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37. Jahrgang Leipzig, den 1. April 1928 Nummer 4 ocir iraok-k«ircir Organ für das gesamte Radfahrwesen, für Sport, Industrie und Handel Amtliche Zeitung des Sächsischen Radfahrer-Bundes Schriftleitung und Anzeigen-Annahme: Kurt Adler, Leipzig 0 1, Hainstraßc 16, IV. — Fernruf. 168 89. Die neuen Bestimmungen Von Polizeimajor Gi (Ls naht jetzt bald wieder die Zeit, in der so mancher Besitzer eines Fahrrades daran denkt, sein gutes Stahlroh vom Winterschlaf zu er wecken. Viele wollen das Radfahren in der warmen Jahreszeit zu ihrer Erholung und aus gesundheitlichen Rücksichten betreiben. Die erhoffte Förderung der Gesundheit kann aber ausbleiben und sich sogar in das Gegenteil verwandeln, wenn man mit seinem Rade verunglückt. Und mit der Erholung wird es auch nichts, wenn man sich ärgern muh. Wann aber kann man körperlichen Schaden erleiden und wann bleibt einem Aerger nicht erspart? Wenn man die Verkehrs vorschriften nicht kennt. Es wird wohl niemand behaupten, dah eine vorgesehene Spazierfahrt Erholung bringt, wenn man schon gleich bei Beginn von einem Polizeibcamten wegen Uebertretung der Verkehrs vorschriften angehalten wird. Im Interesse der Radfahrer selbst soll daher in nachstehenden Zeilen das besprochen werden, was oer Rad fahrer von den Vorschriften, die zum Teil neu sind, unbedingt wissen muh. Zunächst sei erwähnt, dah die frühere Sächsische Verordnung über den Radfahrvcrkehr vom Oktober 1907 lischt mehr besteht. Sie ist er setzt durch die Sächsische Straßenverkehrsordnung vom 15. 7. 27. Diese Verordnung bildet für die örtlichen Polizeibehörden die Grundlage, auf der die verschiedenen Verkehrsvorschristen aufgebaut sind. Die ört lichen Polizeibehörden sind nämlich berechtigt, die Vorschriften der Sächsischen Straßenvcrkehrsverordnung abzuündern oder zu ergänzen. Eine Ergänzung ist besonders in den Großstädten in einigen Punkten notwendig gewesen, da die Sächsische Verordnung für das ganze Land gilt und deshalb die für den Erohstadtverkehr notwendigen Vor schriften nicht im vollen Umfang berücksichtigt werden konnten. Für den Radfahrer ist es aber nicht notwendig, dah er sich in Un kosten stürzt und mehrere Vorschriften beschafft. Es genügt voll kommen, wenn er sich die in seinem Wohnort gültige Verkehrsord nung kauft. Nun die Bestimmungen selbst. Zunächst wird von der Beschaffen heit des Fahrraocs gesprochen. Am Rade muh eine sicher wirkende Bremse vorhanden sein. Geliefert werden die Räder bekanntlich sogar mit zwei Bremsen, der Handbremse und der Rücktrittbremse. Leider wird die Handbremse später oft abgemacht. Ferner muh am Rade eine helltönende Glocke angebracht sein. Ueber die abzugebenden War- nungszcichen wird weiter unten gesprochen werden. Weiter heiht es, dab das Fahrrad während der Dunkelheit und bei starkem Nebel mit einer hellbrennenden Laterne versehen sein soll. Die Gläser der La terne müssen entweder farblos oder gelblich sein. Andersfarbige Gläser, auch die kleinen bunten Seitengläser dürfen nicht benutzt wer den. Um ein Blenden entgegenkommender Wegebenutzer zu vermeiden, soll der Lichtschein der Laterne schräg nach unten auf die Fahrbahn fallen. Als Dunkelheit gilt in den Monaten Avril bis einschließlich September die Zeit von einer Stunde nach Sonnenaufgang bis eine Stunde vor Sonnenaufgang, in den Monaten Oktober bis einschließ lich März die Zeit von einer halben Stunde nach Sonnenuntergang bis eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang. Erwähnt werden möchte noch, dah die Laterne am Rade selbst an gebracht sein muh. Es ist also nicht zulässig, dah Radfahrer eine La terne, besonders eine elektrische Taschenlampe in der Hand kalten oder an sich befestigen. Ebenso sind Pavierlaternen (Lampions) nicht zu lässig. Schließlich sagen die Vorschriften noch, daß, wenn am Rade ein Rücklicht geführt wird, dieses von gelbroter Farbe sein soll. Ein Rück licht ist also bis jetzt noch nicht vorgeschrieben, es wird jedoch dringend empfohlen, denn viele Unglücksfälle entstehen dadurch, dah in der Dunkelheit Radfahrer von hinten nicht zu erkennen sind und daher an gefahren werden. Der nächste Abschnitt handelt nun vom Radfahrer selbst und von seinen Pflichten. Es heiht zunächst, dah der Radfahrer dafür verant wortlich ist, dah das Fahrrad sich im vorgeschriebenen Zustande be findet. Es ist also nicht etwa vom Besitzer des Rades die Rede, son dern vom Benutzer. Zur Vermeidung von Unannehmlichkeiten ist es daher notwendig, dah man sich vom ordnungsgemähen Zustand über zeugt, bevor man ein fremdes Rad benutzt (Geschästsangestelltc). Wenn etwa erst unterwegs ein Mangel eintritt (z. B. Versagen der Beleuch- für den Radfahrverkehr. usseIIdorf, Leipzig. tuns), so darf das Rad nicht mehr gefahren werden, es ist dann zu führen. Geregelt ist jetzt auch die Mitnahme einer zweiten Person auf einem Fahrende. Ueber 6 Jahre alte Personen dürfen überhaupt nicht mit aus das Rad genommen werden. Kinder bis zu 6 Jahren dür fen nur dann mitgenommen werden, wenn für sie eine geeignete Sitzgelegenheit auf dem Rade vorhanden ist. Als geeignete Sitzgele genheit kann ein besonderer auf der Rahmenstange befestigter Sattel oder ein über dem Vorder- oder Hinterrad angebrachter Sitz ange sehen werden. Gegenstände dürfen nur mitgenommen werden, wenn die Bewe gungsfreiheit des Fahrers nicht beeinträchtigt wird und Gefährdungen von Menschen oder Sachen ausgeschlossen sind. Dem Radfahrer darf durch mitgenommene Gegenstände die Aussicht nicht versperrt werden. Er muh auch in der Lage bleiben, die Glocke benutzen zu können, so wie ohne fremde Hilfe sein Rad anzuhalten und aus- oder abzusteigen. Verschiedene Städte haben zu diesem Artikel eine Zusatzbestim mung gebracht, wonach auch das Führen von Fahrrädern auf den Fuhwegcn verboten ist. Werden Rüder auf der Fahrbahn geführt, so müssen auch hierbei, genau wie beim Fahren, die allgemeinen Fahr vorschriften eingehaltcn werde». Bezüglich der Fahrgeschwindigkeit gelten für den Radfahrer die selben Bestimmungen wie für Kraftfahrzeug- und Geschirrfiihrcr. Rück sichtnahme auf die Mitmenschen ist dabei ein Hauvterfordernis. Nach den Bestimmungen muß bei lebhaftem Verkehr oder bei Behinderung der Ucbersicht über die Fahrbahn so langsam gefahren werden, dah das Rad auf kürzeste Entfernung (also etwa l m) zum Halten gebracht werden kann. Im Interesse der Verkehrssicherheit ist es nicht gestattet, beide Hände gleichzeitig von der Lenkstange zu nehmen. Ebenso kann das Anhängen der Radfahrer an andere Fahrzeuge und das Sichzieben- lassen — meist handelt es sich um Lastkraftwagen oder Straßenbahn wagen nicht geduldet werden. Andererseits dürfen auch an die Fahrräder keine anderen Geführte, wie z. B. Handwagen angehängt oder vom Rade aus gezogen werden. Diese Unsitte hat früher oft zu schweren Stürzen geführt. Das Verbot trifft jedoch nicht solche Bei wagen oder Anhängeachsen, die besonders für diesen Zweck konstruiert und mit dem Fahrrade fest verbunden sind. Der folgende Abschnitt enthält die Bestimmungen über die War nungszeichen. Es ist zunächst gesagt, dab der Radfahrer überall dort, wo es die Sicherheit des Verkehrs erfordert, durch deutlich hörbare Glockenzeichen rechtzeitig auf das Naben des Fahrrades aufmerksam machen muh. Andererseits ist wieder gesagt, dah zwecklose und belästi gende Glockenzeichen zu unterlassen sind. Als zwecklos müssen ganz all gemein alle Wnrnungssignale bezeichnet werden, zu deren Abgabe für den Radfahrer keine Verpflichtung mit Rücksicht auf die Verkehrssicher heit besteht. Zu Anfang war schon erwähnt, daß für das Fahrrad eine Glocke vorgeschrieben ist. In diesem Abschnitte wird ausdrücklich der Gebrauch von Signalpfeifen, Huven und stündig tönenden Glocken untersagt. Die Radfahrer tun also out, derartige im Handel immer wieder auftauchenden Signalinstrumcnte nicht zu kaufen. Der jetzt in den Vorschriften folgende Artikel ist zwar nur zwei Zeilen lang, er bringt aber eine Menge Bestimmungen, die der Rad fahrer keinesfalls übersehen darf. In den zwei Zeilen wird nämlich lediglich daraus hingewiesen, daß eine Anzahl Vorschriften, die für den Kraftfahrzeug- und Fuhrwcrksverkehr gelten, auch aus den Radfahrver- kehr Anwendung finden. Es sind dies die Bestimmungen über das Rechts fahren und Einbiegcn. Es darf nur immer die rechte Strakenscite be nutzt werden, und zwar müssen Radfahrer scharf rechts, also dicht an der Bordkante fahren. Die Vorschrift des Rcchtssahrens gilt auch für die Landstraße. Ebenso ist beim Einbiegen nach rechts dicht an der Bord kante zu fahren. Bei dem Einbiegcn nach links muh im großen Bogen um den Mittelpunkt der Kreuzung hcrumgcsabren werden. Sehr ge fährlich und daher verboten ist das sogenannte Schneiden der Ecken. Auch die allgemeinen Bestimmungen über das Ausweichen und Ucbcrbolen gelten für Radfahrer. Das Ausweichen vor entgegenkom inenden Wcgebenutzern soll rechtzeitig erfolgen. Es ist nach rechts aus- zuweichen. Falls dies oie Umstünde oder die Oertlichkeiten nicht ge statten, so muh gehalten und abgesticgen werden.