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Vsigllimdilchtr Anztiger. Amtsblatt für das Königliche Bezirksgericht zu Planen, sowie für die Königlichen Gerichtsämler und Stadträthe zu Plauen, Pausa, Elsterberg, Schöneck und Mühltroff. DreimMeüenzigjier Jahrgang. Verantwortliche Redaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen. Dieses Blatt erscheint wöchentlich viermal, und zwar Dienstags, Mittwochs, Donnerstag« und Sonnabend». Jährlicher AbouuemrutSprei», welcher prLuamo- i-auäo zu entrichten ist, auch bei Beziehung durch die Poft, I Thlr. 26 Ngr. — Annoncen, die bis Vormittags 11 Uhr eingehen, werde» in die Tag» darauf erscheiuende Nummer ausgenommen, später eingehende Annoncen finden in der nächstfolgenden Nummer Aufnahme. — Inserate werden mit 1 Ngr. für die gespaltene LorpvS-AeNe berechnet. Einzeilige mit 2 Ngr. — Für die auswärtigen Königl. Gerichtsämter und Stadträthe, sür welche der Voigtländische Anzeiger Amtsblatt ist, bestehen die Geschäftsstellen in Paula bei Herrn Julius Guido Lorenz, in Elsterberg bei Herrn F. W. Feustel, in Schöneck bei Herrn Eduard Mever, in Mühltroff bei Herrn Lbauffeegelder-Liunehmer Holzmüller Donnerstag. 185» 28. August 1862. Politische Zeitbetrachtungen. 3. Die ersten vierzig Jahre Louis Napoleons 1808 — 1848. Louis Napoleon macht durch Wort und That den doppelten Anspruch, die alte europäische Ordnung am erfolgreichsten durchbrochen und die Anfänge der neuen unwiderruflich aufgerichtet zu haben. Eitles Beginnen, unserer Zeit in's Auge und in's Herz schauen und doch stillschweigend an diesem hervorragenden Kinde unserer Zeit vorübergehen zu wollen! Ist Louis Napoleon der Todten- gräber des alten Europa, verdient er den viel höheren Ruhm, der Begründer des neuen Europa zu heißen, so stellen ihn beide Eigenschaften in den Mittel punkt der Zeitgeschichte. Will man über einen Mann der Gegenwart geschichtlich urtheilen, so muß man sich die Fragen vorlegen: Aus welchen Sphären der sittlichen Welt stammt er her- Auf welchen Wegen und in welchen Schulen des Lebens ist er erzogen worden für die Weltstellung, die er sich errungen? In der Abstammung Louis Napoleons und den ersten Eindrücken seiner Kindheit, in der Erziehung, die ihm durch die Mutter und durch das Leben in der Verbannung geworden, in dem Glauben an seine Bestimmung, der ihn in die gewagtesten Unternehmungen stürzte und ihn weder im Kerker noch in dem Taumel der Zerstreuungen verließ, endlich in der außerordentlichen politischen und socialen Gährung Mitteleuropa'S — hierin haben wir den Tiegel zu erkennen, aus welchem der Präsident der franz. Republik, der Erneuerer des Napoleon'schen Kaiserthums hervorging, als die Katastrophe des Jahres 1848 ihm den Weg auf den öffentlichen Kampfplatz geöffnet hatte. Ein Schicksal voll der staunenswerthesten Wechsel, die einem Roman spannendes Interesse verleihen würden, ein Character, dem Anschein nach von unergründ lichem Wesen, ein praktischer Verstand von scheinbar unerschöpflichen Hilfsmit teln, — so erscheint sein Bild jetzt vielen Zeitgenossen, die ehemals, als seine Erfolge noch nicht für ihn gesprochen, nur ein Lächeln für den Abenteurer, nur Verachtung für den Verschwender und Wortbrüchigen hatten. Die Menge kennt ja gewöhnlich nur Götzen, die sie heute anbetet und morgen in den Staub tritt; die Geschichte dagegen hat es mit Menschen zu thun, in denen EdleS und Ge meines, Wahrheit und Täuschung, Größe und Erniedrigung so oft sich wunderbar mischen, daß die absprechende Logik der Schulbank daran zu Schanden wird, weil ihr ebensosehr die Kenntniß der menschlichen Natur als die Erfahrung des öffentlichen Lebens abgeht. Es sind nun 54 Jahre her, das Napoleon'sche Kaiserthum stand auf der stolzesten Höhe seiner Macht, das Jahr vorher hatte der neue Cäsar des Abend landes zu Tilsit, an der Grenze Preußens und Rußlands, mit dem Cäsar des Ostens, mit Alexander I., Arm in Arm über das Schicksal Deutschlands und Europas selbstherrlich entschieden. („Wo ist Europa, wenn es nicht zwischen Ihnen und uns ist?" hatte 1808 bei der Erfurter Zusammenkunft Napoleons und Alexander I. der russ. Fürst Romanzow zu dem franz. Minister, Herzog von Rovigo, gesagt. Also: Frankreich und Rußland sind die Herren von Europa.) Jetzt stand er eben im Begriff, über die pyreuäische Halbinsel, wie über ein verfallenes Lehen, zu verfügen. Damals schrieb die Kaiserin Josephine von Bordeaux aus an ihre Tochter, Hortense, die Königin von Holland: „Ich bin auf dem Gipfel de» Freude, liebe Hortense, denn seit gestern habe ich die Nachricht von deiner glücklichen Niederkunft." Auch der Kaiser hatte seiner Ge mahlin mit dem Ausdrucke lebhafter Freude von Bayonne aus gemeldet: „Hortense hat einen Sohn geboren!" Das Kind, dessen Geburt seine Groß mutter und seinen Onkel so glücklich machte, war — Ludwig Napoleon. Wer am 20. April 1808 nur die Oberfläche der Weltlage sah, der mochte dem neugeborenen Kinde die glänzendste Zukunft Vorhersagen. Seine Wiege stand an der Schwelle des damals mächtigsten Thrones von Europa. Dem Kaiser war in seiner Ehe mit Josephinen die Aussicht auf einen Sohn versagt; so galten denn die Söhne seines Bruders Ludwig und seiner Adoptivtochter Hortense als muthmaßliche Erben seiner Krone. Ihren ersten Sohn hatte Hortense das Jahr vorher verloren; ihr blieben nur noch der Neugeborene und sein älterer Bruder Napoleon. Blieb dieser nicht am Leben, so war nach da maliger Lage der Dinge Louis Napoleon der muthmaßliche Nachfolger seines Oheims auf dem Kaiserthrone; und selbst wenn der ältere Bruder nachfolgte, so konnte doch auch dem jüngeren nach dem Napoleonschen Familieusystem eine Krone nicht fehlen. „Durch meine Geburt schon bin ich zu eimer großen Be stimmung berufen" — diesen Gedanken, den die damalige Weltlage voll kommen zu berechtigen schien, - prägte seine Mutter Hortense früh und tief in Louis Napoleons Seele. So bildete sich der erste fruchtbare Keim für die mächtigste Triebkraft seines Lebens, für den Glauben an seine Bestim mung, oder, wie der Napoleon'sche Fatalismus es bezeichnet, an seinen Stern. Zur Verständniß des Sohnes gehört also eine besondere Beachtung der Mutter, vielmehr als des Vaters. Der alte Erfahrungssatz, daß im All gemeinen die Mutter bedeutender Söhne oft größeren Einfluß als die Väter auf die innere Ausstattung des Kindes ausüben, stellt durch besondere Umstände in diesem Falle die Mutter in der Einwirkung auf den Sohn ganz entschieden in den Vordergrund. Dem Vater, König Ludwig von Holland, verdankte Louis Napoleon den Napoleonschen Namen, das Familienband der Bonaparte, das Recht, der Nesse seines großen Onkels zu heißen. DaS französische Blut, die Erziehung, die Seele empfing er von der Mutter. Schon das Mißverhältniß zwischen den Eltern, die frühe Trennung, die aus einer vom Anfang der Ehe an bestehenden Abneigung hervorging, mußte den Einfluß des Vaters gänzlich zurücktreten lassen. Sein Kind würde in Paris geboren, nicht in Holland unter den Augen des königlichen Vaters ; in Paris, unter der Leitung der Mutter, deS Onkels, der Großmutter, erhielt es seine Erziehung in den ersten sechs Jahren seines Lebens. Später sah es der Vater immer nur vorübergehend, in den Pariser Schicksalstagen von 1814 und 1815 und bei späteren Besuchen in Italien; nicht einmal die Augen des einsamen Sterbenden zu schließen war ihm vergönnt. Und selbst, wenn diese lebenslängliche äußere Trennung nicht bestanden hätte, bleibt es immerhin noch zweifelhaft, ob es in der Natur und dem Charakter des Königs Ludwig gelegen hatte, auf einen solchen Sohn be deutsam einzuwirken. Des Königs geistige und gemüthliche Anlagen standen zu seinem kaiserlichen Bruder im schroffsten Gegensätze. Weichen Sinnes, von fast weiblicher Erregbarkeit für geistige Genüsse wie für äußere Eindrücke, stets kränklich und ängstlich, aber von tiefem Gefühl und zarter Gewissenhaftigkeit, so war er das völlige Gegenbild des stahlharten, unbeugsam durchgreifenden, keinen fremden Willen achtenden, vor keiner GewisseuSfrage zurückweichenden Bruders. Von diesem Bruder in den innersten Wünschen seines Herzen durch kreuzt und geknickt, zu einer Verbindung gedrängt, gegen welche Ludwig und Hortense, durch frühere Neigungen anderwärts gefesselt, nur Widerwillen fühl ten, auf einen Thron erhoben, der ihm nur die-Qualen des Widerspruchs zwischen den Interessen seines Landes und den gebieterischen Forderungen seine- kaiserlichen Lehnsherrn brachte — das war die Sümmung Ludwig Bonaparte-,