Volltext Seite (XML)
Wie«. Die Wiener Zeitung bringt folgendes Allerhöchste Rescript an sämmtliche Eomitate und städtischen Magistrate de» Königreichs Ungarn: „Franz Josep'b I. rc. Als wir vor zwölf Jahren die Regie« rung unserer Monarchie antratcn, wüthete ein verheerender Bürger krieg im Innern unsers Reichs; fast überall waren die Staaten — ja die Gesellschaft selbst — in ihren Grundfesten erschüttert. Leidenschaft, Verblendung, der Jrrthum Mancher Redlichen und Wohlmeinenden, der Terrorismus vieler Uebelwollendeu, eine Ver kettung mannichfach unglücklicher Verhältnisse führten die Lösung durch bas Schwert herbei. Es war unser Wille, daß diese Lösung nicht die dauernde Grundlage der öffentlichen Zustände sein solle. .Wir konnten und wollten die Interessen unserer Monarchie nicht preisgeben, welche mit so schmerzlichen Opfern vertheidigt und gesichert worden waren; bei der definitiven Gestaltung derselben wünschten wir jedoch nichts lebhafter, als daß die üefgewurzelteu, dem Volke Ungarns lheuern staatsrechtlichen Einrichtungen dieses unsers Königreichs möglichst rasch und vollständig wiederhergestellt würden, worin zugleich für alle unsre übrigen Völker eine Garantie der Anbahnung und Be gründung verfassungsmäßiger Zustände liegt. Zur Durchführung dieser Aufgabe haben wir unsere Entschlie ßung vom 20. Oct. v. I. erlassen. Friede, Ausgleichung und Versöhnung fordern aber offenes Entgegenkommen, redlichen Willen und aufrichtiges Zusammenwirken ohne böswillige Hintergedanken oder leidenschaftliche Ueberstürzung. Wir haben die Bedenken, welche sich einer theilweisen Wiederherstellung der ungarischen Ver- faffungSzustände vor der definitiven Regelung aller staatsrechtlichen Verhältnisse entgegensetzten, wohl erwogen und gekannt. Doch konnten sie unö nicht abhalten, dieser ÄZiederbelcbung namentlich auf dem Gebiete municipaler Thätigkeit Raum zu geben, in der Uebrrzeugüng, daß Vertrauen Vertrauen schafft, offenes Entgegen kommen bei einem edlen und politisch reifen Volke gerechte Würdi gung, wahres Verständniß, redliche Unterstützung findet. Unsere Erwartungen sind nicht vollständig in Erfüllung gegangen. Mit Gleichmuth und Nachsicht haben wir die ersten Uebcr- stürzungen im Gange des öffentlichen Lebens wahrgenommen. Wir haben sie auf Rechnung der aufgeregten Strömung der Zeit, nie dergehaltener Leidenschaften und des AusbrausenS lange entwöhnter öffentlicher Thätigkeit gesetzt. Nun aber, wo einzelne Comitate die Wahl der Ausschüsse dazu benutzen, um in die Zahl derselben solche Individuen aufzunehmen, die unerbittliche Gegner unsrer Monarchie und unserer Herrscherrechte find, die, sich auswärtigen Feinden an schließend, die Ruhe unserer Länder durch hinterlistige Verschwörung und freche Aufreizung gefährden; wo der Versuch gemacht wird, die verschiedenen Ansichten über die zukünftige Feststellung der Steuerfrage im Geiste einer Steuerverweigerung auszubeuten, welche die materiellen Hilfsquellen des Staats lähmt, die Begriffe des Volks verwirrt und die öffentlichen Zustände in eine Richtung treibt, deren leichtsinnige und heuchlerische Vertreter selbst fühlen müssen, daß sie nicht geduldet werden kann; — nun, wo die uotb- wendigsten Uebergangsbeflimmungen zur Ausrechthaltung geordneter Privatrechtsverhältnisse mit ungeduldiger Hast beseitigt werden wollen; wo einzelne Eomitate unter dem Vorwande der Erhaltung der öffentlichen Ruhe mit Belastung des Volks die Nationalgarde wieder aufstellen und bewaffnen, bei Feststellung der Gehalte der Eomitatsbeamten die gebührende Ueberwachung unserer Behörden gänzlich beiseite setzen und uneingcdcnk ihres Berufs nicht anstehen, weit, über die Grenzen ihrer gesetzlichen Rechte hinaus als unab hängige Körperschaften fast alle Staatsgewalt an sich reißen, nun wird eS unerläßliche Pflicht, diesen frevelhaften Uebergriffen ent schieden entgegenzutreten und nicht zu dulden, daß die constitutio- nelle Freiheit in einer Weise ausgebeutel werde, welche durch den Umsturz der öffentlichen Ordnung zur Revolution führt. Der Glaube unserer Völker an den Ernst der Absicht, geord nete verfassungsmäßige Zustände herbeizuführen, müßte erschüttert werden, wenn noch länger anarchische Bestrebungen geduldet wür den, deren Entwickelung stets der Untergang jeder gesetzlichen Frei heit ist. Wir halten unabänderlich an unsern Entschließungen vom 20. Oct. v. I. fest, und werden unsern Völkern die ihnen zuge- sicherte verfassungsmäßige Entwickelung zu wahren und gegenüber unserm Königreich Ungarn Alles sestznhalten wissen, was demselben zugesagt wurde. Ebenso fest steht aber unser Wille, der Revolution, möge sie offen auftreten oder sich heuchlerisch in das Gewand le galer Formen hüllen, mit aller Macht entgegenzutreten; diese Macht, wir bezweifeln es nicht, wird in dem echten Vaterlandsgefühle aller Lessern Elemente Unterstützung finden; sie werden nicht dulden, daß sich auf dem Wege friedlicher Ausgleichung Hindernisse aufthürmen, welche die Leidenschaft oder dle Selbstsucht einzelner Hervorrust; sie werden zu verhindern trachten, daß die regierende Gewalt in Erfüllung ihrer heiligsten Pflichten aus die materielle Macht in dem Augenblick beschränkt werde, wo diese nur als nothwendige Stütze der moralischen Macht hätte dienen sollen. Indem wir diese unsere Absichten uüd Warnungen zur Kennt- niß aller Eomitate unsers Königreichs Ungarn bringen, und gleich zeitig auf den Art. 3 vom Jahre 1790 Hinweisen, dessen Bestim mungen über unsete Krönung wir selbst baldigst verwirklichen wollen, dessen weitere Satzungen aber auch bis zur Krönung alle Verpflich tungen der Unterthanentreue sicher Kellen, befehlen wir zugleich ernstlich: 1) Daß übcräll, wo man sich vermessen hat, unter die Mit glieder der ComitatsauSschüsse im Auslande lebende Hoch- und Landesvcrräther zu wählen, die in Verbindung mit den auswärtigen Feinden unserer Monarchie sich auch jetzt noch verbrecherischer Um triebe gegen uns und den Staat schuldig machen, diese Wahlen für null und nichtig erklärt werden. 2) Wir befehlen unter strenger Ahndung, daß alle Versuche, welche dahin abziclen, die Eintreibung der directen Steuern und indirekten Abgaben mittelbar oder unmittelbar zu hemmen, ober neue Steuern selbstständig auszuschreibcn, beseitigt, alle darauf bezüglichen Beschlüsse unverzüglich aufgehoben und über Durchfüh rung dieses Befehls der königlichen Statthalter« gleichzeitig ohne Säumniß Bericht erstattet werde. 3) Ebenso erklären wir bis zur landtäglichen Berathung und beziehungsweise bis zu unsern auf Grundlage der Anträge unsers äluäox curiso zu treffenden provisorischen Anordnungen, alle Be schlüsse für null und nichtig, welche die im Sinne unserer Ent schließung vom 20. October v. I. zeitweilig aufrecht erhaltenen Justizbehörden aufheben, oder ihre Wirksamkeit lähmen, und wei sen strengstens die Gerichte deS Landes zur Aufrechthaltung der diesem nach bestehenden Gesetze und Verordnungen an, deren end gültige Abänderung im Interesse des Landes und der Privaten, nur im Wege regelmäßiger lanbtäglicher Verhandlung und nicht durch einseitige Beschlüsse geschehen kann, welche den öffentlichen Ncchlszustand in ein unabsehbares Chaos stürzen würden. 4) Da wir die Revision, beziehungsweise die Bestätigung, Modifikation oder Aufhebung der Gesetze vom Jahre 1847/48 und die Ausgleichung mit unsern Entschließungen aus den 2. April l. I. verwiesen haben und die faclische Wiederherstellung dieser erst erwähnten Gesetze mit Fragen znsammenhängt, deren einseitige und überstürzte Lösung alle im Laufe der Zeit gewordenen Zu stände und Interessen Ungarns ebenso wie aller unserer übrigen Länder gefährdet, die wir gleichmäßig zu wahren verpflichtet sind; da ferner die Entscheidung über die, mit der erneuerten Geltend machung dieser Gesetze verbundenen Fragen ein Gegenstand reifster Erwägung ist, welche nicht einzelne Individuen oder Comitaten zu- kommcn kann: so untersagen wir hiermit aufs strengste jeden Vcr- sucb, diese Gesetze factisch ins Leben treten zu lassen und befehlen, daß jedem ähnlichen Versuche mit den ernstesten Mitteln entgegen gewirkt werde. Wenn Seitens der Eomitate ein Widerstand gegen diese unsere Verordnungen an den Tag gelegt werden sollte, so sind die Sitzun gen der ComitatsauSschüsse selbst zu suspendiren oder auszulösen und erforderlichenfalls diese unsere Beschlüsse auch durch Anwendung materieller Gewalt zu vollziehen. Alle diese Geschäfte sind durch die nothwendige Fürsorge für das allgemeine Wohl unserer Völker geboten, und wenn unsere väterlichen Absichten abermals vereitelt und durch andauernde Widersetzlichkeit bedroht werden sollten, so würden wir mit Leidwesen zu jenen Maßregeln der Strenge schreiten müssen, welche wir gern vermieden gesehen hätten. Wenn dann hierdurch die Abhaltung des Landtags, welche wir selbst lebhaft wünschen, verzögert und dadurch die, nicht blos im Interesse Ungarns, sondern ebenso in jenem dec ganzen Monar chie gelegene Lösung der wichtigsten und dringendsten Fragen und die vollständige Herstellung der verfassungsmäßigen Zustände in weitere Ferne gerückt werden sollte, so wälzen wir jede Verant wortung für die hieraus hervorgehenden vielfachen Nachtheile mit ruhigem Bewußtsein aus jene, die das Werk friedlicher Ausglei chung absichtlich oder leichtsinnig hindern. Tief durchdrungen von dem Ernste dieser Maßregeln, erfüllen wir die Pflicht, das uns von Gott und durch Erbrecht anvertraute Land vor neuen Stürmen zu wahren, und gestützt auf die Einsicht der wahren Vaterlandsfreunde, aus unser Recht und auf den Segen des Himmels — sehen wir mit Zuversicht dem Augenblick entgegen, wo die Krönung mit der Krone unserer.erlauchten Vorfahren den Erfolg unserer Bemühungen zur Befriedigung und Beruhigung de» Landes besiegeln wird. Wien, 16. Jan. 1861. Franz Joseph m. p. Baron Nicolaus Vay. Eduard ZsedLnyi. Von den Wiener Blättern haben bereits die „Presse" und die Ost-Deutsche Post ihre Ansicht über da» Rescript ausgesprochen. Die „Presse" findet eS üach dem Gange, den die Dinge in Un- garn genommen, nicht überraschend, daß die österreichische Regie-