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IVO, LS. April 1922. Redaktioneller Teil. vörsardlau f. ». Ltschrr. vuchhaudel. Geschichte der Frankfurter Nachrichten und des Intelligenz-Blattes. Anläßlich der Feier des zweihundertjährigen Bestehens dieser Zei tung hat der als Verfasser der Frankfurter Handelsgeschichte rühm- lichst bekannte vr. Alexander Dietz eine Festschrift heraus gegeben, die manches Interessante zur Geschichte des ältesten Zeitungs- wcscns und zur Entwicklung des Anzeigenwesens bringt*). Anzeigeblätter waren im 18. Jahrhundert in Deutschland eine Notwendigkeit geworden; während in England bereits seit dem 47. Jahrhundert Jntclligenzblätter bestanden, so der »Intel- llgeneer« seit 1637, der »VubUe ^clvertiser« seit 1657, in Paris neben dem Adreß-Eomptoirs Anzeigeblätter dieser Anstalten, so 1638 »k'euilleZ cl'avis clu bureuu ck'aclr6886«, hat es in Deutschland der artige Blätter erst seit 1673 gegeben. Damals gab Thomas von Wieringen in Hamburg einen Relations-Courier heraus, der neben dem politischen Text zahlreiche Inserate brachte, also auch kein rich tiges Jnscratenblatt war. Bekanntlich wurde das Wieringsche Unter nehmen, weil es wichtige Handels- und Schiffahrtsnachrichten ver öffentlichte, von der Hamburger Kaufmannschaft angeseindet und beim Rat ein Verbot dieser Veröffentlichungen durchgesetzt. Die Kaufmann schaft erblickte darin eine Preisgabe geschäftlicher Geheimnisse und eine sie schädigende Beeinflussung der Preise. Solche Nachrichten betrach tete sic als ihr wohlerworbenes Monopol: dem Publikum wären sie zu nichts nütze und verursachten vielleicht eine schädliche und un- bedachtsame Konkurrenz; der kleinste Warenhändler und Krämer er lange dann auch von ihnen Kenntnis und mache bei seinen kleineren Bestellungen Ansprüche auf Großhandelspreise. In Frankfurt war dieser Widerstand gegen eine wirtschaftliche Berichterstattung in der Presse weniger stark, aber immerhin doch vorhanden. Der Gründer der Nachrichten war der Buchdrucker Anton Hein scheidt, der in jener Zeit, wo der Unternehmungsgeist in Frank furt, besonders im Buchgewerbe, sehr darniederlag, den Mut hatte, -ein derartiges Anzeigeblatt herauszugeben. Ende 1721 veröffentlichte er zur Einführung seines Blattes einen weitschweifigen Vorbericht, in dem er sein Unternehmen anprcist und die Vorteile desselben kenn zeichnet. »Unter diese Vorteile«, so heißt es, »gehöret nun diese An stalt, wodurch derselben zu rechter Zeit gewisse Nachricht gegeben wird, was entweder in einer berühmten Handels-Stadt oder außer halb derselben zu Kauffen, Vertauschen, Leyhen und Lehnen ist, oder sonsten nicht sollte verborgen seyn«. Er zählt dann in 18 Rubriken Ille diejenigen Dinge genau auf, die in das Blatt gesetzt werden sollen; als da sind zu verkaufen und zu kaufen: Unbewegliche Güter, als Häuser, Güter, Acker usw. Bewegliche Güter, als Juwelen, Kleider, Vieh usw. — Sachen, die man verleihen, verpachten oder umgekehrt leihen und pachten möchte, — Sachen, die verloren und gesunden, Sachen, die gestohlen sind, — Geld, das man leihen oder verleihen will, — Wein, den man verkaufen, kaufen oder tauschen will, Diener, die gesucht werden, sich anbieten, Reisende, die Fuhr- gelcgenheit suchen, oder Fuhr- und Schiffleute, die sich anbieten, Nei lsende zu befördern. — Mitteilung der Fremden, die angekommen mnd usw. An verschiedenen Beispielen wurden die verschiedenen Punkte er lläutert. Namen der Anzeigenden werden nicht genannt. Alle Ge- Ifuchsteller sollen sich bei dem Drucker und Herausgeber melden, ihre lAnliegen wurden dann gegen Erlegung von vier Kreuzern in ein be sonders dafür gehaltenes Buch geschrieben und hernach alle Montag Iligch der Reihenfolge der Anmeldungen durch den Druck bekannt- Igemacht. Ausdrücklich wird zugesichert, daß man niemands Namen in Idem gedruckten halben Bogen entdecken und alle erforderliche Geheim- Ihaltung beobachten werde. »Wer den Namen wissen wolle, beliebe Isich in das Haus des Herausgebers zu verfügen, wo einem jeden Iderselbe gegen Erlegung von vier Kreuzern gesagt werden solle.« I Am Schluß des Vorberichts ersucht der Herausgeber, ihm keine falschen Anzeigen zu senden. »Und weilen es schließlich in großen »Städten«, heißt es, »insgemein auch Schnackenhansen und Pvssen- Iceißer gibt, welche sich vielleicht aus; Trieb ihres niederträchtigen Ge- Imiiths, und umb ihrer und anderer Narrheit zu Vergnügen, unter- Istchen möchten, Sachen zu communiciren, welche entweder nicht in Iisium natura sind, oder die doch bcy ihres Gleichen ein Gelächter ver- lursachen können, so versichert man dieselben hiermit zum voraus, daß «ie sich vergebliche Mühe machen würden, wenn sie von ihren Schnak- «ereyen diesen auf die allgemeine Bequemlichkeit angesehenen Nach- Irichtcn etwas einvcrleiben lassen wollen, weil man dergleichen Thor- mettcn nicht annehmcn wird.« *) Frankfurter Nachrichten und Intelligenz-Blatt: Festschrift zur keier ihres zweihundertjährigen Bestehens 1722/1922 von vr. Alexan- >er Dietz. Frankfurt a/M.. Druckerei d. Frankfurter Nachrichten. 1922. Die Warnung scheint aber, wie es mit so manchen Warnungen der Fall ist, ihre Wirkung verfehlt zu haben, denn sie wird noch häufig im Laufe der Jahrzehnte wiederholt, und wiederholt wird Beschwerde darüber geführt, daß erdichtete Nachrichten eingeschickt wurden; auch eine buchhändlcrische findet sich darunter, so fand sich 1775 die An zeige, daß bei dem Buchhändler Keßler verschiedene äußerst anstößige und ehrenrührige Schriften des Seniors 1)r. Mosche zu verkaufen seien. Die Folge war die Einleitung eines Untersuchungsverfahrens. Als sich Keßlers Unschuld ergab, setzte die Behörde auf die Entdeckung des Inserenten eine Belohnung von 50 Gulden aus. Derartige für den Betreffenden unangenehme Anzeigen fanden sich mehrfach. Auch der Druckfehlerteufel machte sich oft bemerkbar, und es ist gut, daß damals noch nicht der »Kladderadatsch« existierte, er hätte manchen Stoff für seinen Briefkasten gehabt. So fand sich unter den angekommenen Fremden im April 1725 auch ein Amtmann der Frau Dompröbstin zu Mainz. Eine längere Entschuldigungöerklärung gegenüber dem Herrn Amtmann und dem Dompropst war die unangenehme Folge. Das Blatt erschien anfänglich zweimal wöchentlich und kostete bei Zusendung ins Haus jährlich zwei Gulden. Am 5. Januar 1722 erschien die erste Nummer, unterm 20. Januar erhielt der Herausgeber ein Privilegium seitens der Stadt auf 12 Jahre, im Februar 1723 ein kaiserliches Privileg gegen Nachdruck. Das Unternehmen gedieh und wurde bald zeitweise dreimal her- ausgegeben. Aus der Geschichte des Blattes ist zu erwähnen, daß Heinscheidt bis 1732 Besitzer des Blattes blieb, nachdem er allerdings schon seit 1726 nicht mehr in Frankfurt wohnte, wegen eines Strafver fahrens, das gegen ihn wegen Bigamie schwebte. Tie Druckerei wurde einstweilen vom Faktor weitergesührt, dann wurde das Anwesen und die Druckerei versteigert, und von 1732—1743 wird der Buchhändler und Kaiserliche Notar Samuel Kobias Plocker als Eigentümer ge nannt, unter dem das Blatt mannigfache Verbesserungen erfuhr. 1743 verkauften dann die Heinscheidtschen Gläubiger das Kaiserliche Druck privileg an den Frankfurter Buchhändler Johann David Jung für 3000 Gulden. Von 1743—1910 ist die Zeitung dann im Besitz der Jungschen Familie geblieben. Johann David Jung war ein Enkel des Buchhändler Johann David Zunner im Haus zum jungen Wetter hahn in der Mainzer Gasse 6. Zunner war einer der letzten großen Frankfurter Buchhändler um die Wende des 18. Jahrhunderts. 1704 bei seinem Tade, hinterlich er in Frankfurt und Leipzig für 150 000 Gulden Bücher, Druckprivilegien und Kupfer. Aber das Geschäft war. wie die meisten Frankfurter Handlungen, wie vr. Dietz anführt, arg bei den Juden verschuldet, und der Schwiegersohn und Erbe Johann Adam Jung war den schwierigen Verhältnissen nicht gewachsen und mußte 1735 seine Zahlungen einstellen. Seinem einzigen Sohn Jo hann David verblieb von dem großen mütterlichen Vermögen eigent lich nur das alte Stammhaus in der Buchgasse, das sich bis heute als ein Zeichen der alten Buchhändlierherrlichkcit erhalten hat; einst im 16. Jahrhundert hatte es dem Verleger Nicolaus Bassee aus Valen- ciennes gehört. Eine weitere, noch aus den Zeiten seines Großvaters stammende Einnahmequelle des Jung war das ihm bis 1768 immer wieder erneute Privileg auf das Lumpensammeln. Als Buchhändler hat Jung keine Bedeutung erlangt, er verlegte zwar die jetzt sehr begehrten und geschätzten Wahl- und Krönungs diarien von Karl VII. und Franz I., hatte aber bei seinen Lebzeiten keinen Erfolg damit, bei seinem Tode waren noch 800—900 Exemplare vorhanden, von denen Sachverständige meinten, daß sie wohlfeiler als Makulatur abgehen und nicht die Kosten einer Versteigerung erbringen würden. Das Blatt erfuhr unter ihm mannigfache Verbesserungen und nahm an Umfang zu, auch erwarb er ein neues Geschäftshaus auf dem großen Kornmarkt. Er war zweimal vermählt, aus seiner ersten Ehe hatte er einen Sohn; seine zweite Frau, auf die er 1765 und 1771 das Kaiserliche Druckprivileg hatte ausdehnen lassen, verheiratete sich nach dem 1773 erfolgten Tode ihres Mannes mit dem Advokaten vr. Johann Gottlieb Dietz. Das Privilegium ging auf die Witwe und nach deren bald erfolgtem Tode auf ihre Kinder über, für die Vr Dietz das Unternehmen weiterführte, nachdem er durch langwierige Pro zesse dieses Recht erlangt hatte. Später übernahm der Mann seiner Stief tochtcr Marcus Johann Nebbicn von 1795—1835 die Leitung und nach dessen Tode der Sohn der Tochter von Dietz, Johann Gottlieb Holz wart. Als dieser 1879 starb, wurde seine Tochter Pauline, vermählte Hipp, Erbin des Unterneh'mens. 1874 wurde deren Schwiegersohn Her mann Minjon Besitzer des Blattes, der es bis zu seinem 1897 erfolg ten Tode leitete. Erbin wurde seine Frau Sophie geb. Holzwart; 1910 wurde sodann das Unternehmen in ein Aktienunternchmen umgewan delt. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts hatte das Unternehmen natürlich manche Umwandlnngen erfahren; die wichtigste war die Verschmelzung mit dem Frankfurter Journal und der DIdaskalia. 6ll