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Boigtlän-ischcr Anzeiger. Skenn und vierzigster Jahrgang. AA, Planen, den 22. Decbr. 1838. Landbriefe. Zweiter Bries. Liebe Landleute! ES mag vierzehn Tage sein, als ich Einen unter Euch, einen langjährigen, guten Freund, der in der intern Waldgegend, zwischen Treuen und Falkenstein wohnt, besuchte. Da fand ich ihn denn ganz gemäch lich Hinterm Ofen sitzend und in einem Buche eif rig lesend. „Du liest ja recht eifrig, alter Freund!" redete ich ihn nach den ersten Begrüßungen an. Je nun, ich habe jetzt ausgedroschen, — eS gab, den Hafer ausgenommen, Heuer nicht sehr viel zu dre schen—und nun habe ich Zeit zum Lesen und — lese." Nun muß ich gestehen, daß ich von Natur aus et was neugierig bin. Ich mußte wissen, was der Mann laS. Was warö? Eine schreckliche Räuber § Ritter- Geister- und Mordgeschichte! Welche» Litel der Wisch führte, weiß ich nicht mehr. Auö welcher Leih bibliothek die Schmiererei in das entfernte Walddorf gekommen ist, weiß ich noch, wills aber vorläufig ver schweigen. Die Sache war mir außerm Spaß. Mein alter Freund laS jeden Winter, (denn im Sommer konnte er bloS den Anzeiger lesen) außer seiner Ameise, seiner hübschen Dorfzeitung und dem Anzeiger, manchmal auch ein Buch, waS ihm der Schulmeister geborgt hatte. DaS wußte ich. Aber wie der sonst verständige Mann dazu gekommen war, solches Zeug zu lesen, waS ein verrückter Kerl geschrieben, um andere Leute auch ver rückt zu machen, konnte ich nicht begreifen. Ich fragte und erfuhr denn eben, daß die und die Leihbibliothek ihren Peststoff durch eigendö dazu bestimmte Boten auch unter das kerngesunde Landvolk zu verbreiten sucht, auch schon ziemlich weit verbreitet hat. „Da muß doch gleich —!" Ich gestehe Euch, Freunde, ich war fuchS- wild. Meinen alten Freund schnitzte ich erbärmlich herunter. „Wenn der saubere Bote wieder kommt," schloß ich endlich meine Donner-Rede, so schmeiß ihm den Wisch mit den paar Pfennigen Lesegeld an den Kopf, und wenn erS übel nehmen will, so wirf ihn auS dem Haufe. Wenn Du aber im Winter Zeit zum Lesen hast, so lies etwas Gescheites, wenigstens etwa-, wenn Sinn und Menschenverstand ist." Das war nun, wie Ihr selbst begreift, theilweiße sehr.grob und auch unverständig gesprochen. Grob wars gegen den alten Freund; dazu unverständig; denn das Hinauswerfen eines unschuldigen Boten ist unerlaubt und wird kein Verständiger es eben so wenig, als das Schmeißen deL Buchs an den Kopf anrathen. Aber ich war in der Hitze und in der Hitze spricht und handelt der Mensch gegen die Höflichkeit und gegen den gesunden Menschenverstand. Mein alter Freund nahm mir meine Aufführun auch nicht übel. Wir kennen einander schon lange und sehen unS, wie fichs für Freunde gehört, unsere Schwächen nach. Dazu fühlte er, daß ich in der Sache selbst Recht hatte. „Na," sagte er endlich, nach dem ich ausgetobt, „ich sehe, Du hast Recht; aber waS soll ich denn lesen, wenn ich durchaus lesen will und, wie Du meinst, auch lesen soll?" Gegen die Hitze ist keine bessere Arzenei, al- die Ruhe. Ruch ich wurde wieder ganz „Siehst