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9012 vörl-nbl»N d. DNchn. «Eand-I. Nichtamtlicher Teil. ^ 179, S. August 1912. dasjenige der Deutschen, die glauben, sie müßten für Aus länder deutsche Wissenschaft lateinisch drucken, und daß das nationale Gefühl der Japaner vielleicht empfindlicher ist — für uns! —, als wir selbst es uns zur Pflicht machen, wenn wir unsere wissenschaftliche Literatur in einer anderen Letter drucken als unsere Schöne Literatur und damit Schiller und Goethe gewissermaßen zu altmodischen, außer halb unserer heutigen Geisleswelt stehenden Geistern äußer lich abstempeln. Wie groß unsere Sorg- oder Ahnungslosigkeit hinsicht lich der Werte ist, dis hier auf dem Spiele stehen, beweist u. a. die Tatsache, daß wir in den letzten zwei Jahrzehnten statt der unserer Sprache mit ihren langen Wörtern noch eher angemessenen etwas schmäleren sranzösischen Antiqua gerade die von französischer Stilkultuc abgelehnte, für uns noch viel unzweckmäßigere breite englische Antiqua nach gemacht haben. Da scheint doch einige Anglomanie die »klare Nützlichkeit» der Lateinschrift zu trüben. Vielleicht ist es nicht allein die Ilngeeignetheit der Lateinschrift für deutschen Satz gewesen, sondern auch ihre zu geringe Mannigfaltigkeit künstlerischer Ausdrucksformen, was sie dem deutschen Volksgeist vier Jahrhunderte hin durch unannehmbar machte und ihn sie niemals anders denn als Fremdschrift empfinden ließ. Die Deutschen hingen mehr an der Lebensfülle der Schrift. Sie schafften nicht aus Haß gegen das gotische Stilempfinden, im gewaltsamem Sprunge rückwärts wie die Humanisten Italiens, die gotische Schrift ab, sondern befreiten sie in gesunder und feinfühliger Evolution von allen denjenigen Schnörkeln, die die Lesbarkeit nicht förderten. Sie gaben den Ober- und Unterlängen ihrer Schrift die mit steigendem Lesebedürfnis notwendig gewordenen besseren Proportionen und Unter scheidungen und schufen so die ideale deutsche Buchschrift für bequemes und schnelles Lesen langer Worte und zugleich neue eigene, rein deutsche künstlerische Werte. Die SO ersten Jahre deutscher Buchdruckerkunst, die glorreichsten, die diese Kunst überhaupt erlebte, haben in Wahrheit eine neue an Ausdrucksformen reiche Schrift, die Fraltur in engerem Sinne geschaffen, deren unbestegliche Lebenskraft am besten durch Schöpfungen wie die Koch-Fraktur von 1910 bewiesen wird, die ganz im Geiste dieser deutschen Blütezeit em pfunden ist. Woher hätte die Antiqua solche Entwicklungsfähigkeit nehmen sollen! War sie Loch bewußt die sklavische Nach ahmung alter, längst von der Entwicklung beseitigt gewesener Formen, die ursprünglich für Inschriften, die mit Meißel in Stein gehauen, und für Mönchshandschriften, die mit Feder und Pinsel auf Pergament gemalt wurden, geschaffen waren, nicht für die Druckerpresse, wie die deutsche Fraktur. Gewiß, auch in der Antiqua ruht ein unvergänglicher Schönheits wert. Aber es kann doch keinem künstlerisch gewissenhaften Menschen einfallen, um eines schönen Stiles willen einen anderen, noch viel lebensvolleren ausrotten zu wollen. Wer des ganzen hier entfalteten Reichtums inne werden will, sei auf das Buch von Karl Brandt verwiesen, der als Historiker weiteren Kreisen den ersten zuverlässigen Überblick über den Werdegang beider Schriftarten gegeben hat und um so mehr Beachtung beanspruchen kann, als er als Renaissance-Forscher von Hause aus zur Lateinschrift neigen mutzte. Indessen »kein anderes Volk begeht die Torheit, seine Sprache in zweierlei Schrift darzustcllen; die Fraktur ist entbehrlich, die Antiqua nicht», schreibt Prof. Kewitsch, und kurzsichtige Drucker rechnen uns vor, wie unwirtschaftlich die doppelte Kapitalanlage in zweierlei Schriftgattungen sei. Beides läßt sich sowohl von einem höheren allgemeinen wie vom technischen Standpunkte aus widerlegen. Ich muß das der 5. Auflage meines »Kleides der deutschen Sprache» Vor behalten. Hier sei nur gesagt: Das Geschmackvolle ist national bedingt, die Geschmacklosigkeit international, hat einmal Theodor Heuß geschrieben, und er hat diese scharfe Antithese ergänzt durch die richtige Beobachtung: -Je ernsthafter und energischer ein Volk in seinem Schaffen seine Eigenart zum Ausdruck bringt, desto größer ist seine Weltbedeutung. Schafft es aber nur für den internatio nalen Markt, mit falscher Verleugnung seiner selbst, so wird die Ware charakterlos und schlecht.» Die volkswirtschaft liche Bedeutung überlegener Eigenart kann gar nicht ernstlich genug ins Auge gefaßt werden. Mit Zu- rllckdrängung der deutschen Schrift versinkt unsere literarische Produktion mehr und mehr im öden Einerlei der angloromanischen Literatur, verliert sie ihren besonderen Reiz für den Ausländer, wofür ich eine Fülle von Zeugen verführen werde. Unsere große Bücherausfuhr zeigt in neuerer Zeit nicht nur keinen Fort schritt, sondern einen Rückgang; wir aber hatten uns eingebildet, wir müßten das genial angepaßte Kleid unserer Sprache, unsere deutsche Weltlctter, zum alten Plunder werfen — um unserer Weltgeltung willen! Entspricht das dem Stolz unseres Volkes auf seine geistige Kraft? Je gesunder, ein heitlicher und kräftiger das nationale Empfinden sich betätigt, desto mehr achtet man es im Auslande. Jedes Volk gilt international geradeso viel, wie es selbst national geschlossen aufzutreten weiß. Das gilt in besonderem Maße auch vom Kleide der deutschen Sprache, das keines wegs gleichgültig ist für das Ansehen und die Geltung der deutschen Sprache selbst, von der Stoßkraft der deutschen Literatur, die durch Zwiespältigkeit des Druckes schwere Einbuße erleidet, weil sie dem Leser die Einprägung von zweierlei Wortbildern zumutet. Wie groß gerade für unser Auslandsdeutschtum angesichts des Verstegens unseres Auswandererstroms infolge des fehlenden Nachschubes die Gefahr der Aufsaugung durch das umgebende fremde Volkstum ist, wie sehr unsere Ausfuhr davon abhängt, solche Aufsaugung zu verhindern, und wie sehr der heimat liche Gruß des deutschen Buches wie der deutschen Zeitung im deutschen Gewände dazu beiträgt und bei der Schwäche unserer nationalen Widerstandsfähigkeit nötig ist, will ich hier nicht näher aussühren. Es kann kein Zweifel sein: Lateinschrift in deutschen Büchern ist rein lcsetechnisch nicht zu rechtfertigen, sie ist hier tatsächlich ein welsches Kleid. Sie kann daher am aller wenigsten die richtige Einkleidung für ein Buch über den deutschen Gedanken in der Welt sein, raubt vielmehr gerade hier der Erhaltung des Deutschtums eine unentbehrliche Stütze. Ich hoffe um so mehr, daß wir das Rohrbachsche Buch bald im vertrauten schmucken Fraktur- gewande (nicht in Offenbacher Echwabacher, vgl. meine Aus führungen Uber diese in Nr. 100 des Bbl ) werden begrüßen können, als die jetzige übermäßig schmal und schlecht ge schnittene Lateinschrift dieses Buches ohnehin für den bei einer neuen Auflage notwendigen Plattendruck ungeeignet ist, weil sie dann vollends ein Augenverderb werden müßte'), und weil die Kosten des Neusatzes schon durch die Ersparnisse an Druck und Papier bei einer einzigen Massenauflage wieder hereinkommen würden. Eine gute Frakturschrift würde den Absatz gerade dieses Buches sehr steigern, das steht wohl fest. Nur Antiqua-Fanatismus kann sich dem verschließen. Interessant wäre eine Berechnung darüber, wieviele Tausende bei den Blauen Büchern für Druck und Papier ') Platten in Lateinschrift weiden schneller unbrauchbar als solche in deutscher Schrift, weil die viel weniger mannigsaltig ge formten Buchstaben der Lateinschrist durch den gleichen Grad der Abnutzung in ungleich höherem Grade augenschädlicher werden als deutsche.