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Kr. 62. — 8. Jahrgang. jeden Wochentag Abend (mit Datum A folgende» Tage») zur Ursendung Fangende„Sächfische LandeS-Anzeiger" Ut täglich einem besonderen Unter- „ungsblalte und mit dem Extrabeiblatt lftjges «tldcrbuch kostet bei de» Aurgabe- -oniliee «tiocrvllly rouel oei oen Ausgaoc> gellen monatlich 70 Psa., bei den Post-Anst 75 Pf. (1888er ZtgS.-PreiSliste Nr. 5035. lrNbonnenten erscheintje einmal in, Jahr: >rr-Cisenbahnfahri>lanheft für Sachsen. «inter-Eiseiibahnfahrplandeft für Sachsen. Mstr. Kalender des Sächsischen Landbaten. zünstrirteS Jahresbuch desLandes-ilnzeigers. Sächsischer lüiilts-Altseilfer mit „Chemnitzer? Stadt-Anzeiger". Unparteiische tägliche Zeitung für Sachsen und Thüringen. Donnerstag, 15. März 1888 BeiWiederholung großer Annoncen Rabatt. Bei Bestellungen von Auswärts wolle man JnsertionSbetrag (in Briefmarken) beifügen Ne 8 Silben EorpuSschrift bilden ca. 1 Zeile.) Nnnoncenannahni« nur bi» Vormittag. _ . t> Buchdnickerei. Chemnitz. Theaterstraße K (Fcnisprechstelle Nr. ISS). Telegr -Adr-: Landes-Anzeiger, Chemnitz. Mit täglich einem besonderen Unterhaltungsblatt: i. Kleine Botschaft - 2. Sächsischer Erzähler - 3. Sächsische Gerichts-Zeitung 4. Sächsisches Allerlei — 6. Jllnslrirtes Unterbaltnngsblatt — 6. Sonntagsblatt — Ertra-Beiblatt: Lustiges Bilderbuch. Telegraphische Nachrichten. Vom 13. März. Landsberg a. d. Warthe. Offiziell wird gemeldet: Infolge Schneewehen sind nachstehende ostdeutsche Bahnen gesperrt: Stolp- Danzig, Deutscheylau-Osterode, Schneidemühl-D.-Kcone, Nenstettin- Stolpinünde, Schlawe-Rügenwalde, Elfenau-Exin. Jablonowo-Solda», ThorwKornatowo, Grandenz-Marienburg, Garnsee-Lesse», Pranst- Carihaus, Berndt-Hohenstein, Guedenboden - Kobbelbude, Allenstcin- Johannisburg. Wien. Sämmtliche Blätter begrüßen den Depeschenwechscl zwischen Bismarck und Kalnoky als Bekräftigung des deutsch-öster reichischen Bündnisses. Bern. Die Botschaft über Fremdenpolizei wurde in der Bundesversammlung heute vcrtheilt. Sie giebt einen Abriß der be kannte» Vorgänge und schildert besonders v.Ehrenbcrg, Metzler, Schröder und Haupt, deren Provokationen darlcgend. Der Bundesrath thcilte am gleichen Tage, an welchem die Reichstagsvcrhandlnngen begannen, der deutschen Gesandtschaft in Bern mündlich mit, daß meistens die kompromittirten Personen „bezahlte Agenten der deutschen Geheim polizei" seien. Die Botschaft sagt, der Bundesrath sei entschlossen, das Asylrecht hochzuhalte», aber keinerlei Feindseligkeiten gegen Nach barstaaten zu gestatte». An Deutschlands freundschaftlicher Gesinnung liege der Schweiz viel. Der Bundesrath verlangt für die Fremdcn- pvlizei eine Erhöhung des Credits um 20,000 Fr., besonders um „in allen Theilen des schweizerischen Gebiets die Thätigkeit der Spione, die gerade als solche fast naturnothwendig in nZsuts xro- vocatsurs sich verwandeln, gründlich verfolgen zu können." Rom. Der ministerielle „Pungolo" erklärt, der Rückzug eines große» Theiles des afrikanischen Heeres sei zwar im Prinzip be schlossen, jedoch unmöglich, so lange dcr Negus in Asmara oder Ginda stehe. Paris. Das „XIX. Siecle" kann auf Grund eines Gespräches mit Lockroy, dem Präsidenten der radikalen Linken, zu dessen Ver öffentlichung das Blatt autorisirt ist, demcutire», daß die Radikalen eine Interpellation über die allgemeine Politik planen. „Rappel" behauptet dasselbe, fügt aber hinzu, daß viele Deputirte es für un möglich halten, in die Osterferien zu gehen ohne ein politisches Votum der .Lämmer, daß man aber ein solches nicht über eine Inter pellation herbciführen wolle. Politische Rundschau. Chemnitz, den 14. März. Deutsches Reich. Die Beisetzung Kaiser Wilhelms wird mög licherweise noch nicht am Freitag stattfinden. Der starke Schnecfall hat den Bahnvcrkchr sehr gestört, und es ist die Frage, ab alle sürst liehen Trauergäste bis Freitag rechtzeitig in Berlin sein können Offiziell wird nur die Traucrfeier im Dome sein, während die Bei setzung in der Gruft des Mausoleums nur in Gegenwart der nächsten Angehörige» erfolgt. Der Weg vom Dome bis zum Mausoleum be trögt eine Stunde, Spalier bilden die Studentenschaft, Kriegervercine, Gewerke, die Arbeiterkrankenkassenvereine rc. Der Reichstag und der Preußische Landtag werden durch ihre Präsidien vertreten sein. Die Trauerstraße wird unter Leitung des Architektenvereins dekorirt. Eine Tribüne für Zuschauer wird am Opcrnhause errichtet. — Der Prinzrcgent Luitpold von Bayern hat.sich entschlossen, Persönlich dem Leichenbegängniß Kaiser Wilhelms beizuwohnen. — Zu der Trauerfeier schicken alle ausländischen Monarchen die Kron prinzen, persönlich kommen die Könige von Belgien und Rumänien. Die Kundgebungen dcr Trauer im Auslande für Kaiser Wilhelm nehmen noch immer zu. Nachdem nun auch die Landcsvertretungen der republikanischen Schweiz ihrer Sympathie Ausdruck gegeben, ist in der That das französische Parlament das einzige, in welchem des Hinscheidens Kaiser Wilhelms mit keinem Worte gedacht ist. Präsi dent Carnot hat allerdings durch seine sehr theilnehmenden Beileids telegramme dies einigermaßen wieder gut gemacht. Außerdem bezeigt die französische Presse die allerwürdigste Haltung. — Aus Charlottenburg. Kaiser Friedrich brachte den ganzen Montag im Charlottenburger Schlosse zu. Die speziellen Berichte einzelner Berliner Blätter über einen Besuch des Kaisers am Sarge eines Vaters im Dome entsprechen also der Wahrheit nicht. Ebenso entspricht es nicht der Wahrheit, wenn gesagt wird, mau könne dem Kaiser gar nichts von seinem Leiden ansehen. „Wir haben den Kai- er in Westend" — so wird aus Berlin geschrieben — „in aller nächster Nähe gesehen und können deshalb ganz sicher mittheilen, daß die Züge des hohen Herrn einen gelblichen Schein haben, der Bart tark grau ist. Das ganze Auftreten nach dcr laugen Krankheit ist aber über alle Erwartung günstig; der Kaiser macht etwa den Ein druck Jemandes, der eine nicht zu lange Krankheit Überstunden hat, nur noch mit einigen leisen Nachwehen zu kämpfen hat und nun gu ten Muthcs seine Thätigkeit wieder aufuchmeu will." Das sind also ö gute Nachrichten, wie man nur erwarten kann, und man braucht nicht zu sagen, man sehe dem Kaiser ganz und gar nichts von den vergangenen Monaten an. Das Charlottenburger Schloß ist gegen wärtig von einer theilnehmenden Menschenmenge umlagert, welche den Augenblick erhaschen will, welcher den Kaiser ans Fenster führt. Am Montag Nachmittag ließ sich auch der Kaiser an einem Fenster des linken Schloßslügels sehen und wurde mit donnerndem Jubel begrüßt. Kal cr Friedrich dankte durch Verneigung. Am Dienstag hörte der Mo narch einige Vorträge und empfing die Besuche des Großherzogs und der Großherzogin von Baden, sowie des Kronprinzenpaales. Weiter ertheiltedcr KaisereincrDeputationderBerliuerstädtischenBehörven unter Führung des Oberbürgermeisters von Forckenbeck Audienz. Der Kaiser hatte vorzüglich geschlafen; von den Reisestrapazen ist er ganz wieder hergestellt, er bewegt sich leicht und elastisch und sieht noch besser aus, als bei seiner Ankunft. Der Gang ist sogar ausnehmend kräftig. Dcr Kaiser unterhält sich nur schriftlich. Er kann wohl sprechen, aber die Aerzte machen die äußerste Schonung zur Vorschrift. Es ist wenig wahrscheinlich, daß der Kaiser bei dem jetzigen Wetter nach Berlin kommt. Vom Empfang der Berliner Stadtverordneten wird noch berichtet, daß der Kaiser seinen herzlichen Dank ausdrückte, sowie die feste Hoffnung, er hoffe noch recht lange der Stadt Berlin und dem deutschen Reiche ein Schirmer und Schützer zu sei». Die Herren waren sehr überrascht von dem wenn auch ernsten, so doch ungezwungenen Wesen des Kaisers, das gar nicht auf die gefährliche Krankheit hin- dcutet. — Ueber die Eidesleistung des Kaisers vor dem preußischen Landtage sind noch keine bestimmten Anordnungen getroffen. Wahr scheinlich ist aber ein schriftliches Gelöbniß vor dem Landtage, viel leicht Sonnabend. Bei dem Empfang der Präsidien der parlamen- tariichcn Körperschaften, über welchen ebenfalls noch nichts Definitives feststeht, wird sich das Kaiserpaar möglicherweise durch den Kron prinzen vertreten lassen. Die Präsidien der Parlamente waren übrigens am Dienstag und Mittwoch beim Reichskanzler ver sammelt. Wahrscheinlich sind dort alle diese Fragen erörtert worden. Der Reichstag wird in seiner ersten Sitzung nach der Bestattung Kaiser Wilhelms einen Dank an die auswärtigen Parlamente für ihre Theiluahmebezeugungen votiren. Am Dienstag Abend empfing Kaiser Friedrich den Besuch seiner greisen Mutter, dcr tiefgebeugten Kaiserin-Wittwe Augusta, in Charlottenburg. — Kaiser Friedrich hat mit dem Zaren, dem Kaiser von Oester reich und dem König von Italien überaus herzliche Freundschasts- telegramme gewechselt, deren Wortlaut später vielleicht noch Publizirt werden wird, da sie auch eine hohe politische Bedeutung haben. An Kaiser Alexander, der bei dem Empfang der Trauerbotschaft in Thränen ausgebrochen sein und sich eine Stunde in sein Arbeitskabinet cingeschlossen haben soll, telegraphirte dcr Kaiser, er betrachte sich auch als Erben der politischen Ueberzcugung seines hochseligcn Vaters und werde sich stets bemühen, gute Freundschaft mit Rußland zu halten. Die Telegramme nach Wien und Rom besagen, daß der Kaiser all« Bestimmungen der abgeschlossenen Bündnißverträge auf das Genaueste erfüllen werde und um die dauernde Freundschaft der Monarchen bitte. — Die auswärtigen Blätter haben sich in ganz hervorragendem Maße mit der Frage beschäftigt, welche Aenderung in der internatio nalen Politik der Regierungsantritt Kaiser Friedrich's Hervorrufen werde. In Deutschland hat man sich nur wenig mit dieser Ange legenheit beschäftigt und zwar mit vollem Recht, denn es bleibt künftig Alles genau ebenso, wie es bisher gewesen. Das Bündniß mit Oesterreich-Ungarn bleibt über alle Zweifel erhaben und das mit Italien wird noch bekräftigt durch die außerordentlich innige Freund schaft, welche den Kaiser Friedrich mit dem König Humbert verbindet. Kann auch im Nothfalle vielleicht Kaiser Friedrich nicht in's Feld ziehen, die Oberleitung eines Krieges kann er doch haben und an tüchtigen Heerführern ist in Deutschland jetzt ebenso wenig ein Mangel, wie im Jahre 1870/71. Kuriose Ideen haben französische Blätter. Sic meinen, der neue Kaiser habe den Namen Friedrich gewählt, um anzudeuten, daß er eine neue Politik einleiten würde. „Der große Friedrich", so schreiben Pariser Blätter, „war ein leidenschaftlicher Freund Frankreichs und man glaubt, daß der neue Herrscher Deutsch lands, sehr gerührt von den Gefühlen, die von dem französischen Volke während seiner Krankheit kundgegeben wurden, einen Namen anuehmen wollte, der in Frankreich in gutem Andenken geblieben ist." Reden wir nicht von den Gründen, die den Franzosen wohl schwer lich besser bekannt sind, als den deutschen Zeitgenossen, doch vergessen wir's nicht, daß dcr alte Fritz bei aller Vorliebe für die französische Literatur und Bildung seines Zeitalters kein Bedenken trug, Freund Voltaire, als er zu sehr als Franzose austrat, an die Luft zu setzen, und daß derselbe k'riäorious rax, als richtiger Urenkel des großen Kurfürsten, gar kein Bedenken trug, die Franzosen unter Soubise bei Roßbach zwischen Weißcnfels und Merseburg am 5. November 1757 auf's Haupt zu schlagen und ihnen 72 Kanonen, 22 Fahnen und 7000 Gefangene abzunehmcn, worunter 8 französische Generale und 300 Offiziere. Das nennt man deutsche Hiebe, an welche die Fran zosen nicht gern denken, zumal seit sie unter dem dritten Fritz bei Wörth und Sedan au Roßbach stark erinnert wurden. UebrigenS ob Fritz oder Wilhelm, wenn es einmal wieder Ernst werden sollte, so werden die Franzosen schon merken, daß es der Name nicht ausinacht. — Die greise Schwester Kaiser Wilhelms, die Grvßherzogin- Mutter von Mecklenburg Schwerin, das einzige noch lebende Kind der Königin Louise, ist durch die Trauerbotschaft heftig erschüttert, indessen nicht in ihrer Gesundheit bedroht. — Das Befinden des Fürsten Bismarck giebt, wie die „Nat.- Ztg." mittheilt, zu keinerlei Bedenken Anlaß. Der Reichskanzler ist am Dienstag zur gewöhnlichen Zeit aufgestanden und konnte sich auch den laufenden Geschäften widmen. Die Venen-Entzündung ist nicht schwerer Natur, aber immerhin derartig, daß sie die Theilnahme des Kanzlers an den Tranerfeierlichkeiten in Frage stellt. Fürst Bismarck war am Montag Nachmittag fast zwei Stunden in Charlottenburg bei dem Kaiser. Es handelte sich wohl um die definitive Feststellung des inzwischen erlassenen Aufrufes. Zugleich hat der Kaiser dem Reichskanzler nochmals seinen Dank für die treuen Dienste, welche er dem Kaiser Wilhelm geleistet, ausgedrückt und zugleich die Erwartung ausgesprochen, daß er sich noch lange der Unterstützung des Reichs kanzlers erfreuen werde. — Der Prinz-Regent von Bayern hat an den Reichskanzler Fürsten Bismarck folgendes Beileidstelegramm gerichtet: „Mit Ihnen, lieber Fürst, beklage ich von Herzen das Ableben des von mir treu verehrten Kaisers und spreche Eurer Durchlaucht meine schmerzliche Theilnahme an dem unersetzlichen Verluste aus." Die Erwiderung des Fürsten Bismarck an den Prinz-Regenten lautete: „Eure König liche Hoheit bitte ich unterthänig, meinen ehrfurchtsvollen Dank für den huldreichen Ausdruck der Theilnahme in Gnaden entgcgenzu- nehmen." Von Geschlecht zu Geschlecht. Erzählung von W. Widder». Fortsetzung. Nachdruck verboten. Die Fahrt durch die Straßen der Stadt ging nur äußerst lang sam von statten, da Giacomo vor jedem interessanten Gebäude hal ten ließ und oft Viertelstunden dazu brauchte, um seine weitschweifigen Erklärungen zu geben. Uebrigens machte das alte- wegen seiner Schönheit so berühmte N. durchaus keinen angenehmen Eindruck auf unsere Damen. Es war ihnen im Gegentheil, als wenn sie durch einen riesigen Friedhof fuhren. Veranlassung zu diesem seltsamen Empfinden gaben wohl die vielen düsteren Paläste, deren Fenster und Thüren mit Brettern vernagelt waren. Schließlich war die ganze Gesellschaft froh, als das Weichbild der Stadt hinter ihnen lag und sie sich wieder in Gottes freier Natur befanden, welche immer neue Reize offenbarte, je mehr der Tag sich zum Abend neigte. Dunkler, kühler, blauer wurden die Schatten im Thal, auf den Wiesen und an den unteren Bergwäldern. Es war, als sähe man durch Flor oder dunkelgefärbtes Glas die Gegenstände, und nur in unmerklich leisen Uebergängen an den Höhen hinauf verlor sich das Dunkel bis empor zu dem violetten Zauberduft der Bergspitzen, die sich mit dem reinen Blau des Himmels mischten. Das Grün der Myrthen- und Lorbeerbäume blitzte wie in tausend goldenen Licht- blüthen. Jetzt sank die Sonne, und aller Orten klang das Abend- geläute. „Es ist wie im Paradiese," flüsterte Gitta und legte ihre Hand auf die Schulter der Schwester, die traumverloren hineinblickte in all' diese berückende Schönheit. Jetzt fuhr sie zusammen, und leise mit dem blonden Köpfchen nickend, kam es wie ein Hauch von ihren Lippen: „Ja, Gitta, hier ist es schön, — so schön, wie wir es uns wohl kaum geträumt haben in unserer armen Heimathl Schade nur, daß all' dieser Liebreiz der Natur das Menschenherz nicht zu erlösen, zu befreien vermag von seinem Wehl" Und verstohlen die Hände der Gelähmten drückend, welche tbeilnehmend in das junge, zuckende Ge- sichtchen sah, hauchte sie: „Gitta, Gitta, — könnte ich sterben! — O, mein Gott, aber auch Du scheinst ja nicht gesehen zu haben, was mir das Herz fast zerrissen, — Du scheinst nicht zu wissen, daß " „Daß —, aber Angelica, ich bitte Dich, so sprich Dich doch aus I" „Alsonso ist au uns vorübergesahren l" „Alsonso?" Gitta hatte den Namen des Mannes, durch den die kleine Familie anscheinend auf's Raffinirtcste beleidigt worden war, so laut wiederholt, daß nun auch die Baronin und Fräulein Lotte aufmerk sam wurden und die Elftere unmuthig und mit merklich gerunzelter Stirn fragte: „Gitta, wie kommst Du darauf, den Namen dieses Menschen zu nennen? Du weißt, wir waren übereingekommen, seiner wenigstens nicht mehr mit Worten zu gedenken." „Verzeihe, Mama, aber Angelica sagte mir soeben, daß Don Marento nahe an uns vorbeigefahren." Die Baronin erbleichte, aber sie faßte sich schnell und sagte: „Da hast Dich gewiß geirrt, Angelica! Hier unter den dnnklen Ge sichtern der Italiener giebt es manches, das dem des Gewissenlosen ähnlich sieht!" „Nein, nein, Mama, — eS war nicht nur eine Aehnlichkeit, die mich täuschte, — Alsonso —" Die Baronin machte eine stolze, abwehrende Handbewegung. „Kein Wort weiter, Kind, ich bitte Dich! Erweise dem ehrlosen Wicht nicht noch die Ehre, von ihm zu sprechen, — an ihn zu denken." „Aber, Mama, — kann ich denn meinen Erinnerungen gebieten ?" schluchzte Angelica auf. „O, Mama, und ist es denn nicht möglich, daß Alsonso wirklich triftige Gründe gehabt hat, noch im letzten Augenblick zurückzutreten?" Die Baronin zuckte die Achseln, — dann sagte sie schneidend: „Gewiß, — er wird erfahren haben, daß seine Braut im Verhältniß zu den fast märchenhaften Reichthümern, über die er verfügt, nur — ein armes Mädchen ist."! „Mama, — nein, nein, solche Motive darfst Du der Handlungs weise Alfonsos nicht unterlegen!" Die Baronin hatte sich zornig aufgerichtet. Sonst eine so nach sichtige, sanfte Mutter, zeigte sie jetzt nichts als Strenge. Ueber all' ihrer Herzensgüte besaß die Baronin auch in hohem Grade Adels und Familienstolz. So konnte sie es nicht verwinden, daß dieser landfremde Mann — dieser Spanier Marento, dem sie im Grunde genommen doch nur ungern die Hand ihrer Tochter bewilligt hatte, — den vornehmen Namen der Rüle von Görgenstein, — der Staa kens in aller Munde gebracht. „Ich muß Dich bitten, Angelica," sagte sie in ungewohnt scharfem Ton, „und wenn Du es nicht anders willst, Dir befehlen, diese An gelegenheit für vollständig erledigt zu betrachten, mir gegenüber wenigstens. Ich bemerke Dir aber auch zugleich, daß ich an Deiner Stelle, das heißt, wenn ich durch einen Mann so beschimpft worden wäre wie Du, diesen Mann — hassen würde — aus Grund meiner Seele, denn —" Drei Paar Augen hatten erschrocken an dem Munde der erregten Frau gehangen. Jetzt aber legte Lotte bittend ihre Hand auf die Schulter der Baronin, und es klang fast rührend, als das alte Fräu lein mit Thränen im Auge flüsterte: „O, Frau Baronin, seien Sie nicht so hart! Ach, das Lebe» mit seinen Erfahrungen hat Sie nur vergessen lasse», wie Sie in der Jugend empfunden." „Meinen Sie?" sagte die Baronin; aber schon klang die innere Besänftigung durch ihre Stimme. Dann strich sie sich mit der Hand über das heiße Gesicht, und schnell auf ein anderes Gesprächsthema übergehend, versuchte sie, auch die Gedanken ihrer Begleiterinnnen in ein anderes Geleise zu bringen. Es währte ja auch nicht mehr lange, so war die Villa erreicht. Aber noch stundenlang konnten heute Vorübergehende die kleine Fa milie unter den Myrthen- und Lorbeerbäumen sitzen sehen, die um das stattliche Gebäude angepflanzt waren. Und als man sich endlich doch genöthigt sah, in das Haus zu gehen, blieben trotzdem zwei Fenster desselben fast die ganze Nacht hindurch erhellt. Hinter ihnen aber ging ruhelos eine kleine, zierliche Frauen gestalt auf und nieder. Lotte Gröning hatte cs nicht vermocht, sich auf Geheiß der Baronin zu Bette zu legen. — O, in der Seele de alten Fräuleins stürmte es ja, — und um so heftiger, als sie Nie mandem offenbaren durfte, konnte, wie es in ihrem Innern aussah. So war sie stundenlang ohne Rast und Ruhe auf und nieder ge gangen. Endlich aber fühlte sie ihre Gliedmaßen ermüdet und ließ sich am geöffneten Fenster nieder. Des Mondes Helle Scheibe blinkte mit mildem Goldglanz durch die Baumwipfel in das Gemach der Einsamen und erleuchtete draußen Busch, Strauch und Bäume. „Wie schön, — wie schön," flüsterte Lotte und blickte hinaus in die märchenhaft holde, nächtige Natur, „und dabei doch zu wissen —I" Sie preßte die Hand auf die stürmisch wogende Brust. Ihre Augen schlossen sich unwillkürlich, als wenn sie Gedanken Audienz gebe» wollte, die nichts gemein hatten mit dieser wundervollen italienischen Landschaft. Weit, weit zurück führten sie diese Gedanken: Sie sah sich al- kleines Kind in einer armseligen Häuslichkeit bei einer alten, häß-