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Tageblatt. Amtsblatt des Kgl. Bezirksgerichts zu Freiberg, sowie der Kgl. Gerichtsämter u. der Stadträthe zu Freiberg, Sayda u. Brand. ^-254. Erscheint jeden Wochentag früh S U. Inserate werden bis Nachm. 3 Uhr für die nichste Nr. angenommen. Dienstag, den 30. October Preis Vierteljahr!. LV Ngr. Inserate werden die gespaltene Zeile oder deren Raum mit S Pf. berechnet. 1860. -t- Freiberg, 29. October 1866. Erlöst von dem Drucke des Kriegszustandes, wendet sich unser Land und Bolk wieder den Werken des Friedens zu. Wohl ist Sach sen nicht mehr das alte Sachsen vor dem Kriege, denn wie Jedem aus dem Friedensvertrage helvorleuchten wird, ist unser Land in eine größere staatliche Abhängigkeit zu Norddeutschland getreten, aber damit haben wir auch einen großen Schritt vorwärts zum Ziele deutscher Einheit gethan. Die Weltgeschichte ist reich an Sturm- und Drangperioden, an Zersetzungsprocessen und Neubildungen von Staats- und Lebensformen. Betrachten wir aufmerksam die Bewegung unserer Zeit, so können wir das Streben der Nationen nach politischer Centralisation und ökonomischer Decentralisation nirgends schärfer, als in ihr, aus geprägt finden. Die Völker suchen und fordern nationale Einigung; das Gefühl der Zusammengehörigkeit treibt sie, in diesem Sinne die politischen Grenzen zu ändern, deren Feststellung theils aus ver gangenen Zuständen herrührt, theils durch Launen des Schicksals bewirkt worden ist. Andererseits arbeitet man in allen Staaten dahin, die Verwaltung in die Hand Ler Gemeinden zu legen. (De centralisation.) Beide Richtungen haben ihre ganz natürlichen Gründe. Wenn z. B. der Ruf nach einem einigen Deutschland, nach einem einigen Italien die Völker in den Krieg führt, dann ist der innere Beweg grund nicht durch augenblickliche Stimmung, durch künstlich erregten Enthusiasmus hervorgerufen, sondern er hat seine historische Berech tigung und ist aus den Verhältnissen entstanden. Warum hatte das Mittelalter nicht den gleichen Drang? Sprachen damals die Deut schen in Nord und Süd, in Ost und West nicht ebenso wie heute dieselbe deutsche Muttersprache? Allerdings — aber der Franke und Schwabe stand damals z. B. dem Preußen und Friesen so fern, daß er kaum eine Ahnung von deren Existenz hatte, geschweige daß er mit der Lebensweise und den sonstigen Verhältnissen der deutschen Stammesgenossen vertraut gewesen wäre. Nur der Ge lehrte war etwas unterrichtet, aber auch nur schwach. Heute ist das anders geworden. Die Erleichterungen des Verkehrs haben die Volksstämme gewissermaßen näher an einander gerückt, denn wo giebt es bei unsern Eisenbahn-Verbindungen noch Entfernungen? Während früher nur die wandernden Handwerksburschen und ein zelne wenige umherreisende Kaufleute eine Ahnung von der Größe des deutschen Vaterlandes bekamen, durcheilen wir heute auf den Dampfzügen in wenigen Stunden Strecken Landes, vor deren Be reisen man sonst sein Testament zu machen pflegte. Und der Per sonenverkehr nicht allein, auch der industrielle Verkehr ist viel be deutender geworden. Wer früher Waaren aus einem Lande bezog, das hundert Meilen von seinem Wohnorte lag, mußte, besonders wenn die Schifffahrt nicht die Vermittlerin sein konnte, wo möglich Jahr und Tag warten, ehe er das Bestellte erhielt. Da gehörte es fast zu den unmöglichen Dingen, sich'Rohstoffe aus weiter Ferne zur Fabrikation kommen zu lassen und ebenso war es mit kaum zu überwältigenden Schwierigkeiten verknüpft, das Producirte zu ver senden. Wie ist dies heute Alles anders! Welche Menge von Wegen hat sich eröffnet, um in die, weite Welt hinein arbeiten zu können! Und durch die Verbindung mit der Ferne ist auch die Kenntniß der selben größer und allgemeiner geworden, ist gewissermaßen erst das Bewußtsein zum Durchbruch gekommen, daß auch jenseits des kleinen Kreises, den das Auge überblicken kann, Menschen wohnen, die mit uns gleiche Sprache, gleiche Sitten, gleiche Gefühle, gleiche Wünsche und gleiche Interessen haben. So sehen wir, daß, von idealen Be weggründen ganz abgesehen, schon das ökonomische Interesse die EinhettSbestrevungen im deutschen Volke erzeugen mußte. Erweckte nun die Erweiterung des Weltverkehrs den Wunsch nach staatlicher Einheit und Macht, so schuf sie auch andererseits jedem Einzelnen das Bewußtsein von der Fähigkeit, ohne fremde Hilfe, ohne Bevormundung und ohne Aufsicht und Controls sich und sein Eigenthum verwalten zu können. Dieses Bewußtsein, ge steigert durch die fortdauernd sich hebende allgemeine Bildung und Intelligenz, veranlaßt das Streben, die Fesseln des Absolutismus abzuwerfen und Selbstverwaltung in den Gemeinden, Mitverwal tung im Staate zu fordern. Wer seine eigenen weit verzweigten Angelegenheiten klar überblicken und geregelt leiten kann, der wird naturgemäß die Frage aufwerfen, ob auch die Verwaltung deS Staates geregelt sei, ob auch mit dem, was er zur Aufrechthaltung des Ganzen leistet, zweckentsprechend gewirthschastet wird, und der wird ferner sagen: ich brauche im engeren Kreise meiner Mitbürger keiner Leitung von Oben herab, diese Verhältnisse kann ich selbst überblicken. So sind also die steigende Intelligenz, der steigende Verkehr und die steigende Industrie die Ursachen, in staatlicher Beziehung Centralisation, in ökonomischer oder gemeindlicher Beziehung De centralisation zu fordern. Dies ist der Strom der Gegenwart; wer diesen Forderungen aus Liebe zu alten früheren Anständen ent gegentritt, der stemmt sich vergeblich gegen das Rad der Zeit. Mit dem Anschluß an die große Völkerfamilie Norddeutschland« ist «Sach sen eingetreten in den Fortschritt zur staatlichen Centralisation; da gegen bleibt das ganze innere Verwaltungs- und Verfassungsleben unseres Landes von dem Verhältniß zum norddeutschen Bunde völ lig unberührt. Unsere Sorge wird es nunmehr sein müssen, hier die Hand anzulegen, damit sich das innere staatliche Leben immer mehr ausbaue im Sinne der Selbstständigkeit der Gemeinden, d. h. also im Geiste der nach Decentralisation des Gemeindewesens rin genden Gegenwart. In Preußen ist man jetzt vorzugsweise mit den Einrichtun gen in den neu erworbenen Provinzen beschäftigt. Nebenbei wendet man in den alten Provinzen die Aufmerksamkeit wieder mehr der innern Mißregierung zu, die trotz Indemnität und Amnestie bei ihrer Verfolgungssucht verharrt. Eine Anzahl Abgeordneter hat erst vor wenig Tagen eine Erklärung veröffentlicht, worin hervorgehoben wird, daß man trotz der äußern Erfolge kein Vertrauen zur innern Politik fassen könne und daß durch diese auch die auswärtigen Er folge bedroht würden, indem die Bewohner der annectirten Länder nur mit Widerwillen einem Systeme sich fügten, welche« ohne alle Harmonie zwischen Bolk und Regierung fortgesetzt werde. Unter richtete Personen versichern, daß Graf Bismarck herzlich gern den Minister des Innern und der Iustiz, die beiden Matadore der Reaction, los sein möchte, um mehr Aufrichtigkeit und Vertrauen zwischen Regierung und Volk zu bringen, allein die Einflüsse sollen zu stark sein, welche sich ihm hier entgegenstellen, ja es wurde so gar die Ansicht ausgesprochen, daß Graf Bismarck, wenn er sich zu weit in Concessionen an die liberale Partei versteigen sollte, in seiner Stellung durch die eigenen Collegen gefährdet werden würde. Somit ist wenig Hoffnung auf einen Systemwechsel im Innern, und ohne diesen wird Preußen nie die Sympathien Deutschlands erringen. Aus Oesterreich wird der „Nat.-Ztg." geschrieben: Die Ernennung des Herrn v. Beust zum Minister des Aeußeren, oder zum Minister ohne Portefeuille, soll in einigen Tagen erfolgen und damit wird denn diese Frage, die schon seit Wochen die Gemüther in Spannung hält, entschieden sein. Beschlossen war diese Ernen nung schon seit längerer Zeit, man glaubte aber damit bis zur Erledigung der preußisch-sächsischen Friedensverhandlungen warten zu müssen. Zum Ministerpräsidenten soll nun doch der bisherige Botschafter in London, Graf Apponyi, bestimmt sein, besten ultra katholische Gesinnung keinen Zweifel auskommen läßt. Die Seele