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Ausländische Erzähler. Drei Bücher anerkannter ausländischer Erzähler, — Loch «in matte» Resultat. Im Grunde nicht», wovon mandenEtndruck hätte: da» müßte tn» Deutsche übersetzt werde», damit e» nur ja nicht verloren ginge. Am ehesten noch von etnem schmalen Büchlein von Paul GSraldy: Helene" — deutsch von Raoul Auernheimer —, im Verlag Zsolnay sWien-Berlin). Ein» ist sicher: dieser Verlag fordert immer wieder, immer mehr unsere Anteilnahme — auch wenn in ihm nicht alle» Gold ist. wa» glänzt. Und Göraldy. der tn Frankreich berühmt« und auch bei un» schon mehrfach erfolg reich gespielte Theaterschriftsteller, fordert diese Anteilnahme für sein erstes Prosabuch: den kleinen Roman .Helene". Da» ist eine sehr zarte, sehr seelisch erfaßte, mit äußerst subtilen Mitteln erzählte Geschichte von etnem jungen Manne, der un mittelbar vor seiner Verlobung mit der erkorenen Lebens- gefährttn noch die Liebe zu einer reifen Frau von besonderer Art erlebt. Dt« Vorgeschichte der Verlobung und das Nach spiel der Rückkehr zur Verlobten bilden den flüchtigen Rahmen zu dem eigentlichen, inneren Roman der Liebe des Helden zur Frau Helene. Nur ein paar Dutzend Seiten — aber diese sind mit einer wehmütig »arten Seelenmusik erfüllt, sie geben Aufschluß über innerste Bekenntnisse »weier Menschen, die unselig-selig für kurze Zeit miteinander verbunden sind. In diesen Kapiteln liegt der Wert -es Buches, das von einem feinen Psychologen der Frauenseele geschrieben ist und dem es ganz offenbar auch nur um die Entdeckung und pastellzarte Darstellung dieser intimsten Seeleubeziehungen zu tun war. Wer einen „Roman" will, lasse GsraldyS Buch getrost beiseite. Wer fähig ist, eine wohlgeformte, wenn auch im Sujet gar nicht neue Seelenstndie mit zu erleben, der greif« zu dem schmalen, feinen Geschtchtchen von Gsraldy. Einen richtigen „Roman" aber gibt uns wiederum Elan de Anet in seiner .Lydia Sergijewna" iBer- lag C. Weller L Co.. Leipzigs, übersetzt von Georg Schwarz. Dieser Schriftsteller, der. von Geburt Schweizer. Jean Schöpfer heißt und seine Bücher in französischer Sprache ver öffentlicht. hat Jahre hindurch in Rußland gelebt und dort auch die bolschewistische Revolution tn allen Stadien miterlebt. Seine Hauptwerke spielen in Rußland, und eines davon, der „Roman eines russischen Mädchens": „Ariane", hat sich tn den letzten »wei Jahren auch den deutschen Büchermarkt schnell er obert. Mit Anet ging es mir — und sicherlich nicht allein mir — so: zunächst glaubt« ich bei der Lektüre seiner Bücher, -aß nur etn Russe sie geschrieben haben könne — und fühlte dann doch immer mehr: daß nur ein Franzose Rußland so dar stellen, so — ich möchte sagen: in Pleinatr, beschreiben kann. Er schildert alles Gegenständliche, er schreibt sehr lebendige Berichte über die Anfänge und furchtbaren Fortschritte des russischen Bolschewismus — er erketrnt das alles, er erklärt auch alles recht plausibel, er läßt russische Typen sehr leiden schaftlich» sehr kenntnisreich über russische Zustände und Men schen sprechen,- aber es bleibt doch schließlich Bericht, Feuille ton, Photographie. ES ist durchaus kein russischer Roman, sondern ein französtscher aus Rußland. — Aus der Welt des Terrors erhebt sich diese Lydia, eine etwas höher geartete Schwester jener Ariane. Dt« mutige, jung« Tochter eines schnell gealterten Fürste«, an dem sie mit der Inbrunst des Beters vor seinem Heiligen hängt. Das russische Mädchen, das unter allen, auch unter den traurigsten Nmstäüden, in der Heimat bleibt, die Fürstentochter, die den Bolschewismus nicht! mitmacht, aber: begreift und im Lande auf ihrem Posten sein will. Die durch die Kraft ihrer jungen Liebe einen berühm ten, hochgeachteten Finanzmann, der erst seine Familie in Finnland in Sicherheit bringt und dann selbst ins Ausland gehen will, zwingt, in Rußland zu bleiben, bis er bei einem Fluchtversuch verhaftet und ins Gefängnis geworfen wird. Und die dann erst recht alle Qualen der erbärmlichen Zer störung threr Heimat erleidet zu dem Ziele, ihren Geliebt«» wieder aus den Klauen der Tscheka zu befreien. Was an diesem Buche gut ist, das heißt innerlich begründet und darum un mittelbar ergreifend, bas ist der Roman dieses Mannes, des Bankdirektors Nikolaus Savtnsky, dessen schmerzenreiche, seelische Wandlungen tn vielem, echt russischem Schwanken! zwischen seinen Gefühlen und Verstandsüberlegungen, zwischen Halt und Verlorenheit uns menschlich berühren. Diese Ge stalt ist nlcht'etn Typ. sondern ein Charakter, der zur Stellung nahme zwingt. Aber alles um ihn herum — die Heldin nicht ausgenommen —, bleibt tm Typischen stecken,- ja, es geht so weit, daß der Romau der Gestalt, von der das Buch den Titel hat. schließlich nicht mehr als ein durchschnittlicher Roman von jugendlicher Extravaganz ist. So daß häufig genug die Frage übrig bleibt: Warum handelt diese Lydia so und nicht anders? — Wer einen halbwegs unterhaltsamen Roman aus der russischen Revolution erwartet, kommt in diesem Buche auf seine Kosten. Einen russischen Roman aber — eine tiefbegründete, geistig gehaltvolle dichterische Dar- slcllung des vielgesichtigen russischen Wesens — findet man e-bcn doch nur bei den Russen selbst. Bon irgendwo tönt etn Ruf für den Engländer Maurice Naring: der Verlag Zfolnay hat seinen Roman ,^D t e Verzauberte" in einer übrigens recht hölzernen detrt- scheu Uebcrtragiing von Richard Hoffman» herausgebracht: Hermann Bahr schreibt Worte der Begeisterung über feinen englischen Kollegen . . . Freilich: Hermann Bahr ist schon fiir so manches begeistert gewesen — dem Eingeweihten ent lockt die Bahr-Binde, die der Verlag um das Buch geschlungen hat. nur etn verständnisinniges Lächeln. Und nun: diese „Verzauberte" ist zunächst eine amart .yonnpc ongliab iaci^, die von ihrer Tante in etn sranzösischcS Bad mitgenommen wird, — nun, zu welchem Zweck nehmen Tanten ihre Nichten tn Weltbäder mit? Aber abgesehen davon: diese junge Eng^ ländertn krankt an der Zwiespältigkeit, daß sie nicht weiß, ob sic heiraten soll oder nicht, ob sie verliebt ist oder nicht, und so fort: ob — ob nicht. Und dt« dann endlich doch den Mann der ersten Wahl heiratet. Ferner spielt noch etn Märchey eine Rolle, vermöge dessen die Jungfrau eben so verzaubert ist. daß sie nicht weiß, ob — ob nicht. Aber das braucht man ihr nicht zu glauben — eS ist ja ein Märchen, das der Autor ersonnen hat, um diese höchst erklügelte „Verzauberte" hernuS- zubekommen. Sein Geschöpf ist ein HomnncnluS, und dt« Umstände, unter denen es heranwächst, interessieren un absolut gar nicht, obgleich eS zar Anfang so scheint, als ob . . . Und dies letztere liegt an dem im Grunde ganz amüsanten Aufbau. Der Autor läßt nämlich tn der Gesellschaft, di« in dem französischen Bade »usammentrifft. einen Schriftsteller den Roman der sogenannten „Verzauberten" beobachten. Der Schriftsteller schreibt dann den Roman, so daß wir ihn ein »weites Mal. wenn auch mit etlichen anderen Auffassungen, lesen. Zum Ucbcrfluß aber bekommen wir den Roman ein drittes Mal vorgesetzt, indem in einem dritten Teil Dispute über da» Werk de» Schriftstellers entstehen. Tine tm ganzen recht langweilige Angelegenheit, von der nicht die Notwendig keit einer Uebersetzung In» Deutsche einzusehcn ist. Aber e» ist noch etn bisher geflissentlich verschwiegener Effekt dabei: das Buch trägt den Untertitel „Die Aufzeichnungen Anthony KayS". Und darüber gibt ein unheimlich geistreicher Wasch zettel deS Verlags diese Auskunft: „Es ist kein Zufall, daß der Dichter einen Blinden seine Aufzeichnungen machen läßt und damit dir Blindheit der mit dem physischen Sehen Begabten symbolisiert . - «Ar, offen gestanden, zu geistreich und »«gleich j« »a»v ist. Han» Tetzmer. Karl Federn: Kundert Novellen. Erster Stand. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin-Leipzig. 1V2S. Der tm Jahre 18«8 zu Wien geborene Dichter Karl Federn sammelt jetzt seine Novellen tn drei Bänden: er gab vor zwei Jahren Heinrich von Kleists Werk« mit einer bemerkenswerten Lebensbeschreibung -es unglücklichen Genies heraus, und man erkennt deutlich, wie stark der Verfasser der Marquis« von O. und -es Michael Kohlhaas auf ihn ein- gewirkt hat: die ganze Technik -cs DarstcllenS und manche stilistische Einzelheit und Eigentümlichkeit erinnern an Kleist,- ihm ähnelt Febern auch darin, daß er den Stimmungsretz ohne grobe Mittel, dafür aber um so viel eindringlicher her- vorrnft, es ist oft gerade so, als ob er absichtlich di« er zählende Kraft gegen den Schluß Ser Novell« hin dämpft, um dann tzaS Ueberraschende, das ja den eigentlichen Charakter dieser Dichtungsart ausmacht, desto stärker, indessen immer sehr knapp, hervortreten zu lassen. So bereiten die fein hin- gesetzten Geschichten dem Kunstkenner einen großen Genuß, ivenn man auch dt« bisweilen austauchende, immerhin ver altete Art, die Erzählung als ein« durch geivissc Umstände an geregte Erinnerung zu bieten, gern vermißte. Die be handelten Stoffe sind mannigfaltig,- Orient und Okzident» Vergangenheit und Gegenwart gehen In buntem Wechsel an uns vorüber: zumeist enden die Novellen tragisch oder doch ernst, und auch der Mystizismus spielt tn ihnen seine Rolle, — geheimnisvolle Kräfte sind am Werke, um die Menschen ihrem bestimmte» Schicksal entgegen zu treiben: es gibt keine Errettung auS der ilmen einmal zugedachten Not. Abenteuer lich sind die Begebnisse, durch di« sich die Helden und Heldinnen Hindurchringen müssen: Federns Phantasie kennt keine Schranken, und mit der Gewandiheit, die alles schildern kann, was sie schildern will, macht er uns als bedeutender Seelenkcnner die Vorgänge glaubhaft und natürlich. Zärtlich keit und Leidenschaft sind es oft. die seine Menschen ins Ver derben reißen: Frauen mit wilden, nur mühsam verhehlten Instinkten der Sünde büßen für süßen Frevel, Männer stehen ratlos vor der unergründlichen weiblichen Seele und wissen nicht, was di« Geschöpf«, denen sic ihre Liebe weihen, wirk lich empfinden: ob Treue oder Untreue in ihnen wohnt. Selten — wie in den „Sommernächten" — macht sich ein zurückhaltcnder Humor geltend, und er tut uns wohl bei so viel traurige» Erlebnissen. Ein beträchtlicher Stimmungs wert ist in den dreißig hier zu einem Rande vereinigten, klug geordneten Novellen vorhanden: jede steht für sich da und kann doch als Glied eines Ganzen betrachtet werden. So dürfen wir den ersten Teil dieses neuzeitlichen Dekamerons mit Freuden begrüßen. Professor Otomar Enking. Klempners neue französische Lileralur- qeschichle. Prof. Dr. Victor Klemperer, der hochgeschätzte Dozent für romanische Philologie an der Dresdner Tech nischen Hochschule, hat seinen Monumentalbau einer das Ge- samtgebiet umfassenden ,-Geschichte der französischen Literatur" sozusagey mit dem Dache begonnen, indem er den das neu zeitliche Schrifttum behandelnden S. Band zuerst geschrieben und verösseufticht yat ibei B. G. Teubner, Leipzig). Die Bände 1 bi» 4 Mittelalter, Renaissance, Die klassische Höhe, Zeitalter de» Rokoko, der Aufklärung und Revolution) sollen später folgen. Von dem 6. Bande, dessen erster Teil schon früher von uns gewürdigt worben ist jLtt. Umschau vom 1V. März d. I.), ist soeben der zweite Teil erschienen s247 Seiten). Er behandelt das französische Schrifttum der zweiten Hälfte des 1». Jahrhunderts, dessen charakteristische Hauptzüge von Klemperer nach dem Vorbilde Auguste Comics in dem Schlagmort« „Positivismus" zusammcngefaßt werden. Was wir bereits dem zuvor erschienenen „Roman tik-Bande nachrühmen konnten, daß nämlich Klemperer keineswegs nur eine nüchterne Zusammenstellung von epoche machenden Literaturwerken und von Urteilen über diese und ihre Schöpfer gibt, sondern vielmehr aus den verschiedensten Regungen des Schrifttums heraus den Zeitgeist in seinen Tiefen zu erfassen, seine Urgründe zu erforschen und seine Auswirkungen tatsächlich wie kritisch zu beleuchten sucht, gilt auch wieder von dem neu vorliegenden Teilbande. Dabei ist Klemperer etn geistiger Führer, dem man sich dank seiner erstaunlichen Belesenheit und Urteilsschärsc getrost anver- trauen kann, und dem zu folgen bet der Klarheit und fesseln den Anmut seiner Darstellungsweise ein Vergnügen bedeutet. Der neue Band von KlempererS gigantischem Werk be ginnt mit der ausführlichen Darlegung des Schrifttums und der Ideen von -Hippolyte Tatne und Ernest Renan, die als die Trägergestalten d«S Posittvismus und damit deS ganzen in diesem Band« behandelten Zeitabschnittes und Zeitgeistes htngestellt werden. Beide von Hegelschen Ideen beeinflußt, haben sie doch, wie Klemperer nachweist, die fremden Gedankengänge etgenpersönlich tn französischem Sinne verarbeitet: „in ihren Werken findet sich tatsächlich alles zusammen, was entscheidend auf die französische Lite ratur und die gesamte Geistigkeit dieser Epoche eingcwirkt hat". Nach zwei verschiedenen Richtungen hin haben die beiden Führer diese Epoche des PofitiviSmuS, der literarischen Ausmllnzung der „scienev" sd. h. tm französischen Sinne der exakten Natur wissenschaften), der „Diesseitsreligion" beeinflußt: Hippolyte Taine >oar der Apostel des stoischen Sichbescheidcns, Ernest Renan dagegen der Prediger der heiteren Skepsis. Im Lichte solch geistiger Bestrahlung läßt nun Klemperer die Haupt- crschcinungen der französischen Prosa lFlaubert, die beiden Goncourt, Zola, Maupassant. A. France, O. Feuillet u. a.), sodann bas französische Theater lPonsard, Augier, den jüngeren Dumas, Sardou, Pailleron, Labiche, Meilhac, Halövy, Offenbach), zuletzt die französische Lnrik sbe Lisle, Banville, S. Prudhomme, den „Parnaß" usw.1, kurz, das ge samte Schrifttum der zweiten Hälfte deS letzten Jahrhunderts Revue passieren, allenthalben eine üLerlegene Beherrschung des Stoffes und eine bei Wissenschaftlern nicht immer anzu- trcffende Gabe für elegante, fließende Darstellung erweisend. Die Bildnisse TatneS und Renans, in Kupfertiefdruck vor züglich auSgeführt, schmücken den vorliegenden Teilband. Man darf auf den demnächst erscheinenden dritten Teil deS 6. Bandes, der den Leser „vom Posttivismu» bi» zur Gegenwart" führen will, gespannt sein. Professor Felix Retchardt. Rolf von Labanu-os „Choreographie". Wenn Rudolf von Laban zur Feder greift, ist er immer wieder tn erster Linie der große Künstler und Könner„ der beste Kenner alles dessen, was überhaupt zur e l t deS Tänzers" gehört. Schon dem großen Werke dieses Namens, darin er vor vier Jahren alles Grundlegende und Grund- sätzliche über seine Kunst der Oeffcntlichkcit unterbreitete, konnte man. wenn das einen Sinn gehabt hätte, den Borwurf machen. eS sei keine streng logisch und systematisch ausgebante Lehre vom Tan». Statt dessen ist eS ein Bekenntnisbuch ge worden. von einer Tiefe »md Weite des Blickes, einer Kühn- be" und Neuheit der Konstruktion, daß es erschrecken, zum ....... - Mtderstzruch reiche« «nd doch hinreißen ««d ßtzercheuge« «aßt«.««- »» kvmittt der Oberleutnant heretn, dann sagen wtr Nunmehr übergibt Laban das erste Heft der in seinem großen Buche verheißenen ,-Schr ift des Tänzers" dem Urteil seiner Fachgenossen und der Oessentltchkeit, und sein Verfahren ist in gewissem Sinne das gleiche wie zuvor. Nichts ist in dieser Beziehung bezeichnender als der Satz auf Seite 5: ,Hn diesem Buche ist vor allem der sofortigen körperlichen Ein stellung Rechnung getragen. Ein detaillierter Ausbau der Forschung ist Sache der Zukunft." Ein Buch der Praxis für die Praxis will der Verfasser also geben Aber selbst dabei spielt sich der geniale Praktiker nicht auf als Diktator und Doktrinär. Sr stellt, was er als historisch und physiologisch begründet und nützlich erkannt, gewissermaßen zur Debatte und spricht offen aus, daß manches einer »uibünftigcn Kon vention überlassen bleiben miisse und ein einzelner nur den Weg dazu ebnen könne. Solche Bescheidenheit und Selbst losigkeit ist jederzeit das Kennzeichen wahrer Tüchtigkeit und ist es im vorliegenden Falle um so mehr, als man unumwun den cingestehen muß, daß Labans Vorschläge für eine Schrift zum Auszeichncn von Tanzbcwegungen ebenso geistreich als klar, bequem und praktisch ist. Auf dem Wege zu seinem Ziele läßt er, wie oben schon angedeutet, alles beiseite, was ihn auf halten könnte. Es erscheint ihm zwar notwendig, in erster Linie das Wesen der Formmandlungen, die wieder das Wesen des Tanzes sind, theoretisch zu erforschen, ehe man daran denken kann, Zeichen dafür zu ersinnen. Das sind ihm aber der Allgemeinheit — und wir fügen hinzu: vielen seiner Fach- gcnossen — so unbekannte Dinge, daß er zur Festlegung der Elemente der Bewegungen kurzerhand „eine Art starre Raumlehre" setzt, wie auch das alte Ballett mit einer .Hal tungslohre" beginnt. Nur kurz werden die „Elemente der Formenlehre" aufgezählt: der Unterschieb zwischen statischer und dynamischer Formenlehre, die körperliche und räumliche Nichtungseinstcllung, das Formbild, das der Körper im Raum beschreibt, Labilität, Dpannung, Geschwindigkeit >u,nd Weite des Forminhalts, die zwei- bis zwölfstrebige Gruppierung der Formteile. Dann vollzieht Laban — ein neuer, fast er staunlicher Beweis seiner Sachlichkeit und Unvoreingcnom- menheit — die „Analyse der Bewegung" an der Hand der überlieferten Vallettgrundlagen: Position, Opposition, Lort> äoa-liras-Skalen, Fußskalen, die alle im Grunde schon Namn- richtungen sind, nur für die einzelnen'Körperteile getrennt. Im neuen Tanz schließen sie sich zu Naumskalen für den ganzen, mehr natürlich bewegten Körper zusammen >u,nd er fahren eine ungeahnte Bereicherung und Vertiefung. Nun entwickelt Laban die Raumordnung der neuen Choreographie in ihrer ganzen Fülle und inneren <tze- setzmäßigkeit. Aus dem Achsenkreuz des dreidimensionalen menschlichen Körpers ergeben sich mit den durch den Körper mittelpunkt gelegten Hauptdiagonalen vierundzwanzig Haupt-- richt-ungcn, deren Endpunkte, miteinander verbunden, einen Zwanzigflächner ergeben. Den Ikosaeder als Bewegungs raum, aus Stäben und Hvlzkugeln hergestellt, in den der nackte Menschenleib in verschiedenen Neigungen hineingestcllt ist. sieht man in zahlreichen photographischen Aufnahmen. (Daß der weibliche Körper völlig unbekleidet dargestellt ist, hätte im Hinblick auf die Angriffe auf Labans Bildermatcrial ohne Schädigung der Deutlichkeit vermieden werden können.) Alle in diesen Hauptrichtmrgen möglichen Neigungen, Schwungskalen, Ringe und Voluten werden sodann, stets im Hinblick ans die Möglichkeit der Aufzeichnung, ausgezählt und am Schlüsse kurz mit Feuillets Choreographie von 1701 ver glichen. Eine Tanzayfzeichnung des Menuetts veranschaulicht die alte Ballrttschrift» Zum Schlüsse wird die Aufzeichnung der Wege, Schritte, Sprünge, der Drehungen und Sonder bewegungen der Gliederenden erörtert, Haupt» und Nebenströ- mungen werden unterschieden, plastische Richiungsgruppen aus gestellt, sowie Vortragsbvzeichnungcn und Bewegungsbegriffe besprochen. Der Anhang bringt eine Schriftanleitung, die aber zur vollen Erlernung der neuen Tanzschrift nicht ausrcicht. Laban wird also als zweites Heft seiner Choreographie eine Art Fibel für die Abc-Schützen seiner Kunst folgen lassen müssen. Zahlreiche Abbildungen im Text und Schriftproben erleichtern das Berstänbnts des Buches, das trotzdem ein ein gehendes Studium erfordert. Auffallend ist das fehlerhafte Deutsch einiger Stellen. Es verrät, daß Rudolf von Laban nicht Deutscher von Geburt ist. So Seite 8: »Melche Formen werden von welchen Gliedern bevorzugt?" Seite 7 der erste Satz. Seite 12: ,Ks ist also, wie wenn die Arme die Beine verfolgen würden." Seite 18 ,/bcdarf" mit dem Akkusativ. Seite 8« der unverständliche zweite Satz. Dem Verlag von Eugen Diedertchs (Jena) der im übrigen das über hundert Seiten starke Heft so vornehm und gediegen auSgcstattet hat, durften diese Schönheitsfehler eigentlich nicht entgehen. Viel leicht dacht« man aber, un- nicht ganz ohne Berechtigung: Das Tanzdeutsch von heute ist halt eine Sprache für sich. Prof. Locher. An- -ann lachen wir! Selbsterlebtes, Erlauschtes und Mitgeteiltes aus den heiteren Tagen der alten Armee bringt das Buch: „Und dannlachenwir l" von H. von Plate n. Es ist soeben im Verlag Graf Wilhelm v. Schlieffen, Berlin, erschienen in gefälliger Ausstattung, tn klarem Druck und mtt vielen köst lichen Bildern. Das Büchlein will dem urwüchsigen Humor der alten Armee, wie er das Kennzeichen jeder kerngesunden Einrichtung ist, ein Denkmal setzen. Solbatenhumor ist es tn der eigenartigen Soldatcnsprache. Wie der Seemann, der Weidmann, der Student eine besondere Standessprache hat, so hat auch der eigentümliche soldatische Geist eine besondere Soldatensprache geschaffen. In ihr spiegeln sich die charakte- ristischen Seiten unseres Volkslebens wider. Denn tn den gesegneten Zeiten der allgemeinen Wehrpflicht bestand das deutsche Heer aus allen Kreisen des Volkes. Der soldatische Dienst ließ eine besondere Ausdruckswetsc entstehen. Der ge meine Soldat ist der eigentliche Schöpfer der Soldatensprache. Echt deutsch In ihr ist der goldene Humor, der harmlose, ge mütvolle, oft derbe Scherz, der aber nichts zu tun hat mit scharfem, beißendem Witz. Gewiß, rauh un- saftig ist ost der Soldatenhumor. Aber er ist kerngesund, ehrlich, nie gemein und gottlob noch nicht angekränkelt von der moderne» über feinerten Kultur. Außergewöhnliche Leistungen wurden vom Soldaten im Krieg und Frieden gefordert. Da ist es nicht seltsam, wenn sich das Außergewöhnliche, daS Kraftvolle auch in der Soldatensprache widersptegelt und wenn oft tn Sipicr- lativen gesprochen wird. Aber fürchten Sie nichts! Dieses prächtige Büchlein enthält keine „schweren Brocken". Manch Scherzwort ist in ihm bewahrt, von derber wie von feiner Art, aber immer tn richtigen Grenzen. Die Druckerschwärze brauchte nicht zu erröten. Das sei besonders dankbar ancr- kannt tn einer Zeit, in der unter der Marke „Witz und Humor" so viel Widerwärtiges und Gemeines erscheint. Liebe Erinnerungen an die eigene schöne Soldatenzcit steigen auf, wenn man das Büchlein -urchblättcrt. Vieles hat man wohl selbst erlebt. Mancher alte Witz erscheint wieder. Kein Dienstgrad wird verschont. Empfindlichkeit ist immer ein Zeichen eines beschränkten Geistes, und „wer sich nicht selbst zum Besten habe» kan», der ist gewiß nicht von den Besten". Manchmal freilich steigt eS etnem würgend tn die Kehle, daß diese schöne Soldatenzeit für immer vorbei ist. — „Wissen St«, auch tn den verrufenen kleinen Garnisonen kann eS ganz nett sein. Ja, da ist sogar der Deubel los, z. B. wenn wtr abends tm „Alten Waldesel" am Stammtisch sitzen,