Volltext Seite (XML)
174 Areiber-er ««zeiger und Tageblatt. Seite S. — 29. Juli. dieser Gefäße mit Znhülsenahme einer Löthlampe bewerkstelligt, als plötzlich eine Stichflamme auS den Behältern herausblies und in einem Falle Brandwunden im Gesicht, im anderen an den Händen der betheiligten Personen verursachte. Erwähnenswerth erscheint noch, daß bei dem einen Unfall der Lieferant des Carbids ausdrücklich dasOeffnen des TranSportgesäßeS mit einer Löthlampe für unbe denklich erklärt hatte. Wie sich herausstellte, waren in den beiden hier erwähnten Fällen die Carbidgesäße nicht genügend gefüllt und mangelhast verlöthet gewesen, sodaß sich durch hinzutretende feuchte Lust im Innern der Gefäße schon während des Trans portes eine Acetylengasentwickelung eingestellt haben mußte. Seit Inkrafttreten der Verordnung vom 28. Februar 1898, die Acetylen-Fabriken und die nicht fabrikmäßige Herstellung und Verwendung von Acetylen betreffend, hat die Amtshaupt- mannschaft Dippoldiswalde gemäß Nr. 2 § 1 Abs. 3 die Begut achtung und Besichtigung ron Acrtylengasanlagen durch ihren Bau-Sachverständigen vornehmen lassen, während sich in der Amlshauptmannschast Freiberg der Bau-Sachverständige hierzu nicht bereit finden ließ. Infolgedessen hat die Gewerbe-Inspektion im Interesse der Sache auch weiterhin die neu errichteten Acetylen- oasanlageu im Bereiche der Amtshauptmannschaft Freiberg auf Ersuchen der letzteren besichtigt. In einem Falle ergab sich bei der Revision einer neuen AcetylengaSanlage, daß der Gaseutwickler in einem übersetzten Riederlagsgebäude, in dem ein beständiger Verkehr stattfindet, aufgestellt worden war. Am Gasometer fehlte das Entlüftungs rohr, und in seiner Nähe war eine Gasflamme angebracht. Die weitere Ingebrauchnahme deS Apparates an diesem Platze mußte daher untersagt werden,» und eS wurde vorgeschrirben, den Apparat in einem besonderen Raume mit leichter Dachung auf zustellen, sowie daS sehlende Entlüftungsrohr anzubringen. Zweckmäßig wäre es vielleicht, wenn im Interesse der Unfall verhütung die Ausstellung der AcetylengaS-Apparte in ähnlicher Weise, wie dies bei GaS-, Benzin- und Petroleummotoren ge schieht, von einem Genehmigungsverfahren abhängig gemacht würde und hierzu ein Lageplan, eine Bauzeichnung sowie eme Zeichnung und Beschreibung deS projektirten Gas-Apparates ein gereicht werden müßten. Bezüglich der Räumlichkeiten zur Aufstellung der Acetylengas- Apparate glaubt die Inspektion nach den Erfahrungen, welche sie bei Explosionen in der Dynamit- und in der Pulver-Fabrik ge macht hat, Vorschlägen zu sollen, daß die Umsassungswände und Bedachungen jener Räume möglichst leicht hergestellt werden möchten, um jeder Projektilbildung bei einer etwaigen Explosion vorzubeugen. Demgemäß würden leichte Holzwände in erster Lrnie zu empfehlen sein; da aber die Gas-Apparate gegen Kälte zu schützen sind, so dürsten doppelte Holzwände mit Asche- oder SSgespäne-Füllung bez. Wände auS Korksteinen oder GypSdielen w«H das geeignetste Baumaterial sein. PslMsche Umschau. Freiberg, de» 28. Juli. Der Brutsche Kaiser trifft von seiner Reise zurückkehrend morgen in Bergen ein und verbleibt dort am 29. und 30. d. M. In Kiel kommt der Kaiser am 1. August Morgens an und wird erst am 4. August spät Nachmittags in Wilhelmshöhe erwartet. In einem westfälischen Blatte werden in Bezug auf die Ver änderung der Reisedispositionen deSKalserS folgende Angaben gemacht: Es schweben seit 10 Tagen Verhandlungen zwischen unserem und dem französischen Kabinet, welche eine Landung unseres Kaisers bei seiner Rückkehr von der Nordland reise in einem französischen Hafen, Cherbourg oder Brest, vor bereiten. > Diese Verhandlungen sind die Veranlassung zu den veränderten Dispositionen betreffs des Kaiserbesuches im Industrie gebiete gewesen. Je nachdem sie zu einem definitiven Abschluß kommen, darnach richtet sich der Kaiserbesuch in Dortmund. Sollten sie zum Ziele führen, so dürfte die Gnweihung für den 14., andernSfalls für den 11. August anberaumt werden. — Daß eine Landung in einem französischen Hafen beabsichtigt sei, war schon früher berichtet worden, und- zwar hieß eS damals, daß der Kaiser vorher der Regatta in Cowes beiwohnen werde. DaS Letztere ist inzwischen von anscheinend gut unterrichteter Seite entschieden bestritten worden, während über die geplante Landung an der französischen Westküste alle amtlichen und offi ziösen Stellen in ihrem bisher beobachteten Schweigen verharren. Das Befinden der Kaiserin bessert sich von Tag zu Tag. Die Heilung nimmt, wie wir aus Berchtesgaden erfahren, einen guten Verlauf, da der durch den Direktor des ortho pädischen Instituts zu Göggingen, Herrn Hessing, der Kaiserin angelegte zusammenhaltendc Verband gut sitzt. Donnerstag Abend wollte die Kaiserin den zu Ehren des Prinzen Oskar für seinen elften Geburtstag zu veranstaltenden Festlichkeiten (Feuer werk, Festschieben, Bergfeuer u. s. w.) vom Balkon deS „Grand Hotel" aus zusehen. Im Uebrigen rüstet sich die kaiserliche Familie bereits zur Uebersiedlung nach Schloß Wilhelmshöhe. Dem Vorstände der evangelischen Gemeinde zu Berchtesgaden hat die Kaiserin ihr Bedauern aussprechen lassen, daß sie wegen deS erlittenen Unfalles leider ihr Versprechen nicht erfüllen könne, der für Sonntag, 30. d. Mts., angejetzten Einweihung der neu erbauten evangelischen Kirche beizuwohnen. D>e hohe Frau wird sich indessen durch ihren Oberhofmeister Freiherrn von Mirbach bei dem Festakte vertreten lassen, der auch die von der Kaiserin der Gemeinde zugedachte Altarbibel überreichen dürste. Der evangelischen Gemeinde zu Eving bei Dortmund hat die Kaiserin von Berchtesgaden aus anläßlich der Einweihung der neuen Kirche eine Prachtbibel zum Geschenk gemacht, welche auf der Titelseite folgende Widmung trägt: „Der evangelischen Gemeinde zu Eving zur Einweihung der neuen Kirche am 25. Juli 1899. 1. Petri 5, Vers 6: So demüthiget Euch unter die gewaltige Hand GotteS, daß er Euch erhöhe zu seiner Zeit. Auguste Viktoria." Diesen Spruch hat die Kaiserin sicherlich unter Ein wirkung ihres bedauerlichen Unfalls gewählt. Die letzten drei Jahre haben im Reiche ganz beträchtliche Posten zur Schuldentilgung verfügbar gemacht. Im Jahre 1896/97 waren es nicht weniger als 50 Millionen Mark, im Jahre 1897/98 37*/, Millionen und im letztverflossenen Etats jahre, über welches jüngst der Finalabschluß der Reichshauptkasse veröffentlicht wurde, 42,4 Millionen Mark. Jnsgesammt sind also für diesen Zweck in den genannten drei Jahren rund 130 Millionen Mark zur Verfügung gewesen. Dank diesen günstigen finanziellen Abschlüssen hat der Anleihebedarf in dem gleichen Zeitraum sich auf ei» Minimum reduziren lassen können. Wenn man bedenkt, daß im Jahre 1897/98 zuerst mit einem Anleihe- bedarfe von 81,5 Millionen gerechnet werden mußte und im Jahre 1898 der Etat einen solchen von 55,6 Millionen vorsah, so wird man sicherlich überall die schließlich für die letzten drei Jahre nothwendig gewordene Anleihe von insgesammt 33,2 Millionen, also für den Jahresdurchschnitt von 11 Millionen, klein finden. Man muß ferner in Betracht ziehen, daß die Reichs hauptkasse in allen drei Jahren recht beträchtliche Ueberschüsse zu verzeichnen gehabt hat. Im Jahre 1896/97 betrugen sie 28,7 Millionen, 1897/98 25,5 Millionen und 1898 noch mehr als in jedem der vorvergangenen Jahre, nämlich 30,6 Millionen. Die Summe der Ueberschüsse während der letzten 3 Jahre be ziffert sich demgemäß auf nahezu 85 Millionen Mark. Angesichts solcher Ergebnisse wird man die finanzielle Lage des Reiches als eine recht günstige bezeichnen müssen und nur wünschen können, daß die Zukunft sich für daS Reich finanziell ebenso gestalten möchte, wie sich die Vergangenheit in den letzten drei Jahren thatsächlich gestaltet hat. Die beim Königlichen Institut für Infektionskrankheiten in Berlin eingerichtete Abtheilung für Schutzimpfungen gegen Tollwuth ist im vorigen Jahre vom 16. Juli bis zum 31. Dezbr. von 137 gebissenen Personen in Anspruch genommen worden. Die Behandlung besteht in Einspritzungen, welche täglich einmal vorgenommen werden, und nimmt in leichten Fällen mindestens 20, bei schwereren Bißverletzungen — z. B. im Gesicht — min destens 30 Tage in Anspruch. Diese Schutzimpfungen können nur in dem Institut für Infektionskrankheiten zu Berlin vor genommen werden. Jede Abgabe von Impfmaterial an prakti- zirende Aerzte ist ausgeschlossen. Die Frage der Feuerbestattung geht nun auch in Württemberg ihrer Lösung entgegen. DaS evang. Konsistorium hat seinen Widerspruch aufgegeben und in der Regierung hat keiner der Departementschess irgend.welche Bedenken. Es ist deshalb auch die Zulassung der Feuerbestattung, dem Mehrheits beschluß der Kammer der Abgeordneten entsprechend, in der nächste, Zeit zu erwarten. Die Sinnesänderung des Konsistoriums ist nicht nur der öffentlichen Meinung zuzuschreiben, sondern auch der Agitation des Vereins für Feuerbestattung in Heilbronn, der verstanden hat, eine Konzession um die andere zu erringen, so daß nun auch die Trauerfeierlichkeiten bei Feuerbestattungen saft alle Merkmale der Oeffentlichkeit tragen, was bisher peinlich ver boten war. Die etwa noch weltergehende Betheiligung der Kirche behält daS Konsistorium der Berathung und Beschlußfassung der neuen, im kommenden Frühjahr tagenden Landessynode vor. Nachrichten aus Tromsö zu Folge traf dort am Stachmittag des 23. Juli der deutsche Dampfer „Terschelling" von der Bäreninsel eill. Nach den Mitteilungen der Besatzung war das russische Panzerschiff „Swetlana" am 21. d. M. an der Bäreninsel vor Anker gegangen; sein Befehlshaber stieg mit einem Theil seiner Mannschaft an daS Land und protestirte gegen die Besitznahme der Insel durch den deutschen Kaufmann Hern Theodor Lerner. Die russische Flagge sollte aufgehißt werden, wogegen wieder Herr Lerner Verwahrung einlegte. Als der „Terschelling" abging, wollten die Russen sich in das Innere der Insel begeben, um lleberbleibsel früherer russischer Besiede lungsversuche zu suchen; was sie weiter gegen Herrn Lerner vornehmen wollten, schien bei dem Abgang des deutschen Schiffes von der Bäreninsel noch nicht festzustehen. — Professor Bornhak hat sich einem Berliner Blatt gegenüber wie folgt ausgesprochen: Lerner hat ein völlig herrenloses Land besetzt. Darin kann nicht der geringste Zweifel bestehen. Ebenso steht unzweifelhaft fest, daß die Insel im juridischen Sinne nicht zur Interessensphäre Rußlands gehört. . . . „Die Flagge soll dem Kausmann folgen." Dies war bekanntlich Bismarcks Glaubensbekeiintniß bezüglich kolonialer Entwicklung. Und so sind ja auch unsere ersten Kolonien entstanden. DaS Reich hatte nicht Gebiete erworben, daß der Handel nun darauf sich entfalte, vielmehr war der Kaufmann vorausgegangen, und das Reich ist ihm gefolgt. Jetzt ist wieder der Handel voraufgeschritten, und warum sollte das Reich nicht auch gen Norden ihm folgen ? Wenn die Hansa vor vier- und fünfhundert Jahren ihren hoch im Norden an sässigen Kaufleuten jeden Schutz gewährte, sollte das heutige Deutschland nicht Gleiches vermögen? Wie dies in unserem Falle zu geschehen hätte? Der Reichskanzler meldet dem Peters burger Kabinett, daß Deutschland die Bäreninsel zu besetzen wünsche. Darauf kann Rußland Einspruch erheben; aber eS müßte diesen Einspruch begründen, und das vermag man in Petersburg nicht. Als eine unfreundliche Handlung aber wäre es zu betrachten, wenn Rußland nach solchem „vorbereitenden Aefßt's Heirath. Roman von Heinrich Lee. (8. Fortsetzung. (Nachdruck verbot«.) Sie wußte wohl, daß das, wovon sie träumte, sich nie erfüllen würde. Seine Frau! Steffi« lachte leise vor sich hin. Nein, es kam ihr selber komisch vor. Der glänzendste Offizier der Garmson und ein Ding wie sie. Aber warum durste sie davon nicht träume«? Nur davon träumen, sich das vorstellen! Davon erfuhr Niemand etwas. Niemand konnte sie deshalb beschämen. Wer die AuSerwählte wohl «inst sein würde? Bon allen jungen Mädchen, welche Steffie kannte, schien ihr nicht eine einzige gut genug für ihn zu sein. Nur Leonie hätte zu ihm gepaßt. Sie beneidete die Unbekannte nicht einmal, so wenig, wie man die Sterne beneidet, die unerreichbar sind. Seine Frau! Das mußte das Glück sein — das Glück, von dem so viel in den Büchern zu lesen war. Wie sie hier am Gitter stand und vor ihr die Gärten, daS Feld und dahinter in unendlicher Ferne die Welt — in so endloser Weite lag vor ihr auch das Glück und es war gleichfalls durch ein Gitter von ihr abgetrennt. Sie war nur «ine Zuschauerin, «in Zaungast. „Steffie!" Erschreckt wandte sie sich um. Curt stand vor ihr. Noch niemals war er um eine solche srühe Stunde in der Villa erschienen. „Bist Du noch allein, oder ist Leonie schon auf?" fragte er hastig und ernst. „Rein, Leonie ist noch nicht auf. WaS hast Du?" Sein auffälliges Wesen entging ihr nicht. Sie fürchtete sich plötzlich. Er kam vom Dienst, auS der JnstruktionSstunde die immer früh um sieben Uhr begann. Die Eile, mit der er gegangen war, stand noch in seinem Gesicht. „Ich muß Dich sprechen," fuhr er fort — „ist es wahr, daß Brockstreek sich um Deine Hand bewirbt?" AlleS Blut wich aus Steffies Gesicht. Mit weitgeöffneten Augen starrte sie ihren Bruder an. Mit der rechten Hand um klammerte sie eine der vergoldeten Gitterspitzen, wie um ihrem Körper eine Stütze zu geben. „Wer sagt das?" stammelte sie. „Alle Welt!" antwortete Curt heftig — „nur ich habe nichts davon gewußt. Ich habe es erst gestern Abend im Kasino er fahren müssen, von Andern, von fremden Menschen. Sie fragten mich, ob sie mir schon gratuliren dürften. Ich wußte in meiner Verlegenheit nicht einmal, was ich ihnen antworten sollte. Steffie, was ist geschehen?" Er sprach leidenschaftlich und bewegt. Wie ein Vulkan brach seine ganze verletzte brüderliche Lieb« aus ihm hervor. Steffie hatte ihn so noch niemals gesehen. Sie fand kein einziges Wort. „Du schweigst. Es ist also wahr?" fuhr Curt auf. „Nein!" entrang es sich mit einem leisen Schrei ihren Lippen. Wie ein vom Verfolger gestelltes Wild sah sie ihn an, zitternd, voll Angst und ihre Augen füllten sich mit Thränen. Curt stutzte. „Steffie!" sagte er dann und er faßte sie bei der schlaff her- abhängenden andern Hand — „nein, Du belügst mich nicht! Ich glaube Dir. Wie aber ist es nur möglich, daß so etwas die Leute sagen können? Und wenn ich jetzt daran denke, an Dich und an ihn . . . so haben sie dazu ein Recht. Er drängt sich in Deine Nähe. Er ist fast überall zu finden, wo Du selber bist. Warum thut er das, wenn er keine bestimmte Absicht dabei hat? Und welche Absicht sollte er sonst haben, als die, von der die Leute reden? So haben sie vielleicht doch das Richtige gerathen und nur Du selber ahnst nichts davon, Steffie! Voll Reue, als wäre er zu hart mit ihr gewesen, legte er den Arm um sie. Er drückte ihren Kops an seine Brust und willenlos ließ sie Alles mit sich geschehen. „Du weißt nichts von der Welt," sagte er. „Das hast Du in der Pension nicht gelernt. Nun hab ich Dir noch selber den Schleier von den Augen genommen." Ja, das hatte er. Steffie schluchzte. Sie wußte nicht mehr, was um sie vorging. Nein — was ihn zu ihr trieb, danach hatte sie noch nie gefragt, niemals daran gedacht. Ein kalter Schauer durchrüttelte sie. Es war zuviel, es war zu plötzlich gekommen. „Steffie!" flüsterte Curt ihr voll Liebe ins Ohr. Endlich sah sie zu ihm auf. Die Thränen rannen ihr noch immer über die Wangen, aber sie sah dabei nicht traurig aus. Langsam schüttelte sie den Kopf. „So ist es nicht, Curt," erwiderte sie — „an so etwas denkt Herr von Brockstreek nicht." Curt runzelte die Stirn. Er verstand seine Schwester nicht mehr. „Er überhäuft Dich mit seiner Aufmerksamkeit. DaS wenigstens kannst Du nicht bestreiten. An was denkt er sonst?" „Das weiß ich nicht, Curt. Nur bitte ich Dich, glaub« nichts Schlechtes, nichts Böses von ihm." Heftig fuhr Curt wieder auf. „Er hat sein Spie! mit Dir getrieben " „Nein!" Und abermals starrten in sich verzehrender Angst ihre Augen ihn an. Wie ein Verzweislungsschrei, wenn auch gebrachen und fast tonloS, hatte dies „Nein" aus ihrem Munde geklungen. Es war, als thäte sich ein Abgrund vor ihr auf. Wieder zog sie Curt in seine Arme. „Warum willst Du nicht daran glauben, Steffie, daß er es ernst mit Dir meint," fragte er — „warum sollte er Dich nicht lieb gewonnen haben? Ich und Leonie und der Onkel — haben wir Dich nicht alle lieb? Und Deine Freundinnen in der Pension! Jedem, der Dich kennen lernt, wirst Du lieb und werth, weil Du gut bist. Du sagst selbst, ich soll ihm nichts Böses zutrauen. Welchen Grund sollte er sonst also haben, Deine Nähe zu suchen? Kannst Du mir das anders erklären, als so, wie es schon die Leute thun?" „Du mußt mich nicht quälen!" flüsterte Steffie und sie hielt ihr Gesicht an seine Brust gedrückt. „Du denkst, er ist für Dich zu gut!" sagte Curt. Steffie schwieg. „Siehst Du, jetzt widersprichst Du mir nicht mehr. Eins, Steffie, sollst Du mir nur noch sagen: Ob Du ihn liebst!" Sie preßte ihr Gesicht nur noch dichter an ihn. Aber er sah, wie eS bis an die Stirnhaare erglühte. „Ich kann ihn nicht leiden, Steffie," sprach er weiter — „aber das sage ich Dir nur, weil ich gegen Dich aufrichtig sein muß. Jetzt wär' es mir am liebsten, ich hätte Dich vor ihm gewarnt. Nun ist es wohl zu spät. Ich glaube nicht, daß er Deiner Liebe Werth ist. Dich hätte ich nur dem Allerbesten gegönnt. Ich kann auch nicht verstehen, Steffie, wie das so schnell bei Dir gekommen ist. Wärst Du klug und vernünftig, )>ann müßtest Du doch sehen, daß es bessere Männer giebt als ihn, die Deiner Liebe würdiger sind. Geblendet hat er Dich. Aber darüber wollen wir nun nicht reden. Nur muß den Leuten doch der Mund gestopft werden, um Deinetwegen. Etwas muß geschehen. Wir wollen den Onkel dabei zu Rathe ziehen — gleich aus der Stelle!" Steffie richtete sich an ihm auf. „Niemand soll etwas wissen," sagte sie in entschiedenem Ton — „Niemand!" Sie zog ihr Taschentuch und trocknete sich die Augen. „Steffie, wie thöricht Du bist," erwiderte er — „meinst Du, Leonie und dem Onkel wird es verborgen geblieben sein, wenn schon alle Welt davon spricht? Das mußt Du doch einsehen!" Wieder malte sich in ihrem Gesicht das Entsetzen. Dann senkte sie matt und müde den Kopf. „Wie schrecklich das ist!" seufzte sie. „Steffie, ich verstehe Dich nicht mehr," sagt er — „wenn Du ihn liebst, wenn es ihm wirklich darum zu thun ist, Dich zu seiner Frau zu machen, was ist dann so schreckliches dabei ?" „Daß Du und ihr Alle so etwas denken könnt, das ist das Schreckliche. Wie soll er denn so etwas wollen? Mich hei- rathen! Er ist doch nur freundlich und gut zu mir gewesen. Nun wird er mich nicht mehr ansehen, wenn er erst erfährt, was Ihr denkt. Er wird mich verachten. Er wird glauben, daß ich die Schuld daran habe. Begreift Ihr das nicht?" In immer leidenschaftlicherer Pein flossen ihr die Worte über die Lippen. „Die Menschen werden dann über mich lachen. Wie ich mir das nur einbilden konnte, werden sie sagen, und ich bin doch unschuldig daran! Hilf mir, Kurt, hilf mir!" Sie faltete die Hände zu ihm empor, als wäre er jetzt ein Gott vor ihr geworden, der ihr allein noch Rettung bringen konnte — Rettung aus dem Abgrund, der, wohin sie auch sah, sie verschlingen mußte. Kurt wußte nicht mehr, wie er ihr zu reden, wie er sie beruhigen sollte. Beide hatten es vergessen, wo sie sich befanden — an einer Stelle, wo man sie sehen und Horen und belauschen konnte. Schon längst hatte sich drüben im Hause ein Fenster geöffnet und sie waren nichts davon gewahr geworden. „Steffie!" ries eine Stimme zu ihnen hinüber. „Leonie!" fuhr Kurt auf und er zuckte zusammen. In der That war drüben an dem geöffneten Fenster, in ihre blaue Matinee gehüllt, jetzt Leonie sichtbar geworden. Kurt legte die Hand an die Mütze und grüßte. Er suchte seine Bestürzung zu überwinden und eine merkwürdige Fassung kam über ihn. Es handelte sich nicht mehr um ihn, es handelte sich um Steffie, seine Schwester. Auch Steffie begriff in ihrer Noth die plötzliche Lage. Niemand, auch Leonie nicht, durste etwas von dem erfahren, waS soeben vorgefallen war. (Fortsetzung folgt.)