Volltext Seite (XML)
Nr. 65. — 16. Jahrgang. Ti, an jede», Wochentag Abend (mit dem Tamm de-) folgenden Tage») zur Ber» sendmig gelangende unparteiische Zeitung „Sächsischer Lande».Anzeiger" mit täglich einem Extra-Beiblatt: i. Kleine Botschaft s. Sächsischer Erzähler g. Sächsische Gerichtözeitung 4. Sächsisches Allerlei b. Jllnstr. Unterhalt,mgsblatt s Sonntagsblatt 7. Lustiges Bilderbuch kostet bei den Ausgabestellen monatlich 70 Pfg., bei den Post-Anstalten 75 Psg. Donnerstag, 2V. Mrz 18S6. Der Stichs. Lander-An^iger ist eingettage, i.d. 18S0erPost.Ztg»..PreiSliste: RrUA7S. FürAbonnent«nerscheinti«einmal,mJahri Illust,. »alenSer der Sächsischen Landdoteu. gllustr. WeihuachtSbuch (JahreSbnch). Verbreitetstes unpart^isches tägliches Lokalblatt. DieHauptblätter de» .SSchs. Lander-AnzeigerS'erscheinen (ohne destrn Extra-Beiblätter) auch in einer billigeren Sonder-AuSgabe als: „Chemnitzer General-Anzeiger" für Chemnitz monatlich 40 Pfg. frei in» HauS; außerhalb Chemnitz monatlich SV Psg. „nt Zutragen. PostzeiMng»prei»liste für 1SS0: Nr. 1307. Verlags-Anstalt r Alexander Wiede Chemnitz, Theaterstraße Nr. 5. Femsprech-Anschluß Nr. ISS. Telegr.-Adr.: Lander-Anzeiger. Chemnitz. Anzeigenpreis: Nanm einer schmalen" CorvuSzeile !S Pfg. — Bevorzugte Stelle (Ispaltige Petitzeu«) SO Pfg. — Bei Wiederholung großer Anzeigen Preisermäßigung- — Bei Bestelluitgen von Auswärts wolle mt» den Eiiirfiikuiigebetrag (in Bricsn>arlc»1 beifügen tje 8 Silben CorpuSschrift bilden ra. 1 Zeile.) — Anzeigen können nur bi» Vormittag angenommen werden, da Druck und Verbreitung der großen Auflage längere Zeit erfordern. — Die Anzeigen finden ohne Preisansschlag Ltahtilachrichleir unseres Anzeigers. Vom 19. März. ,. . ..... ^ . Berlin. Das Demissionsgesuch des Reichskanzlers Fürst Bismarck begründet sich auf dessen Alter «nd körperliches Befinden. Gestern Abend war noch keine Genehmigung des Gesuches durch den Kaiser bekannt, dieselbe soll jedoch im heutigen „Reichsanzeiger" pubiicirt werden. Als Nachfolger des Reichskanzlers werden der frühere Marinechef und jetzige eommandirende General des 10. Armeekorps (Hannover), von Caprivi, oder der deutsche Botschafter in Paris. Graf Münster, oder aber der deutsche Botschafter in London, Graf Hatz feld genannt. Es verlautet ferner, Graf Rantzau wolle ebenfalls »emiffioniren. — An dem gestrigen Diner, das der Kaiser zu Ehren der in Berlin anwesenden Conferenz- mitglieder gab, nahm auch Graf Herbert Bismarck Theil. Zanzibar. Emin Pascha ist von hier wieder nach Bagamoyo abgereist. — Um zwischen de» Deutschen und den Arabern den Frieden wieder herznstellen, find mehrere Special-Emiffaire nach dem Süden abgegangen. Fürst Bismarck geht. Chemnitz, den 19. März. Der Reichskanzler Fürst Bismarck hat'sich nun wirklich entschlossen, seine sämmtliche > Aeintcr niedcrzulcgcn, er wird aus dem Reichs- wie aus dem Staatsdienste gänzlich ausscheiden: Die Kunde trisst Deutschland nicht unvorbereitet; seit Beginn des Jahres tauchten immer wieder die Meldungen auf, der nun bald fünfundsiebzigjährige Staatsmann, der fast dreißig Jahre an der Spitze der Geschäfte in Berlin steht, sehne sich »ach Ruhe, wolle sich von allen Mühsalc» seiner hohen Würde los- wachen und in den Ruhestand treten. Diese Angaben fanden an maß gebender Stglle nicht den leisesten Widerspruch und schon daraus er gab sich, daß sie nicht grundlos waren. Aber das deutsche Volk, Welcher Partei die einzelnen Bürger auch angehören mochten, mochte sich doch nicht mit dem Gedanken vertraut machen, den Mann, der so unendlich viel zur Wiedererrichtung.des Deutschen Reiches beige tragen, der diesem Ziele sein ganzes Leben geweiht, gänzlich von der politischen Bühne abtreten zu sehen. Man. glaubte doch allgemein, Fürst Bismarck, der unerreichte Meister unseres Jahrhunderts auf deGebiete der Auswärtigen Politik, werde wenigstens dies, sein eigenstes Feld weiter bearbeiten. Aber der Reichskanzler will nach seinem unendlich mühevollen, aufregenden Leben den Rest desselben i» stiller, behaglicher Ruhe genießen, und so geht er den», begleitet von den Segenswünschen des deutschen Volkes für seinen Lebensabend. Bismarck's Name strahlt viel zu hell in den Büchern der Geschichte, er steht fest cingelchncben in jedem deutschen Herzen und wird nimmer vergessen werden. Der beste deutsche Reichskanzler wird allezeit nur Fürst Bismarck bleiben, mag ihm folgen, wer da will. Der Reichskanzler hat das seltene Glück des Staatsmannes gehabt, nicht nur Großes zu erschaffen, sondern das Große auch groß zu erhalten. Und das ist das Schwerere. Zwei Meisterwerke sind es vor Allem, welche die Welt bewundert: Das erste ist die Schaffung des Deutschen Reiches, das zweite die Begründung des Friedensbundcs, der uns Ruhe und Gedeihen verbürgt. Fürst Bismarck galt als der mächtigste.Staatsmann der Welt; ein schönerer Ruhm ist, daß er der am wenigsten ehrgeizige und am wenigsten egoistische war. Was er that, mochte es gebilligt werden oder nicht, hatte nur den einzigen Zweck, Deutschland machtvoll und stark zu er halten. Seine Person war Nebensache. Gerade jetzt, wo der Reichs kanzler seiner Würde und Bürde entsagen will, muß das Wort wieder ja den Vordergrund gerückt werden, welches er im Beginne scincr Aintsthätigkeit als preußischer Ministerpräsident sprach: „Nicht allein aus dem Schlachtfcldc kann man den Tod für das Vaterland sterben!" Was Fürst Bismarck geleistet, ist allbekannt, der Reichskanzler bedarf keiner lange» Lobpreisungen; denn auch sein erbittertster Gegner muß ihn: das Zugeständniß machen: „Er war ei» großer Mann!" Warum geht Fürst Bismarck? Nur des Ruhcbcdürfniffcs wegen? Diese Fragen tauchen allgemein auf. Es ist klar, daß unser energischer und kräftiger Kaiser, der Sohn einer neuen Zeit, Manches mit anderen Augen ansieht, als der greise Staatsmann. Fürst Bismarck ist ein viel zu guter Menschenkenner, als daß er das nicht einschcn, ein viel zu gereifter Mann, als daß er cs nicht für selbstverständlich halten sollte. Des Kanzlers Wort: „Der Kaiser wird einst sei» eigener Reichskanzler sei», beweist ja ganz genau, daß er den Charakter des Monarchen längst kannte. Und wie die Dinge lagen, war cs nicht zu vermeiden, daß Fürst Bismarck auf die Leitung der iimcren Politik verzichtete. Damit hat er sich auch bereits vertraut gemacht gehabt, als das bekannte parlamentarische Diner unter An wesenheit des Kaisers stattfand, seine damaligen Aeußeruugen be weist» dies. Die Ernennung eines stellvertretenden Reichskanzlers zur Vertretung der inneren Politik nach dem Willen des Kaisers war mithin »othwcndig. Aber diese Meinungsverschiedenheiten geben nicht den geringsten Anlaß ab, »un ganz aus dem Neichsdienste zu scheide». In vielen Punkten der inneren Politik, in der ganzen äußeren Politik sind Kaiser und Kanzler ein Herz und eine Seele, und an der herzlichen Freundschaft des Kaisers für den Fürsten ist nicht der leiseste Zweifel erlaubt. Warum geht also Fürst Bismarck, da er doch recht gut noch bleiben kann? Darauf gicbt es keine andere Antwort, als die: Der Reichskanzler sieht ein, daß die Zeit so ist, daß er sich die wohlverdiente Ruhe gönnen kann. Fürst Bismarck ist ein überaus treuer Patriot, ein ergebener Diener seines Kaisers und Herrn. Stände Deutschland vor einer schweren Gefahr, nie und nimnier würde der Kanzler auf sein Amt verzichten. Es scheint ihn in» Gegcntheil der reinste Patriotismus veranlaßt zu haben, zurücktreten. Denn das ist doch klar, viel schwieriger wäre die Lage, wenn Fürst Bismarck bis zu seinen, Tode Reichskanzler bliebe, und dann mit einem Male alle Welt sich in neue Verhält- nisse finde» sollte. Jetzt vollzieht sich ein rithiger Uebergang, und dem deutschen Kaiser und dem deutschen Bolle bleibt der Reichs kanzler unverändert, noch mit Rath und That. Dadurch schwinden auch triibeLukmiftssorgen! Mag man im Aus land« hier über FÜtst BiStNüVk'sMkktrtÜ'jnbel», da besorgt dje>Mps schütteln, der deutsche Kaiser bleibt, das deutsche Reich bleibt mw tm deutsche Volk bleibt. Und Kaiser Wilhelm II. besitzt Kraft »nd Energie, wir können ihm mithin ganz unbesorgt vertraue». Einen Mann, der den Fürsten Bismarck ganz ersetze» könnte, haben wir in Deutschland nicht; hinter jedem neuen Reichskanzler, hinter jeder neuen Reichsregierung muß und wird immer der Kaiser stehen. Auch im Reichstage wird und muß sich viel ändern; es kommt eine ganz neue Zeit, in der wesentliche Abänderungen gegen früher eintreten werden. Da hat auch die seitherige Parteiverbiffenheit keinen Nutzen mehr und das deutsche Volk wird jetzt in erhöhtem Maße darauf achten, daß seine Vertreter in seinem Wähle thätig sind. Das politische Programm Kaiser Wilhclm's II. ist so unendlich einfach, es ist nur das: Keine Parteipölitik, sondern praktische Reichspolitik! Meinungsverschieden- heilen wird es im deutschen Reichstage zu aller und jeder Zeit geben, aber der entsetzliche Hader, der so manches Jahr verbitterte, der wird ein Ende nehmen, weil der Zankapfel fortfällt. Wenn des Reichs kanzlers Rücktritt eine Ueberraschung war, so wird ihr noch eine größere folgen: Des Kaisers Bestrebe» ist ganz offenbar daraus ge lichtet, Alles zu beseitigen, was z» erbittertem Zwist Anlaß gab. Das zeigt seine Stellung zum Socialistengesetz, welches bekanntlich in Fortfall kommen soll. So giebt cs noch andere Punkte, um die sich Differenzen drehten; sind sie fort, so wird für alle Parteien gleich mäßig die Verpflichtung kommen, nur dem Vaterlande sich z» wi . incn. Kaiser Wilhelm II. hat in seiner letzten Rede bedeutsam geäußert, es sei gut, sich einmal das Deutsche Reich von Außen her anzusehe», man sehe viel und lerne viel. Der Kaiser hat cs gethan, er hat auch seine Entschlüsse und Pläne gefaßt, Entwürfe mit heimgcbracht, die nun zur Ausführung gelangen sollen. Deutschland hat die schwere Krisis im Jahre 1888 mit Glück überstanden, auch die neuen Ver hältnisse im Innern werden sich leichter cinleben, als cs heute scheint, und für den schlimmsten Punkt bleibt Fürst Bismarck uns immer noch. Natürlich bleibt die auswärtige Politik total unverändert; Kaiser Wilheln: II. hat oft genug betont, was er vom Frieden hält, wie sehr er denselben zu sichern bemüht ist. Mit allen Staaten hat Deutschland erträgliche Beziehungen, viele Fürstest find dem Kaiser eng befreundet. Und so mag uns denn die neue Periode Heil und Segen bringen! Politisch- Rnndfch«,,,. Chemnitz, 19. März. Deutsches Reich. Auf Befehl des Kaisers waren am Diens tag die commandirenden Generale aller deutschen Armeecorps nach Berlin gekommen und wurden Abends 6 Uhr vom Kaiser im Schlosse empfangen. Bereits am Dienstag Vormittag hatten die Generale beim Kriegsminister von Verdy längere Couferenzen. Die „Post" glaubt, nicht fehlzugchen, wenn sie diese Berufung mit wichtigen militärischen Berathungen und Vorlagen in Zusammenhang bringt. »- Der Reichskanzler Fürst Bismarck hat am Montag Nach mittag in einem zweistündigen Miiiisterrath seinen College» vom preußischen Staalsniinistcrium erklärt, daß er sich nach Ruhe sehne und darum dem Kaiser ei» Gesuch unterbreiten werde, ihn von allen seinen Aemtern zu enthebet«. Es wurde der Versuch gemacht, den Fürsten umzustimmcn, aber derselbe blieb unerschütterlich. Das Nück- trittsgesuch ist am Dienstag unserm Kaiser unterbreitet und von dem selben, nach der „Kreuzztg.", da der Entschluß des Kanzlers unum stößlich war, unterzeichnet worden. Ob die Ernennung eines neuen Reichskanzlers sofort oder erst später erfolgt, ist noch nicht bekannt. In Betracht kommen für die Kanzlerwürde nur zwei Personen: Statthalter Fürst Hohenlohe in Straßbnrg oder Herr von Bötticher. Eine Aenderung in den Reichsäintcrn ist nicht zu erwarten. Die kaiserliche Entscheidung wird wohl heute Mittwoch Abend im „Deutschen Reichsauzriger" erfolgen. Es war das Gerücht verbreitet, auch die Chefs der Reichsämter und die preußischen Minister wollten ihr Amt »iederlcgen, aber diese Angabe ist unbegründet. Im Gegcntheil hat Fürst Bismarck ausdrücklich erklärt, es handle sich nur um seine Person. Im preußische» Abgevrdnetenhause, wie in ganz Berlin beschäftigte sich alle Welt nur mit dem sensationellen Ercigniß, das aber durchaus ruhig erörtert wurde. Uebcrall herrschte die feste Ueberzeugung, daß die Anbahnung des neuen Verhältnisses sich ohne allzu große Schwierig keiten vollziehen würde. Der Ncichskanff-r soll sehr aufgeräumt gewesen sein und mit Besuchern gescherzt Hoven. Der Großherzog von Baden und der Herzog von Koburg-Gotha statteten ihm Besuche ab. Zum Schluß erwähnen wir noch die Meldung, daß als neuer Reichskanzler General von Caprivi, commandirender General der 10. Armeecorps in Hannover, der frühere Marincminister, genannt wird. Herr v. Caprivi hat das für sich, daß er sich mit allen Parteien im Reichstage recht gut steht. — Von wohlinformirter Seite hören wir noch, daß der Kaiser durchaus nicht auf das Rücktrittsgesuch Fürst Bismarck's eingehen wollte, auch der Großherzog von Baden nnd der Herzog von Koburg- Gotha haben Alles anfgeboten, den Kanzler anderen Sinnes zu machen. Der Kaiser fuhr Montag Abend nochmals im Reichskanzler« palais vor, um den Fürsten zum Bleiben zu bewegen, aber dieser blieb bei seinem Vorsatz. — An der Berliner Börse fielen alle Coursc. — Fürst Bismarck hatte, so wird der „Köln. Ztg.' ans Berlin geschrieben, die Empfindung, als hänge er der Lebensauffassung deS erfahrenen Alters'wie ein lastendes Bleigewicht an der idealen Höhe» zustrebenden, schwungkräftigen Seele des Monarchen. Zu lebhaft zogen ihm die muthige» Rosse des StaatSwagenS an und den Ver antwortlichen Leiter mochte wohl zuweilen das Gefühl beschleichen, daß er neben dieser Herrschererscheinung die Zügel nicht mehr so sicher in der Hand hakte, um die Last der Verantwortung vor der Ration dauernd zu tragen.' So wuchs die chronische Kanzlerkrist»'^ugehcn-würde. Abgg. von StablewSki (Pole), Cremer (cons), Windt über alle vereinzelten Meinungsverschiedenheiten wegen Socialpokitikshorst (Eir.)'besprmhen bie Maßregelung von polnischen Geistlichen, oder Militärforderiing» wegen Socialistengesetz oder Centruni ^nächtig hinaus zu eine», schwer anSzugleichendc» Gegensatz der beiden Männer. — In der Unterredung, die zwischen dem Fürsten Bismarck und Herrn Windthorst KMefunden, soll Letzterer auch eine Erklärung im Auftrag» deL-HWK Üvn Ctlmberkand, der Sohnes de» letzte» Königs von Hannover, avMebrn haben. Mm pricht davon, di« Sequestration des Vermögens des Königs Gencg V. von Hannover ans welchem der vielgenannte „Welfenfond" gebildet ist, solle auf gehoben werden. Dann müßte sich der Herzog von Cnmberland immerhin sehr in seine» bisherigen Ansichten geändert haben. — Zu der heute, Mittwoch Abend, im Berlin r Schloff« statt findenden Cour ist zum ersten Male ein'freisinniger Parlamentarier, der Abg. Rickert, geladen. Der schon früher zu solche» Festlichkeiten geladene Forckenbeck erhielt die E nladung als Oberbürgermeister von Berlin. — Ter „Reichsanzciger' veröffentlicht die Namen der Mitglieder der Commissionen, welche von der Arbeiterschutzcvnferenz zur Be- rathnng ihrer Vorlage» gebildet sind. — Zum Rücktritt Fürst Bismarck's schreibt die „Nationalzeitung': „In den letzten Tagen habe» beständig Conferenzen zwischen dem Kaiser und dem Reichskanzler statigefunden. Nach den uns zugehenden Mittheilungen muß man annchnieii, daß der Meinungsverschiedenheiten über wichtige Fragen der inneren Politik so viele und tiefgehende sind, um den Entschluß des Reichskanzlers, von den Geschäfte» zurück- zutreten, z» einem endgiltigen zu machen. Der Rücktritt des Fürsten Bismarck mir von dem Amte des preußischen HandekministerS Anfang Februar bekundete die damals gehegte Meinung, daß der Verzicht tes Fürsten Bismarck aus die von ihm in der Socialpolitik vertreten« Auffassung im klebrigen die Anfrechterhaltung der bisherigen Ein richtungen nnd Personalvcrhältnisse der preußischen und Reichsregierung ermöglichen werde. Die damals, nnd allem Anscheine nach später noch einmal nach ihrer Wiederkehr beigclegte Krisis mußte aber durch den Ausfall der Neichstagswcihlcn in verstärkter Bedeutung sich von Neuem einstellen: .Niemand konnte sich darüber täuschen, daß der Mangel einer actionsfähigen Regierung während der ganzen letzte» Reichstagssession zu dem Wahlergebniß wesentlich beigetragen, und daß andere Zustände in dieser Beziehung geschaffen werden müffen, wenn der Einfluß unsachlicher, aber scrupelloser Agitationen sich Nicht noch schlimmer .geltend machen soll, als bei den jüngsten Wahle». Die nächsten Tage werden Aufschluß darüber bringen, in welcher Art die künftige Gestaltung der Regierung gedacht wird. In Be» muthungen darüber cinzutrete», unterlassen wir in diesem Augenblicke So viel ist unbestreitbar: Deutschland und Preußen bedarf, wenn Fürst Bismarck das Steuer verläßt, einer starken Regierung, stark durch das Ansehen dercPersonen im Volke, durch ihre Fähigkeiten in politischer und geschäf licher Hinsicht, durch ihre Entschloffenhit und Furchtlosigkeit, de» Kaiser und König nach bestem Wissen und Ge wissen zu berathen, stark auch durch das erforderliche Verständniß' für die Bedingungen des RegierenS mit einer Volksvertretung. Deutschland, ja man darf sagen die civilisirte Welt, wird sich nur schwer an den Gedanken gewöhne», daß Fürst Bismarck nicht mehr den Platz ausfüllen soll, an dem man ihn fast 30 Jahre erblickt hat. Aber daß cs einmal unvermeidlich sein würde, haben wir Alle gewußt; und so wird eine Geiiugthuung für das deutsche Volk darin liegen, »och dem Lebenden auch bei diesem Anlaß bekunden zu können, Ivelcher Dankesschuld es gegen den Begründer des Reiches sich be wußt ist. Und die Zuversicht in die Unerschütterlichkeit seine» Werke» wird sich gerade darin auSdrücken, wenn der Kaiser und die Nation, in tiefer Bewegung, aber in der Erkenntniß der Nothwendigkeit, bei Lebzeiten Bismarck's schon ohne Bismarck die staatlichen Aufgaben zu lösen unternehmen, welche das Geschick unserem, wie jedem Volke beständig von Neuem stellt." In drei Commissionen ist die Berliner Arbeiterschntzconferenz am Dienstag in ihre eigentlichen Arbeiten eingetreten. Die erste Commission behandelt die bergbaulichen Frage» und steht unter dem Vorsitz des Bcrgrathes 1)r. Hauchccorne. Die zweite Commission be schäftigt sich mit der Frage der Sonntagsruhe; ihr Präsident ist der Fürstbischof I)r. Kopp von Breslau. Die dritte Commission endlich, welche die Fragen der Frauen- und Kinderarbeit verhandelt, steht unter der Leitung des französischen Senators Jules Simon, der ein sehr eifriger Befürworter namentlich der Einschränkung der Frauen arbeit ist. Simon sagt in einer seiner Schriften, am liebsten sehe er die Frauenarbeit gänzlich verboten. Das würde am meisten dem Familienleben zu Gute kommen, welches der beste Damm gegen alle revolutionären Ideen sei. — PreußischesAbgeordnetcnhaus. Dienstags-Ii'hung. Begonnen wird die zweite Bcrathung des CnltnS-Etats. Abg. R ckert (freis.) führt Beschwerde über mehrere unangebrachte Verfügungen gegen die Bolksschullehrer. Minister von Goßler antwortet, von den Verfügungen sei die eine zurnckgeiiomme». die zweite nicht angewendet. Abg. Windthorst will angesichts der unsicheren Lage seine Bemerkungen zum CultuS-Etat bei anderer Gelegenheit Vorbringen. Abg. von Zedlitz (frcicons.) betont, daß für die Lehrer viel gethan sei, nur ein Schul dotationsgesetz sei »och »öthig. Redner bekämpft aber entschieden die von Windthorst früher geforderte Unterstellung der Schule unter die Kirche, und verlangt eine Stärkung der evangelischen Kirche. Abg. Reichensperger (Ctr.) weist darauf hin, daß »och immer ein lebhafter Streit zwischen den beiden christlichen Confessionen bestehe, und meint, die Protestanten seien daran Schuld. Minister von Goßler stellt Schulreformen in Aussicht und erwähnt, durch Entscheidung de» Kaisers werde das Einjährig-Freiwilligenwesen vom UnterrichtSreffort abgetrennt werden. Abg. Stöcker (cons.) führt ans, an dem con- fessionellen Hader hätten die Katholiken auch reckt viel Schuld. Redner verlangt Vermehrung der Kirchen und Geistlichen in den großen Städten, damit der Verwahrlosung der großen Massen entgegengetreten werden könne. Minister von Goßler theilte auf eine Anfrage mit, daß ein Gesetz über die Verwendung der Sperrgekder dem Hause bald LZ Mb,