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Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den 143. 1878. andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2b Pf., zweimonatlich 1 M. bv Pf. n. einmonatl. 7b Pf. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis sür die gespaltene Zeile oder deren Raum 1b Pfennige. 80. Jahrgang. Somabend, den 22. Jnni. reMerM^ und Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen nnd Müschen Behörden zn Freiberg nnd Brand. Verantwortlicher Redakteur Julius Braun in Freiberg. Einladung ;«m Abonnement. Indem wir das geehrte Publikum zum Abonnement auf den „Freiberger Anzeiger" höflichst einzuladen uns erlauben, bitten wir, die Bestellungen auf das Blatt recktzeilig macken zu wollen, damit eine Unterbrechung reipektioe veupadte Lieferung vermieden wird. Sämmüiche kaiserliche Postanstalten nehmen Be stellungen entgeg-n; außerdem abonnirt man in Freiberg bei der unterz schneien Expedition und den nachgenannten Ausgabestellen: Annabcrgerstratze; » Ecke der äußeren Bahnhofsstratze; Erbischestratze; Meißnergasse; Id. Li «tcirvnieikr, Obermarkt; Aimokv, Burgstratze, H»voSor8tÄiL»«i', Weingasse und kleine Borngasse. Der Preis des Blattes bleckt unverändert und benagt pro Vierteljahr 2 Mark 25 Pf. Der „Freiberger Anzeiger" wird auch für die Folge den von ihm eingenommenen Standpunkt wahren, durch, regelmäßige Leitartikel politischen und voikswirthschaft- lichen Inhalts die Vorgänge im Bereiche der Tagesgeschichte erläutern, durch Telegramme, Korrespondenzen, Lokal- und Provinzialnachrichten, Handels- und Börsenberichte sowie durch ein gut gewähltes Feuilleton allen billigen Ansprüchen feiner geehrten Leser nach Mög lichkeit zu entsprechen sich bestreben, um nickt nur das bisher in ihn gefetzte Vertrauen zu rechtfertigen, sondern auck immer neue Freunde zu erwerben. Inserate finden im , W reiberx-vr bei der gegenwärtigen Auflage von 3700 Exemplaren die weiteste und zweckentsprechendste Verbreitung. Vl« LxIbVÄLUo» An das deutsche Volk! Bald nach dem glorreichen deutsch-französischen Kriege wurden Stimmen laut, die dem herrschenden Optimismus entgegentraten und die Entwicklung der politischen und ge sellschaftlichen Zustände in Deutschland mehr oder minder pessimistisch beurtheilten. Die Reichstagswahlen des letzten Jahres und die jüngsten traurigen Vorgänge haben dann auch sür die, welche bisher nicht sahen, den Schleier ge lüftet. Man staunt, man trauert und ist entsetzt über die Kluft, welche sich aufgethan, die uns trennt und scheidet von einem Theile unserer Volksgenossen, eine Kluft, größer und tiefer als diejenige zwischen zivilisinen Nationen und barbarischen Völkerschaften. Nicht länger sind es müßige Träumereien, nicht länger ein Tropfenfall, sondern ein wildes Wasser, das Vererben droht. Die Phrase hat Fleisch und Blut bekommen und das Gespenst hat aufge hört ein Gespenst zu sein. Erwartungsvoll sehen die deutschen Völker auf die Regierungen. Die Achtung vor den Gesetzen, die so freventlich erschütterte Autori tät, sie müssen wieder hergtstellt werden und die Re gierung muß zeigen, daß sie das Schwert nicht umsonst führt — so denken und hoffen Viele — jetzt wird die freie Entwickelung gehemmt werden so fürchten Andere. Aber was ist die unabweisbare, die dringende Pflicht Bei der, unser Aller tnsgesammt? Sollen, dürfen wir uns beruhigen dabei, der Gesundungsprozeß werde sich vollziehen unter der väterlichen Obhut der Regierungen, der Wachsamkeit der Polizeibehörden, dem Eifer der Staatsanwälte, der Schule und der Geistlichen, oder, - falls keine Spkzialgesctzgebunz kommt, — daß die Dinge, wie so oft schon, ihr Niveau finden werden, ein Rückschlag sich von selbst vollziehen werde? Nein, tausendmal Nein! Freilich nur einen Theil des Organismus, den wir mit Stolz und Freude das deutsche Reich nennen, hat die sozialistische Krankheit ergriffen und frei davon ist die Mehrheit der Nation. Aber wenn nicht die Einzelnen, aus denei^diese Mehrheit besteht, sich sagen, daß sie mitverantwortlich sind für die sozialistische Lerwil- derung, wenn nicht der Einzelne sein Leben, sein Denken und Handeln durch diese Ueberzeugung bestimmen laßt, dann gehen wir bergab, trotz Gesetzen einerseits, trotz frei heitlicher Entwickelung andrerseits. Die Mitverantwortlich keit der Gebildeten, der bester oder Besseres Mistenden, wird so oft betont und so oft anerkannt, wo ist aber der Einzelne, der Hand auf's Herz legt und sich sagt: „Ich bin auch ein'er von diesen Verantwortlichen." Unserm Volk in allen seinen Schichten fehlt noch die politische Reife; die geschichtliche Unterlage, erst jüngst ge schaffen, sie ist noch im Werdsprozeß, noch gebaut wird an dem nationalen Hause, welches andere Völker sich erst nach gewaltigen inneren Konvulsionen erkämpft haben. Daher bei uns noch die Verquickung politischer und religiöser An schauungen einerseits und andrerseits die Uebertragung beider in das rein menschliche, bürgerliche Gebiet. Eine volle Fronte in Haupt und Gliedern zeigt nur die sozia listische Koalition; hier ist eiserne Konsequenz nicht gilt in erster Linie Mensch, in zweiter Volksgenosse und in dritter Linie Partei, sondern in erster, in zweiter, in dritter Linie ist die Partei Alles in Allem. Freilich erscheint der Partei begriff hier nur als Name und Deckmantel für dämonische Bestrebungen, allein, gegenüber dieser Einigkeit, wie steht es bei den nicht sozialistischen Parteien!? Der Untergang s des großen Kurfürsten durch ein Schwesterschiff, die unseli- 'gen Attentate, sollen sie typisch sein sür deutsche Uneinig keit, für den Parteihader? Gott sei Dank, wir wissen, wie darauf die Antwort lautet! In Mitten der Besorgniß um den geliebten Kaiser hat der Appell an den Patriotis mus warmen und weitesten Wiederhall gefunden. Warum? Ein Jeder hat ihn für sich selbst gemacht, und darum hat es ein gewaltiges Echo gegeben. In einen gewaltigen Akkord ist ausgeklungen, was das ganze Land in diesen Tagen bewegt hat, und für den Moment schweigt unter der Mehrheit des Volkes die Parteiparole. Aber das ist nur ein Anfang. Deutsche Männer aller Parteien, laßt uns diesen echten wahren Ton festhalten, laßt uns wahrhaft einmüthig heran treten an die Arbeit nationaler Wiedergeburt, der Einzelne für den Anderen, für Alle. Welcher deutscher Mann, welche deutsche Frau stimmt mit Begeisterung ein in den Ruf „Kaiser und Reich" und wünscht nicht lebhaft, daß das Bewußtsein dieser Güter hineindringe in das letzte Haus, in die letzte Hütte. Aber die Vaterlandsliebe, die keine Opfer zu bringen vermag, sie ist nicht viel mehr als eilt Rausch der Be geisterung, ein Feuer, welches heute hell auflodert um morgen wieder zu verkohlen. Soll unser Volk gesunden, soll diese Krankheit über wunden werden, soll für die, manchen verloren gegangenen, von Vielen nie besessenen und ungekannten Güter „Kaiser und Reich" das Verständniß erschlossen werden, dann dürfen wir uns nicht ausschließlich verlassen auf Gesetze, auf Kirche, auf Schule, auch nicht auf Vereine, sondern dann muß Jeder seinen Mann stehen, und die Tugenden, welche unsere Väter ausgezeichnet haben in den Kriegen der Befreiung vom äußeren Feinde: Ehrenhaftigkeit, Wahr haftigkeit und Gerechtigkeitsliebe, Gottesfurcht und Menschenliebe, die Eigenschaften des Charakters und des Herzens, sie müssen wieder hoch erhoben werden in der Brust jedes Einzelnen! Wie du willst, daß Andere seien, so sei du nach innen und nach außen, das muß wieder ein Loosungswort werden. Unser erhabener Kaiser hat uns erstritten, was die besten und edelsten Deutschen seit langer Zeit ersehnten, „ein Vaterland, ein deutsches Reich." Wollte Gott, daß, was er jetzt für uns gelitten, ein Mittel werde, daS uns zusammen bindet und fügt, fester, inniger, als bisher; daß die Trauer um den siegreichen Kaiser den Hader der Parteien besiege, und daß bei der Abwehr gegen den ge meinsamen Feind nicht vergessen werde der Feind in eines jeden Brust: Die Trägheit, die Gleichgiltigkeit, daS zu friedene Sichgehenlassen. Wir stehen vielleicht an einem Wendepunkte unserer nationalen Entwicklung. DaS Krankenlager unseres Kaisers kann für uns die Quelle und Anregung nationaler Gesundung werden, und so mag unter Gottes Fügung die entsetzliche Unwahrheit, „zum Besten d.-S Volkes sei die That unternommen", dennoch zur Wahrheit werden im rechten und guten Sinne. Aber täuschen wir uns nicht, geht diese Zeit der Erhebung der Gemüther unbenutzt vorüber, werden die Empfindungen der Entrüstung und der Scham, werden sie demnächst übertönt von Parteileidenschaft, oder lassen wir sie einschlaien ohne selbst die Hand zu regen, dann geht dieser Mahn- und Weckruf verloren. Wir könnennickthcffen mit der organisirten sozialistischenThä- tigk. it zu rivalisiren; es ist nichtdie Art der guten und der besseren Keuilleto« i a der Beilage. Elemente sich dauernd zu einem solidarischen Organismus zu vereinigen. Das geschieht nur in Zeiten böchst-r Noth und Verlegenheit und auch dann nur vorübergehend. Wie soll denn Wandel geschafft werden, und wo suchen wir Bundesgenoffen? Die Parteien, sie werden nicht aufhören und die Gegensätze, sie lassen sich nicht Hinweg räumen, denn es ist nicht in unserer Macht, spezifische, po litische und religiöse Anschauungen, die sich zum Theil un ter den verschiedensten Bedingungen entwickelt haben, Allen mundgerecht zu machen; aber es giebt Ziele, die uns Allen gemeinsam sind und die Bedeutung unserer Zeit liegt darin, daß sie diese Gemeinsamkeit der Inte ressen mit Flammenschrift uns vor die Augen ge rückt hat. Es gilt der organisirten Schlechtigkeit die Zu fuhr abzuschneiden, aus uns selbst heraus Klankheitsstoffe zu entfernen. Dazu bedarf es zunächst keiner Partei und keines Programmes. Das ist die Pflicht und das Werk je des Einzelnen. Und nun noch einmal Hand auf's Herz? Was habe ich Einzelner gethan, was habe ich unterlassen? In wie weit diu ich mit verantwortlich, daß in geringerem Grade als früher, sich bei uns heutzu tage finden die sittlichen Güter der Wahrheit, der Gerech tigkeit, der Nächstenliebe, der Selbstachtung und Achtung gegen Andere, des Maßhaltens in Wort und Sckrift; und daß überhand genommen haben der unruhige Hang nach mühelosem, raschem Erwerb, die N igung, Andere verant wortlich zu machen für unsere Thorheiten, die Unzufrieden heit, der Durst nach Zerstreuung. Laut und einmüthig erschallt die Stimme des deutschen Volkes gegen seine Verführer; die e> klärten Sozialisten werden vielfach in die Ächt gethan, indem ihnen die Arbeit entzogen und das Haus verbolen wird, aber ist es damit genug? Und wer nimmt den Kampf auf gegen die reichlich und unerschöpflich fließenden Quellen sozialer Ver wilderung, die entsittlichende Macht der frivolen Literatur, der frivolen oder albernen Kacrckaturzeichnung, der Zwei deutigkeit, die uns entgegen tritt und geduldet wird in Wort, in Bild, in Schrift? Es wäre Ueberhebung, sowohl alle Schäden nennen, als alle Schäden heilen zu wollen. Wende sich ein Jeder nur ernsthaft gegen die Schäden, weiche ihm erkennbar sind undfaffe ein Jeder den Einschluß, sich nicht zu beanügen mit der Berurtheilung des Schlechten, wenn es zur That wird, sondern an seinem Theile, in engem und weiterem Kreise durch eigenes Beispiel dafür zu wirken, daß das Unkraut ausgegätet und der Boden bereitet werde, auf dem immer kräftiger, immer stärker erwachsen kann der junge deutsche Baum, den unser Kaiser gepflanzt hat. Das ist die Aufgabe, das ist die Pflicht jedes deutschen Mannes! Zur Jubiläums-Feier. 8. Dresden, 20. Juni. Gestern versprach ich Ihnen, den Hof ball noch ein mal in den Kreis der Betrachtung zu ziehen, und ich kann heute dies Versprechen erfüllen. Als ich heute früh bet meinem mit dem Parquet der Paradesäle genau vertrauten Geheim-Delegaten anklopfte, fand ich ihn in der glücklichsten Stimmung. Er schwärmte mir sofort etwas vor von der seltenen Liebenswürdigkeit sowohl der Majestäten als auch der fremden Fürstlichkeiten, denen es in unserem Elbflorenz so überaus gut gefallen. Betont mag hierbei vor Allem werden, daß sowohl der König als auch die Königin in der Konversation wiederholt Gelegenheit nahmen, ihre hohe Be friedigung über die Ovationen der letzten Tage auszu- sprechen. Wörtlich äußerte Se. Majestät, daß er wohl so manche Ueberraichung erwartet habe, diese Erwartungen aber bedeutend überflügelt worden seien. Doch gehen wir nun zum Balle selbst, der eine Betheiligung von etwa 900 Personen gefunden hatte. Der Hof, angeführt von dem großen Dienst in Galauniformen, erschien gegen 9 Uhr. Die Polonaise tanzte der König mit der Großherzogin von Weimar, während an der Seite der Königin Carola der Gcoßherzog von Weimar schritt. Prinz Georg halte die Großherzogin von Toskana der Herzog von Genua die Erzherzogin Antoinette und der Prinz von Mecklenburg die jugendliche Prinzejsin von Weimar am Arnie. Das Souper wurde an Buffets eingenommen, welche in herrlichem Silber schmucke prangten. Alle Genüsse, welche ein Gourmand sich nur irgend wünschen kann, waren dabei vertreten. Vor dem Souper fand ein Cercle statt, bei welchem die am