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Tarif für die Leistungen seiner Leute feststellen ließ, in welchem bereit- mit sonderbarer Genauigkeit alle möglichen Verrichtungen (z. B Ausrufen bei Auktionen, Begleiten mit Regenschirm und Laterne, Kohlhobeln) aufgeführt waren. Die- Institut hat nun sowohl Ven Arbeitern, als auch ihm, dem Unternehmer eine fast glänzende Einnahme gewährt, so daß Berger nach einigen Jahren gewiß als wohlhabender Mann hätte da stehen und nach und nach immer mehr Arbeiter beschäftigen können. Mein theilS der Andrang der zahllosen Arbeitsuchenden, viel mehr noch aber sein ruheloser Geist trieb ihn dazu, sein Institut mit wahrhaft zahllosen andern Unternehmungen zu verbinden, wodurch er seine Lhätigkeit so zersplitterte, daß er rettungslos zu Grunde ging. Es würde eine unnütze Abschweifung sein, wollten wir alle die Projekte und Pläne auch nur namhaft machen, die Berger bereits in's Leben gerufen, zü denen sämmtlich er mindestens chon die Konzession erlangt hatte. Nur einige wollen wir an- ühren. um den Lesern einen Begriff davon zu gehen: Bedienung der öffentlichen Laternen, Anlegung von Hemmschuhen an Wagen in abschüssigen Straßen, Mineraltrinkwasserhallen, Wohnungs vermiethungen, öffentliche Waschanstalten, Vertretung der Bürger beim Feuerlöschen, Engagements-, Auswanderungs- u s. w. Ver mittelungen aller Art u. s. w., und das alles durch seine Dienstmänner. Diese Vielseitigkeit stürzte Berger in s Verderben. Wäre er als ein ruhiger Philister oder schlauer Spekulant nur bei dem ersten Dienstmannsinstitute in seiner ursprünglichen Wirksamkeit stehen geblieben, dann hätte er sorglos die Früchte seines Ver dienstes genießen können. Mit allen den anderen Einrichtungen beschäftigt, vernachlässigte er aber dies erste Geschäft an sich voll ständig. Die natürliche Folge davon war, daß die städtische Behörde ihn gegen die andrängende Konkurrenz zweicr andern Unternehmer nicht länger zu schützen vermochte. Berger fühlte fich hierdurch bitter gekränkt, doch in seinen immer neuen Planen fand er bald Vergessen und mindestens scheinbare Entschädigung für den Verlust. In dieser Weise ging es nun immer weiter; sobald er etwas Zweckmäßiges eingerichtet hatte und desselben überdrüssig zu werden begann, fanden sich stets Andere, welche es besser auszubeuten verstanden. Rastlos arbeitete sein Geist fort, immer neue Schöpfungen hervorrufend oder die vortheil haften Einrichtungen anderer Städte für Brombergs allgemeines Beste einführend; doch tiefer und tiefer sank dabei sein eigenes Wohl und immer zerrütteter wurden seine Verhältnisse. Dazu verfolgten ihn seine Gläubiger in der grausamsten Weise. Un barmherzig entrissen sie ihn seiner Familie, Frau und zwei Kindern, und ließen ihn im Kerker für die Schulden büßen, welche zu tilgen sein hartes Loos oder richtiger die Verhältnisse ihm un möglich machten. Als kräftiger Mann, im Alter von erst 32 Jahren und scheinbar blühender Gesundheit, starb er plötzlich im Gchuldgefängnisse. Die Wittwe Berger's führte indessen ihr Dienstmannsin stitut in Bromberg fort und wußte sich und ihre Kinder tapfer durchzuschlagen. Seitdem haben die Dienstmannsinstitute sich strahlenförmig von Bromberg aus verbreitet; bald nach der Begründung des ersten holte man sich aus zahlreichen Städten Rath bei Berger, und er hatte die Genugthuung, überall nach seinen Principien diese Unternehmungen in's Leben treten zu sehen. Dies und dann, daß die Dienstmänner in Bromberg „Bergersleute" ge nannt wurden, sowie daß man seinen Namen damals vielfach in den Zeitungen erwähnte, waren die, freilich nur idealen Be lohnungen für sein Verdienst. Wer denkt jetzt noch wohl an Eduard Berger, den Begründer der Dienstmannsinstitute? Kein Konversations-Lerikon nennt seinen Namen; selbst in Bromberg heißen die Arbeiter des noch immer existirenden und im Besitze seiner Frau befindlichen kleinen Instituts jetzt schon allgemein „Gepäckträger." So bald fällt selbst ein wirkliches Verdienst der Vergessenheit anheim, wenn es sich nicht kräftig und keck selbst zu behaupten weiß -- eine gar waurige Wahrheit für alle nach Ruhm und „Unsterblichkeit" pachtenden kleinen Geister —. Wohl mit Recht aber dürfen wir an diesen Mann erinnern, dessen eine Kulturihat doch lebensfähig und wohl dauernd für alle Zeiten sich erwiesen hat. Zum Schluß sei es uns vergönnt, auch noch auf eine, wohl keineswegs allgemein bekannte, social interessante, ja recht wichtige Seite der Dienstmannsinstitute hin zuweisen. Ein scharf beobachtender Volksfreund wird bald die seltsame Entdeckung machen, daß in den gleichmäßig uniformirten Reihen der Dienstmänner keineswegs auch ganz gleichartige, nur den Arbeitsschichten angehörende Personen stecken, sondern daß dieselben oft aus gebildeten, verschiedenen Geschäftsklaffen ur sprünglich angehörenden Jndividien bestehen. Es sind öfters „ge scheiterte Existenzen" aller Art, denen wir hier begegnen, nament lich viele stellenlose Handlungsgehülfen, sowie auch herunterge kommene junge Lebemänner u. s. w.; keineswegs sind es aber die schlechtesten Mitglieder der menschlichen Gesellschaft, denn sie haben ja noch Hoffnung und moralische Kraft genug, um einer seits dem verzweifelten Selbstmorde, andererseits dem lockenden Verbrechen zu wiederstehen, dagegen sich wohl oder übel in ihre mißliche Lage zu fügen und hier, in der ihnen zugänglichen Arbeit, mindestens einen augenblicklichen, zeitweiligen Lebensunter-, halt zu suchen. Und aus der dunkeln, abwartenden Verpuppung der Dienstmannsjacke, ist dann auch wohl gewiß in zahlreichen Fällen der junge muthige Schicksalskämpfetnvieder hervorgegangen zu einem bessern, wobl gar glänzenden Lebensloose. Karl Nnß. Kein Scheidungsgrund. Novelle von Marie v. Roskowska. (Fortsetzung aus Nr. 82.) Entmuthigt war sie in den Stuhl zurückgesunken. Wie hatte sie nur im Gefühl des natürlichen Rechts und der ihr obliegenden mütterlichen Pflicht vergessen können, daß die beste henden Rechtssatzungen nicht identisch sind mit den natürlichen Rechten und Pflichten, daß sie denselben sogar ost entgegenstehen, und vornämlich in diesem Punkte? Hatte sie sich doch erst vor wenigen Tagen durch die Worte eines Gesetzeskundigen von dem überzeugt, was ihre Seele zu glauben sich sträubte — daß nämlich Weib und Kind dem Mann und Vater gegenüber bis zu einem gewissen Grade nicht allein schutzlos, sondern geradezu rechtlos sind. Finster, mit mühsam niedergehaltenem Unmuthe, hob er nach einer Pause an: , - „Schöne Geschichten das! So also blamirt eine Frau, die sich tugendhaft dünkt, ihren allzu nachsichtigen Mann! Pfui über solche heimtückische Verrätherei — sich hinter meinem Rücken zu beklagen, mich zu kompromittiren! Wenn Du so verfährst, muß meine Stellung freilich untergraben und schließlich unhaltbar werden. Dein ist die Schuld, wenn es einmal zum Aeußersten kommt, nicht mein!" Unwillkürlich zuckte sie die Achseln, was ließ fich darauf erwiedern? „Ich will wissen, was Du bei dem Justizrath zu schaffen hattest!" fuhr er auf. „Hörst Du, ich will's wissen! Rede, oder —" Sie erhob wieder den Kopf und sagte mit zitternder, ver- chleierter Stimme, doch mit einer Art verzweiflungsvoller Ent- chlossenheit: „Ich wollte mit ihm Rücksprache über einen Anttag auf Scheidung nehmen." Diese Erklärung überraschte, ihn so sehr, daß er sie im ersten Moment kaum zu fassen schien. Mechanisch wiederholte er: „Antrag auf Scheidung?" „Wer hätte gedacht, daß es zwischen uns jemals dahin kommen könnte!" seufzte sie. „Aber ich denke nicht an Scheidung!" rief et, noch immer nicht ganz mit sich im Klaren. „Und Du hast keinen Grund, um sie durchzusetzen, selbst wenn Du wolltest." „Das sagte mir der Justizrath auch!" Schmerz und Bitterkeit wallten zu lebhaft in ihr auf, um sie mit diesem Ge- ständniß zögern zu lassen. „Erst das brutalste Benehmen des ManneS, seine gemeinste Verworfenheit berechtigt zu diesem An träge. AtS wären Brutalität mH Gemeinheit mcht so, relative