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Freiberger Anzeiger Tagevlatt. Erscheint jeden Wochentag früh S Uhr. Preis vierteljährlich IS Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur Li» Nachmittag» 3 Uhr' r für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit S Pfennige» berechnet. 443. Sonnabend, den 23. Juni 1855. Die Pläne der Russen in Asien. Voriges Jahr bereits wurde von den Engländern eine Expedition nach Petropaulowski abgeschickt; Viele, welche mit Aufmerksamkeit die Kriegsereignisse verfolgten, konnten nicht begreifen, warum in diesem öden, unfruchtbaren Landstriche Asiens Rußland angegriffen werden sollte. Auch in diesem Frühsahre ist eine Flottcnabtheilung der Alliirten nach jenem Punkte der russischen Besitzungen unterwegs, um auch an die sem Ende des russischen Reiches den Krieg fortzusetzen. Ein aufmerksamer und denkender Blick auf die Karre zeigt uns, daß diese Operation der Westmächte nicht ohne Berechnung ist und, falls sie glücken sollte, für die Zukunft Wichtigkeit und Bedeutung hat. Kamtschatka, die Halbinsel, bildet die Ostzrenze des Ochotskischen Meeres, des mächtigen Golfs, der die äußersten Nordgrenzen des chinesischen Reiches bespült. Das westliche Gestade dieser Meerbucht ist die Grenze von Sibirien, deshalb ist das ochotskische Meer ein eben solches russisches Meer, wie es bisher das schwarze Meer gewesen und der kaspische See es noch, gegenwärtig ist. Ueberdies führt vom Süden der Halb insel Kamtschatka eine direkte offene Meerstraße nach Japan und nach China, so daß in der That Kamtschatka seiner natür lichen Lage nach für Ostasien eine ähnliche Bedeutung hat, wie die Krim für Europa. Eine Politik wie die russische, die eben sowohl zu würdigen versteht, was in Pecking vorgeht, wie was in Stockholm sich ereignet, hat diese Wichtigkeit Kamtschatka's auch nicht außer Acht gelassen. Sie hat wie über die Schiff fahrt auf der Donau, so auch über den Amur Wacht gehal ten. Denn auf der Südküste von Kamtschatka findet man eine Festung, deren Stärke nach dem mißlungenen Unternehmen der alliirten Flotten vorigen Jahres beurtheilt werden kann. Die vereinigte Flotte, welche im Juli vorigen Jahres die Sand- wichinseln verließ und nach dem Norden unter Segel ging, be stand aus sechs Schiffen mit zusammen 196 Kanonen. Sie scheint im Uebrigen auf's Beste ausgerüstet und bemannt gewe sen zu sein und stand unter dem Befehl gewiegter Marineosfi- cicre. Der Angriff auf Kamtschatka geschah in aller Ordnung, mit Muth und Kaltblütigkeit, auch stieß man aus keine uner warteten Hindernisse, weder auf versenkte Schiffe, wie vor Se- bastopol, noch auf Lurch Kunst angelegte Untiefen, wie vor Kronstadt. Dessenungeachtet mißlang der Angriff. Statt einer kleinen Festung, wie man meinen mochte, fand man eine be wundernswürdige Position. Acht von einander getrennt gele gene Forts mußten genommen werden, ehe man die Festung selbst angreifen konnte. Und was geschah? Die Alliirten er oberten nur ein einziges Fort und mußten die Unternehmung aufgeben. — Petropaulowski hat gezeigt, daß es einer tüchtigen Flotte Widerstand leisten kann und will. - Die russische Regierung will durch diese Endbefestigung im nördlichen Asien durchaus nicht etwa das wüste kalte Kam tschatka schützen, sondern Kamtschatka ist ein Stützpunkt für mögliche zukünftige An griffe auf das chinesischeReich. Dafür sprechen zwei neuerdings bekannt gewordene Thatsachen. Die eine ist die freie Schifffahrt, welche Rußland unlängst auf dem Amur erlangt hat, die andere, die gleichfalls unlängst stattgehabte, aber mißlungene Expedition des britischen und nord amerikanischen Bevollmächtigten in China. Der Amur entspringt in den ostsibirischen Gebirgen, welche die Grenze zwischen dem russischen und chinesischen Reiche bil den, er mündet in das Ochotskische Meer, nachdem er im süd lich gewundenen Laufe die Mandschurei durchlaufen hat. Vor seiner, Mündung liegt die von Norden nach Süden gelegene langgestreckte Insel Sachalin, deren nördliche Hälfte den Rus sen, die südliche zu Japan gehört. Eine Seemacht, die daS Recht freier Schifffahrt auf dem Amur hat, besitzt damit auch einen ungehinderten Eintritt in das Herz der Mandschurei, der letzten Zufluchtsstätte der wahrscheinlich im Erlöschen begriffe nen Mandschudynastie von China. Rußland hat sich in neuester Zeit dies Recht auf vertragsmäßigem Wege vom Kaiser Hien- fong erworben. Es hat bereits Dampfschiffe auf dem Amur, die ungehindert hin- und herfahren, es hat die Mündung die ses Stromes befestigt und auf der erwähnten Insel Sachalin Schanzen aufgeworfen. Der Kaiser Hienfong hat Pecking ver lassen, ein flüchtiger Regent, er weilt in Mukden, in der Pro vinz Schingking, vielleicht noch nördlicher in Ghirin ul. Wer weiß, ob er nicht an Rußland jene Concession gemacht hat für das Versprechen russischer Hilfe, seinen wankenden Thron zu stützen! So ganz unglaublich ist dies eben nicht, — und wenn man bedenkt, was ein russisches Protektorat bedeutet, so liegt die Behauptung nicht fern, daß Rußland, sobald es in die Lage kommt, dieses in Vollzug zu setzen, damit dem Ziele, dik Welt zu unterwerfen, um ein Erhebliches näher rückt. Der Besuch der beiden Vertreter Großbrittaniens unk