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264 Zu diesem Floßteiche ertrank am 6. April 1841 ein drciundjwanzig- jähriges Mädche«, Hie jüng-e Tochter des damaligen RcvierförstcrS zu LandSgemcind«, Konrav'Ferdinand Ae h, eia blühendes Geschöpf, das k^aigc Minuten vorher froh gelächelt, von einer Kräftigkeit und Lcbcns- lustigkeit, daß »an meinte, sie könne dem D^de ein Schncppchen drehen; und nach diesen Minuten fand man Natalie Zeh eiskalt erstarrt in der feuchten Fluth, ohne die geringste Spur, welcher Grund oder Unfall sie fortgerissen. Sie war wie durch Zauber aus dem Leben in den Tod verschwunden. Natalie Zeh hatte mit den Ihrigen zu Mittag gegessen und war nach etwa ^12 Uhr, da das Mittagsmahl aufhörte und nachdem sie ein Weil chen am Ofen geruhet hatte, spazieren gegangen. Cs war ihrer Gewohn heit gemäß. CS war ihr letzter Spaziergang. Nicht lange nach ihrem Fortgehen, in der, ersten Nachmittagsstunde, sahen der Grenzaufscher Schlegel und der Revierbursche des Försters, Schlosser, welche ge meinsam über den Damm des FloßtcicheS gingen, im letzteren, etwa drei Klafter vom Ufer, einen Körper, unzweifelhaft ein Frauenzimmer, liegen. Sie lag mit dem Gesicht im Wasser, aber Schlosser, wie von einer Vision ergriffen, rief aus: „Herr Gott, das ist unsere Natalie!" Die Kleider der Erscheinung waren an den Füßen durch das Wasser etwas zurückgespiclt, so daß man die Kreuzbändcrschuhe deutlich sah. Die Wellen trieben das lange, schlanke Mädchen immer näher an den Teich damm, während die blonden Haare über dem Wasserspiegel schwammen. Jetzt entsannen sich Beide, daß sie entfernter vom Teiche im Walde einen Hilferuf wie „Ach! Ach!" gehört; sie hatten aber im Zwiegespräche nicht weiter darauf geachtet. Was hört man nicht für Stimmen im Walde, Wind und Laub, Vögel und Aeste, die uns täuschen, aber man hört nicht darauf. Aber nun war eS gewiß, es war keine Erscheinung, sondern ein wirkliches Wesen, Natalie Zeh, die im Wasser schwamm. Schlosser holte eiligst aus dem nahen Forsthause den Ncvicrförster, dessen Ehefrau und andere Personen herbei. Dann zog er, bis an den Leib ins Wasser gehend, das todte Mädchen aus dem Teiche. Sie wurde in das Forst- hauS gebracht, und man stellte theils vor, theilö nach Ankunft des mittels reitender Boten herbcigeeiltcn Arztes Schneider Wiederbelebungsversuche an. Als der Arzt im Forsthause ankam, fand er das Mädchen entkleidet auf dem Bette liegen, bloß, kalt, ohne alle Zeichen äußerer Verletzung. Nachdem sie schon zuvor in ein warmes Bad gebracht und dann mit er wärmten Tüchern fortwährend frottirt worden, öffnete der Arzt nun Adern und wendete Spirituosen an. Vergebens. Der Arzt überzeugte sich von dem unzweifelhaft eingetretencn Tode des Mädchens und sprach sich in seinem Gutachten dahin aus, „daß bei der Zeh, als sie in den Teich ge stürzt, in Folge des Schreckens und der Wasserkälte ein Schlagfluß cingc- tretcn und daß sie auf diese Weise apoplectisch verstorben sei." Weiter war nichts zu ermitteln; alle Nachbarn, Verwandten, Hausbekannten aber waren darin einverstanden, daß nicht der mindeste Grund zu der Annal>me sei, daß etwa das geistig gesunde, harmlose und heitere Mädchen, dem niemals etwas gefehlt hatte, absichtlich d.en Tod sich selbst gegeben habe. — Sieben Jahre später verbreitete sich aus dem berühmten Zuchthause zu Waldheim das Gerücht: dort habe eiue der Verhafteten sich gerühmt oder bekannt, daß die Försterstochtcr Zeh durch andere Hand umgekommcn, und daß sie, die Verhaftete, Zeh's Natalie absichtlich ins Wasser gestürzt' habe. Dieses Gerücht war Thatsache. Johanne Wilhelmine A. aus Georgenthal, die am 27. December 1827 geborne Tochter eines Waldarbeiters in Untcrsachsenbcrg, war, nachdem sie zuerst einige kleine Entwendungen begangen, namentlich aber einen tief eingewurzelten Hang zum Vagabundiren und Betteln an den Tag gelegt hatte, am 11. October 1843 in die Correctionsanstalt zu BräunS- dorf eingcliefert, von da aber am 16. Februar 1844 in die Eorrections- selccte zu Waldheim versetzt worden, wo sie nach dem Zeugnisse des Di rektors und des Hausgeistlichcn als eine rohe, träge, gemüthlofe, auch ost trotzige und ungchorsgme Person sich erwiesen, einen betrübenden Mangel an Scham, sowie stark hcrvortrctende Sinnlichkeit vcrrathen und keines wegs frei von Lüge und Verstellung sich gezeigt habe. Am 17. Januar 1848 Abends hatte die Selectanerin der CorrcctionS-- anstalt Waldheim Louise E. die Aufseherin Ernestine Menzel gebeten, ihr zu gestatten, einige Abschnitte auö dem vpm Herrn Pastor Dietrich diesen weiblichen Sträflingen zum Lesen gegebenen Buche unter dem Titel: „Er bauungsbuch für Gefangene in Strafanstalten von Müller, 1. Theil," vor zulesen, und dabei versichert, daß sie alle recht fleißig dabei stricken würden. Die Aufseherin gestattete daS Vorlcsen. Als sie nach etwa einer Stunde . in die Stube trat, schienen die, Mädchen bestürzt. Die Menzel sah nach, waS die E. vorgelesen hatte. ES lautete: „Auf einem Torfe bei Magdeburg wurde einst auf dem Felde eine Frauensperson ermordet gefunden. Der Thäter war nicht zu finden. Man hatte zwar Verdacht auf Jemanden im Dorfe, der mit der Ermordeten Umgang gehabt hatte; aber cS fehlten die Beweise gegen ihuc Bald darauf sieht sich der Ortspfarrer die Stelle an, wo der Mord geschehen war. Da findet er noch die mit Blut bespritzten Steine. Einen solchen Stein nimmt er mit heim und läßt nun alle Mannspersonen in der Gemeinde in sein HauS zusammenkommen. Mitten in der Stube liegt auf dem Tische der blutbespritzte Stein. Der Pfarrer nimmt den blutigen Stein in die Hand und spricht Folgendes: „Seht hier den Stein, an dem noch das Blut der Ermordeten aus unserer Gemeinde klebt! Könnte dieser Stein reden, er würde den grau samen Mörder bald nennenkönnte dieses Blut reden, eS würde ihn bald entdecken. Unter uns muß der Mörder sein, vielleicht ist er in dieser Stube. Der Stein, daS Blut weiset auf ihn hin. Er fühlt schon die Qualen deö bösen Gewissens und bald wird er sich auSweisen. Ja, Mörder, wenn Dn unter unS bist, verschweige Deine Blutschuld nicht, damit Du Dich nicht noch mehr versündigest! Was wird cs Dir helfen, wenn Du es auch eine Zeil lang verschweigest? Sah Keiner zu, da Du dicß Blut vergossest? Auch der allwissende Gott nicht, vor dem die Nacht sogar Licht ist? Der wird es doch offenbaren. Meinst Du, daß Da noch irgendwo Nahe haben könntest, weder bei Tag noch bei Nacht? Der Schlaf wird Dich fliehen, daS Bild der Ermordeten Dir immer vor Augen schweben und Dich mit fürchterlichen Träumen schrecken. Gehst Du auf dem Felde vdr der Stelle vorbei oder pflügst und arbeitest Du in dec Gegend, so wird es immer sein, als ob die Ermordete vor Dir stände, ihre Hände zum Himmel hebe und Dich als den Mörder anklage. Wie lange wirst Du das aushalten? Besinne Dich, Unglücklicher! Noch in diesem Augenblicke aicb dem allwissenden Gott und der Wahrheit die Ehre und bekenne Deine Missclhat, sonst werden noch Unschuldige in Verdacht kommen und Deine Blutthat wird doppelt schändlich. Wirst Du aber Deine That gestehen und bereuen, so kann noch Nath werden, Deine ver lorene Seele zu retten und Dich der Barmherzigkeit des Allerhöchsten wieder theilhaftig zu machen. Denn Jesus, der Heiland der Sünder, Hal noch am Kreuze für seine Mörder gebeten: „Vater, vcrgicb ihnen!" „Und nun trat der Pfarrer thronenden Auges hin und sprach: „Wer unter Euch ein gutes Gewissen hat, der nehme diesen mit Mcuschenblut befleckten Stein in seine Hand, wie ich es thue, halte ihn zu Gott gen Himmel und spreche: „Ich bin unschuldig an diesem Blute!" — Dieß geschah. Der Pfarrer that es zuerst, und alsdann alle Anwesenden. Als die Reihe an den Thäter kam, ward dieser blaß wie der Tod und zitterte an Händen und Füßen. Wie er nun aber zugreifcn und den Stein auf- hcbcn wollte, fuhr er zurück und schrie: „WaS sott ich's leugnen, ich hab'S gethan. Dicß Blut zeugt wider mich. Gott sei mir armen Sünder gnä dig!" — Man nahm ihn fest und er erhielt seinen verdienten Lohn." — Dieß die Erzählung, welche den Corrcctionärinnen von der Louise E. war vorgelesen worden. Die Aufseherin Menzel bemerkte an diesem Abende und den folgenden Tag nichts Auffälliges; nur schien es ihr daß die Selectanerin A. aus Georgenthal sehr still und niedergeschlagen sei. TagS darauf bemerkte sie, daß die A. das Schnupftuch vor daS G. sicht hielt. Rasch, als die Menzel sic darüber aussragcn wollte, flüsterte die E., welche jene Erzählung vorgclesen, hatte, ihr zu: „Fran Aufseherin, nehmen Sie doch die A. mit in Ihre Stube, sie will Ihnen etwas vertrauen!" Die Menzel nahm wirklich die A. in ihre Stube, und nachdem die ersten Worte gesprochen waren, rief diese auS: „Ach Gott, Frau Aufseherin, ich habe doch großes Unrecht gethan, ich habe einem Mädchen einen Schub gegeben, daß sie ins Wasser fiel und ertrunken ist." Die Aufseherin versuchte ein kurzes Verhör und die A. gab etwa Fol gendes an: „Ich habe das Mädchen, eine Försterstochter, auS Rache in den Teich gestoßen, weil sie mir, als ich sie um ein Kleid bat, antwortete: „Du willst schon wieder betteln; schämst Du Dich nicht, Du bist groß und stark und kannst arbeiten." Ich habe gewußt, daß das Wasser des Teiches tief war, habe ihr auch nicht geholfen, wieder aus dem Teiche herauszu kommen, auch Niemandem etwas davon gesagt. Natalie Zeh war kräf tiger als ich, damals erst 15 Jahre; aber doch konnte ich sie tns Wasser stoßen, weil der Damm sehr schlüpfrig war." — In Zucht- und Arbeitshäusern kommt cs zuweilen vor, daß die Sträf linge auS Uebcrdruß über die lange Haft sich Märchen ersinnen. Dieß konnte auch hier von der A. geschehen sein; allein die Wahrhaftigkeit ihrer Angabe ward noch dadurch verstärkt, daß zufällig an dem Tage ihres Ge ständnisses ihre Stiefmutter nach Waldheim kam, sie zu besuchen. Die A. kam gerade mit dem Schnupftuche vor dem Gesichte weinend aus dem Waschhause, als die Stiefmutter sie erfaßte. „Nun, Miene," sagte diese, „wir denken, Du sollst heim kommen; Du kommst aber nicht und schreibst auch nicht." „Ja, ich werde auch gar nicht kommen." „Was hast Du denn gemacht?" „In meiner Freiheit