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— r: Z r- >8 " -»H > v SSL«» «S»W^8L L-- sie» I SK^W^»S«rrrr^rM I W -sz«,«4Z:L?srzrsiZLkSHZ Seite 362. Belletristische Beilage zu den »Dresdner Nachrichten«. «hatten, dem Manne unter die Augen zu trete», dessen Sohn sie in die Fremde getrieben, den sie ihr Wort gebrochen, aber warum sie vor ihrer Ab- reise von Burgdors den Vater, die Tante nicht noch einmal besucht, das wußte such er nicht. Doch der Vater überhob ihn selbst einer Aiiwort, indem er fortfuhr: .Gleichviel, was sie auch abaehalten haben mag. zu ihrem alten Beichtvater zu kommen, jetzt, da sie im Elend ist. ist es nicht an uns, Vergangenes ab zuwägen. auch ich beklage sie tief und wir wollen nur hoffen, daß ihr ihr Rind erhalten bleibt!" .Ja, das wollen wir wünschen und deshalb kam ich her. Ich wollte Tante Liese bitten, mir mein altes Zimmer herzurichten, ich fürchte, es könnte leicht einmal nöthig sein, rasch einzugreifen, und da dachte ich, es wäre wohl bas Beste, wenn ich wenigstens des Nachts in der Nähe bleibe!" „Gewiß. Richard, Dem Zimmer steht Tir immer zur Verfügung." „Und Vater, nicht wahr, mag auch Frau von Buchow Dich bisher ver nachlässigt haben, Tu stehst ihr bei. wenn etwa das Schlimmste eintreten sollte, auf ihren Gatten kann sie sich ja doch nicht stützen!" „Da kennst Du Deinen alten Vater doch genug, um zu wissen, welche Anwort Du zu erwarten hast, ich habe zu lange das herrliche Evangelium der Nächstenliebe gepredigt, um es in meinen alten Tagen selbst zu vergessen und am allerwenigsten der Tochter meines ältesten, treuesten Freundes gegenüber. Nein, Richard, sag' Agnes Tillmann, wenn sie Jemanden braucht, an den sie sich in der Stunde der Noth anlehnen will, der alte Pfarrer Harrig wohnt nicht weit und gern, von Herzen gern, wird er thun, was in seinen schwachen Kräften steht und wenn es zum Schlimmsten kommt, wenn der Herr ihr das Kind ihres Herzens nimmt, dann will ich bei ihr sein, dann will ich mit ihr beten!" „Dank Vater! Ich wußte es! Ich will cs ihr heute Abend sagen!" Und bald darauf verließ er das Pfarrhaus und kehrte mit raschen Schritten burch den Wald nach Laupa zurück. 19. Kapitel. Am Abend stellte sich Richard wieder, wie versprochen, aus dem Gute rin. Der Baron war, wie gewöhnlich, abwesend, er fand Agnes allein. Sein geübter Blick entdeckte sofort, daß in dem Zustand seines kleinen Patienten reine Bessemng eingetreten, die Wucherung im Rachen hatte sich vergrößert. Niedergeschlagen schüttelte er den Kops und wieder las Agnes aus seinen sorgenvollen Mienen das Richtige heraus: „Es steht gewiß recht schlimm, Herr Doktor?« „Ja. gnädige Frau," erwiderte Richard ernst, „es wäre ein Unrecht, wenn ich es Ihnen verhehlen wollte, daß wir es mit einem recht schweren Fall von bösartiger Diphtheritis zu thun haben. Tie Beläge haben sich vermehrt, das Uebel ist fortgeschritten, die Voraussage ist wenig günstig. Indessen, ich habe hier Verschiedenes für die lokale Behandlung mitgebracht, oft hilft es, die Krankheit zum Stillstand und schließlich sogar zum Rückgang bringen, Vielleicht, daß es auch uns seine Wirkung nicht versagt. Ich habe nach einer geübten Wärterin telegraphirt, ich hoffe, sie wird wobl bis morgen Mittag hier eintreffen, bis dahin freilich muß ich mich noch aus ihre Assistenz verlassen." „O. recht gern! Ich will ja Alles thun, was nöthig, instruiren Sie Mich nur!« Und Richard gab ihr wieder die nöthigen Anweisungen. Er hatte die für diese Krankheit gewöhnlichen instrumentalen und medikamentösen Hilfsmittel Von Laupa mitgebracht und zeigte ihr daun auf das Sorgfältigste, wie sie dieselben in richtiger Weise anzuwenden habe. Agnes hörte aufmerksam zu und wenn sie auch die hellglänzenden Instrumente schaudernd betrachtete und ihr vielleicht manche Verordnung wie eine Marter für ihr Kind erschien, so nahm sie doch Alles in sich auf und versprach, in jeder Art Richard's Rath und Anweisung genau zu befolgen. Als er aber fertig war, konnte sie doch die angstvolle Frage nicht unterlassen: „Und wenn dies Alles nicht hilft, was dann?« „Tann bleibt nur die Operation!« „Die Operation? Großer Gott, mein Kind soll operirt werden?" „Wenn es zum Aeußersten kommt, wenn die Frage uns vorliegt, entweder sicherer Erstickungstod oder vielleicht noch Rettung durch's Meiser, wollen Sre sich dagegen sträuben? Nein, das ist dann das Einzige, was uns ver bleibt. Und rch möchte fast bitten, bereits jetzt vom Herrn Baron die Erlaub- niß dazu einzuholen. Es könnte ja sein, die Gefahr tritt Plötzlich, unvermuthet auf und wenn er dann auch gerade abwesend wäre —« „Reden Sie nicht von ihm." unterbrach ihn Agnes erregt, „er ist ein heyloser Egoist, der sein eigenes Amüsement noch über das Leben des Kindes stellt. Letzte Nacht trieb er sich herum, ich weiß nicht wo. heute Abend ist er trotz Allem, was Sie ihm gesagt, doch nach Laupa in seinem Kasino und morgen geht er den ganzen Tag aus die Jagd!" „Trotzdem sollte wohl seine Einwilligung als Vater —« „Als Vater? Ich habe mir den Zwang angethan und ihn gebeten, sich wenigstens aus ein paar Tage seinem Kinde zu widmen und hier in Burgdors zu bleiben —so eine Lappalie! antwortete er, das war sein ganzes Vatergefühl und fort ist er. er könne ja doch nichts thun und zur Jagd habe er nun auch einmal zugesagt. Ihm ist es sicherlich ganz gleichgiltig, ob eine Operation vorgenommen wird oder nicht, wenn er nur in feinen Vergnügungen nicht gestört wird.« Die Worte waren rauh und verächtlich ihr über die Lippen gekommen und um ihren Mund lag ein herber Zug, dennoch warf Richard nochmals ein: „Ich hielt es für meine Pflicht! Vielleicht wäre es dann am besten, ich ersuchte wenigstens einen meiner Kollegen in Laupa, sich den Fall mit mir in Konsultation anzusehen, ich bin ja doch nicht ihr Hausarzt — und —" „Nein, Herr Doktor, auch das ist nicht nöthig. Es ist mein Kind, Herr von Buchow hat sich nie viel um seine Existenz gekümmert und ich will keine Konsultation, zu Ihnen allein habe ich das Zutrauen, mehr als zu irgend einem anderen Atzt, wenn Sie sagen, es ist nöthig, es muß geschehen, dann operiren Sie, gleichviel, ob er etwas darum weiß oder nicht I" In ihren Worten hatte trotz der Bitterkeit, mit der sie über ihren Gatten sprach, doch eine so treuherzige Zuneigung zu Richard und Vertrauen in sein ärztliches Können gelegt, daß er von weiteren Einwendungen absah und sich still- chweigend fügte, mußte er ja doch ihrem Urtheil über den Gatten Recht geben, er war ein herzloser Egoist, wie sie ihn genannt, er. ver selbst jetzt, da sein Kind vielleicht auf seinem Todtenlager lag. an Klub und Jagdgesellschaften dachte. Und in seinen eigenen Mienen mußte sich die Verachtung dessen, den Agnes ihren Gatten nannte, ausdrückcu, sie mußte wohl seine Gedanken errathcn, denn die heftige Erregung, in der sie sich befunden, wich plötzlich einem Hellen Thränenstrom, der aus ihren Augen schoß; sie sank aus eine» Stuhl nieder und bedeckte mit beiden Händen ihr Gesicht, während ihr Körper in konvulsivischem Schluchzen erbebte. Richard stand beklommenen Herzens zur Seite, er ahnte, was sie be wegte, nnd es that ihm in der Seele weh, Agnes so leiden zu sehen und in leisem, tröstendem Tone sagte er: „Fassen Sie sich, gnädige Frau, es wird schon wieder besser werden!" Agnes schaute feuchten Blickes zu ihm aus und ihm plötzlich die Hand reichend, sagte sie noch immer schluchzend: „Herr Doktor! Ich weiß nicht, ob ich meines Schicksals wegen weine oder — weil Sie mit so unendlicher Güte strafen, was ich an Ihnen gethan!" „Gnädige Frau, ich bat Sie schon heute früh, nicht von der Vergangen heit zu reden," erwiderte Richard weich. ' „Ich weiß es," unterbrach ihn Agnes rasch, ich weiß es, aber ich kann nicht anders, ich muß endlich zu Ihnen davon reden. Es drückt mir das Herz fast ab, stillschweigcn zu sollen. Herr Doktor, sage» Sie mir nur das Eine, haben Sie mir vergeben?« „Gnädige Frau, über zwei Jahre bin ich draußen in der Welt herum- aesahrcn, ich habe unsäglich gelitten, aber ich habe überwunden, erst beute früh sagte ich zu meinem alten Vater: ich habe nur noch das innigste Mit leid mit Frau von Buchow!" „O. Ihr Vater, Ihr gütiger Vater, auch ihn habe ich. schlecht behandelt, aber ich konnte nicht zu ihm kommen, ich konnte ihm nicht mehr in's Auge blicken nach dem. was geschehen." „Auch er hat keinen Groll gegen Sie. auch er suhlt, daß Sie irregeleitet waren, als Sie Ihren Gatten heirathetcn." „Ja, irregeleitet, das ist das rechte Wort. Sie glauben nicht, was ich gelitten! Aber Alles wäre noch anders geworden, wenn ich von Ihnen gehört. O. sagen Sie mir, Herr Doktor," und angstgepreßt stahl es sich über ihre Lippen, „haben Sie ie meinen Brief erhalten!« „Ihren Brief? Was meinen Sie damit ? Ich habe niemals einen Brief von Ihnen erhalten!" „O mein Gott, also doch!« Wie ein Aufschrei eines todtwundcn Herzens brach es hervor. „Also doch! Meine Ahnung hat mich nicht betrogen! Zu schnell, zu schnell habe ich gehandelt!" ./Aber, gnädige Frau, reden Sie doch. Sie sprechen in Räthseln, von welchem Brief reden Sie denn, ich verstehe Sie nicht, un mich haben Sie geschrieben? Wann?" „Vor drei Jahren. Tamlkls, ehe ich ihm mein Jawort gab!" „Ta schrieben Sie an mich ? Ehe Sie sich banden? Und was. Was schrieben Sie?" „Ich legte meine Zukunft in Ihre Hände!" „In meine Hände? Mir überließen Sie die Entscheidung? O, sprechen Sie doch deutlich, foltern Sie mich doch nicht so!" „Ja, Richard! Ihnen allein! Wenn Sie mir gesagt hätten, warte auf mich, ich hätte es gethan, ich schwöre es Ihnen, ich hätte es gethan, trotz aller Vorstellungen, selbst trotz des Ehrenscheines!" „Des Ehrenschcincs? Welcher Ehrenschein?" „Otto's. Er hatte an Herrn von Buchow einen Ehrcnschein ausgestellt für eine Summe, die er von ihm geborgt. Vater hatte alle Schulden Otto's bezahlt, von denen er etwas wußte. Noch ani Tage vor seinem Tode sagte er zu mir: wir sind arm geworden, aber. Gottlob, das Tillmann'sche Ehren schild ist rein! Und nun kam Herr von Buchow mit diesem entsetzlichen Papier und drohte, wenn ich ihn nicht erhörte, dann würde er es bekannt machen, daß Otto seine Verpflichtung nicht eingehalten und unser Name würde daun doch noch mit Schmutz besudelt iverdeu, aber wie mir auch das Gedächtuiß meines Vaters heilig war, wie sehr auch die Mutter drängte, trotzdem bat iichmir Bedenkzeit aus, freilich eine armselige Woche nur, und ich schrieb an Sie, Richard. Ihnen klagte ich meine Noth, Lie fragte ich um Rath, ich gestand Ihnen Lilles, Ihnen überließ ich die Entscheidung, aber die Antwort blieb aus. ich habe gehofft und gewartet, wie vielleicht noch nie Jemand zuvor, aber kein Zeichen, keine Zeile kam von Ihnen und dann, dann dachte ich. Sie hielten mich vielleicht für unweiblich und da kam der unselige, verletzte Stolz, der mir zuraunte, er antwortet Dir absichtlich nicht, er will Dich nicht mehr, er ist froh, wenn er das verarmte Mädchen los ist." „Agnes!" Richard war todtenbleich geworden, seine Augen hatten einen starren Glanz angenommen. „Konntest Du das wirklich von mir denken?" „O, vergieb. Richard! Ich war in solch' einem Zustand, ich wußte nicht mehr, was ich dachte, nicht mehr, wohin, wo aus. Ich hatte ja nun Niemanden mehr, zu dem ich gehen konnte. Niemanden niehr, der es wahrhaft gut mit mir meinte, ich kämpfte einen harten Kampf, aber als ich nichts, gar nichts von Dir hörte, da unterlag ich! Was ich seitdem gelitten, kein Mensch kann es mit Worten sagen. Wie ich meinen Schritt bereut, wie mich der Zweifel marterte! Wo ich ging, wo ich stand, da sah ich Dein Bild, im Wachen und im Träumen hörte ich Deine Stimme, wie oft, ach, wie oft bin ich heimlich hinausgestiegen in mein altes Mansardenzimmer und habe hinüber geschaut nach dem Pfarrhaus, wie ost war es, als müßte ich laut ausschreien vor Jammer und Weh, wenn ich Deinen Vater in der Kirche predigen hörte. Deinen Vater, der so sehr an seinem fernen Sohn hing I O, Burgdors war niir eine Hölle, ich habe unsäglich schwer gebüßt, nur nach Einem sehnte ich mich alleiZeit: Dir zu sagen, wie cs gekonimen, wie man mich hineingehetzt hat in mein Elend, cs drückte mich säst zu Boden, zu denken, daß Du mich iür io erbärmlich, io treulos hieltst und dann zu sterben!" Belletristische Beilage zu den „Dresdner Nachrichten«. Seite 363. Ihre Stimme klang ln einem tonlosen Flüstern aus, ihr Kopf sank schwer herab ans die Brust, wie todtmüde. gebrochen, so saß sie in dem Stubl. Er schüttert hatte Richard zugehört, Agnes' Worte bewegten ihn tief. Wenn er wirklich noch einen Groll gegen sie gehegt, jetzt war er verschwunden, er wußte jetzt, daß kein selbstsüchtiger Wunsch sie dem Baron in die Arme geführt. „Arme Agnes!" kam es lebe über seine Lippen, „auch Tu hast schwer gelitten. Aber — und seine Stimme nahm einen drohenden Klang an — wie kam es, daß ich den Bricfmicht erhielt ? Ist er verloren gegangen, hat ein tückisches Schicksal seine Narrcnsposseu mit uns gehabt oder — hat uns Jemand einen niederträchtigen Schurkenstreich gespielt? Sprich Agnes, wir wollen Klarheit darin haben, sag', was thatcst Du mit dem Brief?" „Ich wußte Deine Adresse, ich schrieb ihn am ersten Weihnachtsfeiertag. aber ich war krank, zu elend, um ihn selbst aus die Post zu tragen. Ich gab ihn an Lisette, nnicr Mädchen." „War das die Lisette, die früher hier schon in Burgdors diente?" „Ja, ich hielt sie für zuverlässig. Sie versprach mir, den Brief richtig zu besorgen." „Und hat sie ihn besorgt?" „So sagte sie später — aber —", „Wo ist die Lisette jetzt?" „In Berlin, im Dienste meiner Mutter." Sie hatte dies flüsternd gesprochen, als scheue sie sich, ihre eigenen Ge danken auszusprecheu. Aber mit bitterem Lachen rief Richard aus: „Ah, Frau von Tillmaim! Ich Thor, daß ich nicht schon früher darauf kam! Nun ist mir Alles klar! Sie hat ihre Hand im Spiele gehabt, sie war mir nie gewogen, der reiche Schwiegersohn sagte ihr besser zu, als der arme Doktor, o, icb verstehe Alles, sie wußte um unsere Liebe, aber ihres Kindes Glück galt ihr nichts, tze war es, die den Brief unterschlagen, um so zu ihrem Ziel zu gelangen." Agnes schwieg still, was hätte sic sagen sollen zu der Anklage, die nur ein Echo dessen war, was in ihrer eigenen Brust lebte! Richard ging mit großen Schritten im Zimmer auf nnd ab. aber plötzlich blieb er vor Agnes stehe» und fuhr fort: „Aber der Ehrenschei», was ist's mit ihm? Sollte etwa der Baron mit Iran von Tillmann gemeinsam operirt haben? Hast Tn de» Schein »och?" „Ja. dort im Sekretär, ich bring' ihn Tir!" Und mühsam staun sie auf, die Knice wantlc» ihr, aber sie bezwang sich, auch sie wollte Klarheit in dem Wirrsal ihrer Geschicke haben. ...Hier ist er!" Damit übergab sie au Richard das vechangnißpolle Papier. Ein Blick ans das Datum überzeugte ihn. welchen Schein er vor sich hatte. „Ja. cs ist so. meine Ahnung rst wahr, es ist der Ehrenschein, von dem Otto zu mir gesprochen." „Otto? Zu Dir?" „Ja. ich traf ihn in New Aork, zufällig, eS geht ihm gut jetzt. Er er- ählte mir seine Schicksale, er sprach auch von diesem Schein. Wenn Jemand ein Wort gebrochen hat, dann war es nicht er, daun war es der Herr Baron von Buchow selber!" „Aber wie ? Rede!" „Er versprach aus sein Ehrenwort, den Schein »och vor dem Verfalltage ein- zulöscn, cs war ja mir eine Gefälligkeit, die er Otto erwies. Aber er hat es nicht gethan. er hat ihn bewahrt, der schlaue Fuchs, er wußte was er that, wie er Dich später einmal ködern könnte, o. ich verstehe seine ganze gemeine Handlungsweise, Lug und Trug war rings um Dich herum, kein Wunder, Tu gingst in die Falle! Aber Rechenschaft will ich fordern. Deiner Mutter kann ich nichts arrthun, sie ist eine Frau, sic mag selbst mit ihrem Gewissen fertig werden, aber Deinem Gatten will ich gegcnübertreten, will ihm seine ehrlose Schuftigkeit in's Gesicht schlendern, will ihn brandmarken vor allen Leuten —" „Aber mein Kind, was soll aus ihm werden?" „Ja, Du hast recht, Agnes, fast hätte ich es vergessen! Erst das Kind, dann die Vergeltung!" Und sich zusammenrafseud sagte er in festem, entschlossenem Tone: „Ja. das Kind braucht unsere nächste Ausmcrkiaiukcit, alles Andere müssen wir verschieben, bis die Krankheit vorbei, ich hoffe zu Gott, cs wird mir gelingen, sein Leben zu erhalten. Daun aber, wenn es wieder gesund ist, wenn ich aufgehört habe Arzt zu sei», dann will ich De», der sich Tein Gatte nennt, zur Rechenschaft ziehen, will vor ihm hintrctcn und ihm sagen, daß ich ihn durchschaut, daß er ein ehrloser Schurke ist, gleichviel, mag daraus werden, was will!" „Richard! Denke an mich!" Agnes rief es aus. Angst erfüllte sic, sie könne den Freund wieder ver lieren. „Gerade, weil ich an Dich denke, werde ich es thun," anwortetc Richard bestimmt. „Glaubst Du, nachdem ich Dein Geständniß gehört, ich könnte ruhig sortlcbeu wie ein hausbackener Philister und mich einfach in mein Schicksal fügen? Glaubst Du, ich könnte jemals auch nur einen Tag verbringen, ohne daran zu denken, daß ein Anderer an der Stelle haust, die niir gebührt, daß ein Anderer sein Eigen nennt, was vor Gott mein ist. Nein, kein Gesetz kau» mir Gcnngthnniig verschaffen, aber im offenen Kampfe will ich mir mein Recht hole», mein Leben setze ich dafür ein und Niemand soll mich hindern, eben weil ich an Dich denke. Agnes, eben darum giebt es keinen anderen Ausweg: Er oder ich. Aber — und ein tiefer Athcmzng ent rang sich seiner Brust — bis dahin kein Wort niehr davon, nur das Kind sei unsere Sorge!" Und als nach wenigen Minuten Richard das Zimmer verlassen, da lag Agnes drinnen ans ihren Knien, die Hände hielt sie gefaltet über dem stürmisch pochenden Herzen, ihr Gesicht war wie verklärt nach oben gewandt, ihre Augen glänzten in freudiger Erregung nnd über ihre Lippen kam cs innig und lene: „Herr Gott im Himmel droben, nimm meinen heißen Dank, ich habe ihn wieder, er hat mir vergeben!" Und Richard ging heim in das stille Pfarrhaus wie ein Träumender, es war ihm unmöglich, letzt dem Vater unter die Augen zu treten, er eilte hinauf in sein altes Stübchen und öffnete das Fenster. Er kümmerte sich nicht, um die hcreinströmcnde scharfe Nachtlust, wie einst schaute er beglück hinüber nach dein Gut, das zwischen den Bäumen des ParkeS hindurch- ichimmerte, hinüber nach der Stelle, die sein Liebstes barg, alle die Jahre, die er draußen in der Fremde ruhelos umhergczogen, waren umsonst gewesen, die Kruste, die sei» Herz eisig umklammert, war geschmolzen von dem Somien- almize wieder erwachter Liebe, war auch die Gegenwart verwirrt, war auch die Zukunft dunkel und ungewiß. Eines war er sicher und jubelnd klang es zu den Sternen empor: Trotz Allem, was geschehen, war sie doch stets mcütz mein soll sie auch noch werden, meine liebe, liebe Agnes!" 20. Kapitel. Als Richard am nächsten Morgen zeitig das Pfarrhaus verließ, fand er die Thüre, die zum herrschaftlichen Park führte, offen. Agnes hatte Sorge getragen, daß ihm der weite Umweg durch's Torf erspart bliebe. Es war ihm lelliam zu Muthe, als er den wohlbekannten Pfad dahinschritt; wie ost war er als Knabe mit frisch gepflückten Blumen in der Hand hier vorbei- ge'priingen, um seiner kleinen Spielgefährtin einen Morgcngruß zu bringen, wie oft hatte ec sie vom Pfarrhof heimgeleitet in's elterliche Haus, warum hatte diese süße Kinderzeit ie anfhören müssen? Jetzt saß sie allein, ohne Freund, ohne Beschützer an dem Bette ihres einzigen Kindes, an der Seite eines ungeliebten Gatten wanderte sie durch's Leben und „Glück" kannte sie nur noch in der Errinnernng an ihre sorglosen Mädchenjahre. Doch nein, seit gestern war das anders geworden: sie hatten sich wicdergcfunden und er wollte ihr den Gatten ersetzen, ein Freund, ein uneigennütziger, wahrer Freund, das wollte er in Zukunft sein. Er hatte sich während einer schlaflosen Nacht Alles überlegt und sein Entschluß, alle weitere Erörterung bis nach dem Ausgang von Ernst's Krankheit aufzujchieben, hatte sich nur befestigt ; er wolle für die nächste Zeit der Arzt bleiben, und wenn schon er Mensch genug war, nm zu wissen, daß er Agnes unendlich glücklich gemacht, seit sie gewiß war. daß er ihr vergeben, daß sie den alten Jugendfreund wiedergewonne». so hoffte er doch, mich sie werde un Stande sein, sich zu zwingen, in derselben förmlichen Weise wie bisher mit ihm zu verkehren. Dennoch stopfte ihm daS Herz heftig, als er die Treppe hinmifftieg, die zu Agnes Stube führte. Aber als er die Thür öffnete, nbcrkam es ihn beinahe wie Erleichterung: er hatte bei seinem Eintritt in's Krankenzimmer die von ihm telegraphisch herbeigernfene Wärterin bemerkt. Die Schwester war bereits mit dem Frühzug eingetroffen, und ihre Gegenwart verbot von selbst jede weitere Aussprache zwischen AgneS und ibm. Wohl bcinerkte er das Aufleuchten in ihren Augen, wohl fühlte er den warmen Druck der Hand, mit dem sie ihn begrüßte, aber er wandte sich ohne Weiteres dem Bett und seinem kleinen Patienten zu, dessen Hals er einer neuen sorgfältigen Untersuchung unterwarf. Er war erfrent, einen Stillstand der Beläge konftatiren zu können, auch war das Allgemeinbefinden ein besseres geworden, und in freundlichen Worten beglückwünschte er Agnes um ihre bis herigen Erfolge in der Krankenpflege. „Wir wollen hoffen, daß die Wendung zur Bessemng von Dauer sei» wird, gnädige Frau. Freilich bedarf es noch immer unserer Sorgfalt und Aufmerksamkeit, die wir nur auf das Kind konzentriren dürfen." Agnes verstand die mit Nachdruck betonte Hindcutung wohl, und zu ihm anfblickend erwiderte sie: „Die Schwester hat mir versprochen, mir nach Kräfte» beiznstchen. nnd wenn wir auch nur zwei schwache Frauen sind, ichjhoffe zuversichtlich, mit Gottes Hilfe and Ihrer Führung Wirdes uiB schon gelingen, mein Kind zu retten. Aber um Eines bitte ich Sie um Aufklärung: Herr v. Buchow sprach gestern davon, meine Mutter nach hier komnien zu lassen; glauben Sie, daß das nöthig ist, denke» Sie nicht, wir Zwei genügen? Ich möchte lieber allein bleiben." Richard schwieg einen Augenblick, er verstand, wanim sie die Mutter jetzt nicht hier haben wollte. Mit der schweren Anklage im Herze» wurde es ihr wohl fast uncrtragbar, sie, die Mutter, im eigenen Hause an ihrer Seite zu sehen. „Sie haben Recht, gnädige Frau," erwiderte er; „so weit ich Ihre Iran Mrtter kenne, ist es unter den jetzigen Umständen vielleicht sogar bester, wenn sic nicht nach hier kommt." Und sich zur Schwester wendend, fuhr er in erklärendem Tone fort: „Frau v. Tillmaim ist eine hochgradig nervöse Dame, die an Begucmlichkeit nnd Comfort gewöhnt ist und auch rch glaube. Sie Beide werden allein besser mit der Pflege des Kindes zurecht kommen. alS wenn noch eine dritte Person da ist, die vielleicht schließlich selbst noch mehr Bedienung und Beachtung verlangt, als sie im Stande ist. zu geben!" „Ich stimme Ihnen bei, Herr Doktor." sagte die Schwester freundlich. „Die gnädige Frun und ich werden schon allein mit dem kleinen Patienten fertig werden." Richard nickte ihr znstimmend zu und begann sofort, sie in Allem, was für den Knaben nothwendig, zu unterweisen. Verständnißinnig horte die Schwester zu, hier und da eine Frage eiiislechtend. sie zeigte sich völlig vertrant mit Allem, was zur Krankenpflege unentbehrlich, und als sich Richard wieder zum Ansbruch rüstete, da war er gewiß, daß er in ihr eine außerordentliche Helferin gefunden hatte, und er seinen Schützling in erfahrenen Händen zurückließ. Dennoch folgte er auch diesmal dec alten, bewährten Regel, die Angehörigen nicht zu frühzeitig in eine falsche Sicherheit zu wiegen; sich verabschiedend, sagte er zu Agnes: „Gnädige Frau, wenn auch der Fall deute günstiger auS- sieht, als gestern, bitte, seien Sie doch nicht zu sicher. Eine Wendung zum Schlimmeren ist noch immer leicht möglich!" Und Richard's Worte erfüllten sich rascher als er gedacht. Die Besseruim, die er konstatiren zu können geglaubt, hielt wohl ein paar Tage an, die Scharlachröthe ließ langsam nach, das Fieber wurde weniger, das Allgemeinbefinden sichtlich bester. Um s» überraschender war cs, als sich plötzlich eines Nachts ein cronpartigcr bellender Husten einstcllte, der sofort der erfahrenen Schwester lehrte, was geschehen: der Kehlkopf war von der Diphtheritis in Mitleidenschaft gezogen. Erstickung?» gcfahr lag vor. Es galt, ohe Verzug zu handeln, und sofort wurde Friedrich m's Pfarrhaus geschickt, um Richard zu holen. lFottftluiig Tonntog.z