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HS1S Kapellen hören konnte und namentlich die Zigeuner, deren Musik ihr besonders gefiel. Zuerst liebt man die Musik und schließlich die Musikanten. Frau de Naime ließ sich die Zigeuner vorstellen, die sie schon im Seebade Treport getroffen hatte. Einer von ihnen, JuleS Backi, erregte vor allem ihre Aufmerksamkeit, und es entstanden bald Beziehungen zwischen der Gräfin und den Zigeunern, besonders intime zwischen ihr und Backi. Dieser aber, ein durchtriebener Bursche, sprach, wenn die Gräfin ihn zu sich einlud, alsbald von seinen Angelegenheiten. Er erzählte, daß er in Oesterreich gern ein Grundstück kaufen möchte, das der Kaiserin Elisabeth gehört hätte und daS er für 100 000 Francs bekommen könnte, während er eS für 800000 Francs wieder verkaufen würde. Nur fehle ihm daS nöthige Geld. Frau de Raime hatte 100 000 Francs, doch diese betrachtete sie als ihre Mitgift, denn sie hatte in der That die Absicht, mit Jules ein Bündniß fürs Leben zu schließen. Er war zwar ver- heirathet, lag aber mit seiner Frau in einem EhescheidungSpro- zeffe, wie er sagte. Die 100 000 Francs ganz herzugeben, war Frau de Raime nicht zu bewegen. Doch gab sie 75 000 Francs her. Als Backi das Geld hatte und sah, daß aus der Comtefle nicht mehr herauszupreffen war, verschwand er, wie sich denken läßt, und die Geprellte machte beim Gericht Anzeige. Dieses verurtheilte Backi, der unauffindbar ist und es vorgezogen hatte, zur Verhandlung nicht zu erscheinen, xar Maat, wie der Kunstausdruck lautet, zu drei Jahren Ge- singniß und 100 Francs Geldbuße. Die 75 000 Francs wird Comtessa de Raime wohl niemals Wiedersehen. * Das geschäftskundige Millionärsöhnlein. Ein er- göhliches Geschichtchen kursirt gegenwärtig in dem fashionablen, amerikanischen Seebade Newport. Der 7jährige Sohn eines be kannten New-Aorker Millionärs hat unbewußt den Stoff dazu geliefert, und man lacht auf Kosten des Herrn Papas, der es sich stets angelegen sein läßt, die kaufmännischen Instinkte seines Sprößlings in jeder Weise zu unterstützen. An einem heißen Juli-Nachmittage war der kleine Harald, nachdem er seinen an sehnlichen Vorrath an Feuerwerksschwärmern, Fröschen u. s. w. verpufft und den Nachbarn das Leben zur Hölle gemacht hatte, in die Küchenregionen der väterlichen Villa hinabgestiegen. Der gutmüthige Koch braute ihm auf seine Bitten zwei große Eimer voll Eislimonade zurecht, und mit diesen postirte sich der kleine Burscht in die Nähe der Einfahrt, um das kühle Getränk an durstige Paffanten zu verkaufen. Sein langhaariger, englischer Foxterrier Jack wurde zum jüngeren Partner der neu etablirten Firma ernannt und saß zwischen den beiden Eimern, deren In halt er zu bewachen hatte. Man konnte nun gerade nicht be haupten, daß die kaufmännische Spekulation von besonderem Er folg gewesen wäre. Als dem jugendlichen Limonadenverkäufer schon die Zeit lang werden wollte, kehrte sein Vater von einer Spazierfahrt zurück und hielt die Pferde an, um daS knospende Unternehmen seines Erben persönlich zu protegiren. Er ließ sich ein Glas aus dem Eimer einschenken, au dem der Preis mit 5 Cents vermerkt war, und nachdem er getrunken und bezahlt hatte, fragte er, warum der Inhalt des anderen Gefäßes zehn Cents das Glas kostet. An dem Aussehen der beiden Limonaden war durchaus kein Unterschied wahrzunehmen. „Ja, siehst Du, Papa, das ist so!" entgegnete das Bürschlein mit altkluger Miene. »Diese Fünfcentslimonade ist genau so, wie die zu zehn Cents, aber Jack ist mir vorhin in den Eimer gefallen, und darum ver lause ich sie etwaS billiger, dann ist doch kein Betrug dabei." Mit sehr ernstem, ein wenig schmerzlich verzogenem Gesicht begab sich der Herr Papa nach dieser Erörterung in seine Privat- gemächer, um sich zum Diner umzukleiden. Er konnte aber nicht verhindern, daß dieser neue Beweis der kommerziellen Instinkte seines Söhnchens ihm einige recht unangenehme Tage bereitete * Einen schrecklichen Abschlutz fand Sonnabend Vor mittag in Berlin eine Jagd auf einen Pferdedieb. Unter dem Verdachte, ein Pferd gestohlen und dem Roßschlächter Denicke für 120 Marl zum Kauf angeboten zu haben, wurde der 33 Jahre alte Handelsmann Wilhelm Winkelmann, genannt Schmidt, fest genommen und auf die Wache des SO. Polizeireviers gebracht. Bon hier sollte Schmidt der Kriminalpolizei zugeführt werden; er fand aber eine Gelegenheit, durch ein Fenster der Wache auf den Hof hinabzuspringen, und entkam unter Zurücklassung seiner Stiefel. In mächtigen Sätzen eilte er die Demminer und Swine- münder Straße hinunter in die Lortzingstraße hinein. Hier floh er in das Haus Nr. 10, setzte über den Zaun des Hofes hinweg in den Hof des Nachbarhauses Nr. 9, eilte dort die Treppe des Seitenflügels hinauf und kletterte durch einen Taubenschlag aus das Dach. Seine Flucht war aber bald bemerkt worden, und als Schmidt eben das Dach erreicht hatte, standen die verfolgenden Schutzmänner auch schon unten, um ihn herunterzuholen. Während die Beamten sich anschickten, sich ebenfalls auf das Dach hinauf zubegeben, ließ sich der Verfolgte, der ihre Absicht sofort erkannte, an der Dachrinne herab, machte, sich mit den Händen an dieser sesthaltend, einige kräftige Schwingungen und flog dann mit einem letzten Ansätze durch ein offenes Fenster in die Küche einer im vierten Stock gelegenen Wohnung hinein. Bevor sich die Be wohner von ihrem Schreck erholt hatten, verlangten auch schon Schutzleute Einlaß in die Wohnung. Als Schmidt sie kommen hörte, da suchte er wiederum durch das Fenster zu entfliehen. Das Blumenbrett aber, auf das er trat, brach unter seiner Last zusammen und der Flüchtling stürzte vor den Augen seiner Ver- solger in die Tiefe hinab, wo er mit zerschmetterten Gliedmaßeu liegen blieb. Nachdem ein Arzt ihm einen Nothverband angelegt hatte, brachte mau den Schwerverletzten als Polizeigefangenen »ach der Charite. * Ein ergötzliches Reiseerlebnis aus der Provence wird von einer Engländerin in der laufenden Nummer des „Black wood Magazine" erzählt. Die Dame hatte vor ihrer Abreise von Rimes kurz vor Abgang deS Zuges ihre Fahrkarte verloren und dem Stationschef ihres Ausgangsortes, einem gutmüthigen Provenzalen, von ihrem Verluste Mittheilung gemacht. Es wurde ihr bedeutet, daß sie keine neue Fahrkarte lösen müsse. Ihr Signalement würde nur an alle Stationen gedrahtet werden, lieber ihr weiteres Schicksal erzählt sie: „Auf jeder Station, so klein sie auch sein mochte, ging ein Beamter mit kritischem Blick von Wagen zu Wagen mit der stereotypen Frage „Oü vst la äams sixnsles?" Ich bin eine außerordentlich schüchterne junge Dame und war durchaus nicht von der öffentlichen Auf merksamkeit, die man mir überall zuwandte, entzückt. Aber es war nichts anderes zu thun, als mich mit dem lieblichsten Aus drucke im Gesicht, über den ich verfüge, dem Beamten vorzustellen und seine Fragen, die ich bald auswendig wußte, zu beantworten. Bei Tage ging das noch, aber bei Nacht wurde die Sache zur Marter. Ich war sicher, jede Viertelstunde durch jemanden, der nach der „signalisirten Dame" fahndete, aus meinen Träumen aufgeschreckt zu werden. Und dann kamen die schrecklichen Fragen: Sie sind die signalisirte Dame ? Wie alt sind Sie ? Wie heißen Sie? Wo wohnen Sie? Wo kauften Sie Ihre Fahrkarte? Wer hat sie Ihnen bezahlt ? Wie viel mußten Sie dafür zahlen ? Wo haben Sie sie verloren? Wohin fahren Sie? Haben Sie einen Vater? Eine Mutter? Eine Schwester? Einen Bruder? Paris, 12. September. DrehfuS lehnte es ab, seine Be gnadigung zu erbitten. Sein Bruder Matthieu und Madame Eigene Drahtberichte. tAach Schluß der Redattio» eingegang««.) Dresden, IS. September. Der König hat infolge dek schlechten Wetters Annaberg bereits heute Vormittag S Uhr 15 Min. verlaffen und ist mittels SonderzugeS gegen 1 Uhr in CoSwig eingetroffen, von wo er sich zu Wagen nach Moritz burg begab. Mannheim, 12. September. Die Firma Benz u. Co.' Automobilenfabrik, hat ihren Vertreter in Paris angewiesen, er möge den Platz der Firma aus dem Weltausstellungsterrain ander weit vergeben, da sie die Ausstellung nicht beschicken werde. Wolgast, 12. September. Der älteste Veteran auS dem Befreiungskriege, August Schmidt, ist im Alter von 104 Jahren heute Nacht gestorben. Teplitz, 12. September. Bei der Station Jmilleschau entgleiste ein Personenzug, wobei sechs Personen verletzt wurden. Wien, 12. September. Das Amtsblatt meldet die Er. richtung eines österreichisch-ungarischen VizekonsulatS in Dresden, sowie die Ernennung des Bankdirektors Klemperer zum Konsul daselbst. Wien, 12. September. Der Bund der Landwirthe der Ostmark, dessen erster Vorsteher Schönerer ist und der 7 Tausend Mitglieder zähst, ist behördlich aufgelöst worden. Lonvon, 12. September. In offiziellen Kreisen ver lautet, Chamberlain warte nur den Augenblick ab, bis die Transvaalregierung seine letzte Depesche erhalten habe, um ei« Blaubuch über die letzten Unterhandlungen mit der TranSvaal- regierung zu veröffentlichen. Man wird daher über daS Ergeb niß der zwischen^beiden Regierungen gepflogenen Berhqudlungeu nicht vor Ende der Woche unterrichtet sein können. London, 12. September. „Reuter"-Meldu«g. Eine Anzahl von im öffentlichen Leben stehenden Persönlichkeiten m London organisirt eine Bewegung, die darauf abzielt, am nächsten Sonntag im Hyde-Park eine Sympathiekundgebung für DreysuS abzuhalten. — Mehrere große englische Firmen haben ihre Be theiligung an der Pariser Weltausstellung aufgegeben. Einer der königlichen Kommissare für die Pariser Weltausstellung, Alderman Stephen in Newcastle, erklärte, er wolle mit der Welt ausstellung nichts mehr zu thun haben, wenn DreysuS nicht ehrenvoll freigesprochen werde. Paris, 12. September. General Mercier erklärte, er fürchte seine Verhaftung nicht. Die Aufhetzung deS Landes sei beendet, da der „Syndikatssond" erschöpft wäre. Der General will aber trotz des Drängens der Nationalisten nicht nach Paris kommen. Es giebt nichts in meinem Privatleben, worüber die proveuxalischen Beamten nicht vollständige Aufklärung haben wollten. Diese schrecklichen 24 Stunden von NimeS nach Paris mit mindestens 50 Haltestellen, an denen die unglücklichen Beamten ruhelos nach der „signalisirten Dame" forschten, werden mir immer in Er innerung bleiben. In Lyon theilte mir der StationSchef übrigens mit, daß ich die Fahrkarte trotz alledem zahlen müsse. Ei» aus NimeS eben eingetroffener Drahtbericht stelle fest, daß trotz langen Nachforschens keine Fahrkarte auf der Station gefunden worden sei. — Erst lange, lange Zeit nach meiner Reise erhielt ich zu meiner lleberraschung auS NimeS eine Postanweisung, die aus den Betrag der Fahrkarte lautete, mit der lakonischen Bemerkung, daß Vie neuesten Forschungen auf der Station NimeS zur Ent deckung meiner Fahrkarte unter einer Eisenbahnmaschiue geführt hätten. * JmMiesengebirge ist «in starker Schneefall niedergegangen. * Ein angenehmer Hochzeitsgaft. Bei der Hochzeit eines Buchhalters in der Rosenthalerstraße in Berlin wurde ein naher Verivandter der Braut Arthur H. dabei betroffen, wie er verschiedene Schmucksachen und Silbergeräthe, welche daS junge Paar als Hochzeitsgeschenke erhalten hatte, in einem unbewachten Augenblicke, vom Tische nahm und in seine Tasche gleiten ließ. H. erklärte, nur einen Scherz beabsichtigt zu haben. Sein Ge- bahren verrieth jedoch, daß es sich nur um eine haltlose Ausrede handelte und H. es thatsächlich auf einen Diebstahl abgesehen hatte. Er drückte sich dann auch schleunigst auS der Gesellschaft. Der junge Ehemann wollte gegen den süuberen Hochzeitsgast strafrechtlich vorgehen und ließ sich nur mit Rücksicht auf die Familie seiner Gattin bestimmen, von einer Anzeige Abstand zu nehmen. * „Man mutz die Feste feiern, wie sie fallen", dachten die Leute von Sarteane (bei Siena in Italien) und ver anstalteten zu Ehren einer verheiratheten Frau, die, nachdem sie vor sieben Jahren ihrem Gatten mit einem Liebhaber durch gebrannt war, jetzt reuig zu den heimischen Penaten zurückkehrte, ein großes Volksfest. Der liebe Gatte schmückte das HauS mit Blumen, Fahnen und Kränzen, die Glocken wurden geläutet, Böllerschüsse wurden abgefeuert, und am Abend fand ein großer SLugerwetikampf statt, bei dem es so hoch herging, daß dir Polizei einschreiten mußte. ES kam zu einem kleinen Scharmützel, und nach beendigtem Kampfe trug man drei Carabineri schwer verwundet vom Platze. * Die Pflichten, die ei« Londoner Polizist z« er füllen hat, haben eine bemerkenswerth« Bereicherung erfahren. Bisher gehörte es u. A. zu den Ausgaben der Polizei, alte Frauen, die unsicher aus der Straße gehen, ^zu führen und Vorübergehenden jederzeit darüber Auskunft zu ertheilen, wieviel Uhr eS ist. Nun scheint eS auch zu den Obliegenheiten eines Polizisten zu gehören, auf der Straße Kammerjungferndienste zu leisten. In einer Londoner Straße zeigte sich unlängst — es war in einer drückend schwülen Nacht — eine junge Dame, die bloß mit dem Unterrock bekleidet war und ihre übrigen Kleidungsstücke unter dem Arm trug. In dem Polizeibericht heißt es, daß die junge Dame ein „sehr intelligentes Aussehen" hatte. Ein Konstabler näherte sich ihr und als sie seiner Auf forderung, sich unverzüglich anständig anzuziehen, unter Hinweis auf die große Hitze nicht Folge leisten wollte, ergriff er rasch entschlossen ihre Kleider und zog die junge Dame mit großer Geschicklichkeit in Gegenwart einer vor Erstaunen stummen Volks menge an. Die Dame hatte sich nach einiger Zeit wegen an stößigen Benehmens aus der Straße zu verantworten. Sie kam mit einer Geldstrafe von 5 Lstr. (100 Mk.) davon. Der Name des Pflichttreuen,Polizisten wird m dem Polizeibericht verschwiegen. * Ein heiterer Vorfall spielte sich auf dem Hofe einer Ka serne zu Wiesbaden ab. Die zur Uebung eingerückte Landwehr war damit beschäftigt, die Kleider zu verpaffen. Plötzlich er scheint ein strammes Weib auf der Bildfläche, geht an den Glie- oern vorbei und mustert jeden einzelnen Wehrmann. Bei einem, der — versehen mit Helm, Militärhose und Civilrock — damit beschäftigt war, die Schnürschuhe anzuziehen, macht die Frau Halt, faßt ihn an der Brust, zieht ihn vor die Front und macht ihm bittere Vorwürfe darüber, daß er den ganzen Wochenlohn mitgenommen und ihr gar kein Geld zurückgelassen habe. Bei dem Hervorzerren vor die Front war aber auch die Frau dem Landwehrmann schon in die Hosentasche gerathen und hatte den Geldbeutel sammt Wochenlohn triumphirend herausgezogen. Der Mann, seiner ganzen Baarschaft beraubt, bricht in den drastischen Ruf aus: „Dann mach' Du auch die Uebung mit!" Gerührt durch diese Worte, öffnet die Frau den Beutel, giebt dem Manne einen Theil des Geldes zurück und verläßt hoch er hobenen Hauptes den Kasernenhof. Neueste Nachrichten. Frankfurt a. M., 11. September. Der „Frkf. Ztg." wird geschrieben: Wie in anderen Ländern, so hat auch in Deutsch land, und zwar schon vor längerer Zeit, der Verlauf der Dreyfns- affaire einigen Jndustriebranchen die Anregung gegeben, von der Beschickung der Weltausstellung abzusehen. So haben, wie uns versichert wird, mehrere der namhaftesten Firmen in der Lederbranche ihre Anmeldung zurückgenommen. Aus den Motiven dieses Schrittes machen sie kein Hehl. Da nur etwa 3 Firmen bei ihrer Anmeldung beharrten, so kam der Kommissar, Geheimrath vr. Richter, schließlich zu dem Entschlusse, von der Betheiligung der Branche überhaupt abzusehen. Vielleicht wird der Herr Reichskommissar in Folge der jüngsten Ereignisse auch von anderen Branchen zu ähnlichem Schritte veranlaßt werden, London, 11. September. Wie dem „Reuterschen Bureau* vom heutigen Tage aus Tripolis gemeldet wird, ist dort die Nachricht eingetroffen, die französische Mission Joureau-Lamy sei in der Oase von Air durch eine große Zahl Tuaregs ange griffen worden, welche nach schweren Verlusten die Mission voll ständig vernichtet hätten. Paris, 11. September. Die zum Dreyfus-Prozeß ge hörenden Akten lehren Ende dieser Woche nach Paris zurück, sie gehen zunächst dem Regierungskommifsär beim Remsionsrath zu. Die Plenar-Entscheidung über die Rechtsgültigkeit des vorgestrigen Urtheils ist also erst Mitte Oktober zu erwarten. In der Presse ist wie in Paris und im ganzen Lande über den „Sollten diese mildernden Umstände nicht in jenen Stücken deSs geheimen Dossiers zu suchen sein, welche, . ohne daß ein Widerspruch möglich ist, beweisen, daß Esterhazyder Ber- räther war?" — „Lanterne" und „Radikal" machen detaMirtH Angaben über die Einflüsse, denen die Richter vom Beginn deS Prozeßes an ausgesetzt waren: in der Familie von Frauen und' Geistlichen, im Verkehr mit den Kameraden und den Zeugen deS Kriegsgerichtes, besonders Mercier und den übrigen Ministern' und Generälen. Außer den beiden Gegnern der Verurtheiluna habe noch ein dritter Offizier sehr geschwankt, aber seine Krau" auf Anordnung eines verwandten Geistlichen, wohnte den Sitz ungen des Kriegsgerichtes bei und bearbeitete ihn täglich. ES sei nicht Zufall gewesen, daß Carritzre am Sonnabend nochmals Demange zu erwidern wünschte. Dadurch erhielt Oberst Jouaust Gelegenheit, eine Mittagspause eintreten zu lasten, so. daß die Richter nicht mehr unter der direkten Wirkung der Rede Demanges standen. — Nach dem „GauloiS" herrsche la der Garnison von RenneS große Erbitterung gegen die beiden Of fiziere, die gegen die Berurtheilung stimmten. Man habe ihren Kameraden bedeuten müssen, daß die Abstimmung der Richter unabhängig sei, sonst wären sie offen oeboykottet worden. Part-, 11. September. Wenn daS Revisionsgesuch DrehfuS' angenommen wird, wird DrehfuS vor dem RevifionSrath in Paris erscheinen. Derselbe wird auS 5 Mitgliedern zusammengestellt, bin Vorsitz wird ein General führe». Außerdem werden 2 Obersten und 2 Eskadronschefs sungiren, ein Regierungs- kommissar und ein Gerichtsschreiber werden ebenfalls zugegen sein. — General Mercier hat dem Vorsitzende« d«S Kriegs gerichts, Jouaust, einen Besuch abgestattet, um ihm für seine Haltung während d«S Prozesses seinen Dank auSzuspreche« (alle Ursache!). Parts, 11. September. Die „DepSche von Toulouse* ver öffentlicht eine Unterredung mit dem Regierungskommissar Carridre. Die „Agence HavaS" hebt auS dieser Unterredung folgenden Passus hervor: DrehfuS hat eine fünfjährig« Strafe der Deportation abgebüßt, und ich für meine Person wüßte nichL weshalb man ihm diese nicht anrechnen soll. Ich glaube, daß man das Gesetz im weitesten Sinne auSlegt und daß man Drey suS begnadigen wird. ES wäre das beste Mittel, der Agitation ein End« zu machen und dah«r daS Beste, wa» man than könnte. WaS die Degradation betrifft, so genügt die eine. Man wird die Sache so einzurichten wissen, daß man ihn nicht ein zweite- Mal degradirt. - , RenneS, 11. September. Die Mitglieder deS Kriegsgerichts unterzeichneten heute daS Gesuch, daS dahin geht, DreysuS die Strafe der Degradation zu erlassen. DaS Gesuch wird zunächst dem General LucaS, dem Kommandanten des X. ArmeecorpS, übermittelt, der eS durch den KriegSmiuister Gallifet dem Prä sidenten Loubet zustellen wird. Marseille, 11. September. Seit 3 Tagen herrscht in der Umgebung von Marseille ein furchtbarer Waldbrand. Derselbe hat sich bereits aus 20 Kilometer ausgedehnt. Soldaten und di« gesammte Feuerwehr von Marseille sind an Ort und Stell«, um des Feuers Herr zu werden, bis jetzt jedoch ohne Erfolg. Gothenburg, 11. September. Der Dampfer „Antarctic* mit der Nathorstschen Expedition, der an der Ostküst« Grön lands nach der Expedition AndrSes gesucht hatte, wurde heute westlich von Skagen von einem Lotsenboote angesprochen. Die Expedition hat keine Nachrichten von Andrse mitgebracht. Rew-Uork, 11. September. Im Thalia-Theater verur theilte eine Massenversammlung das Urtheil gegen DreysuS, ebenso in Louisville, St. LouiS und Indianapolis. In letzterem Orte wurde eine französische Fahne auf öffentlicher Straße ver- vrannt. — Die Idee eines Boykotts der Weltausstellung ist weit- verbreitet. Sonntag Ruhe und Erschlaffung eingetreten. Nur der Streit um die mildernden Umstände tobt fort. Die Generalstabs- preffe, die sonst in den rohesten und brutalsten Ausdrücken über den armen Dreyfus herfällt, findet plötzlich, daß das Kriegs gericht in einer lobenswerthen Regung von Mitleid und Milde Nachsicht übte. Die „Libre Parole" meint, die Richter dachten an die Wittwe Henry und deren Sohn, als sie Dreyfus mil dernde Umstände zubilligten. Die Leser dieser Blätter dürften wohl darüber staunen, mit welch ungewohnter Zartheit plötzlich Hochverräther darin behandelt werden. — Die Revifionspreffe fährt denn auch fort, auszufllhren, daß die mildernden Um-,, ... stände in Wahrheit nicht für Dreyfus, sondern für seine Richter Dreyfus haben m den letzten Tagen von dem Befinden deS I selbst ausgesprochen seien. Clemenceau fragt in der „Aurpre":! Kapitäns «inen Eindruck gewonnen, der sie für da- Lebe» de»