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.Ä md Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen und städtischen Behörden zn Freiberg Md Brand. Verantwortlicher RedaÜem Jnliu» Brau« dl Freiberg. . . 81. Jahr,«,. > - l! Erscheint jeden WocheMag Abend« 6 Uhr für den Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angensm- 11.1 I Donnerstag, des 15. Jamar. 1880. Der Nachbar im Osten. Borficht ist bekanntlich die Mutter der Weisheit; das weiß auch der russische „GoloS". Lebte da auf russischem Gebiete mit einer russischen Pension von jährlich 20000 Rubel der Neffe Schir Ali'S, des vertriebenen Afghanen- KhanS. „Freiwillig" war er nach Rußland gekommen, dessen Regierung ihn — natürlich auch freiwillig — sofort jene respektable JahreSrente aussetzte. Jetzt ist Abdurhaman- Khan — so heißt der freiwillige Pensionär — nach Afgha nistan entflohen, wo die herrschende Anarchie ihm die Aus sicht eröffnet, mit Hilfe seines Anhanges die Herrschaft zu gewinnen. Seine ebenfalls die russische Gastfreundschaft genießenden Vettern folgten, wie kürzlich ein Telegramm meldete, diesem Beispiele. Kaum war dies geschehen, so schreibt unaufgefordert der „Golos", die Nachricht von dieser AuSreißerei würde sicherlich nicht verfehlen, in der englischen Presse eine ganze Reihe von Beschuldigungen gegen Rußland hervorzurufen, daß dasselbe in Afghanistan Jntriguen anzettele, um die Eng land daselbst ausstoßende Hindernisse zu vermehren. Natürlich erklärt der „Golos", den Beschuldigungen zuvorkommend, die russische Regierung für völlig unschuldig an dem Ge- schehenen und den Schluß von der Flucht des afghanischen I Kronprätendenten auf eine Theilnahme Rußlands am afghanischen Kriege für eine „gewagte Kombination". (Lui Hs'vxeusv 8 »ceuss — wer sich entschuldigt, klagt sich an. Unbequem wenigstens wird Rußland die Vermehrung der afghanischen Wirren durch einen ihm zu Dank ver pflichteten auf die afghanische Bevölkerung einflußreichen Prinzen schwerlich sein. Die Zinsen, die ihm so aus den 20 000 Rubeln Jahresrente erwachsen können, wird es wohl nicht ausschlagen. Man darf sicher glauben, daß dem un eigennützigen Kulturapostel in Asien, der sich eben zu einem KriegSzuge nach Turkestan und zur Eroberung nach Meiv rüstet, eine gefährlichere Lage der englischen Invasion in Afghanistan und ein längeres, schwereres Engagement Eng lands daselbst nicht eben unangenehm sein werde. Muß jenes doch in dem russischen Zuge nach Merv um eine um so ernstere Gefahr für seinen asiatischen Einfluß fürchten und abgesehen davon, daß der Khan von Merv, wie es heißt, seine Hilfe erbitten will, sich gezwungen sehen, durch irgend wie zulässige Konzessionen die bedrohliche Expedition zu verhindern. Schon im Jahre 1875 erklärte Lord Derby die Be setzung Mervs durch die Russen im Interesse Englands für unzulässig und für den Anlaß möglicher weitgehender Dispositionen in Afghanistan. Nun kann die czarische Re gierung sagen, daß diese durch die Besetzung Kabuls bereits eingetreten seien und sie zwängen, gegen Merv vorzugehen. Sie darf alsdann mit einigem Recht die Unterlassung der Expedition auf Merv respektive von dessen Eroberung ab hängig machen von einer anderen Ordnung der Dinge in Afghanistan. Sie könnte Abdurhaman Khan als den rechten Mann empfehlen, dessen Regiment sie für die befriedigende Lösung ihrer Streitfrage mit England halte, zumal er uiterdeß Zeit hatte, die Bevölkerung seines Landes völlig fix sich zu gewinnen und so die Pression Rußlands auf eine Inthronisation durch den Druck der Volksstimmung u verstärken. So wäre denn der Zug nach Merv unter- lieben, aber auch ohne ihn der russische Einfluß in jenen »egenden durch den pensionsdankbaren Afghanen-Khan ge- rttet. Das ist die Kombination, die man wohl auch wider es „Golos" Meinung an die Flucht des Prinzen im rus- schen Solde wird zu knüpfen wagen dürfen. Während Rußland so in Asien dem Vordrängen seiner stacht die Wege bahnt, ist es auch in Europa nicht un- thätig, kriegerische Unternehmungen vorzubereiten. Eng lische Blätter melden neuerdings wieder mit großer Be stimmtheit, daß on der deutschen Grenze massenhafte Trup- penanhäufungen vorgenommen werden und daß man daselbst eifrig beschäftigt ist, die Grenzbefestigungen aus zurüsten und zu verproviantiren. Weiter wird auf die Etsenbahnbauten nach der Grenze aufmerksam gemacht. Daß sich die russische Diplomatie bemüht, die Pforte von England abzuziehen und der czarischen Regierung zu nähern, ist gleichfalls und bereits seit längerer Zeit als ein Anzeichen hervorgehoben worden, daß man in Peters burg eine Zukunft für wahrscheinlich halte, in der die tür kische Bundesgenossenschaft oder wenigstens eine freundliche Neutralität der Pforte nützlich sein könnte. Diese Zukunst mag noch nicht so unmittelbar bevorstehen, als man in jüngster Zeit glaubte. Der russische Czar ist persönlich einem Kriege gegen Deutschland abhold; aber alle jene Er scheinungen in Verbindung mit der Thatsache, daß der Ein fluß des deutsch-feindlichen russischen Thronfolgers in letzter Zeit bemerklich gewachsen, machen es wahrscheinlich, daß ein nicht in weiter Ferne liegender Regierungswechsel in Petersburg für «ns vedhängnißvoll werden wird. In Berlin denkt man ähnlich. Dies beweist schon der Umstand, daß die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung", die bisher sehr russisch gesinnt erschien, der Sicherung der deutschen Grenze gegen den Osten auf einmal eine fleißige Aufmerksamkeit zuwendet. So druckte sie kürzlich den Auf satz eines deutschen Militärs über den Gegenstand ab und besprach ihn ausführlich. Auch die Worte, welche der deutsche Kaiser gegen den Feldmarschall Moltke anläßlich des Neujahrsempfanges geäußert haben soll und welche die politische Lage für sehr ernst zu halten veranlassen, werden dahin gedeutet, daß uns in absehbarer Zeit die Gefahr eines Angriffes von unserem russischen Nachbar drohe. Tagesschau Freiberg, 14. Januar. Vor vierzig Jahren bezeichnete Friedrich List den Zoll verein als das wichtigste Attribut der deutschen Nationalität; er prophezeite, daß sich aus ihm eine politische Einigung Deutschlands entwickeln werde. Wenn man zurückdenkt an die Territorialstrette in Deutschland, an den deutschen Bund seligen Angedenkens, an den österreichischen Einfluß, an den Mangel einheitlicher Gesetzgebung und Heeresverfaffung, wie an die buntscheckige diplomatische Vertretung Deutsch lands, wenn man sich der Zeiten erinnert, in denen das kleine Holland es wagen konnte, den deutschen Rhein für deutsche Schiffe zu sperren, als die Völker in Afrika und Asien noch der Meinung waren, daß Deutschland eine Pro vinz von Hamburg sei, dann treten die Ausführungen List's in das rechte Licht. Wir besitzen aber noch andere Prophe zeiungen des großen Volkswirthes, und diese sind um so merkwürdiger, weil die deutsche Staatsleitung in neuerer Zeit dem „Nationalen System" unbedingt sich zugewandt hat und dasselbe mit der ihr eigenen Konsequenz durchzu führen gedenkt. Als Ziel der deutschnationalen Politik be zeichnete List: alle deutschen Lande mit Dänemark, Holland und der Schweiz zu einer kräftigen kommerziellen und politischen Einheit zu konstiluiren. Um die Ueberlegenheit der englischen Seemacht zu verringern, müsse Deutschland die genannten Staaten sich angliedern und die englische Suprematie zum Nutzen für Europa brechen. Zur Er klärung dessen fügt List hinzu, daß die Erreichung dieses Zieles, sich in den Besitz natürlicher Grenzen gegen Süd und West, in den Besitz der Mündungen der großen Flüsse, ausgedehnten Küsten und einer entsprechenden See- und Kolonialmacht zu setzen, nöthigenfalls mit Waffengewalt zu erzwingen sei. Gegen Dänemark und sogar gegen Frankreich hat Deutschland bereits von dem Eisen Gebrauch gemacht, um das Programm List's auszusühren. Oesterreich gegenüber hielt List eine andere Politik für an gezeigt. Deutschland habe nämlich ein unermeßliches In teresse, daß in der Türkei und den unteren Donauländern einmal Sicherheit und Ordnung Bestand gewinnen, um einen Theil der deutschen Auswanderer, so lange das Reich keine eignen Kolonien habe, nach jenen Ländern ableiten zu können. Zu diesem Zwecke müßten Gesellschaften zur Beförderung der Kolonisation gegründet werden, Oesterreich selbst sollte in der Türkei festen Fuß fassen und mit dem Zollverein einen Vertrag abschließen, in welchem sich die beiden befreundeten Mächte wechselseitige Zugeständnisse machten. Der direkte Handelsweg nach Indien dürste auf keinen Fall in den Besitz Englands gelangen, Deutschland und das übrige Europa sollten deshalb die Obhut über jenen wichtigen Verkehrsweg Oesterreich anvertrauen. Auch auf Belgien kommt List zu spechen. Er glaubt, daß die Ver einigung dieses Landes mit einer Nachbarnation nur eine Frage der Zeit sei, um die mit der Beschränktheit de- Territoriums und der Bevölkerung verknüpften Mängel zu heilen. Als ein vorzügliches Mittel, die „Konförderation" der kleinen Staaten mit den großen zu befördern, hat List die Anlegung eines weitverzweigten Eisenbahnnetzes, die Ausdehnung der Schifffahrt und die Anknüpfung aller möglichen Beziehungen angerathen. In allen diesen Dingen « erscheint Fürst Bismarck als ein Schüler List's. Es ist ihm bereits gelungen, die Küsten zu erringen und die na türliche Sprachgrenze im Westen zu erobern; er hat Luxem burg an Deutschen«,'gekettet, die Schweiz durch eine zen trale Alpenbahn verpflichtet, die Hansestädte dem Reich» einvsrleibt und den Holländern die Frage über den Eintritt in den Zollverband nahe gelegt. Ein enger HandelSver- ' trag mit Oesterreich ist das Ziel seiner Wünsche, das aller- l dings noch nicht erreicht ist, und der Berliner Vertrag hat a Oesterreich jene Stellung angewiesen, welche List empfahl, ff Dies Alles, ob zufällig oder nicht, ist jedenfäüs über- ' raschend. Im preußischen Abgeordnetenhause wurde gestern die Generaldebatte über die neuen Verwaltungs-Gesetz entwürfe eröffnet, die möglicherweise vier bis fünf Sitzungen in Anspruch nehmen wird. Es ließen sich von vornherein nicht weniger als 27 Redner einschreiben und 5 kamen gestern nur zum Wort. Abg. v. Bennigsen erkannte die Dringlichkeit eines endlichen Abschlusses der Verwaltungs-Organisation an und erklärte seine und seiner politiicten Freunde Bereitwilligkeit, soviel als möglich für das Zustandekommen der Gesetze zu wirken. Indem er die politischen und sachlichen Schwierigkeiten nicht unterschätzte, übte er doch an vielen Ernzelbestimmungen eine strenge Kritik und verfehlte nicht, für die Kommissionsberathungen eine ganze Reihe von Abänderungsvorschlägen zu machen. Der Redner bedauerte u. A., daß nicht, was er für daS Vorzüglichere erachtete, der Schwerpunkt der Regierung in die Provinzen verlegt werde. Indessen wolle er auch den Bezirk als diesen Schwerpunkt akzeptiren, wenn nur streng die Konskquenzen dieses Standpunktes gezogen würden. Für Hannover wünschte er eine andere geographische Ab grenzung der Bezirke und beklagt, daß der dortigen Bevölkerung alte, lieb gewordene Einrichtungen aus Sparsamkeitsgründen genommen werden sollen. Unter anderen Desiderien betonte Herr v. Bennigsen dann die Nothwendigkeit des vereinfachten JnstanzenzugeS. Die Zahl der Instanzen solle vermindert werden, die Berufsbeamten der neuen Organisation und dem zur Mitverwaltung berufenen Latenelemente mit größerer Freundlichkeit und weniger Vorurth.il entgegen kommen. Abg. von Rauchhaupt erklärte, daß auch die konserva tive Partei für die Fertigstellung der Vorlagen etntreten wolle, indeß seien die Mängel der neuen Kretsverordnung von 1872 doch von den Mitgliedern der konservativen Par tei mehr empfunden und besser erkannt worden, als von dem Vorredner, weil diese Partei zumeist sich aus den alt- preußischen Provinzen rekrutire. Auch die Konstruktion des Bezirksralhs und Verwallungsgerlchts kritisirte der Redner und rügte, daß gegenwärtig die Zuständigkeiten dieses Gerichts und des Bezirksraths unbestimmt und das Ver fahren zu kostspielig sei, gab indeß schließlich doch der Hoffnung Ausdruck, daß die verschiedenen Parteien über die Vorlagen zu einer Verständigung gelangen würden. Abgeordneter von Meyer (Arnswalde) sprach sich gegen die wettere Ausdehnung der Kretsordnung auf die neuen Provinzen aus. Seiner Erfahrung nach sei das Experi ment mit der Kreisordnung als mißlungen zu bezeichnen. Der größte Fehler der neuen Organisation liege in der Kompltzirtheit der Behörden. Die Verbindung der Instanzen