Volltext Seite (XML)
angestrebte enge historische Bezug erschließt interdisziplinär neue Aussagemöglich keiten. 1. Die ungünstigen Sterblichkeitsverhältnisse charakterisieren die Schirmenitzer im historischen Umfeld als eine durchschnittliche, also wohl bäuerliche Bevölkerungs gruppe. Die Erwachsenen sind im Mittel schon im vierten Lebensjahrzehnt gestorben, die Frauen erwartungsgemäß eher als die Männer (insgesamt 34,5, d 37,6, $ 30,7 Jahre). Die allgemein zu beobachtende Gegensätzlichkeit zu sozial privilegierten Oberschichten, die zu dieser Zeit bei ausgeglicheneren Relationen zwischen den Ge schlechtern im Durchschnitt ein bis etwa 10 Jahre höheres Erwachsenensterbealter erreicht haben, dürfte in erster Linie auf deren bessere Ernährung und geringeren körperlichen Verschleiß zurückzuführen sein. Die Bevorteilung betrifft vor allem die Bewohner fürstlicher Residenzen, insbesondere den Adel, weit weniger die handel- und gewerbetreibende Bevölkerung frühstädtischer Siedlungen, deren Lebenserwar tung in den nachfolgenden Jahrhunderten sogar unter die inzwischen angestiegene der Landbevölkerung abgesunken ist. 2. Im deutsch-slawischen Kontakt- und Überschneidungsbereich zwischen Mittel gebirgen und Ostsee ist das im Zeitquerschnitt erstaunlich gering variierende mittlere Sterbealter der Erwachsenen im bäuerlichen Milieu während des 10. und 11. Jh. allmählich um etwa fünf Jahre von knapp 40 auf unter 35 Jahre abgesunken. Schir menitz markiert mit anderen Serien den tiefsten Bereich. Hinter diesem Mittelwert verbirgt sich nach dem Sterbeminimum bei den Juvenilen ein ungewöhnlich steiler Anstieg der Mortalität bereits im dritten Dezennium und die Vorverlegung des Sterbegipfels der Erwachsenen in die adulte Altersspanne. Nur wenige Individuen erreichten das Senium. Gegen Ende des 12. Jh. setzte dann allgemein eine stark gegenläufige Tendenz ein: Das durchschnittliche Sterbealter der Erwachsenen er reichte innerhalb nur eines Jahrhunderts wieder Werte wie im frühen Mittelalter. 3. Der vorübergehenden Minderung der Lebenserwartung entspricht offensichtlich der parallel verlaufene Wandel in der Körperhöhenentwicklung (Absinken von Mit telwerten für beide Geschlechter bei 167 cm bis auf solche bei 159 cm). Wenn die Aussage- und Vergleichsmöglichkeiten hinsichtlich der Morbidität auch sehr be schränkt sind, bestätigt der Schirmenitzer Befund die Erwartung: Die Häufung pathologischer Merkmale am Skelett, die bei Hunger- und Mangelosteopathien auf treten (Minderwuchs bei 31 %, Wachstumslinien und/oder andere abnorme Struk turen der Spongiosa und Kompakta bei 74% der Individuen, komplexe Einzel befunde), sowie der starke und früh einsetzende Befall - speziell auch junger Frauen - mit degenerativen Gelenkveränderungen (u. a. Spondylarthrose bei 69 %, Arthrose der Großgelenke bei 65% der Erwachsenen) zeugen von einer gemessen an Ver gleichspopulationen ungewöhnlich hohen Krankheitsbelastung in dieser Landbevöl kerung. 4. Die geschilderten Befunde, in die sich der Schirmenitzer widerspruchslos einfügt, sind zu allgemein, um überwiegend auf lokale Ursachen gleich welcher Art zurück-