Volltext Seite (XML)
NtilitrytrAWiger und Tageblatt Amtsblatt für die königliche» und städtischen Behörden zu Freiberg und Brand. Sonntag, den 31. Oktober. 1875 Z254. Erscheint jeden Wochentag Abend» L Uhr für den andern Tag. Preis vierteljähr- Uch 2 Mark 25 Ps., »weimonatl. 1 Mk. Sv Ps. und ein- monatl. 75 Pf. Die Redaktion be- sindet sich Rinnen« »aße 98 x. 11 Et. Inserate werden bi» Vor mittags 11 Uhr sür nächste Nr. ange nommen u. die ge spaltene geile oder deren Raum mit lv Pf. berechnet. Inserate sind stet» an die Expedition, Frotscher'sche Buch handlung, zu senden. Die Ausgaben des Reichstages. Schwerlich wird die Mehrzahl der deutschen Reichstags- abgeordneten diesmal frohen Herzens nach Berlin gegangen sein. Tas junge deutsche Reich, dem eigentlich der Tisch mit einem schneeweißen neuen Tuch gedeckt wurde, hat in der kurzen Frist seiner Gesetzgebung schon so manche Flecken darauf erhalten, daß dadurch der Appetit für die neu zu erwartenden Gerichte wirklich leiden muh. Es gehört rin Grunde alle Liebenswürdigkeit und höfliche Rücksicht der Abgeordneten dazu, um mit der Reichsregierung auf freund schaftlichen Fuße bleiben zu können; denn man kann sich unmöglich verhehlen, daß diese letztere ihre Stärke wenig rücksichtsvoll zu bethätigen sucht und einen so ergebenen Reichstag nicht sehr dankbar behandelt. Klagten bisher die Ultramontanen, Sozialdemokraten rc. über ihre Auf nahme am Tische des Reiches, so setzen sich diesmal auch viele liberale Abgeordneten daran, die über ihre Magen- und Herzbeklemmungen keinen Zweifel lassen möchten. Was den Reichstag erwartet, ist in der That diesmal wenig erquicklich. Zunächst ein Budget, in welchem aber mals der militärische Theil kostspieliger geworden ist, als er nach der Verabredung werden sollte. Nachdem der Reichs tag auf einen der wichtigsten Theile seines Budgetrechts aus Liebe und aus Vertrauen zur jetzigen Neichsregierung ver zichtete und auf sieben Jahre gleichsam einen eisernen Etat ganz nach den Forderungen der Regierung bewilligte, tritt dieselbe, wie immer, so auch diesmal mit neuen Mehr- forderuugen sür diesen Etat hervor. Es muß noch Dies, es muß noch Jenes sein, heißt's, und das macht so und so viel Millionen. Nun giebt aber selbst der freigebigste Mensch nicht mehr gern etwas her, wenn er über den Preis einer Sache sich schon vorher im Sinne des Verkäufers verständigt hat. Steigert man aber den Preis fort und fort in der Ueberzeugung, daß er die Sache haben muß, so ist es kein Wunder, wenn ihm schließlich doch die Geduld reißt, lind die Geduld unserer Neichstagsmehrheit ist zwar recht elastisch; auch läßt sich nicht besorgen, daß sie wegen ein paar Millionen mehr reißen wird; aber kann es anderer seits die Aufgabe des Reichstags sein, zu diesen Mehr forderungen über die einmal vereinbarte Neichsleistung immer und ewig Ja zu sagen? Man kann sich denken, daß ein gewissenhafter Abgeordneter, wenn er sein liberales Gewißen befragt, darüber Beklemmungen erhalten muß. Durch den Militäretat wird der ganze Reichshaushalt in Unordnung gebracht. Ueberschüsse in den Einnahmen fallen in den Schlund der Mehrbedürfnisse und sind nicht mehr zu sehen. Vorsichtig wie unsere Reichsfinanz-Ver- waltuug ist, liebt sie aber nur Ueberschüsse, obgleich eine wir.hschaftlich richtige Politik ohne Nöthigung das Geld des Steuerzahlers nicht der Produktion zu entfremden und aus Rücksicht auf künftige schlechtere Perioden die Zeiten durch Entziehung von Kapital aus der industriellen Bewegung nicht noch schlechter zu machen sucht. Im Reich ist dies nun einmal anders. Mit den Matrikularbeiträgen läßt sich's schlecht experimentiren und eine Erhöhung derselben macht das Reich bei den Einzelstaaten unpopulär. Daher greift man zu unmittelbaren oder indirekten Reichssteuern. So ist man jetzt auf die Börsen- und Braumalzsteuer gekommen, die eine, damit man um wenig Ertrag die Unmoralität der Geschäftswelt durch Umgehung dieser Abgabe befördere und andererseits den reellen Effektenhandel von den Börsen Deutschlands vertreibe — die andere, damit ein verbreitetes Nahrungsmittel des Volkes vertheuert oder durch Surrogat verschlechtert werde, was sich dann an dem Gesundheits zustände der Nation rächen niag. Der Reichstagsabgeordnete muß dies wohl oder übel einseheu; er wird zu einer höchst unpopulären Arbeit herangezogen und das Nein liegt ihm so sehr auf dem Herzen, daß er bis nach der Ab stimmung an Bedrückungen desselben arg genug leiden muß Mit der Strafgesetz-Novelle wird dem liberalen Reichs tagsabgeordneten vollends eine kitzliche Aufgabe zugemuthet. Er soll auf einmal alle Errungenschaste n der letzten Jahre auf die er stolz war und ob deren er manchmal Fünf gerade sein ließ, preisgebcu, selbst wieder vernichten, seine eigene Natur umdrehen, Alles was er seinen Wählern vorher gerühmt und als seine innerste Ueberzeugung, als seine politische Seligkeit gepriesen, widerrufen und zum Fegefeuer verdammen. Das niag leicht nehmen, wer will — der Reichstag kann es nicht! Wer will ihm, der die Cröme der Nation und ihrer Weisheit vertritt^ auch da Rath ertheilen, was er zu thun hat? Es ist immer fatal, Ja zu sagen, wenn man Nein sagen möchte und müßte; wiederum ist es des Konflikts wegen mißlich, Nein zu sagen, wenn Ja erwartet wird. Der Reichstag sucht in seiner Höflichkeit jeden Zwist zu vermeiden; die Neichsregierung tritt bestimmt auf und lehnt jeden Streitfall höflich ab. So hat sie denn auch die ans Herzenswunsch entstiegenen Beschlüße des Reichstages in der Diäten frage, in der meckleub urgisch en Verfassungs an gelegen hei t und den Hoverbeck'schen Antrag in Betreff der Voll ziehung der Strafhaft an einem Abgeordneten während der Session einfach zu den Akten gelegt und damit die Steine des Anstoßes für sie aus dem Wege geräumt. Sie war nicht zweifelhaft, sieht man, wie sie hre Aufgabe zu verstehen und zu lösen habe. Aber der Reichstag — wie wird er die seinigen verstehn, wie wird er sie lösen? Da kann man wohl glauben, daß es ohne Beklemmung nicht abgehen wird. Tagesschau. Freiberg, den 30. Oktober. In Folge der durch die Strapazen der italienischen Reise hervorgerufencn leichten Jndisponibilität hatte der Kaiser auch die projektirte Reise nach Sagan und Ohlan hinans- schieben müßen. Dieselbe ist jetzt indeß auf den kommen den Mittwoch festgesetzt worden, so daß man auf die voll ständige Wiederherstellung des Monarchen schließen darf. Es ist dem Reichstag jetzt der Etat der zu verschmelzen den Reichspost- und Telegrapheuverwaltung für das Jahr 1876 vorgelegt worden, so daß man einen Einblick in die zukünftige Organisation der beiden wichtigen Verkehrsanstalten gewinnen kann. Wie die dem Entwurf beigefügte Denkschrift sich äußert, werde bei dieser organischen Vereinigung der beiden Anstalten eine Verminderung der Ausgaben herbeigeführt werden, während an solchen größeren Orten, wo eine gänzliche Verschmelzung des Telegraphen dienstes mit dem Postdienste nicht zweckmäßig, vielmehr die Beibehaltung getrennter Telegraphenanstalten erforderlich ist, die Betriebseinrichtungen der Post für den Telegraphen dienst mit nutzbar gemacht werden könnten. Eine mit der Vereinigung der Telegraphie und der Post Hand in Hand gehende Vervollkommnung der Telegrapheneinrichtung würde keine Verstärkung der Beamtenkräste zur Folge haben, da gegen werde sich dadurch eine Erhöhung des Einkommens der sonst nicht voll beschäftigt gewesenen Beamten gerade in den unbedeutenderen Dienststellen ermöglichen lassen. Zur Herstellung thunlichster Uebereinstimmung in beiden Verkehrszweigen und zur Vereinfachung der Verwaltung sei eine gleichmäßige Eintheilung der Betriebsstellen und eine gleichförmige Gestaltung der Beamteilverhältnisse, sowie die Heranbildung eines sür beide Dienstzweige gleich ver wendbaren Personals in's Auge gefaßt worden. Der unter Zugrundelegung eines aus solchen Ideen hervorgegangenen Organisationsplanes ausgestellte Etat der Neichspost- und Telegraphenverwaltung für 1876 weist einen Ueberschuß von 10,562,236 Mark nach, während sich für beide Ver waltungen für das Jahr 1875, nach Gegenrechnung des für die Telegraphenverwaltung sich ergebenden Zuschußes von 3,353,996 M nur ein Ueberschuß von 7,434,669 M. ergiebt. Es hat sonach für 1876 der Ueberschuß beider Berwaltungeu auf 3,127,567 Bi. höher veranschlagt werden können. Es soll kaum noch einem Zweifel unterliegen, daß dis gegen den Grafen Arnim erkannte, jetzt rechtskräftig Feuilleton. Geheimnitzvoll. Rach dem amerikanischen Oliginale der Mr». May Agnes Fleming frei bearbeitet von Lina Freisrau von Berlepsch. (Fortsetzung.) Sie erreichten Ccarswood, das grau und düster sich auf der kalten Winterluft abzeichnete Die Mondsichel hing über den Bäumen, hell und klar flimmerten die Sterne. Kein Licht zeigte sich der Fayade des Gebäudes entlang, kein Laut machte sich hörbar aus dem unheimlichen Klaqen des Windes. „Wenn man an Geister glaubte, möchte man Scarswood nur für einen Gespenstertummelplatz halten," dachte Mr. Mansfield, „ob wohl der arme Sir Robert im Grabe ruhen kann, wenn sein Lämmchen dieses Wolfes Gnade überlaßen bleibt." „Ich gehe in die Bibliothek, Mr. Mansfield," sprach der Baron trocken, „wenn Sie oder Miß Dangerfield meiner bedürfen, mögen Sie mich dort holen laßen. Uebrigens werde ich in Ihrer Gegenwart nicht mit ihr sprechen, was ich ihr zu sagen habe, will ich ihr allein sagen." ...Er schritt davon, und der Advokat blickte ihm ängst ¬ lich nach. ,."^as führt dje Schlange wohl im Sinne? Mir miß- saUt der Ton, in dem er von Isabella spricht. Er will — nein, er wagt es nicht, in der Stunde ihres Unglücks wagt kem Mann, ihr nabe zu treten." i- E a, rch bei dem Fräulein melden und ward sofort m ihr Boudoir geführt. flackernden Kaminfeuer saß Isabella in einem «roßen vergoldeten Stuhl. Die Bläße ihres Gesichtes, die Schwärze ihrer Kleidung stachen grell ab von der sie um gebenden Pracht. Wie verändert sie war, wie über alle Beschreibung ver ändert! Und doch gab es Leute, die sie kalt und herzlos nannlen, weil sie ohne Thränen neben der Leiche gesessen. Gefühllos und dabei so bleich und abgehärmt? Mit mattem Lächeln streckte sie dem Freunde die Hand entgegen. „Störe ich Sie nicht, liebes Fräulein?" sprach er weich, „aber ich konnte nicht warten, und begleitete Sir Peter sofort nach der Beerdigung hierher. Wie die Sachen jetzt stehen, dürfte es augezeigt sein, Ihre Angelegenheiten so schnell als möglich zu ordnen." „Ist Sir Peter schon hier? So bald? Muß ich sofort das Haus verlaßen? Bleibt er die Nacht über hier?" „Ich glaube nicht, jedenfalls nicht, wenn Sie etwas dagegen haben." „Ich? Mit welchem Rechte hätte ich etwas dagegen? Er kommt in sein Eigenthum, und kann Besitz ergreifen, sobald es ihm gut dünkt. Es steht bei ihm, mich hinaus zutreiben, wann er will." „Das wird er nie thun, mein Kind. Ich hoffe, er wird handeln, wie Ehre und Gewißen es verlangen, und Ihnen die dreitausend Pfund geben, die Ihr Vater Ihnen testiren wollte?" Sie erhob sich, ihr Antlitz leuchtete, leidenschaftliche Worte entströmten ihren Lippen. Mr. Mansfield trat zurück. Das alte Temperament durchbrach die eisige Ruhe, die sie in den Tagen der Ver zweiflung bewahrt. Plötzlich aber beherrschte sie sich, sie, die sich noch nie beherrscht. Langsam sank sie auf deu Siuhl zurück, und ein seltsam harter Zug lagerte sich um ihren Mund. „Glauben Sie, Mr. Mansfield, daß er edel genug dazu sein wird? und es steht in seiner Macht, mir die dreitausend Pfund nicht zu geben?" „Allerdings, aber nur ein Scheusal könnte an solches Thun denken. Er hat unerwartet große Reichthümer er halten, Sie haben sie verloren, er kann kein solch' verächt licher Schurke sein, Ansprüche zu erheben auf das Vermögen der seligen Lady Dangerfield, um so mehr, als er weiß, daß der Versuch, das Testament zu unterzeichnen, Sir Roberts letzte Bemühung war." Isabella hörte ihm mit trübem Lächeln zu. „Bezüglich Peter Dangerfields halte ich Ihre Kenntniß der menschlichen Natur für mangelhaft. Sie vergessen, wie lange dem neuen Baron seine Rechte als eventueller Erbe vorenthalten wurden, vergeßen, daß ich vor wenigen Monaten ihn abwies, ja beleidigte, daß Sir Peter nicht der Mann ist, solche Schulden stehen zu laßen." — „Aber, liebe Miß Dangerfield —" „Das ist nur eine weitere Beleidigung; maße ich mir nicht einen alten geehrten Namen an, ich, ein Geschöpf, das vielleicht in der Straße geboren. Und Sie glauben wirklich, daß er mir die dreitausend Pfund geben wird? sagte er Ihnen io?" „Er sagte mir nichts. Ec will Sie allein sprechen und die Sache mit Ihnen abmachen. Wollen Sie, daß ich ihn zu Ihnen schicke, oder warten Sie lieber bis morgen?" Sie schwieg eine Zeit lang und blickte in's Feuer. Der Advokat blickte sie fragend an. Wollte sie Peter Dangerfields Wohlthat annehmen und idm sür seine Gcoßmuth danken, oder deuteten die zusammen- nepreßten Lippen, die leuchtenden Augen auf kommenden Sturm? „Schicken Sie ihn mir sofort, Mr. Mansfield," sprach