Volltext Seite (XML)
^ 103. 4. Mai 1S12 Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 5543 die unkünstlerischen Schriften werden ganz von selbst aus den Musterbüchern der Firmen verschwinden, in denen sie jetzt den breitesten Raum beanspruchen. Die von den führenden Schriftgießereien herausgegebe nen Probehefte bieten schon viel des Lehrreichen. Nur bleibt noch übrig, vor der meist falschen Anwendung überflüssigen Schmuckmaterials zu warnen, das jeder Künstlerschrift anklebt, wie der Kohle die Schlacken. Nichts ist übler als ein unangebrachtes Zierstück. Selbst sehr charakterlose und nichtssagende Schriften können ein an ständiges und nicht beleidigendes Buchbild ergeben, wie das die kleinen Reclambändchen in ihrem Innern beweisen. Als Gegenbeispiel sei der roten Hefte der Wiesbadener Volks bücher gedacht, wo bei aller guten Absicht, für wenig Geld einen den Augen unschädlichen Druck guter Literatur zu geben, durch ein häßliches und überflüssiges Schmuckstück am Anfang jeder Geschichte der anständige Eindruck zerstört wird, während bei Fortlassung dieses »Zierats« das Buch besser und um nichts teurer sein würde. Mit diesen allgemeinen Bemerkungen möchte ich abbrechen. Ich wünsche, daß in dem vielfach verschlungenen Netz von Be ziehungen, in denen die einzelnen Schriften und ihre Schöpfer zu einander stehen, in dem Einfluten und Zurückebben aus ländischer Anregungen doch die gemeinsamen Richtungen der Hauptlinien klar geworden sind, die den modernen Zeitwillen als einen Fortführer und Vollender vieler alten und vergesse nen Kulturprobleme erkennen lassen. Man wird vielleicht noch fragen, was alte Schriften, wie die Schwabacher, die Breitkopf- und Unger-Fraktur oder die Didot-Antiqua, in einer Abhandlung über moderne Schriften zu schaffen haben. Nun, ich meine, unter »modern« darf man getrost alles rechnen, was sich frisch erhalten hat, noch brauchbar ist und nicht zum alten Eisen geworfen werden muß. Und das Aller neueste, was man nicht verwenden kann, das ist im eigentlichen Sinne etwas »Unmodernes«. Kstslox der Verlszsducktislidlullx keratisld pfi'ed- ri'ck Voixt m I^ei'prix 1812— 19 l 2. seds Ruokckrueksrsi, I-sipri^. 6r. Zo. VIII u. 150 Lsitso. Die Verlagsbuchhandlung Bernhard Friedrich Voigt in Leipzig, die zu Beginn des Jahres 1812 gegründet wurde, kann in diesem Jahre auf ein hundertjähriges Bestehen zurückblicken. Wie es meist im Buchhandel der Fall ist, so auch hier: der Begründer der Firma war es, der dem Verlag seine spezielle Note gegeben, ihm die Bahnen gewiesen hat, die eine gedeihliche Entwicklung gewährleisteten, und wenn wir hier den Werdegang der Jubel, firma kurz skizzieren, ihre Bedeutung würdigen wollen, so tritt die Person Bernhard Friedrich Voigts von selbst in den Vorder- grund, wenn sich auch der Verlag nicht mehr in den Händen der Familie des Gründers befindet. Bernhard Friedrich Voigt entstammte einer altangesehenen Familie der sächsisch-thüringischen Lande. Sein Onkel, der sachsen - weimarische Staatsminister und Rechtsgelehrts Christian Gottlob von Voigt, stand in freundschaftlich nahen Beziehungen zu den Größen des weimarischen Dickterkreises, zu Herder und Wieland, zu Schiller und Goethe, zu Musäus u. a Sein jüngerer Bruder Johann C. W. Voigt, Bernhard Friedrichs Vater, ein ebenso ausgezeichneter Mineralog wie edler Mensch, durfte sich ebenfalls Goethes Freund nennen. In Goethes Schriften zur Mineralogie und Geologie und in seinen Reden begegnen wir ihm wiederholt. So wuchs der junge Bernhard Friedrich, geboren am 6. Juli 1787 in Weimar und nur wenig älter als Goethes eigener Sohn August, unter Goethes Augen heran, und auch später, als sein Vater als Bergrat für den wiederaufgenommenen Bergbau nach Ilmenau berufen wurde, beschäftigte sich Goethe bei seinen häufigen, oft langen Besuchen in Ilmenau gern mit den beiden lebhaften und intelligenten Knaben. Da jedoch die mancherlei Zerstreuungen im elterlichen Hause den jungen Voigt von seinen ^ Studien abzulenken drohten, wurde er im zehnten Lebensjahr dem Pfarrer Amelang in Pfungstadt bei Darmstadt zur Er ziehung übergeben. Nach dessen Tode bezog er das Gymnasium in Schleusingen; doch der auf dieser Anstalt noch herrschende Pennalismus behagte dem Knaben so wenig, daß er lieber auf eine wissenschaftliche Laufbahn, wie sie in seiner Familie Tradition war, verzichtete und sich dem praktisch literarischen Leben zuwandte. Am 2. September 1801 trat er in die Hoffmannsche Buchhandlung in Weimar als Lehr ling ein; nach Ablauf der vierjährigen Lehrzeit wurde er Gehilfe in der Buchhandlung von W. Rein L Co. in Leipzig, die ihm besonders durch ihre vielfachen geschäftlichen Beziehungen zu Rußland und Polen, wie durch den Verkehr mit dem damals viel gelesenen Claurcn (G. H. S. Heun), der Mitinhaber der Rein- scheu Buchhandlung war, willkommene Anregung bot. Ein toller Geniestreich, die Befreiung einer Anzahl von Franzosen ge fangener Preußen aus der Neukirche (jetzt Matthäikirche), nötigte ihn schon 1807, der Buchhändlerstadt den Rücken zu kehren. Jetzt begann für ihn eine unruhige Wanderzeit; hatte seiner Jugend der Stern Goethes gestrahlt, so standen seine Wander- und Werde jahre unter dem Unstern der sieben schweren Kriegsjahre. Zunächst wandte er sich nach der Schwe-z; die von ihm selbst später verfaßte Schilderung dieser Reise hat Zschokke in seinen »Miszellen für die neuste Weltkunde« ausgenommen. In der Samuel Flickschen Buchhandlung in Basel fand er Gelegenheit, ein gesunkenes Geschäft durch Eifer und Tatkraft als Geschäfts führer wieder zu heben; jedoch wurde sein Rechtlichkeitsgesühl durch den von Flick schwunghaft betriebenen Nachdruck so stark verletzt, daß er nach Jahresfrist seine Stellung aufgab, um in Friedrich Campes Buchhandlung in Nürnberg einzutreten. Hier konnte er seine geschäftliche Begabung auf eigenartige Weise bekunden. Während der Durchmärsche der Franzosen im Früh jahr 1809, sowie durch die politischen Gebietsoeränderungen innerhalb Europas in dieser Zeit war der Landkartenhandel, den Campe vornehmlich betrieb, ein äußerst lebhafter gewesen, ver siegte jedoch nach dem Abrücken der Truppen völlig. Deshalb eilte der junge Voigt mit Zustimmung seines Chefs, mit einem reichen Vorrat von Landkarten versehen, den siegreichen Truppen voran nach Linz, wo er nach Eröffnung eines geeigneten Geschäftslokals in wenigen Monaten sein ganzes Lager absetzte. In Straubing gelang es ihm, das darniederliegende Geschäft von Heigl L Co. wieder zur Blüte zu bringen; dann wanderte er im Herbst 1810 durch Franken, Schwaben und den Schwarzwald nach Freiburg im Breisgau, um die Herdersche Verlagsbuchhand lung ein Jahr lang mit bestem Erfolg zu leiten. Doch die Lust, die Heimat wiederzusehen, ein eignes Geschäft, einen eigenen Herd zu gründen, war in ihm in der langen Wanderzeit rege ge worden. 1811 im November treffen wir ihn im väterlichen Hause in Ilmenau; hier bereitet er sich nach reiflichen Erwägungen zur Geschäftsgründung vor. 1812 eröffnete er in der kleinen, damals nur 3000 Einwohner zählenden Residenzstadt Sondershausen mit seinem mütterlichen Erbteil von 500 Talern eine Buch- und Musikalien handlung, verbunden mit einer Musikalien Leihanstalt und Leih bibliothek. Bald konnte er eine eigene Druckerei einrichten und gab eine von ihm selbst redigierte Zeitung unter dem Titel »Früchte geretteter Preß-Freiheit« heraus. Die Zeitung wurde in den nächsten Jahren unter dem Titel »Teutonia« nach Nord hausen verlegt, um später als »Der Deutsche« nach Sonders hausen zurückzukehren, woselbst sie noch heute im Verlag von Patrioten hervortreten. Seine ausgebreiteten Beziehungen führten ihm von den Schlachtfeldern häufig Privatnachrichten zu. die er geflissentlich zu verbreiten wußte. Während noch alle Welt an Napoleons Siege glaubte, veröffentlichte er, zu sammen mir russischen Proklamationen, eine authentische beim Übergang über die Beresina. Von den Franzosen deshalb verfolgt, floh er nach Leipzig, wo er sich mit kurzen Unterbrechungen bis nach der Völkerschlacht versteckt halten mußte. Trotz dieser Drangsale gedieh sein junges Unternehmen; deshalb dachte der arbeitsfrohe Buchhändler, getreu dem Leit spruch, den die Firma heute noch führt: »Arbeit ist Leben«, daran, ^ seinen Wirkungskreis zu erweitern. Er verkaufte 1822 vorteilhaft 722»