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1619 Gerichtsverhandlung. Bautzen, 15. Juni. Die Recruten-Aushebungen mit dem wüsten und rohen Treiben der jungen miütairpflichtigen Mannschaften, welche meist bereits am frühen Morgen in angetrunkenem Zustande bei ihrem Einrücken im Gestellungsorte dessen Frieden stören, haben leider ost schon zu Ausschreitungen und Gesetzesübertretungen Anlaß gegeben, und so waren denn auch die beiden Angeklagten, gegen welche die heutige Haupiverhandlung des kgl. Bezirksgerichtes abgehalten wurde, die Schlossergesellen Joseph Schacher aus Tost in Schlesien und Verleumdung" bezeichnen solle. Ein Hauptgrund, der gegen die Leichenverbrennung spreche, seien die Bedenken, welche die Strafrechts Pflege gegen diese Leichenbeftattungsweise geltend mache und verliest der Minister ein längeres bez. Gutachten des Justizministeriums über diese Frage. Ein weiterer Grund sei die den Todten schuldige Pietät, sowie der Kostenpunkt, denn nur der Reiche könne sich etwa ein Colum barium in seinem Hause errichten. Ferner erinnert der Minister an die durch tausendjährige Gewohnheit geschaffenen christlich-frommen Sitten, welche auf der jetzigen Bestattungsweise basiren. Weiter be merkt der Minister, daß die jetzige Zeit, in welcher von gewisser Sette der Abfall von Gott, Glaube und Kirche gepredigt werde ganz dazu angethan sei, daß die Regierung die größte Vorsichr bet Behandlung von ähnlichen Fragen anwende, wie die gegenwärtig vorliegende eine sei, und verliest der Minister zum Beweise dafür welche Gesinnungen in einem Theil der Bevölkerung bereits herrschen, einen Artikel des „Dresd. VolkSb.", welcher mit socialistischem CyniSmus es als „gute Nachricht" registrirt, daß in Leipzig in jüng ster Zeit immer weniger Eheleute hren geschloffenen Lebensbund kirchlich einsegnen kaffen. Solchen Aeußerungen gegenüber sei die Regierung zur größten Vorsicht verpflichtet. (Lebhafte Zustimmung.) — Lehmann behält sich eventuelle Anträge vor und beginnt die Kammer hierauf die allgemeine Vorberathung über das kgl. Decret Nr. 80, den Ankauf der Chemnitz-Kommotauer Eisen bahn durch den Staat betr. Penzig spricht in längerer Rede gegen den Ankauf und ficht die Art und Weise an, wie die Obli gationen ausgestellt worden find (dieselben sind nicht vom Direktorium sondern vom Verwaltungsrath unterzeichnet), wodurch indirekt nich einmal die Zinsen, geschweige denn das Capital garantirt wäre; denn die Prioritäten seien keine Prioritäten, sondern Prioritätsactien. Er beantragt Ueberweisung an die Finanzdeputation. Die Kammer be schließt demgemäß, nachdem noch Fah nauer und Günther ge sprochen. — Es folgt Schlußberathung über den Bericht der Finanz- deputation über das kgl. Decret Nr. 68, die LandestmMobiliar brandversicherungsanstalt betr. — Richter (Tharandt) spricht in längerer Rede dafür, an unsern Baugewerkenschulen einen Unter richt über Feuerlöschwesen einzuführen. — Stauß befürwortet seinen Antrag auf Anstellung von Feuerwehrexercirmeistern; derselbe lautet wörtlich: „Die Kammer wolle beschließen, der kgl. Staatsregierung zur Erwägung anheimzugeben, ob es sich empfehlen dürfte, Feuerwehrexercirmeister — entweder für jede Kreishauptmannschaft einen, oder zum anfänglichen Versuch einen für die Kreishauptmannschaften Dresden und Bautzen, den zweiten für die Kreis hauptmannschaften Leipzig und Zwickau anzustellen, deren Aufgabe es sein würde, als Wanderlehrer in möglichst Vieten Orten des Landes Feuerwehren zu organi- stren, zu insiruiren und einzuexercircn, tüchtige Feuerwehr-Commandanten heran zubilden, ältere Feuerwehren zu controliren, auch Feuerlöschrequistten und Wasser entnahmestellen zu inspiciren." Der Reg.-Commissar constatirt, daß die Negierung in beiden, von Vorrednern «ngedeuteten Richtungen bereits vorbereitende Schritte eingeleitet habe. — Schiek und Fahnauer wünschen Ermäßigung der Beiträge zur Brandcaffe für nächstes Jahr. — Stauß zieht seinen Antrag in Folge der erwähnten vom Ministertisch ausgegangenen Erklärungen zurück. — Hierauf werden die Vorschläge der Deputation angenommen, womit der Gesammtetat in Höhe von 346,180 dar unter 3400 transitorisch, bewilligt wird. — Nunmehr erstattet Streit Namens der Gesetzgebungsdeputation Bericht über den von Bö nisch u.Gen. vovgelegtenGesetzentwurf, dasVerbot der Errichtung von Privatschlächtereien in Dresden betr. Nach längerer Debatte werden die 3 Paragraphen des Gesetzes in der von der Deputation vorgeschlagenen Fassung genehmigt. — Es folgt die Wahl der Mitglieder für das Plenum der Brandver sicherungscommission; dieselbe fällt auf die Abgg.v. Oehlschlägel, Grahl, Kirbach. Zu Stellvertretern werden gewählt Oehmichen, Werner und Großmann. — Nächste Sitzung Freitag. Rabept Richard Daniel aus Hart-su bei Chemnitz, die Opfer ihres trunkenen Uebermuthes geworden. Am 11. April dS. IS. fand im Schießhause zu Bischofswerda Recrutenstellung statt, zu welcher auch Schacher und Daniel, welche damals in der Berthold'schen Fabrik zu Niederneukirch in Arbeit standen, Beide schon früh angetrunken, sich eingefunden halten. Schacher wurde wegen mehrfachen Unfuges von den zur Aufrechterhaltung der Ordnung gegenwärtigen Gens- darmen Schmidt von Göda, Zimmer von Neukirch und Stephan vyn Bischofswerda wiederholt mit großer Geduld zur Ruhe verwiesen und endlich von Schmidt, den er förmlich selbst dazu herausford«ste,. .Be hufs seiner Abführung verhaftet. Der letzteren widersetzte er sich jedoch mit aller Gewalt, indem er sich mit den Füßen einstemmte, an Treppen geländer anklammerte und mit der Faust um sich schlug, so daß es endlich nur den vereinten Kräften der 3 GenSdarmen gelang, seinen Widerstand zu überwinden und ihn abzusühren. Alle Drei hatten hierbei körperliche Verletzungen, Schmidt eine Verstauchung deS rechten Zeigefingers, die Andern blutige Hautabschürfungen an den Händen davongetragen. Während Schacher so gegen seine Abführung sich sträubte, war auf seinen Ruf „helft, Kameraden" Daniel aus dem Saale auf die Treppe herbeigeeilt und hatte seinerseits den Gens- darmen Zimmer angepackt, um denselben von dem verhafteten Schacher wegzureißen und den Letzteren zu befreien, was ihm jedoch nicht ge lungen war. In Folge alles dessen wurde heute Schacher wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 113 des Strafgesetzbuches zu 9 Monaten Gesängniß, Daniel wegen versuchter Befreiung eines Gefangenen nach § 130 des Strafgesetzbuches zu 3 Monaten Gefäng- niß verurtheilt. Wegen der den GenSdarmen verursachten Körper verletzungen konnte Schachern gegenüber von einer Anwendung der schärferen, auf Zuchthaus lautenden Strafbestimmung in § 118 des Strafgesetzbuches um deswillen nicht die Rede sein, weil diese Gesetzes stelle lediglich auf die in § 117 erwähnten Fälle des Widerstande» gegen Forstbeamte sich bezieht. Beiden Angeklagten wurden 3 Monate der erlittenen Untersuchungshaft auf ihre Strafe angerechnet. Vor sitzender: Herr Gerichtsrath Helsig; Gerichtsschöffen: die Herren Kaufm. Bernhard Fischer, Tischlermstr. Hermann Wilhelm von hier, Gutsbesitzer Ernst Klahre von Strehla und Fleischermeister Hermann Zieschang von der Seidau; Vertreter der Staatsanwaltschaft-. Herr Assessor Di. Schwarze; Vertheidiger für Schacher: Herr Adv. Jacob. Vermischtes. — Dresden, 15. Juni. (Dr. N.) Der Hessel'sche Extrazug ist mit ca. 700 Personen gestern wohlbehalten in Hamburg eingetroffen. — Zn Altenburg findet vom 6. bis 10. August da- III. Mittel deutsche Bundesschießen statt. — Nach Mittheilungen au- Brüssel wird die dortige internationale Ausstellung für Gesundheitspflege und Rettung-wesen am Montag, den 26. Juli, feierlich eröffnet werden. — Der Gemeinderath vo» Meßkirch in Baden hat fich dahin geeinigt, dem Compontsten Conradin Kreutzer ein Denkmal in dessen Geburtsort Meßkirch zu errichten, und ist zu diesem Behuf« auch schon «in Beitrag aus Stadtmitteln zugesagt worden. — Berlin, 15. Juni. Die „Nat.-Ztg." berichtet: Al- Nachwehen der Wiener Weltausstellung sind eine Anzahl Processe der königlichen Landescommission gegen diejenigen Aussteller zu verzeichnen, welche fich weigern, die ganz exorbitanten Forderungen der Klägerin anzuerkennen. Von diesen Processen, deren Au-gang man in weiten Kreisen mit der größten Spannung entgegensieht, ist einer vor ein paar Tagen von dem Kreis gericht in Jüter bog entschieden worden. Verklagter in demselben ist der Fabrikant Jonas m Luckenwalde, welcher auf Grund des Aufrufs der LandeScommisfion Waaren im Werthe von ca. 90 auf der Wiener Weltausstellung ausgestellt hat. Zu diesem Zwecke war ihm ein 1„1 Meter großer überglaster Schrank eingeräumt worden, für dessen Benutzung die Klägerin den Ersatz von Zwei dritteln des Herstellungspreises nach Abzug der für die Rückgabe gewährten Entschädigung von 20 Procent in Höhe von noch 2 4 0 forderte. Ver klagter machte verschiedene Einwände, darunter auch den des außergewöhnlich johen Preises. Das Gericht erkannte, ohne eine Beweisaufnahme zu veran- assen, auf Abweisung de- klägerischen Fiscus. In den Erkenntniß- gründen werden die berechneten Preise als ganz willkürliche bezeichnet: demnächst wird der erwähnte Aufruf der Landes-Commission, auf welchen hin Verklagter eine Waare zur Ausstellung angemeldet hat, in seiner ganzen Form und Fassung für zu unbestimmt erachtet, als daß in der Anmeldung die AuS- eller eine so ausgedehnte Vollmacht, wie sie Klägerin beansprucht, hätten er-