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Amtsblatt sm die MMchen und Wüschen Behörden zu Freiberg und Brand. Berautwortlicher Redakteur Iuliu» Brauu i« Freiberg. 3». Jahr,««-. Erscheint jeden Wochentag Abends 6 Uhr für den ,, . . . — . MW-ch, den 17. April. Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum 1S Psennige. 1878. Sriefe vom Reichstage. X. U. Berlin, 15. April. Die Gerüchte über die bevorstehende Auslösung des Reichstags, welche schon seit längerer Zeit in der Presse spuken, sind nun auch im Reichstage selbst zur Sprache ge bracht worden, und auch dann, wenn man ihrer nicht direkt Erwähnung that, ergriff man doch jede Gelegenheit, um für die eventuell zu veranstaltenden Neuwahlen Pro- grammreden zu halten, die natürlich zunächst dec wichtigsten und brennendsten Frage der Steuerreform galten. Fürst Bismarck soll indessen bei einem Diner, welches er dem Ge- fammtvorstande des Reichstags gab, die Absicht, den Reichs tag aufzulösen, rundweg in Abrede gestellt haben, und wenn man der Sachlage ernstlich auf den Grund geht, so muß man sich wundern, wie man diese Auflösungsgerüchte jemals hat ernst nehmen können. Es ist wahr, der Reichs kanzler trägt sich mit Plänen über eine veränderte Wirth- schaftspolitik, und die neuen preußischen Minister, die er gesucht und gefunden hat, werden aller Wahrscheinlichkeit nach bei Uebernahme ihrer Aemter die Verpflichtung über nommen haben, den Plänen des Reichskanzlers einen praktischen Ausdruck zu geben, sie in Gesetzvorschlägen zu formuliren und dann vor dem Reichstage zu vertreten. Aber bei allem Fleiße der genannten Herren dürfte die Lösung dieser Aufgabe immerhin einige Zeit erfordern, und auf keinen Fall wird man daran denken können, schon den gegenwärtigen Reichstag, der ja schon fast in den letzten Zügen liegt, noch mit der Beralhung einer groß artigen Steuer- und Mirthschaftsreform zu befassen. Man wird sich also diese Dinge bis zur nächsten Session auf sparen, bis zu welcher die Reformvorschläge ausgearbeitet sein können und außerden noch so manche andre Dinge klarer liegen werden. E ne wirthschaftspolitische Frage läßt sich ja nicht so leicht entscheiden wie eine allgemein politische Frage, die in den Programmen sämmtlicher Parteien berücksichtigt, in allen politischen Zeitungen ab- gehandelt worden ist, über welche jeder politische Mensch sich gewissermaßen sein Dogma gebildet hat. Dort handelt es sich um schwerwiegende materielle Interessen, die herge brachten Begriffe der politischen Parteien reichen nicht mehr aus, an ihre Stelle treten Gruppen von Interessenten. Wenn man hier recht schlau und nach einem reiflich über legten Plane zu Werke geht, läßt sich vielleicht vom Reichs tage schon in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung er reichen, waS man zur Zeit noch gar nicht für möglich hält. Eine der ersten Voraussetzungen würde freilich sein, daß es gelingt, die Versöhnung der Regierung mit dem Zentrum zu Stande zu bringen und dem Kirchenstreite ein Ende zu machen. Gelingt die», so wäre eine schutzMnerische Politik gesichert, denn die Schutzzöllner, die jetzt schon eine ziemlich starke Minderheit bilden, zu denen insbesondere die Haupt- matadore des Zentrums, fast sämmtliche Freikonservative und nicht wenige Rationalliberale gehören, würden dann verstärkt werden nicht nur durch diejenigen, welche zwar an und für sich dem Freihandelssystem anhängen, aber An gesichts des Ueberhandnehmens der schutzzöllnerischen Neigungen in Oesterreich und Frankreich eS 'nicht für an gezeigt halten, daß Deutschland inmitten lauter Schutz zollstaaten allein bet seiner Freihandelspolitik beharrt, sondern namentlich auch durch die Deutschkonservativen und Agrarier, deren Interessen sich durch Schutzzölle auf landwirthschaftliche Produkte würden befriedigen lasten, ganz abgesehen davon, daß die Deutschkonservativen nur sehr ungern und in der höchsten Noth dem Reichskanzler und der Regierung Opposition machen. Ein bedeutsame» Zeichen, daß sich in den Kreisen der Landwirthe, aus welchen sich ja die Konservativen vorzugsweise rekrutiren, ein Umschwung zu Gunsten der Schutzzölle vorbereitet, ist, daß nach Ausweis der letzten Petittonsverzeichnisse des Reichstags sämmtliche landwirthschaftliche Vereine des Kö nigreichs Sachsen um Erhöhung der eigenen Einnahmen des Reichs durch Grenzzölle, sei es auf Produkte der Land- wlrthschast, sei eS auf Produkte der Industrie, gebeten haben, die sächsischen Landwirthe, von denen man nach dem bisherigen Verhalten eines ihrer einflußreichsten Führer, des Abg. Richter (Meißen), eines eifrigen Freihändlers und thätigen Gegners der Wiedereinführung der Eisenzölle, annehmen konnte, daß sie der Fahne der Freihandels partei Treue geschworen hätten. Findet die neu inaugurirende Politik des Fürsten Bis marck nicht den Beifall der Mehrheit des Reichstags in der nächsten Session, so ist damit immer noch nicht gesagt, daß eine Auflösung des Reichstags nothwindig sei. Zu dieser würde man doch nur verschretten, wenn eS mit der Durchführung der wtrthschaftlichen Reformen so s'.hr große Eile hätte, denn die nächste Session des Reichstags ist ja ohnehin die letzte vor den Neuwahlen, und wenn man nicht vielleicht im künftigen Jahre eine Frühjahrs- und Sommer- session eintreten lasten will — was man doch den diäten lösen Reichstagsabgeordneten nur im äußersten Nothfallt zumuthen kann — so kann man ruhig die Reformen ver tagen bis nach den im Januar 1880 ohnehin eintretenden Neuwahlen. Ein gleiches Dementi soll bei dem erwähnten par lamentarischen Diner der Fürst Bismarck den ZeitungS- gerüchten haben widerfahren lasten, nach welchen er aus der Bewilligung der Mittel zur Gründung eines Reichs- schatzamts eine Kabinetsfrage machen wollte. Es wurde eben, wie seinerzeit der Gesetzentwurf über die Stellver tretung des Reichskanzlers, so auch jetzt die Vorlage über die Gründung eines Reichsschatzamts weit über ihre Be deutung ausgebauscht. Es handelt sich in der That nur um eine kleine Aenderung der bureaukratischen Maschine, die im Namen und Auftrage des Reichskanzlers arbeitet. Die jetzige Finanzabtheilung des R-ichSkanzleramtS soll von diesem Amte losgelöst. Herden, ihr Chef soll selbständig werden, d. h. er soll Nicht mehr dem Präsidenten des Reichskanzleramts, sondern dem Reichskanzler direkt Bortrag erstatten, und wie Fürst Bismarck angekündigt hat, soll dieser Chef, ehe er ihm über wichtige Fragen Vortrag erstattet, sich zunächst mit dem preußischen Finanz minister in Vernehmen setzen und dessen Zustimmung einholen. Mit Recht hat der Reichskanzler hervorgehoben, daß ihm jetzt bereits freistehen würde, anzuordnen, daß der Direktor der Finanzabtheilung nicht dem Präsidenten Hof mann, sondern ihm direkt im Einvernehmen mit dem preußischen Finanzminister Vortrag erstatten soll. Ein achlicher Unterschied zwischen einer solchen Einrichtung und )em neuen Reichsschatzamt würde gar nicht existiren, son- »ern nur ein persönlicher und finanzieller, indem der eilende Finanzmann des Reichs nach der Bildung des Reichsschatzamts Unlerstaatssetretär heißen und einen Ge- -alt von 20,000 Mk. beziehen wird, während er in dem falle, daß die Vorlage abgelehnt worden wäre und der Reichskanzler die von ihm angedeutete Einrichtung getroffen Me, Ministerialdirektor mit einem Gehalt von 12,000 M. geblieben wäre. Die Vorlage machte denn auch nicht viel Schwierigkeiten, brauchte sie auch nicht zu machen, denn da der Reichskanzler verfassungsmäßig der für alle Ver- valtungsakte und Anordnungen des Kaisers verantwort liche Mann ist, so muß ihm freistehen, seinen Verwalt«»-»- apparat so einzurichten, wie er eS für gut hält. Von Stellung der Kabinetsfrage und dergleichen Dingen, von welchen allwissende Zeitungen erzählt hatten, war nicht die Rede, im Gegentheil, Fürst Bismarck gab sich nicht einmal die Mühe, im Reichstage bei den betreffenden Verhandlungen zu erscheinen. In der vergangenen Woche kamen einige Anträge der Sozialdemokraten zur Verhandlung. Diese Pattei zeigt gerade in der gegenwärtigen Session eine ungeheure Frucht barkeit in der Einbringung von neuen Gesetzen, von denen sie natürlich von vornherein weiß, daß sie nicht einmal die Mehrheit im Reichstage, geschweige denn die Zustimmung des BundeSraths finden werden. Da jeder selbständige Antrag von mindestens 1b Mitgliedern unterzeichnet sein muß, um zur Verhandlung im Lause zu gelangen, die Sozialdemokraten aber über so viele Summen nicht ver fügen und das Zentrum, welches früher Mitunter berei war, sozialdemokratische Anträge soweit zu unterstützen, daß sie zur Verhandlung kommen konnten, gänzlich mit dieser Partei gebrochen hat, seitdem mehrere hervorragend« So zialdemokraten, namentlich der Abg Most, eine energische antikirchliche nnd antichristliche Agitation etngeleitet haben, so haben sie jetzt mit den im Hause befindlichen vier Mitgliedern der süddeutschen Volkspartet, dem Dänen Krüger und den Mit gliedern der elsaß-lothringischen Protestpattei eine Art Kartell abgeschlossen. Diese Herren leihen den sozialdemo kratischen Anträgen ihre Unterstützung und werden gelegent lich wieder von den Sozialdemokraten unterstützt, wie z. B. die elsässischen Protestler bei Einbringung eines Antrags auf Einführung von Werthzöllen für Produkte der Textil industrie. Die Anträge, welche in der abgelaufenen Woche zur Verhandluug gelangten, behandelten zwei ziemlich pv- »uläre Themate, einmal die Sicherung des WahlgeheimniffeS >ei den Reichstagswahlen, wo sich fast unerträgliche Miß- lände herausgestellt haben, und sodann die Heranziehung >er Militärpersonen zu den Kommunalsteuern, welche wohl von der Mehrheit sämmtlicher Reichstagsmitglieder für ge recht und billig gehalten wird. Beide Anträge er- uhren denn auch kaum irgendwelchen Widerspruch; die Ausstellungen, welche erhoben wurden, betrafen nur die Fassung der Gesetzvorschläge, und jo wurde der die Sicherung des Wahlgeheimnisses betreffende Antrag der WahlprüfungSkommissivn überwiesen, der auf die Kommunal- steuersreiheit der Militärpersonen bezügliche aber zur zweiten Berathung im Plenum verwiesen, zu welcher Abg. Richter (Hagen) die Einbringung einer Resolution ankündigte, die den Intentionen der Antragsteller noch mehr entspricht, als ihr eigner Antrag. Diejenigen Sozialdemokraten, welche zur Begründung der Anträge das Wort nahmen, verhielten sich ganz sachlich; nur Abg. Liebknecht, das grimmigste Mit glied dieser Partei, konnte, allerdings auf eine Provokation des Abg. Richter (Hagen) hin, e» nicht unterlass-», Ver dächtigungen und Invektiven nicht nur gegen die Fort schrittspartei, sondern auch gegen Personen zu schleudern. Liebknecht verläßt überhaupt selten die Tribüne, ohne min destens einen Ordnungsruf erhalten zu haben. In ähn- ttcher Weis« scheint sich der «Bürger" Most Hervorthun zu wollen, der zum Mindesten keine Red« halten kann, ohne eine Anzahl bämischer Bemerkung«». Die übrigen Mit glieder vermeiden das Gebiet der Persönlichketten gänzlich, und die beiden ältesten Mitglieder der Partei, Rittinghausen und Demmler, sind eigentlich kaum zu ihr zu rechnen. Beide -alten sich fern von der Befürwortung von Anträge« ihrer Parteigenossen. Der Erstere, ein hervorragender Vorkämpfer ür das Prinzip der allgemeinen Volksabstimmung über besetze, spricht am liebsten über Lokalintereffen der Stadt Köln, seines Wohnorts, und über heilsame polizeilich» Ein richtungen, z. B. den Eichungszwang der Schankgefäße; der Abg. Demmler verbreitet sich als Architekt am liebsten über vorgelegte Baupläne oder nimmt bei irgend welchen un politischen Fragen Gelegenheit, einige harmlose Bemerkungen U machen, so erst in den letzten Tagen, als er den Antrag >es freikonservativen Abg. v. Behr-Schmoldow auf Ein stellung einer höheren Subvention für den deutschen Fischereiverein in den Etat mit dem Hinweise auf die große Bedeutung der Fischnahrung für die unbemittelten VolkS- klassen unterstützte. Beide alte Herren sind im Reichstage sehr beliebt, man achtet und schätzt sie und bedauert höchstens, daß sie aus persönlicher Verbitterung oder aus sonst irgend welchen Gründen, jedenfalls aber nicht aus voller Ueber- zeugung, sich der sozialdemokratischen Partei angeschloffen haben, die ja natürlich mit großer Besriedigung die Mit gliedschaft dieser Herren für ihre Parteizwecke ausbeutet. Die dritte Lesung des ReichShaushaltSetats verlief, wie gewöhnlich, recht glatt. Auch wenn nicht alle Fragen schon so reiflich bei der zweiten Lesung besprochen worden wären, so wollte man doch möglichst zeitig in die Ferien, und der ReichSschlußmacher Valentin hatte mit seinen Schlußan- trägen, die er in der Regel nach dem zweiten Redner ein brachte, mehr Glück als je Dabei zeigte sich da« HauS, wahrscheinlich auch in Rücksicht auf die bevorstehende Vakanz, in der rosigsten Geberlaune. Große Summen, die man bei der zweiten Lesung, mitten im Drange der Geschäfte, gestrichen hatte, wurden mit großer Majorität bewilligt. Da so die dritte Losung des Etats nicht nur schnell, sondern auch in allseitig befriedigender Weise verlief, so konnte der Reichstag am Freitag bet guter Zeit, unter den Segenswünschen der Reichsregierung und des BundeS raths, seine Osterferien antreten. Tagesschau. Freiberg, 16. April. In der Provinz Westfalen macht sich seit einiger Zeit in Folge der vielfach recht trostlosen Lage de» Bergbaues eine Bergarbeiterbewegung bemerklich, welche durch die von den Sozialdemokraten genährte und künstlich ge schürte Unzufriedenheit der Bergleute immer größere Dimensionen annimmt. Thatsächlich haben vor Eintritt der Schwindeljahre die bei Weitem meisten Montanarbeiter