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263, 12. November 193S. Redaktioneller Teil Börsenblatt s. d. Dtschn Buchhandel. den da die Arbeitsvorgänge, die sonst auf die einzelnen Betriebe der verschiedenen Zweige des Buchgewerbes verteilt, sich abspielen, unter einem Dache vereinigt. Sie werden dabei die unterschied lichen Arten von Hand- und Maschinensatz, die mannigfachen Ver fahren für die Herstellung von Buchschmuck, von Bild und Karte und schließlich die allmähliche Zusammensügung der einzelnen Bogen und Beigaben zum fertiggebundenen Buch kennenlernen. Dabei werden Sie ebenso starke Eindrücke von dem verwickelten Aufbau wundervoll sinnreicher Maschinen haben, wie von der Geschicklichkeit und dem, ermüdende Eintönigkeit überwindenden Fleiß derer, die jahraus jahrein an und mit diesen Maschinen zu arbeiten haben. Sie müssen nun aber bedenken, daß der von Ihnen beobachtete Weg vom weißen Papier zum fertigen Buch nur, sagen wir, etwa das mittlere Drittel des ganzen Weges ist, der zurückgelegt werden muß, bis das Buch in die Hände des Käufers gelangt. Bevor man aber in einem solchen buchgewerb lichen Betriebe au die Arbeit gehen kann, müssen in anderen, großen und kleinen Betrieben von anderen Gewerben alle die Bedruck- und Eiubandstosfe, die Farben, die Maschinen und das Druckmaterial hergestellt sein, zu dem nicht nur die Typen und Bilddruckstöcke, die zum Abdruck kommen, sondern auch die man nigfachen Linien und Stücke gehören, die den weißen Grund des Papiers von Farbe frcizuhalten haben. Nach der anderen Seite muß der Buchhandel in seinen verschiedenen Zweigen, Verlag, Kommissionsbuchhandel, Sortiment, Kunst- und Musikalienhandel, Antiquariat, für den Vertrieb der hergestellten Bücher sorgen. Alle diese Unternehmungen bedürfen passender Räume und Ge bäulichkeiten, oft von erheblicher Ausdehnung und mit allerlei technischen Anlagen ausgestattct, die nicht buchgewerblichcr Art sind. Dazu kommt endlich, daß die einzelnen Zweige des Buch gewerbes in großen Verbänden zusammengefaßt sind, die eine umfangreiche Verwaltungsarbeit zu leisten haben und dazu vieler Arbeitskräfte bedürfen. Ich verweise nur darauf, daß der Börsen- vereiu der Deutschen Buchhändler, der in Leipzig seinen Sitz hat, in seinem großen Verwaltungsgebäude auch eine reiche buchhänd lerische Fachbibliothek unterhält und die von ihm gegründete Deutsche Bücherei als Archiv des deutschen Buchhandels verwaltet und darin das seit dem Jahre 1913 erschienene deutsche und auslanddeutsche Schrifttum so vollständig als möglich sammelt. Ich brauche in dieser Aufzählung nicht weiterzugehen, um Ihnen eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie viele deutsche Volksgenossen an der Herstellung des Buches beteiligt sind. Zur Ergänzung noch ein paar Zahlen. Ich habe keine neueren zur Hand, aber um die Mitte der zwanziger Jahre unseres Jahr hunderts waren in Deutschland rund ^ Million Personen mit der Buchherstellung, dem Buchgewerbe im weitesten Sinne des Wortes, besaßt. Rechnen Sie dazu das zwei- oder dreifache an Familienangehörigen, so ergibt sich, wie stark der Anteil des Buch gewerbes an unserer deutschen Volkswirtschaft ist. Alle diese Men schen sind in ihrem Dasein von dem Blühen des deutschen Buch gewerbes und der Verbreitung des deutschen Buches abhängig, die sich auch über unsere Grenzen hinaus zu Auslanddeutschen und Ausländern erstreckt. So wird es verständlich, daß man die Buch woche nicht als eine Angelegenheit eines Standes oder Ge werbes, sondern als eine Sache der Volksgemeinschaft betrachtet und behandelt hat. Die wirtschaftliche Bedeutung ist aber nur die eine Seite der Sache »Buch-. Nachdem es stofflich hcrgcstcllt ist, hat es seine eigentliche Sendung zu erfüllen, nämlich Vermittler eines gedank lichen Inhaltes zu sein. Dieser Inhalt ist von der denkbar größten Mannigfaltigkeit und wendet sich an die verschiedensten Leser gruppen. Uns soll im Folgenden das wissenschaftliche Buch be schäftigen. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Wissenschaft es nur mit wissenschaftlichen Büchern zu tun hätte. Durchaus nicht. Die nichtwissenschaftlichen Bücher können jederzeit Gegenstand wissenschaftlicher Arbeit werden, denn die wissenschaftliche For schung erfaßt alle Gebiete des Lebens. Um mich deutlicher zu machen: der Katechismus, das Gesetzbuch, der Roman, die Sagen und Märchen, das Liederbuch haben zunächst ihre eigene Ziel setzung. Sie können aber früher oder später unter irgendeinem Gesichtspunkt Bedeutung für die wissenschaftliche Betrachtung be- 9SS kommen. Die Verarbeitung dieses Rohstoffes, dieser Quellen voll zieht sich im wissenschaftlichen Buch. In jedem wissenschaftlichen Buch stellt mit dem Stoff, den er vorträgt, der Verfasser sich selbst dar. Demgemäß ist der Wert des Buches bedingt durch die Güte seines stofflichen Inhaltes — ihn lasse ich im Folgenden aus dem Spiel, denn auch der Biblio thekar ist trotz seiner vielen Bücher kein Enzyklopädist — und durch die Bedeutung dessen, was ihm der Verfasser als Ausfluß seines persönlichen Wesens mitgcgeben hat. Das wissenschaftliche Buch als Geisteskind seines Verfassers trägt die Züge seines Vaters, und zwar spiegelt sich die Persönlichkeit des Schreibenden im Großen wie im Kleinen. Die Art, wie die zu erörternde Frage ungefaßt wird, die Verknüpfung der Gedanken, die Art der Beweisführung, die Darstellung, der sprachliche Ausdruck legen Zeugnis davon ab, wes Geistes der Verfasser ist. Dies gilt auch von den Dingen, die man vielfach als Nebensachen anzusehen geneigt ist, die aber doch des Wertes und der Bedeutung nicht entbehren, wie die Sorgfalt in der Überwachung des Druckes oder die Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit in der Behandlung der Zitate. Auch darin spricht sich eine innere Haltung aus, die Treue auch im Kleinen, das Streben nach einer in jeder Hinsicht voll kommenen Leistung, das nicht gestattet, irgend etwas nur halb zu tun. Dies alles trägt dazu bei, dem einzelnen wissenschaftlichen Buch sein eigenes Gesicht, seine eigene Prägung zu geben. Die Vorstellung, nicht nur von der wissenschaftlichen, sondern auch von der menschlichen Persönlichkeit des Verfassers gewinnt mehr und Wesentlicheres aus seinen Werken als aus den Mittei lungen über seinen äußeren Lebensgang. Das wissenschaftliche Buch von solch ausgesprochener Eigenart zwingt auch seinen Leser zu einer entschiedenen Stellungnahme. Er wird entweder sich ungezogen und angeregt fühlen, die Gedankengängc aufzuneh- men und weiterzuführen oder der Inhalt stößt ihn ab und erregt seinen Widerspruch, aus dem je nach der Wesensart des Lesers Kritik und Polemik entstehen. Diese Scheidung der Geister ist nicht an das Dasein des Verfassers gebunden. Sein Werk vermag ihn zu überdauern und oft nach geraumer Zeit noch die Erörterung seines gedanklichen Inhaltes aufs neue aufleben zu lassen. In dieser auffrischenden Wirkung des wissenschaftlichen Werkes, das als eine persönlich gestaltete Leistung seines Verfassers diesen Namen wirklich verdient, liegt unabhängig von seiner stofflichen Bedeutung sein erzieherischer Wert. Zu diesen Wirkungen des wissenschaftlichen Buches, die sich ergeben, wenn man es in seiner Vereinzelung betrachtet, kommen weitere hinzu, die sich ausdrängen, wenn man es als Gcsamt- erscheinung ins Auge faßt. Das wissenschaftliche Buch in diesem Sinne genommen hält als ihr Niederschlag die geistigen Bewe gungen der Zeiten fest. Es bringt sie immer wieder in Umlauf und verhütet Verluste, deren wir, verglichen mit denen an antiker Wissenschaft, seit dem 15. Jahrhundert kaum wesentliche zu be klagen gehabt haben. Und doch hat die Geschichte der Wissenschaft nicht wenig davon zu berichten, daß das wissenschaftliche Buch als Verbreiter unerwünschter, angefeindcter Gcdankengänge auf das erbittertste bekämpft und unterdrückt worden ist. An ihm ist die Strafe der Vernichtung vollzogen worden, die man tat sächlich oder auch nur in der Form der Mundtotmachung an seinem Urheber nicht vollziehen konnte. Allein der Index der verbotenen Bücher, der seit der Mitte des 16. Jahrhunderts von der katholischen Kirche immer wieder neubearbeitet und fort geführt worden ist, zeigt, wie groß die Gefahren sind, die dem wissenschaftlichen Buch drohen. Der Wunsch, ihm Zügel anzu legen und seine freie Entfaltung zu verhindern, ist verständlich, wenn man sich vergegenivärtigt, wie starke Wirkungen auch auf nichtwissenschastliche Kreise es hervorzurufen imstande ist, auch auf Gebieten, die zunächst von ihm nicht berührt werden. Die geistige Vorbereitung der Französischen Revolution durch die Schriften der Enzyklopädisten ist wohl das Schulbeispiel für solche Wirkung. Daß auch wohltätige Einflüsse vom wissenschaftlichen Buch, das auch in gemeinverständlicher Form sein wissenschaftliches Ethos bewahren muß, ausgehen können, beobachten wir ständig an der zunehmenden Kenntnis von den Grundtatsachen der öffent lichen Gesundheitspflege, die der neue Staat erst recht zu ver breiten und zu vertiefen sich angeschickt hat.