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Nr. 10/1914 PAPIER-ZEITUNG 303 Verein der Zellstoff- und Papier-Chemiker Land- und Forstwirtschaft als Rohstofferzeuger der Papierfabrikation Vortrag, gehalten von Prof. Dr. Carl G. Schwalbe auf der Haupt versammlung vom 5. und 6. Dezember 1913 In der Mitte des vorigen Jahrhunderts ist die Papiermacherei an die Verwendung pflanzlicher Rohstoffe, und zwar von Stroh, Esparto und Holz lierangetreten, nachdem sie bis dahin sich hatte mit den Faserabfällen der Haushaltungen und Spinnfaserindustrien begnügen können und müssen. In den genannten pflanz- liehen Rohstoffen waren Ausgangsmateriahen gefunden, die zu nächst unerschöpflich schienen. Aber der Papierverbrauch, ins besondere der Zeitungspapierverbrauch, ist schon gegen Schluß des letzten Jahrhunderts derart gestiegen, daß, wenn auch nicht gerade über Mangel, so doch über Verteuerung der Rohstoffe ge klagt wurde. Ein ernstlicher Mangel am wichtigsten Rohstoff, dem Holz, hat sich zuerst wohl in den Vereinigten Staaten gezeigt; er hat zur lebhaften Einfuhr des unentbehrlichen Rohmaterials aus dem Holzlande der Gegenwart und nahen Zukunft, aus Kanada geführt. In Deutschland erwies sich bald die inländische Holz erzeugung zur Befriedigung des Bedürfnisses der Zellstoffabrikation an Holz gewisser Zopfstärke als unzureichend, und rasch zunehmende Einfuhr, vorwiegend aus Rußland, war die Folge. Die sehr schnell fortschreitende Verteuerung des Holzes läßt nun auch für Deutsch land die in den Vereinigten Staaten seit langem erörterte Frage: Gibt es Ersatzstoffe für Holz ? zu einer brennenden werden. Unter diesen Umständen erschien es mir nicht uninteressant, in einem kurzen Vortrage die Vorschläge und Ansichten zusammenzufassen, die in den letzten Jahren über die Rohstoffversorgung veröffentlicht worden sind. Die Literatur über den Gegenstand ist außerordentlich angeschwollen. Nicht zum mindesten dadurch, daß neben vielen Berufenen auch Unberufene mit Vorschlägen hervorgetreten sind. Es vergeht wohl kaum ein Monat, in dem nicht in den Zeitungen oder gar Fachzeitschriften von den Tugenden irgend eines gewöhn lich wild in unerschöpflicher Menge wachsenden Papierrohstoffs die Rede ist. Wächst auf einem öden Anger, der zur Viehweide zu schlecht ist, ein wenig kümmerliches Gestrüpp oder Gras; gleich wird auf die wünschenswerte und mögliche Nutzung als Papier rohstoff hingewiesen. Vergessen aber wird stets, daß es bei einem Rohstoff für eine gewaltige Industrie nicht heißen darf „Viele wenig machen ein viel", vergessen wird, daß zur Ausbeutung auch Ein ernten, Transportieren und Stapeln gehört. Im übrigen ist natürlich nicht abzuleugnen, daß es wohl kaum irgend einen Pflanzenstoff gibt, aus dem man nicht Papier machen könnte, enthalten sie doch fast alle Zellstoff, und davon etwas sicherlich auch in Faserform. Aber diese Erkenntnis ist eine etwas alte Wahrheit, der Pfarrer Schaeffer hat diesen Nachweis seiner Zeit weit voraus schon um die Wende des 18. Jahrhunderts erbracht. Es ist aber natürlich nicht der Zellstoffgehalt allein, der ein Pflanzenmateiial als Papierrohstoff geeignet macht; die Menge dieses Zellstoffs, wie er und mit welchen Kosten er sich aus dem Rohstoff abscheiden läßt, wie er sich verarbeitet auf der Papier maschine, das alles sind Momente, die neben dem schon genannten Sammeln, Transportieren, Stapeln berücksichtigt sein wollen. Dem nach muß man an ein geeignetes Rohmaterial zunächst die Anforde rung stellen, daß es dauernd zugänglich ist, sei es wild wachsend oder angebaut, daß die Kosten seiner Einerntung, Verfrachtung, Stapelung, der Aufschließung zu Halbstoff genügend niedrig und die Ausbeute an. verwertbarem Zellstoff hoch ist. Letzteres ist geradezu ein ausschlaggebendes Moment; es ist ausgerechnet worden, daß eine Rohpflanze nur dann Aussicht auf Verwertung als Papier- Rohstoff hat, wenn die Zellstoffausbeute zum mindesten 30 v. H., je mehr, je besser beträgt. Nun ist es aber gar nicht so leicht, diese Ausbeute an Zellstoff festzulegen. Es ist etwas anderes, ob der Ge lehrte im Laboratorium mit subtilen Methoden die Zellstoffausbeute bestimmt oder der Fabrikant unter dem Zwang wirtschaftlicher und apparativer Verhältnisse mit naturgemäß häufig roheren, den Zellstoff zu scharf angreifenden Methoden den Gehalt des Roh materials festlegt. Meist liegen ja die Zellstoff-Ausbeuten der Technik unter den wissenschaftlichen Zahlen; es kann aber auch umgekehrt sein, und es steht zu hoffen, daß derartige Fälle sich in Zukunft mehren, in denen der Fabrikant auf die Gewinnung so genannten reinen Zellstoffs verzichten darf, weil sein Produkt alle wünschenswerten Eigenschaften eines guten Halbstoffes hat: weil es sich leicht auf der Papiermaschine verarbeitet, weil es feste und haltbare, nicht vergilbende Papiere ergibt. Diese Eigenschaften sind für den Verbrauch maßgebend; es ist für die Praxis gleichgültig oder sollte es wenigstens werden, ob ein Papier z. B. eine schwache Ligninreaktion gibt, wenn es nur in seiner Güte dem Vergleichs muster in feder Beziehung gerecht wird. Es läßt sich gar nicht vorderhand mit wissenschaftlicher Schärfe festlegen, was eigentlich völlig reiner Zellstoff ist. Reinigt man ein pflanzliches Rohmaterial z. B. so weit von den sogenannten Inkrusten, daß es die bekannten Farb-Ligninreaktionen nicht mehr gibt, so braucht es deshalb noch lange nicht reiner Zellstoff zu sein, das lehrt die halbgebleichte Jute, die noch viel Lignin enthalten kann, auch wenn der rote Fleck mit dem Phloroglucinreagens verschwunden ist. Und selbst wenn nun der Chemiker mit schärferen Methoden eine schärfere Reinigung vornimmt, so schwindet sehr allmählich und nicht völlig das, was er in seiner Sprache den Methylgehalt der Rohfaser nennt und der bei der reinsten Form der Zellulose, die wir kennen, der Baumwollzellulose, nur wenige Zehntel vom Hundert ausmacht. Es fehlt an einer scharfen Begriffsbestimmung völlig reinen Zellstoffs, ebenso sehr wie an einer solchen für das rätselhafte Lignin. So wechseln denn die An gaben über Zellstoffgehalt, von Pflanzenmaterialien ganz über raschend mit der Methode. Es war das besonders deutlich zu sehen, als seinerzeit beim internationalen Kongreß für angewandte Chemie in London Bericht erstattet wurde,über die Ergebnisse, die eine Reihe von Forschern bei Bestimmung des Zellstoffgehaltes im Holz, Holzzellstoffen usw. bei Verwendung verschiedener Aufschließ methoden gewonnen hatten. Die Unterschiede in den Zahlen waren betrübend groß; ein und dieselbe Methode gab in den Händen ver schiedener Forscher, ja ein und desselben Gelehrten sehr abweichende Werte. Nun seit jener Zeit haben sich die Methoden beträchtlich verfeinert, und damit hat auch die Erkenntnis vom Wesen der Auf schließverfahren zugenommen. Es ist ein Verdienst von König in Münster, mit aller Schärfe darauf hingewiesen zu haben, daß bei verholzten Fasern — und solche kommen bei den Faserrohstoffen des Pflanzenreichs vor wiegend in Betracht — das eigentliche Lignin am besten durch Oxydation, die sonstigen Inkrusten, durch die sogenannte „Hydro lyse“, durch Auflösung mittels Säuren oder Basen fortgeschafft werden. Diese Zweiteilung der Aufschließung ist ja auch das Prinzip seiner neuen Aufschließmethode mit'Nebengewinnung von Futterstoffen und Vermeidung von Ablaugen. Nicht nur bei den oben erwähnten wissenschaftlichen Zellstoff bestimmungsmethoden schwanken mit der Methode die Ausbeuten. Es ist zur Genüge bekannt, wie sehr dies bei der technischen Methode, z. B. bei der Verarbeitung des Holzes der Fall ist: saures oder alkalisches Verfahren, scheinbar geringfügige Aenderungen der Arbeitsweise im Rahmen ein und desselben Verfahrens ändern die Ausbeute, und es ist garnicht abzusehen, wie sie sich bei An wendung bekannter Verfahren auf neue Rohmaterialien gestalten wird. Das macht es so ungeheuer schwer, ein Urteil von dauerndem Wert über den Ertrag einer Rohfaser an Zellstoff abzugeben. Man muß immer des relativen Wertes solcher Werturteile eingedenk bleiben. Diese Unsicherheit in der Beurteilung erklärt die zahl reichen, auffallenden Widersprüche in der Beurteilung des Zellstoff gehaltes bei neuen Rohmaterialien. Um einige besonders krasse Beispiele anzuführen, sei erwähnt, daß die Angaben für Leinen stroh (das Stroh der Oel liefernden Pflanze) zwischen 10—50 v. H„ für Papyrus ebenfalls zwischen 10 und 40 v. H. Zellstoffgehalt schwanken. Häufig ist die Ursache, daß neben den eigentlichen, wertvollsten Faserzellen zahlreiche Markzellen vorhanden sind, welch letztere bei manchen Aufschließverfahren verschwinden, bei anderen erhalten bleiben, wie sich das besonders schon bei der Erörterung bei Verwertung von Bagasse, des ausgepreßten Zucker rohrs, gezeigt hat. Trotz aller dieser Schwierigkeiten, die Sich einer genauen Aus beutebestimmung in den Weg stellen, wird man bei der Beurteilung eines neuen Rohmaterials der Zahl für Zellstoffgehalt ausschlag gebende Bedeutung zusprechen müssen und die Unsicherheit des Werturteils über ein Rohmaterial dadurch herabzumindern suchen, daß man den Zellstoffgehalt nach möglichst verschiedenen wissenschaftlichen und technischen Verfahren prüft und diese Ver fahren nicht nur in der Apparatur des wissenschaftlich arbeitenden Chemikers, sondern in einer im Material und Eigenart der technischen Fabrikapparatur möglichst genau nachgeahmten Versuchsapparatur in solchem Maßstabe vornimmt, daß die Verarbeitung des ge wonnenen Zellstoffs in der Praxis möglich wird, um so durch Versuchsanfertigungen von Papier auf der Papiermaschine der Fabrik den Praktiker über die Verarbeitbarkeit auf der Papier maschine zu belehren. Will man nun für deutsche Verhältnisse eine Prüfung der vor handenen Rohmaterialien unter diesen Gesichtspunkten unter nehmen, so ergibt sich als natürliches Einteilungspiinzip, die Pflanzen welt des Deutschen Reiches einerseits, diejenigen seiner tropischen oder subtropischen Kolonien anderseits.