt wurde, mutzte bei den Freunden der Fraktur die Reaktion wachrufen. Die alte Streitfrage kam ja neuerdings auch wieder zum Austrag, und der Widerhall da- von drang gelegentlich des Reichstagskommissionsbeschlusses bis in die breite Öffentlichkeit der Tageszeitungen. Kein Wunder, daß auch im Schriftgewerbe eine Reihe von Fraktur neuheiten auftauchte und von den Anhängern der deutschen Schrift mit Begeisterung ausgenommen wurde. Schon einige Jahre zurück liegt das Erscheinen eines nicht uninteressanten, aber zugleich für den Irrtum einer ganzen Kunstauffassung lehrreichen Beispiels. Die »Baue In schrift« von Max Fröhlich, herausgegeben von Numrich L Co. ist ein mit ungenügenden fachlichen Kenntnissen und mangelndem Formsinu unternommener Versuch, eine deutsche Schrift zu schaffen, die den naiven Schreibübungen auf alten Bauerntruhen entnommen war und etwas ähnlich Volkstüm liches werden wollte. Daß man mit solche» Reminiszenzen nicht Volkskunst schaffen kann, sondern daß Volkskunst immer erst ein Abbild der großen führenden Kunstrichtungen ist, das wissen wir heute aus ähnlichen sehlgeschlagenen Versuchen auf dem Gebiete heimischer Bauweise, der Bauernkeramik usw. Im großen ganzen ist die Wirkung der Bauernschrift keine schlechte; sie birgt sogar einzelne Zufälligkeiten von großem Reiz und Originalität der Erfindung, die es bedauern lassen, daß ihr Schöpfer nicht mit genügender Schulung die Aufgabe lösen konnte. Mit großem Raffinement und der genauen Kenntnis aller einschlägigen Kultur ist dagegen die »Weiß-Frak tur« des Tempel-Verlags geschaffen. Die Schrift ist im Geiste der Ungerfraktur gehalten und besitzt deren leichte Offen heit und Grazie. Als Mängel sind die große Ähnlichkeit zwi schen einzelnen Versalien, wie G und E, zu beanstanden, die das Lesen erschweren, und die verbogenen dackelbeinigen Ab striche bei vielen Gemeinen, die der Schrift etwas Schwanken des geben, was sie gegen ihr Vorbild abfallen läßt, das viel mehr eine feine und zarte Energie besitzt. Die mit der Weiß- fraktur gedruckten Bücher des Tempel-Verlages gehören un zweifelhaft zu den besten Klassikerausgaben, wenn man sich auch für die gestellte Aufgabe eine andere Type denken könnte. Die »K l e u k e n s - F r a k t u r« der Schriftgießerei D. Stempel liegt in einem Privatdruck der Firma von Goethes Hermann und Dorothea vor. Sie ist keine ausgesprochene Frakturschrift, sondern erinnert mit ihren Härten und der Trockenheit ihrer ganzen Erscheinung an gewisse Reform-Frak turen oder Schwabacher Schriften, bei denen man nie recht 722